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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Herrenmenschen

und sah vor sich eine Weide, eins der dürftige, am Hinterfuße gefesselte Rinder
und Pferde ihr innigeres Futter suchten. Dahinter lagen Felder, und in der Ferne
zeichneten sich übereinander die Linien waldigen Flachlandes ab, unterbrochen von
Teichen und Bruch. Mau konnte nicht behaupten, daß sich die Gegend durch be¬
sondre Reize ausgezeichnet hätte, und doch war sie nicht reizlos für den, der ein
Auge für Luft und Ferne und ein Ohr für die Sprache der Einsamkeit hat.

Dort rechter Hand lag ein Gutshof, offenbar das preußische Schlößchen.
Dort also wohnte Mary, und dort hatte er seine Hypothek. Aber diese Hypothek
interessierte ihn in diesem Augenblicke dick weniger als der landschaftliche Reiz,
den das Schlößchen mit seinen zerstreuten Nebengebäuden und seinen Bnumgruppen
bot. Er stellte seinen Apparat auf und machte eine Aufnahme. Darauf ging er
am Schlößchen vorüber, überschritt den Weg, der nach Tapnicken führte, durch¬
schritt einen Streifen Wald, stand auf eiuer sandigen Blöße und hatte vor sich die
See und zu seinen Füßen den Strand -- und zwar den Badestrand. Der Strand
war offenbar gut, eben und glatt, ohne Klippen und Steintrümmer, aber die
Badeeinrichtnngen waren höchst mangelhaft. Ein paar schiefe Buden auf der
Franenseite, das war alles. Die Grenze zwischen dem Herren- und dem Damen¬
strande bildeten Fischerkähne, die gerade dalagen, und wenn die Kühne ausgefahren
waren, dann war eben keine bestimmte Grenze vorhanden. Bei dem Mangel an
Buden mußten die Fischernetze, die an Stangen zum Trocknen aufgehängt waren,
als Kulissen dienen. Und wenn die Netze nicht da waren, so mußte es auch so
gehn. Oder mau errichtete aus Schilf eine Art von Indianerhütten. Dies war
eine Beschäftigung, der die Knaben mit glühendem Eifer oblagen. Jede Hütte hatte
ihren besondern Namen, Flagge und sonstige Zieraten.

Doktor Namborn war bei dem Anblicke des Badestrandes überrascht. Er
hatte es nicht gewicht oder es wieder vergessen, daß Tapnicken ein Badeort sei.
Noch mehr überrascht war er von einer mythologischen Szene, die sich am Strande
abspielte. Dort hielten zwei Reiterinnen, junge Mädchen, die in ihren bunten
Badcnnzügen wie Amazonen zu Pferde saßen und die Badetücher als Mäntel um
die Schultern geworfen hatten. Um sie herum tanzte eine Rotte von größern und
kleinern Mädchen, ebenfalls in Badeanzügen. Man konnte die hellen Stimmen
deutlich hören. Die eine der Reiterinnen, offenbar die Herrscherin der Schar,
gebot Ruhe, hielt eine Ansprache und wies auf die See hinaus. Darauf stürzte
sich die Schar, während die Badetücher in die Luft flogen, unter großem Geschrei
im Sturm in die Wellen. Auch die Pferde spielten offenbar mit, sie galoppierten
ins Wasser und kehrten ohne ihre Reiterinnen zurück, schüttelten sich und blieben
am Strande stehn. Die Schar aber schwamm weit hinaus und tauchte wie die Enten.
Weiter hin lagen einige wohlbeleibte Damen wie Seehunde im flachen Wasser.

Um nicht den Schein zu erwecken, als wolle er die badenden Damen be¬
obachten, wandte sich Namborn nach rechts, wo er den Herrenstrand vermutete.
Er hätte es nicht nötig gehabt. Man war in diesen! entlegnen Neste so vorurteils¬
frei wie in manchem Weltseebade. Er hatte nicht weit zu gehn, so stand er vor
einem Hause, das wie der Zwillingsbruder des Künstlerheims aussah. Auch dieses
Haus stand zwischen Prachtexemplaren alter knorriger Weiden. Es war alt und
verwittert, und Regen und Rauch hatten ihm die feinen und harmonischen Farben¬
töne gegeben, die nichts Neues aufzuweisen haben, und die dem Maler so will¬
kommen sind. Auch hier trugen die Fensterläden die blaue Nationalfarbe, doch saß
auf den Giebeln statt der Pferdeköpfe der litauische Hahn. Auch war die Um¬
gegend des Hauses malerisch verschönt dnrch sorglos stehn gelassene Ackergeräte und
Haufen gespaltnen Holzes. Nach der Seeseite zu waren aus Brettern und Pfählen
ein paar Bänke und Tische errichtet. Ans einer der Bänke saß ein Herr, der eine
Seemannsmntze aufhalte und durch sein Fernrohr die Fischerkähne auf See mit
einer Aufmerksamkeit beobachtete, als ob es Panzerschiffe wären.

Namborn freute sich über die malerische Wirkung dieses Motivs. Die kräftigen


Grenzboten I 1905 82
Herrenmenschen

und sah vor sich eine Weide, eins der dürftige, am Hinterfuße gefesselte Rinder
und Pferde ihr innigeres Futter suchten. Dahinter lagen Felder, und in der Ferne
zeichneten sich übereinander die Linien waldigen Flachlandes ab, unterbrochen von
Teichen und Bruch. Mau konnte nicht behaupten, daß sich die Gegend durch be¬
sondre Reize ausgezeichnet hätte, und doch war sie nicht reizlos für den, der ein
Auge für Luft und Ferne und ein Ohr für die Sprache der Einsamkeit hat.

Dort rechter Hand lag ein Gutshof, offenbar das preußische Schlößchen.
Dort also wohnte Mary, und dort hatte er seine Hypothek. Aber diese Hypothek
interessierte ihn in diesem Augenblicke dick weniger als der landschaftliche Reiz,
den das Schlößchen mit seinen zerstreuten Nebengebäuden und seinen Bnumgruppen
bot. Er stellte seinen Apparat auf und machte eine Aufnahme. Darauf ging er
am Schlößchen vorüber, überschritt den Weg, der nach Tapnicken führte, durch¬
schritt einen Streifen Wald, stand auf eiuer sandigen Blöße und hatte vor sich die
See und zu seinen Füßen den Strand — und zwar den Badestrand. Der Strand
war offenbar gut, eben und glatt, ohne Klippen und Steintrümmer, aber die
Badeeinrichtnngen waren höchst mangelhaft. Ein paar schiefe Buden auf der
Franenseite, das war alles. Die Grenze zwischen dem Herren- und dem Damen¬
strande bildeten Fischerkähne, die gerade dalagen, und wenn die Kühne ausgefahren
waren, dann war eben keine bestimmte Grenze vorhanden. Bei dem Mangel an
Buden mußten die Fischernetze, die an Stangen zum Trocknen aufgehängt waren,
als Kulissen dienen. Und wenn die Netze nicht da waren, so mußte es auch so
gehn. Oder mau errichtete aus Schilf eine Art von Indianerhütten. Dies war
eine Beschäftigung, der die Knaben mit glühendem Eifer oblagen. Jede Hütte hatte
ihren besondern Namen, Flagge und sonstige Zieraten.

Doktor Namborn war bei dem Anblicke des Badestrandes überrascht. Er
hatte es nicht gewicht oder es wieder vergessen, daß Tapnicken ein Badeort sei.
Noch mehr überrascht war er von einer mythologischen Szene, die sich am Strande
abspielte. Dort hielten zwei Reiterinnen, junge Mädchen, die in ihren bunten
Badcnnzügen wie Amazonen zu Pferde saßen und die Badetücher als Mäntel um
die Schultern geworfen hatten. Um sie herum tanzte eine Rotte von größern und
kleinern Mädchen, ebenfalls in Badeanzügen. Man konnte die hellen Stimmen
deutlich hören. Die eine der Reiterinnen, offenbar die Herrscherin der Schar,
gebot Ruhe, hielt eine Ansprache und wies auf die See hinaus. Darauf stürzte
sich die Schar, während die Badetücher in die Luft flogen, unter großem Geschrei
im Sturm in die Wellen. Auch die Pferde spielten offenbar mit, sie galoppierten
ins Wasser und kehrten ohne ihre Reiterinnen zurück, schüttelten sich und blieben
am Strande stehn. Die Schar aber schwamm weit hinaus und tauchte wie die Enten.
Weiter hin lagen einige wohlbeleibte Damen wie Seehunde im flachen Wasser.

Um nicht den Schein zu erwecken, als wolle er die badenden Damen be¬
obachten, wandte sich Namborn nach rechts, wo er den Herrenstrand vermutete.
Er hätte es nicht nötig gehabt. Man war in diesen! entlegnen Neste so vorurteils¬
frei wie in manchem Weltseebade. Er hatte nicht weit zu gehn, so stand er vor
einem Hause, das wie der Zwillingsbruder des Künstlerheims aussah. Auch dieses
Haus stand zwischen Prachtexemplaren alter knorriger Weiden. Es war alt und
verwittert, und Regen und Rauch hatten ihm die feinen und harmonischen Farben¬
töne gegeben, die nichts Neues aufzuweisen haben, und die dem Maler so will¬
kommen sind. Auch hier trugen die Fensterläden die blaue Nationalfarbe, doch saß
auf den Giebeln statt der Pferdeköpfe der litauische Hahn. Auch war die Um¬
gegend des Hauses malerisch verschönt dnrch sorglos stehn gelassene Ackergeräte und
Haufen gespaltnen Holzes. Nach der Seeseite zu waren aus Brettern und Pfählen
ein paar Bänke und Tische errichtet. Ans einer der Bänke saß ein Herr, der eine
Seemannsmntze aufhalte und durch sein Fernrohr die Fischerkähne auf See mit
einer Aufmerksamkeit beobachtete, als ob es Panzerschiffe wären.

Namborn freute sich über die malerische Wirkung dieses Motivs. Die kräftigen


Grenzboten I 1905 82
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[0633] Herrenmenschen und sah vor sich eine Weide, eins der dürftige, am Hinterfuße gefesselte Rinder und Pferde ihr innigeres Futter suchten. Dahinter lagen Felder, und in der Ferne zeichneten sich übereinander die Linien waldigen Flachlandes ab, unterbrochen von Teichen und Bruch. Mau konnte nicht behaupten, daß sich die Gegend durch be¬ sondre Reize ausgezeichnet hätte, und doch war sie nicht reizlos für den, der ein Auge für Luft und Ferne und ein Ohr für die Sprache der Einsamkeit hat. Dort rechter Hand lag ein Gutshof, offenbar das preußische Schlößchen. Dort also wohnte Mary, und dort hatte er seine Hypothek. Aber diese Hypothek interessierte ihn in diesem Augenblicke dick weniger als der landschaftliche Reiz, den das Schlößchen mit seinen zerstreuten Nebengebäuden und seinen Bnumgruppen bot. Er stellte seinen Apparat auf und machte eine Aufnahme. Darauf ging er am Schlößchen vorüber, überschritt den Weg, der nach Tapnicken führte, durch¬ schritt einen Streifen Wald, stand auf eiuer sandigen Blöße und hatte vor sich die See und zu seinen Füßen den Strand — und zwar den Badestrand. Der Strand war offenbar gut, eben und glatt, ohne Klippen und Steintrümmer, aber die Badeeinrichtnngen waren höchst mangelhaft. Ein paar schiefe Buden auf der Franenseite, das war alles. Die Grenze zwischen dem Herren- und dem Damen¬ strande bildeten Fischerkähne, die gerade dalagen, und wenn die Kühne ausgefahren waren, dann war eben keine bestimmte Grenze vorhanden. Bei dem Mangel an Buden mußten die Fischernetze, die an Stangen zum Trocknen aufgehängt waren, als Kulissen dienen. Und wenn die Netze nicht da waren, so mußte es auch so gehn. Oder mau errichtete aus Schilf eine Art von Indianerhütten. Dies war eine Beschäftigung, der die Knaben mit glühendem Eifer oblagen. Jede Hütte hatte ihren besondern Namen, Flagge und sonstige Zieraten. Doktor Namborn war bei dem Anblicke des Badestrandes überrascht. Er hatte es nicht gewicht oder es wieder vergessen, daß Tapnicken ein Badeort sei. Noch mehr überrascht war er von einer mythologischen Szene, die sich am Strande abspielte. Dort hielten zwei Reiterinnen, junge Mädchen, die in ihren bunten Badcnnzügen wie Amazonen zu Pferde saßen und die Badetücher als Mäntel um die Schultern geworfen hatten. Um sie herum tanzte eine Rotte von größern und kleinern Mädchen, ebenfalls in Badeanzügen. Man konnte die hellen Stimmen deutlich hören. Die eine der Reiterinnen, offenbar die Herrscherin der Schar, gebot Ruhe, hielt eine Ansprache und wies auf die See hinaus. Darauf stürzte sich die Schar, während die Badetücher in die Luft flogen, unter großem Geschrei im Sturm in die Wellen. Auch die Pferde spielten offenbar mit, sie galoppierten ins Wasser und kehrten ohne ihre Reiterinnen zurück, schüttelten sich und blieben am Strande stehn. Die Schar aber schwamm weit hinaus und tauchte wie die Enten. Weiter hin lagen einige wohlbeleibte Damen wie Seehunde im flachen Wasser. Um nicht den Schein zu erwecken, als wolle er die badenden Damen be¬ obachten, wandte sich Namborn nach rechts, wo er den Herrenstrand vermutete. Er hätte es nicht nötig gehabt. Man war in diesen! entlegnen Neste so vorurteils¬ frei wie in manchem Weltseebade. Er hatte nicht weit zu gehn, so stand er vor einem Hause, das wie der Zwillingsbruder des Künstlerheims aussah. Auch dieses Haus stand zwischen Prachtexemplaren alter knorriger Weiden. Es war alt und verwittert, und Regen und Rauch hatten ihm die feinen und harmonischen Farben¬ töne gegeben, die nichts Neues aufzuweisen haben, und die dem Maler so will¬ kommen sind. Auch hier trugen die Fensterläden die blaue Nationalfarbe, doch saß auf den Giebeln statt der Pferdeköpfe der litauische Hahn. Auch war die Um¬ gegend des Hauses malerisch verschönt dnrch sorglos stehn gelassene Ackergeräte und Haufen gespaltnen Holzes. Nach der Seeseite zu waren aus Brettern und Pfählen ein paar Bänke und Tische errichtet. Ans einer der Bänke saß ein Herr, der eine Seemannsmntze aufhalte und durch sein Fernrohr die Fischerkähne auf See mit einer Aufmerksamkeit beobachtete, als ob es Panzerschiffe wären. Namborn freute sich über die malerische Wirkung dieses Motivs. Die kräftigen Grenzboten I 1905 82

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/633>, abgerufen am 23.07.2024.