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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Herrenmenschen

in sich zusammen, und was sie nun noch ans Land wirft, das sind Fluten,
aber keine Wogen mehr. Weh dem, der in diesen Streit von Wasser und Land
gerät. Was sind auch die besten Schwimmkünste gegen diese Kräfte! Wie ein
Hammer Schlag auf Schlag gibt, so folgt eine Woge hinter der andern her, und
noch ehe der Strand unter der Wasserflut aufgeatmet hat, steht die nächste Woge
da und wiederholt ihren Angriff. Gegen solche Flut im Boote aufzufahren scheint
eine Unmöglichkeit, und doch uuternimmts der Mensch, und noch dazu in einem solchen
zerbrechlichen Dinge, wie es auch das beste Rettungsboot ist.

Man hatte den Bootswagen umgedreht und ihn mit den Hinterrädern voran
ins Wasser geschoben. Nun stieg die Bootsmanuschnft auf. Es fehlte einer an
der nötigen Zahl. Peter Knorre! rief man. Wo ist Peter Knorre?

Hat sich betrunken und liegt hinterm Boothause.

Aber ehe noch nach einem Ersatzmanne gerufen werden konnte, war Schwechting
herzugesprungcn, hatte den Wagen und das Boot erklommen und sich auf den
leeren Platz gesetzt. Man führte, indem die schiebenden Männer tief ins Wasser
hinaustraten, den Wagen weit in die Flut hinein, bis sich das Boot, von einer
besonders hohen Woge gehoben, von: Wagen löste und mit der zurückkehrenden
Welle in die See hinaus genommen wurde. Jetzt schlugen die Ruder nieder, und
das Boot schwamm.

Na, adjes Ranke, rief Pogge, halte dir senkrecht, mein Sohn! Und die Rotte
Korah stimmte ein Hurra an, aber weder von dem Hurra noch von dem guten
Wunsche Pogges wurde im Brausen des Windes und im Donnern der Brandung
viel vernommen. Nun langte auch Herr von Kügelchen an -- in kläglichem Auf¬
zuge. Er hatte den edelmütigen Wunsch gehabt, sich am Rettungswerke zu be¬
teiligen, aber das Boot war ihm zu hoch gewesen, und niemand hatte sich um ihn
bekümmert, und da hatte ihn eine Woge erwischt und bis an den Leib eingetaucht,
wovor ihn sein schöner Salonölanzug nicht hatte schützen können. Er fand dies
anferst, in der Tat äuferst -- und begab sich schleunigst nach Hause.

Das Boot kam nur langsam vorwärts, es sah aus, als wenn es stillstehe, trotz¬
dem daß die acht Ruder unverdrossen ins Wasser schlugen. Manchmal verschwand
es, und nun tauchte es wieder auf und kämpfte weiter gegen Wind und Woge.
Zuletzt wurde es von Nebel und fliegendem Schaume den Augen verborgen. Oben
auf dem Strande standen die Frauen, deren Männer draußen im Boote waren,
hatten den Schürzenzipfel im Munde und schauten heißen Blicks dem kleinen Fahr¬
zeuge nach, das da mit den Wellen kämpfte. Und manche von ihnen rief den
heiligen Michael, den Schutzpatron der Reisenden an, und manche gelobte einen
Kirchgang oder eine Gabe, wenn der Mann oder der Bruder wieder an Land
sein würde, was sich mit ihrer protestantischen Rechtgläubigkeit wohl vertrug.

Der Doktor war von Pcmisat darüber unterrichtet worden, daß ein Schiff in
Not auf der steinigen Platte sitze, und daß das Rettungsboot auslaufen werde.
Er hatte daran gedacht, dem Amtshauptmann den versprochnen Besuch zu machen,
unter vorliegenden Umständen gab er aber den Gedanken wieder auf. Nur duldete
ihn der Sturm und die Aussicht ans ein seltnes Schauspiel ebensowenig zuhause
als die andern. Die Halbinsel, auf der das Amt lag, schien ihm ein geeigneter
Beobachtungspunkt zu sein.

Bald stand er am Fuße eines Stücks Wall, der einst das Amt vom Fest¬
lande abgeschnitten hatte. Jenseits des Walles brausten die Bäume, die das Amts¬
haus umstanden. Oben auf dem Walle stand ein Häuschen, auf dessen Dache eine
Laterne klirrte. Ramborn wandte sich nach Westen und bot dem Sturme die Stirn.
Draußen über dem Horizont und mit ihm verschwimmend lag eine dunkle Wolken¬
bank, von der sich von Zeit zu Zeit einzelne Wolkenfetzen loslösten, die in rasender
Eile über den grauen, regenschweren Himmel zogen. Kurze sprühende Wellen
stürzten in endlosen Zeilen heran, wie Soldaten, die in Reihen heranrücken, um
eine Festung zu erobern. Am Strande zerschlugen sie sich zu Schaum und warfen


Grenzboten 1 190S, 89
Herrenmenschen

in sich zusammen, und was sie nun noch ans Land wirft, das sind Fluten,
aber keine Wogen mehr. Weh dem, der in diesen Streit von Wasser und Land
gerät. Was sind auch die besten Schwimmkünste gegen diese Kräfte! Wie ein
Hammer Schlag auf Schlag gibt, so folgt eine Woge hinter der andern her, und
noch ehe der Strand unter der Wasserflut aufgeatmet hat, steht die nächste Woge
da und wiederholt ihren Angriff. Gegen solche Flut im Boote aufzufahren scheint
eine Unmöglichkeit, und doch uuternimmts der Mensch, und noch dazu in einem solchen
zerbrechlichen Dinge, wie es auch das beste Rettungsboot ist.

Man hatte den Bootswagen umgedreht und ihn mit den Hinterrädern voran
ins Wasser geschoben. Nun stieg die Bootsmanuschnft auf. Es fehlte einer an
der nötigen Zahl. Peter Knorre! rief man. Wo ist Peter Knorre?

Hat sich betrunken und liegt hinterm Boothause.

Aber ehe noch nach einem Ersatzmanne gerufen werden konnte, war Schwechting
herzugesprungcn, hatte den Wagen und das Boot erklommen und sich auf den
leeren Platz gesetzt. Man führte, indem die schiebenden Männer tief ins Wasser
hinaustraten, den Wagen weit in die Flut hinein, bis sich das Boot, von einer
besonders hohen Woge gehoben, von: Wagen löste und mit der zurückkehrenden
Welle in die See hinaus genommen wurde. Jetzt schlugen die Ruder nieder, und
das Boot schwamm.

Na, adjes Ranke, rief Pogge, halte dir senkrecht, mein Sohn! Und die Rotte
Korah stimmte ein Hurra an, aber weder von dem Hurra noch von dem guten
Wunsche Pogges wurde im Brausen des Windes und im Donnern der Brandung
viel vernommen. Nun langte auch Herr von Kügelchen an — in kläglichem Auf¬
zuge. Er hatte den edelmütigen Wunsch gehabt, sich am Rettungswerke zu be¬
teiligen, aber das Boot war ihm zu hoch gewesen, und niemand hatte sich um ihn
bekümmert, und da hatte ihn eine Woge erwischt und bis an den Leib eingetaucht,
wovor ihn sein schöner Salonölanzug nicht hatte schützen können. Er fand dies
anferst, in der Tat äuferst — und begab sich schleunigst nach Hause.

Das Boot kam nur langsam vorwärts, es sah aus, als wenn es stillstehe, trotz¬
dem daß die acht Ruder unverdrossen ins Wasser schlugen. Manchmal verschwand
es, und nun tauchte es wieder auf und kämpfte weiter gegen Wind und Woge.
Zuletzt wurde es von Nebel und fliegendem Schaume den Augen verborgen. Oben
auf dem Strande standen die Frauen, deren Männer draußen im Boote waren,
hatten den Schürzenzipfel im Munde und schauten heißen Blicks dem kleinen Fahr¬
zeuge nach, das da mit den Wellen kämpfte. Und manche von ihnen rief den
heiligen Michael, den Schutzpatron der Reisenden an, und manche gelobte einen
Kirchgang oder eine Gabe, wenn der Mann oder der Bruder wieder an Land
sein würde, was sich mit ihrer protestantischen Rechtgläubigkeit wohl vertrug.

Der Doktor war von Pcmisat darüber unterrichtet worden, daß ein Schiff in
Not auf der steinigen Platte sitze, und daß das Rettungsboot auslaufen werde.
Er hatte daran gedacht, dem Amtshauptmann den versprochnen Besuch zu machen,
unter vorliegenden Umständen gab er aber den Gedanken wieder auf. Nur duldete
ihn der Sturm und die Aussicht ans ein seltnes Schauspiel ebensowenig zuhause
als die andern. Die Halbinsel, auf der das Amt lag, schien ihm ein geeigneter
Beobachtungspunkt zu sein.

Bald stand er am Fuße eines Stücks Wall, der einst das Amt vom Fest¬
lande abgeschnitten hatte. Jenseits des Walles brausten die Bäume, die das Amts¬
haus umstanden. Oben auf dem Walle stand ein Häuschen, auf dessen Dache eine
Laterne klirrte. Ramborn wandte sich nach Westen und bot dem Sturme die Stirn.
Draußen über dem Horizont und mit ihm verschwimmend lag eine dunkle Wolken¬
bank, von der sich von Zeit zu Zeit einzelne Wolkenfetzen loslösten, die in rasender
Eile über den grauen, regenschweren Himmel zogen. Kurze sprühende Wellen
stürzten in endlosen Zeilen heran, wie Soldaten, die in Reihen heranrücken, um
eine Festung zu erobern. Am Strande zerschlugen sie sich zu Schaum und warfen


Grenzboten 1 190S, 89
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[0689] Herrenmenschen in sich zusammen, und was sie nun noch ans Land wirft, das sind Fluten, aber keine Wogen mehr. Weh dem, der in diesen Streit von Wasser und Land gerät. Was sind auch die besten Schwimmkünste gegen diese Kräfte! Wie ein Hammer Schlag auf Schlag gibt, so folgt eine Woge hinter der andern her, und noch ehe der Strand unter der Wasserflut aufgeatmet hat, steht die nächste Woge da und wiederholt ihren Angriff. Gegen solche Flut im Boote aufzufahren scheint eine Unmöglichkeit, und doch uuternimmts der Mensch, und noch dazu in einem solchen zerbrechlichen Dinge, wie es auch das beste Rettungsboot ist. Man hatte den Bootswagen umgedreht und ihn mit den Hinterrädern voran ins Wasser geschoben. Nun stieg die Bootsmanuschnft auf. Es fehlte einer an der nötigen Zahl. Peter Knorre! rief man. Wo ist Peter Knorre? Hat sich betrunken und liegt hinterm Boothause. Aber ehe noch nach einem Ersatzmanne gerufen werden konnte, war Schwechting herzugesprungcn, hatte den Wagen und das Boot erklommen und sich auf den leeren Platz gesetzt. Man führte, indem die schiebenden Männer tief ins Wasser hinaustraten, den Wagen weit in die Flut hinein, bis sich das Boot, von einer besonders hohen Woge gehoben, von: Wagen löste und mit der zurückkehrenden Welle in die See hinaus genommen wurde. Jetzt schlugen die Ruder nieder, und das Boot schwamm. Na, adjes Ranke, rief Pogge, halte dir senkrecht, mein Sohn! Und die Rotte Korah stimmte ein Hurra an, aber weder von dem Hurra noch von dem guten Wunsche Pogges wurde im Brausen des Windes und im Donnern der Brandung viel vernommen. Nun langte auch Herr von Kügelchen an — in kläglichem Auf¬ zuge. Er hatte den edelmütigen Wunsch gehabt, sich am Rettungswerke zu be¬ teiligen, aber das Boot war ihm zu hoch gewesen, und niemand hatte sich um ihn bekümmert, und da hatte ihn eine Woge erwischt und bis an den Leib eingetaucht, wovor ihn sein schöner Salonölanzug nicht hatte schützen können. Er fand dies anferst, in der Tat äuferst — und begab sich schleunigst nach Hause. Das Boot kam nur langsam vorwärts, es sah aus, als wenn es stillstehe, trotz¬ dem daß die acht Ruder unverdrossen ins Wasser schlugen. Manchmal verschwand es, und nun tauchte es wieder auf und kämpfte weiter gegen Wind und Woge. Zuletzt wurde es von Nebel und fliegendem Schaume den Augen verborgen. Oben auf dem Strande standen die Frauen, deren Männer draußen im Boote waren, hatten den Schürzenzipfel im Munde und schauten heißen Blicks dem kleinen Fahr¬ zeuge nach, das da mit den Wellen kämpfte. Und manche von ihnen rief den heiligen Michael, den Schutzpatron der Reisenden an, und manche gelobte einen Kirchgang oder eine Gabe, wenn der Mann oder der Bruder wieder an Land sein würde, was sich mit ihrer protestantischen Rechtgläubigkeit wohl vertrug. Der Doktor war von Pcmisat darüber unterrichtet worden, daß ein Schiff in Not auf der steinigen Platte sitze, und daß das Rettungsboot auslaufen werde. Er hatte daran gedacht, dem Amtshauptmann den versprochnen Besuch zu machen, unter vorliegenden Umständen gab er aber den Gedanken wieder auf. Nur duldete ihn der Sturm und die Aussicht ans ein seltnes Schauspiel ebensowenig zuhause als die andern. Die Halbinsel, auf der das Amt lag, schien ihm ein geeigneter Beobachtungspunkt zu sein. Bald stand er am Fuße eines Stücks Wall, der einst das Amt vom Fest¬ lande abgeschnitten hatte. Jenseits des Walles brausten die Bäume, die das Amts¬ haus umstanden. Oben auf dem Walle stand ein Häuschen, auf dessen Dache eine Laterne klirrte. Ramborn wandte sich nach Westen und bot dem Sturme die Stirn. Draußen über dem Horizont und mit ihm verschwimmend lag eine dunkle Wolken¬ bank, von der sich von Zeit zu Zeit einzelne Wolkenfetzen loslösten, die in rasender Eile über den grauen, regenschweren Himmel zogen. Kurze sprühende Wellen stürzten in endlosen Zeilen heran, wie Soldaten, die in Reihen heranrücken, um eine Festung zu erobern. Am Strande zerschlugen sie sich zu Schaum und warfen Grenzboten 1 190S, 89

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/689>, abgerufen am 23.07.2024.