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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Herrenmenschen

Onkel, sagte Wolf, weißt du was? Das wäre etwas für dich. Mitten hinein
springen und dann Knüppel aus dem Sacke, und dann den Knüppel tanzen lasse",
bis sie nicht mehr können.

Ja, mein Junge, sagte Onkel Heinz, das wäre nicht übel. Knüppel aus dem
Sack und ihn tanzen lassen, bis sie Gnade rufen. Das sollte mir Spaß machen.

Willst du. Onkel?

Ja, ich will alles tun, was in meinen Kräften steht, um diesem Ehrenmanne
von Inspektor aus dem Sattel zu helfen.

Mary sah zu Onkel Heinz unter Tränen lächelnd auf und reichte ihm dankbar
die Hand.

Ramborn hatte nur einen kurzen Besuch machen wollen, jetzt war aber vom
Aufbruch keine Rede mehr, und schon ordnete die Tante an, ein Gedeck mehr auf¬
zulegen und eine Speise mehr zu kochen. Der Kontrakt wurde gebracht, und man
vertiefte sich in das Studium dieses merkwürdigen Schriftstücks. Dabei war Wolf
auf den Stuhl neben dem des Doktors gekniet und hatte seinen Arm vertrauens¬
voll um den Hals des Onkels gelegt. Der Kontrakt war in der Tat ein Meister¬
stück von Spitzbüberei. Oberflächlich betrachtet sah er ganz harmlos aus, aber
wenn man der Sache auf den Grund ging, so kam heraus, daß dem Inspektor
alle Rechte, und der Besitzerin alle Pflichten zugeteilt waren, und daß in dem
Falle von Meinungsverschiedenheiten der Besitzerin Hände und Füße gefesselt
waren. Das böseste aber war der Satz! Wenn dem Inspektor vor Ablauf vou
fünf Jahren gekündigt werden sollte, so habe Besitzerin KXZOO Mark Entschädigung
zu zahlen.

Mary, sagte die Tante, das hättest dn aber doch sehen sollen, daß du das
nicht unterschreiben durftest!

Ich will darauf schwören, erwiderte Frau Mary, daß ich das nicht unter¬
schrieben habe. -- Trotzdem war nichts zu machen, es stand so in der Schrift, und
die Schrift war eigenhändig von Mary unterschrieben.

Man hatte schon eine Klage wegen Auflösung des Kontrakts anhängig gemacht,
hatte aber alle Aussicht, den Prozeß zu verlieren. Es war ja eine Ungeheuerlichkeit,
daß einer einen Dienst antritt -- nicht in der Absicht, seine Schuldigkeit zu tun,
sondern seine Herrschaft zu ruinieren, daß einer einen fünfjährigen Kontrakt unter¬
schreibt -- nicht in der Absicht, seine Zeit auszuhalten, sondern sich unmöglich zu
machen und sich wegjagen zu lassen, um eine hohe Entschädigung zu erschnappen.
Wenn jedoch die Herrschaft einen Kontrakt unterschrieb, worin sie erklärte, mit
alledem zufrieden sein zu wollen, so war ihr nicht zu helfen.

Aber der Mensch hat Sie doch bestohlen, sagte Doktor Ramborn. Eine Ver¬
urteilung wegen Betrugs löst jede Verbindlichkeit.

Wenns nur wahr ist, sagte die Tante. Ich meine, wenn nur unsre Zeugen
bei der Wahrheit bleiben.

Lassen Sie, bitte, Ihre Zeugen kommen.

Die alte Lore wurde aufs Feld und in die Jnsthäuser geschickt und kam mit
dem Alus, der Marike und der Pauline an. Als diese den fremden Herrn und
den goldnen Kneifer und Papier und Feder sahen, wurden sie von einer plötzlichen
Gedächtnisschwäche befallen. Sie hatten gesagt, gemeint, gesehen, aber es war
nichts Bestimmtes aus ihnen heraus zu bekommen. Und als der Doktor sie hart
anredete und mit den drei Schwurfingern drohte, die sie hochheben sollten, war
gleich alles vorbei.

Nun nahm Tauenden die Sache in die Hand. Alus, sagte sie, Ihr seid doch
ein alter Kerl, und was Ihr noch arbeitet, ist doch nur noch den halben Tagelohn
wert. Und eine kranke Frau habt Ihr auch zuhause, was soll denn aus Euch werden,
wenn das preußische Schlößchen verkauft wird?

Ach, liebes gnädiges Fräuleinchen, sagte Alus, Sie werden doch nicht.

Wir müssen, wenn wir so weiter bestohlen werden. Und Euch, Alus, ge-


Herrenmenschen

Onkel, sagte Wolf, weißt du was? Das wäre etwas für dich. Mitten hinein
springen und dann Knüppel aus dem Sacke, und dann den Knüppel tanzen lasse«,
bis sie nicht mehr können.

Ja, mein Junge, sagte Onkel Heinz, das wäre nicht übel. Knüppel aus dem
Sack und ihn tanzen lassen, bis sie Gnade rufen. Das sollte mir Spaß machen.

Willst du. Onkel?

Ja, ich will alles tun, was in meinen Kräften steht, um diesem Ehrenmanne
von Inspektor aus dem Sattel zu helfen.

Mary sah zu Onkel Heinz unter Tränen lächelnd auf und reichte ihm dankbar
die Hand.

Ramborn hatte nur einen kurzen Besuch machen wollen, jetzt war aber vom
Aufbruch keine Rede mehr, und schon ordnete die Tante an, ein Gedeck mehr auf¬
zulegen und eine Speise mehr zu kochen. Der Kontrakt wurde gebracht, und man
vertiefte sich in das Studium dieses merkwürdigen Schriftstücks. Dabei war Wolf
auf den Stuhl neben dem des Doktors gekniet und hatte seinen Arm vertrauens¬
voll um den Hals des Onkels gelegt. Der Kontrakt war in der Tat ein Meister¬
stück von Spitzbüberei. Oberflächlich betrachtet sah er ganz harmlos aus, aber
wenn man der Sache auf den Grund ging, so kam heraus, daß dem Inspektor
alle Rechte, und der Besitzerin alle Pflichten zugeteilt waren, und daß in dem
Falle von Meinungsverschiedenheiten der Besitzerin Hände und Füße gefesselt
waren. Das böseste aber war der Satz! Wenn dem Inspektor vor Ablauf vou
fünf Jahren gekündigt werden sollte, so habe Besitzerin KXZOO Mark Entschädigung
zu zahlen.

Mary, sagte die Tante, das hättest dn aber doch sehen sollen, daß du das
nicht unterschreiben durftest!

Ich will darauf schwören, erwiderte Frau Mary, daß ich das nicht unter¬
schrieben habe. — Trotzdem war nichts zu machen, es stand so in der Schrift, und
die Schrift war eigenhändig von Mary unterschrieben.

Man hatte schon eine Klage wegen Auflösung des Kontrakts anhängig gemacht,
hatte aber alle Aussicht, den Prozeß zu verlieren. Es war ja eine Ungeheuerlichkeit,
daß einer einen Dienst antritt — nicht in der Absicht, seine Schuldigkeit zu tun,
sondern seine Herrschaft zu ruinieren, daß einer einen fünfjährigen Kontrakt unter¬
schreibt — nicht in der Absicht, seine Zeit auszuhalten, sondern sich unmöglich zu
machen und sich wegjagen zu lassen, um eine hohe Entschädigung zu erschnappen.
Wenn jedoch die Herrschaft einen Kontrakt unterschrieb, worin sie erklärte, mit
alledem zufrieden sein zu wollen, so war ihr nicht zu helfen.

Aber der Mensch hat Sie doch bestohlen, sagte Doktor Ramborn. Eine Ver¬
urteilung wegen Betrugs löst jede Verbindlichkeit.

Wenns nur wahr ist, sagte die Tante. Ich meine, wenn nur unsre Zeugen
bei der Wahrheit bleiben.

Lassen Sie, bitte, Ihre Zeugen kommen.

Die alte Lore wurde aufs Feld und in die Jnsthäuser geschickt und kam mit
dem Alus, der Marike und der Pauline an. Als diese den fremden Herrn und
den goldnen Kneifer und Papier und Feder sahen, wurden sie von einer plötzlichen
Gedächtnisschwäche befallen. Sie hatten gesagt, gemeint, gesehen, aber es war
nichts Bestimmtes aus ihnen heraus zu bekommen. Und als der Doktor sie hart
anredete und mit den drei Schwurfingern drohte, die sie hochheben sollten, war
gleich alles vorbei.

Nun nahm Tauenden die Sache in die Hand. Alus, sagte sie, Ihr seid doch
ein alter Kerl, und was Ihr noch arbeitet, ist doch nur noch den halben Tagelohn
wert. Und eine kranke Frau habt Ihr auch zuhause, was soll denn aus Euch werden,
wenn das preußische Schlößchen verkauft wird?

Ach, liebes gnädiges Fräuleinchen, sagte Alus, Sie werden doch nicht.

Wir müssen, wenn wir so weiter bestohlen werden. Und Euch, Alus, ge-


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[0744] Herrenmenschen Onkel, sagte Wolf, weißt du was? Das wäre etwas für dich. Mitten hinein springen und dann Knüppel aus dem Sacke, und dann den Knüppel tanzen lasse«, bis sie nicht mehr können. Ja, mein Junge, sagte Onkel Heinz, das wäre nicht übel. Knüppel aus dem Sack und ihn tanzen lassen, bis sie Gnade rufen. Das sollte mir Spaß machen. Willst du. Onkel? Ja, ich will alles tun, was in meinen Kräften steht, um diesem Ehrenmanne von Inspektor aus dem Sattel zu helfen. Mary sah zu Onkel Heinz unter Tränen lächelnd auf und reichte ihm dankbar die Hand. Ramborn hatte nur einen kurzen Besuch machen wollen, jetzt war aber vom Aufbruch keine Rede mehr, und schon ordnete die Tante an, ein Gedeck mehr auf¬ zulegen und eine Speise mehr zu kochen. Der Kontrakt wurde gebracht, und man vertiefte sich in das Studium dieses merkwürdigen Schriftstücks. Dabei war Wolf auf den Stuhl neben dem des Doktors gekniet und hatte seinen Arm vertrauens¬ voll um den Hals des Onkels gelegt. Der Kontrakt war in der Tat ein Meister¬ stück von Spitzbüberei. Oberflächlich betrachtet sah er ganz harmlos aus, aber wenn man der Sache auf den Grund ging, so kam heraus, daß dem Inspektor alle Rechte, und der Besitzerin alle Pflichten zugeteilt waren, und daß in dem Falle von Meinungsverschiedenheiten der Besitzerin Hände und Füße gefesselt waren. Das böseste aber war der Satz! Wenn dem Inspektor vor Ablauf vou fünf Jahren gekündigt werden sollte, so habe Besitzerin KXZOO Mark Entschädigung zu zahlen. Mary, sagte die Tante, das hättest dn aber doch sehen sollen, daß du das nicht unterschreiben durftest! Ich will darauf schwören, erwiderte Frau Mary, daß ich das nicht unter¬ schrieben habe. — Trotzdem war nichts zu machen, es stand so in der Schrift, und die Schrift war eigenhändig von Mary unterschrieben. Man hatte schon eine Klage wegen Auflösung des Kontrakts anhängig gemacht, hatte aber alle Aussicht, den Prozeß zu verlieren. Es war ja eine Ungeheuerlichkeit, daß einer einen Dienst antritt — nicht in der Absicht, seine Schuldigkeit zu tun, sondern seine Herrschaft zu ruinieren, daß einer einen fünfjährigen Kontrakt unter¬ schreibt — nicht in der Absicht, seine Zeit auszuhalten, sondern sich unmöglich zu machen und sich wegjagen zu lassen, um eine hohe Entschädigung zu erschnappen. Wenn jedoch die Herrschaft einen Kontrakt unterschrieb, worin sie erklärte, mit alledem zufrieden sein zu wollen, so war ihr nicht zu helfen. Aber der Mensch hat Sie doch bestohlen, sagte Doktor Ramborn. Eine Ver¬ urteilung wegen Betrugs löst jede Verbindlichkeit. Wenns nur wahr ist, sagte die Tante. Ich meine, wenn nur unsre Zeugen bei der Wahrheit bleiben. Lassen Sie, bitte, Ihre Zeugen kommen. Die alte Lore wurde aufs Feld und in die Jnsthäuser geschickt und kam mit dem Alus, der Marike und der Pauline an. Als diese den fremden Herrn und den goldnen Kneifer und Papier und Feder sahen, wurden sie von einer plötzlichen Gedächtnisschwäche befallen. Sie hatten gesagt, gemeint, gesehen, aber es war nichts Bestimmtes aus ihnen heraus zu bekommen. Und als der Doktor sie hart anredete und mit den drei Schwurfingern drohte, die sie hochheben sollten, war gleich alles vorbei. Nun nahm Tauenden die Sache in die Hand. Alus, sagte sie, Ihr seid doch ein alter Kerl, und was Ihr noch arbeitet, ist doch nur noch den halben Tagelohn wert. Und eine kranke Frau habt Ihr auch zuhause, was soll denn aus Euch werden, wenn das preußische Schlößchen verkauft wird? Ach, liebes gnädiges Fräuleinchen, sagte Alus, Sie werden doch nicht. Wir müssen, wenn wir so weiter bestohlen werden. Und Euch, Alus, ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/744>, abgerufen am 22.12.2024.