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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Was wir an Deutschen mit großer Mühe und großen Mitteln in den ehemals
polnischen Landesteilen ansiedeln, wird obendrein zum nicht geringen Teile wieder
aufgewogen durch die Polonisiernng des Westens. Diese nimmt in einer
Weise zu, daß bei dem nebenhergehenden Wachstum und der materiellen Konsoli¬
dierung der polnischen Agitation eine im Westen Deutschlands vordringende feind¬
liche Armee in diesen dem preußischen Staatsgedanken mehr oder minder entfrem¬
deten polnischen Massen wichtige Stützpunkte und Hilfskräfte, Spione usw. zur
Genüge finden würde. Auch die Industrie des Westens dürfte inzwischen von ihrer
frühern Annahme, daß die polnischen Arbeitermassen "ein Jungbrunnen an Arbeits¬
kräften gegenüber der sozialdemokratischen Verhetzung der eingebornen Arbeiter¬
bevölkerung" wären, längst zurückgekommen sein. Das sind zwei Kompagnien, die
getrennt marschieren und vereint schlagen, die beide dasselbe Ziel haben.

Es ist eine sehr seltsame Erscheinung, daß im Osten, Oberschlesien einge¬
schlossen, der Großgrundbesitz erklärt, ohne die polnischen Arbeiter, d. h. ohne
die Einwanderung aus Galizien und aus Polen nicht bestehn zu können, und daß
im Westen die Industrie derselben Anschauung in bezug auf ihre eigne Existenz-
sähigkeit ist, obwohl dieser polnisch-galizische Zuzug eine schwere Gefahr für den
Staat bedeutet. Auf diesem Zuzug beruht die fortschreitende Polonisierung Ober¬
schlesiens und die Etnblierung starker polnischer Kolonien in Berlin -- wo es
bekanntlich "polnische Turnvereine" gibt, in denen der Haß gegen das Deutsche
und der polnische Zukunftsstaat systematisch gepflegt werden -- und bis nach
Krefeld usw. hiu, wo wir längst "polnische Kriegervereine" bei festlichen Gelegen¬
heiten ausziehn sehen. Wenn die östliche Landwirtschaft und die westliche Industrie
ohne den polnischen Zuzug nicht auskommen können, so muß man doch erstaunt
fragen: Wo bleibt denn eigentlich der jährliche Zuwachs von einer Million
Menschen, den wir in Deutschland haben, und der zu dem auch von der Staats¬
politik anerkannten und übernommnen Lehrsatz geführt hat, daß wir "entweder
Waren oder Menschen" exportieren müssen? In zwanzig Jahren, also Anno 1925,
wird das Deutsche Reich mindestens achtzig Millionen Menschen haben. Man
sollte doch meinen, daß wir schon jetzt, bei sechzig Millionen, eines polnischen
Zuzugs nicht bedürfen, wie das ja auch die fortschreitenden Organisationen zu¬
gunsten der "Arbeitslosen" zur Genüge bekunden. Während auf dem Lande die
Kräfte fehlen und fortwährend durch polnischen Zuzug ersetzt werden müssen, sammeln
sich in den Städten die Arbeitslosen, ihre Zahl wird um so größer werden, je
mehr die Fürsorge zunimmt, die man ihnen angedeihen läßt.

Es handelt sich also doch offenbar um eine richtigere Verteilung der Be¬
völkerung und um die dazu nötigen Maßnahmen. Sehr viel kann die Militär¬
verwaltung beitragen, die alljährlich eine Viertelmillion Menschen zum über¬
wiegendem Teil aus der Landbevölkerung in die Städte ruft, ohne sie ihr nachher
zurückzugeben. Es müßte Anordnung getroffen werden, daß jeder Soldat, der bei
seiner Entlassung nicht in glaubhafter Weise nachweisen kann, daß er in seiner
Garnisonstadt eine Stellung gefunden hat, dienstlich dorthin zurückbefördert wird,
von wo aus er in die Armee eingetreten ist. Die heimatlichen Kriegervereine
könnten in dieser Hinsicht sehr viel Nutzen stiften, wenn sie rechtzeitig durch die
Bezirkskommandos, und diese von den Truppenteilen, das Verzeichnis der zur Ent¬
lassung kommenden Mannschaften unter Angabe des bürgerlichen Berufes erhielten
mit der Aufgabe, für diese Leute eine Stellung zum Entlassungstermin zu ver¬
mitteln. Selbstverständlich wird das nicht immer glücken. Aber wenn man in
Betracht zieht, daß infolge der Kapitulationen usw. weniger Mannschaften zur Ent¬
lassung als fast zu derselben Zeit zur Einstellung gelangen, so müßte doch die
Annahme zutreffen, daß für jeden entlassenen Mann der Platz eines zur Einstellung
kommenden frei wird. Dies ist mich der Fall, aber der Umstand wirkt erschwerend,
daß aus Sparsamkeits- und andern Gründen der Zwischenraum zwischen der Ent¬
lassung und dem Eintritt des folgenden Jahrgangs viel zu groß ist. Die Jnfcmterie-


Grenzboten I 1905 8
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Was wir an Deutschen mit großer Mühe und großen Mitteln in den ehemals
polnischen Landesteilen ansiedeln, wird obendrein zum nicht geringen Teile wieder
aufgewogen durch die Polonisiernng des Westens. Diese nimmt in einer
Weise zu, daß bei dem nebenhergehenden Wachstum und der materiellen Konsoli¬
dierung der polnischen Agitation eine im Westen Deutschlands vordringende feind¬
liche Armee in diesen dem preußischen Staatsgedanken mehr oder minder entfrem¬
deten polnischen Massen wichtige Stützpunkte und Hilfskräfte, Spione usw. zur
Genüge finden würde. Auch die Industrie des Westens dürfte inzwischen von ihrer
frühern Annahme, daß die polnischen Arbeitermassen „ein Jungbrunnen an Arbeits¬
kräften gegenüber der sozialdemokratischen Verhetzung der eingebornen Arbeiter¬
bevölkerung" wären, längst zurückgekommen sein. Das sind zwei Kompagnien, die
getrennt marschieren und vereint schlagen, die beide dasselbe Ziel haben.

Es ist eine sehr seltsame Erscheinung, daß im Osten, Oberschlesien einge¬
schlossen, der Großgrundbesitz erklärt, ohne die polnischen Arbeiter, d. h. ohne
die Einwanderung aus Galizien und aus Polen nicht bestehn zu können, und daß
im Westen die Industrie derselben Anschauung in bezug auf ihre eigne Existenz-
sähigkeit ist, obwohl dieser polnisch-galizische Zuzug eine schwere Gefahr für den
Staat bedeutet. Auf diesem Zuzug beruht die fortschreitende Polonisierung Ober¬
schlesiens und die Etnblierung starker polnischer Kolonien in Berlin — wo es
bekanntlich „polnische Turnvereine" gibt, in denen der Haß gegen das Deutsche
und der polnische Zukunftsstaat systematisch gepflegt werden — und bis nach
Krefeld usw. hiu, wo wir längst „polnische Kriegervereine" bei festlichen Gelegen¬
heiten ausziehn sehen. Wenn die östliche Landwirtschaft und die westliche Industrie
ohne den polnischen Zuzug nicht auskommen können, so muß man doch erstaunt
fragen: Wo bleibt denn eigentlich der jährliche Zuwachs von einer Million
Menschen, den wir in Deutschland haben, und der zu dem auch von der Staats¬
politik anerkannten und übernommnen Lehrsatz geführt hat, daß wir „entweder
Waren oder Menschen" exportieren müssen? In zwanzig Jahren, also Anno 1925,
wird das Deutsche Reich mindestens achtzig Millionen Menschen haben. Man
sollte doch meinen, daß wir schon jetzt, bei sechzig Millionen, eines polnischen
Zuzugs nicht bedürfen, wie das ja auch die fortschreitenden Organisationen zu¬
gunsten der „Arbeitslosen" zur Genüge bekunden. Während auf dem Lande die
Kräfte fehlen und fortwährend durch polnischen Zuzug ersetzt werden müssen, sammeln
sich in den Städten die Arbeitslosen, ihre Zahl wird um so größer werden, je
mehr die Fürsorge zunimmt, die man ihnen angedeihen läßt.

Es handelt sich also doch offenbar um eine richtigere Verteilung der Be¬
völkerung und um die dazu nötigen Maßnahmen. Sehr viel kann die Militär¬
verwaltung beitragen, die alljährlich eine Viertelmillion Menschen zum über¬
wiegendem Teil aus der Landbevölkerung in die Städte ruft, ohne sie ihr nachher
zurückzugeben. Es müßte Anordnung getroffen werden, daß jeder Soldat, der bei
seiner Entlassung nicht in glaubhafter Weise nachweisen kann, daß er in seiner
Garnisonstadt eine Stellung gefunden hat, dienstlich dorthin zurückbefördert wird,
von wo aus er in die Armee eingetreten ist. Die heimatlichen Kriegervereine
könnten in dieser Hinsicht sehr viel Nutzen stiften, wenn sie rechtzeitig durch die
Bezirkskommandos, und diese von den Truppenteilen, das Verzeichnis der zur Ent¬
lassung kommenden Mannschaften unter Angabe des bürgerlichen Berufes erhielten
mit der Aufgabe, für diese Leute eine Stellung zum Entlassungstermin zu ver¬
mitteln. Selbstverständlich wird das nicht immer glücken. Aber wenn man in
Betracht zieht, daß infolge der Kapitulationen usw. weniger Mannschaften zur Ent¬
lassung als fast zu derselben Zeit zur Einstellung gelangen, so müßte doch die
Annahme zutreffen, daß für jeden entlassenen Mann der Platz eines zur Einstellung
kommenden frei wird. Dies ist mich der Fall, aber der Umstand wirkt erschwerend,
daß aus Sparsamkeits- und andern Gründen der Zwischenraum zwischen der Ent¬
lassung und dem Eintritt des folgenden Jahrgangs viel zu groß ist. Die Jnfcmterie-


Grenzboten I 1905 8
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[0065] Maßgebliches und Unmaßgebliches Was wir an Deutschen mit großer Mühe und großen Mitteln in den ehemals polnischen Landesteilen ansiedeln, wird obendrein zum nicht geringen Teile wieder aufgewogen durch die Polonisiernng des Westens. Diese nimmt in einer Weise zu, daß bei dem nebenhergehenden Wachstum und der materiellen Konsoli¬ dierung der polnischen Agitation eine im Westen Deutschlands vordringende feind¬ liche Armee in diesen dem preußischen Staatsgedanken mehr oder minder entfrem¬ deten polnischen Massen wichtige Stützpunkte und Hilfskräfte, Spione usw. zur Genüge finden würde. Auch die Industrie des Westens dürfte inzwischen von ihrer frühern Annahme, daß die polnischen Arbeitermassen „ein Jungbrunnen an Arbeits¬ kräften gegenüber der sozialdemokratischen Verhetzung der eingebornen Arbeiter¬ bevölkerung" wären, längst zurückgekommen sein. Das sind zwei Kompagnien, die getrennt marschieren und vereint schlagen, die beide dasselbe Ziel haben. Es ist eine sehr seltsame Erscheinung, daß im Osten, Oberschlesien einge¬ schlossen, der Großgrundbesitz erklärt, ohne die polnischen Arbeiter, d. h. ohne die Einwanderung aus Galizien und aus Polen nicht bestehn zu können, und daß im Westen die Industrie derselben Anschauung in bezug auf ihre eigne Existenz- sähigkeit ist, obwohl dieser polnisch-galizische Zuzug eine schwere Gefahr für den Staat bedeutet. Auf diesem Zuzug beruht die fortschreitende Polonisierung Ober¬ schlesiens und die Etnblierung starker polnischer Kolonien in Berlin — wo es bekanntlich „polnische Turnvereine" gibt, in denen der Haß gegen das Deutsche und der polnische Zukunftsstaat systematisch gepflegt werden — und bis nach Krefeld usw. hiu, wo wir längst „polnische Kriegervereine" bei festlichen Gelegen¬ heiten ausziehn sehen. Wenn die östliche Landwirtschaft und die westliche Industrie ohne den polnischen Zuzug nicht auskommen können, so muß man doch erstaunt fragen: Wo bleibt denn eigentlich der jährliche Zuwachs von einer Million Menschen, den wir in Deutschland haben, und der zu dem auch von der Staats¬ politik anerkannten und übernommnen Lehrsatz geführt hat, daß wir „entweder Waren oder Menschen" exportieren müssen? In zwanzig Jahren, also Anno 1925, wird das Deutsche Reich mindestens achtzig Millionen Menschen haben. Man sollte doch meinen, daß wir schon jetzt, bei sechzig Millionen, eines polnischen Zuzugs nicht bedürfen, wie das ja auch die fortschreitenden Organisationen zu¬ gunsten der „Arbeitslosen" zur Genüge bekunden. Während auf dem Lande die Kräfte fehlen und fortwährend durch polnischen Zuzug ersetzt werden müssen, sammeln sich in den Städten die Arbeitslosen, ihre Zahl wird um so größer werden, je mehr die Fürsorge zunimmt, die man ihnen angedeihen läßt. Es handelt sich also doch offenbar um eine richtigere Verteilung der Be¬ völkerung und um die dazu nötigen Maßnahmen. Sehr viel kann die Militär¬ verwaltung beitragen, die alljährlich eine Viertelmillion Menschen zum über¬ wiegendem Teil aus der Landbevölkerung in die Städte ruft, ohne sie ihr nachher zurückzugeben. Es müßte Anordnung getroffen werden, daß jeder Soldat, der bei seiner Entlassung nicht in glaubhafter Weise nachweisen kann, daß er in seiner Garnisonstadt eine Stellung gefunden hat, dienstlich dorthin zurückbefördert wird, von wo aus er in die Armee eingetreten ist. Die heimatlichen Kriegervereine könnten in dieser Hinsicht sehr viel Nutzen stiften, wenn sie rechtzeitig durch die Bezirkskommandos, und diese von den Truppenteilen, das Verzeichnis der zur Ent¬ lassung kommenden Mannschaften unter Angabe des bürgerlichen Berufes erhielten mit der Aufgabe, für diese Leute eine Stellung zum Entlassungstermin zu ver¬ mitteln. Selbstverständlich wird das nicht immer glücken. Aber wenn man in Betracht zieht, daß infolge der Kapitulationen usw. weniger Mannschaften zur Ent¬ lassung als fast zu derselben Zeit zur Einstellung gelangen, so müßte doch die Annahme zutreffen, daß für jeden entlassenen Mann der Platz eines zur Einstellung kommenden frei wird. Dies ist mich der Fall, aber der Umstand wirkt erschwerend, daß aus Sparsamkeits- und andern Gründen der Zwischenraum zwischen der Ent¬ lassung und dem Eintritt des folgenden Jahrgangs viel zu groß ist. Die Jnfcmterie- Grenzboten I 1905 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/65>, abgerufen am 23.07.2024.