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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Im alten Brüssel

Ich tanze besser als ihr Jungen alle, erklärte Jakke selbstbewußt und drehte
sich weiter im Solotanz. Die Musik hatte aufgehört zu spielen, aufdringlich
klapperten seine Absätze in die eingetretne Stille hinein.

Seht ihn an, den Alten, er hat Stiefel an und einen schwarzen Tuchrock, es
ist ein Mossieu! Es ist keiner der unfern. Was will der hier? Wir wollen unter
uns sein. Eingeschmuggelt hat er sich, der Aristo, der Mossieu!

Sogleich wurde vereinzeltes Zischen und Pfeifen laut. Ein Mossieu! Ein
Mossieu!

Jakke stand still. Verwirre und empört. Nun hätte er sprechen und sich
ausweisen müssen, der alte Marollien, aber er fand die Worte nicht.

Schon riß ihm ein Slouber (Tunichtgut) die rosa Papiernelke aus dem Knopf¬
loch, und ein andrer zog ihm das weiße Taschentuch aus dem Rockschoß, eine ruch¬
lose Hand faßte sogar nach dem tadellos gestärkten Hemdkragen.
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Hu! du! Imossisu, 1inoLsisuI

Doch da sprang Fintje auf und drängte sich zwischen den Großvater und seine
Angreifer.

Dummheit, Dummheit! kreischte die hohe, grelle Kinderstimme. Er ist kein
Mossieu, er ist mein Großvater. Und mich kennt ihr doch, ihr Dummen, ich bin
doch das Fintje! Das Fintje aus dem Pouchenellekeller! Das Fintje von der Hexe!
Ja wartet, der sag ichs, wenn ihr meinen Großvater anrührt, dann schlägt sie
euch die Augen ans heute Abend!

Das Fintje! Ja, das ist das Hexenjunge, das Fintje, die Kellerratte, be¬
stätigten viele Stimmen.

Über den Lärm war die Wirtin herbeigekommen, ein zahnloses, häßliches
altes Weib. Sie schlug die runzligen Hände über den Kopf zusammen: Herr
Jesses, Maria und Joseph, der Jakke ist es! Der lustige Jakke d'el Trap.

Jawohl, der Jakke, bestätigte der Umringte, der endlich seine Sprache wieder¬
fand. Der bin ich. Ich bin gekommen, um mit euch Kirmes zu halten, aber ihr
bereitet mir einen schönen Empfang, ihr Marolliens! Nur Roze-Poltje hat mich
erkannt. Nur die kleine Rose hat kluge Augen im Kopf und ein gutes Gedächtnis.
Als sähe er die häßlichen Spuren nicht, die die Zeit ihr in das einst schöne Gesicht
gegraben hatte, nickte er dem alten Weibe bewundernd und vertraulich zu.

Roze-Poltje, du hast früher viel mit mir getanzt, willst du jetzt noch ein¬
mal -- es kam plötzlich eine seltsame Rührung über Jakke. Musik! sagte er nur
noch abgebrochen, und er nickte dem Orchester aufmunternd zu.

Ja. Roze-Poltje wollte wohl.

Ein großes Gelächter brach los. alle wichen zur Seite, um den beiden Alten
Platz zu machen. Schmetternd setzte die Musik wieder ein mit einem Übermaß
von Begeisterung. Jakke d'el Trap und Roze-Poltje umfaßten sich und tanzten
langsam und kunstgerecht.

Fintje war auf den Musikantentisch geklettert, um einen freiem Ausblick zu
gewinnen. Sie saß nun neben dem paukenschlagenden Jungen und hielt sich die
Seiten vor Lachen. Schrill und unverschämt durchschnitt dieses Kinderlachen den
Lärm des Orchesters. Zu lustig wollte Fintje der Anblick scheinen, wie da der
Großvater das häßliche, alte Weib herumdrehte.

Bald hatte" die jungen Paare das Zusehen satt, sie faßten sich wieder und
tanzten um die Alten herum und vergaßen diese über sich selbst. Gesteigerte
Wärme, trunkne Genußsucht lagerte in der dunstigen Atmosphäre der Schenke.
Die Ausgelassenheit begann in Zügellosigkeit auszuarten.

Das alte Paar tanzte längst nicht mehr.

Der Flamänder hatte sich in seiner dunkeln Ecke klüglich still gehalten, ein
Glas Fo.ro ums andre getrunken und war dann friedlich eingeschlummert.

Sollen wir nicht endlich gehn, Großvater? Bei uns im Pouchenellekeller
ist doch große Festvorstellung heute, Großvater!


Im alten Brüssel

Ich tanze besser als ihr Jungen alle, erklärte Jakke selbstbewußt und drehte
sich weiter im Solotanz. Die Musik hatte aufgehört zu spielen, aufdringlich
klapperten seine Absätze in die eingetretne Stille hinein.

Seht ihn an, den Alten, er hat Stiefel an und einen schwarzen Tuchrock, es
ist ein Mossieu! Es ist keiner der unfern. Was will der hier? Wir wollen unter
uns sein. Eingeschmuggelt hat er sich, der Aristo, der Mossieu!

Sogleich wurde vereinzeltes Zischen und Pfeifen laut. Ein Mossieu! Ein
Mossieu!

Jakke stand still. Verwirre und empört. Nun hätte er sprechen und sich
ausweisen müssen, der alte Marollien, aber er fand die Worte nicht.

Schon riß ihm ein Slouber (Tunichtgut) die rosa Papiernelke aus dem Knopf¬
loch, und ein andrer zog ihm das weiße Taschentuch aus dem Rockschoß, eine ruch¬
lose Hand faßte sogar nach dem tadellos gestärkten Hemdkragen.
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Hu! du! Imossisu, 1inoLsisuI

Doch da sprang Fintje auf und drängte sich zwischen den Großvater und seine
Angreifer.

Dummheit, Dummheit! kreischte die hohe, grelle Kinderstimme. Er ist kein
Mossieu, er ist mein Großvater. Und mich kennt ihr doch, ihr Dummen, ich bin
doch das Fintje! Das Fintje aus dem Pouchenellekeller! Das Fintje von der Hexe!
Ja wartet, der sag ichs, wenn ihr meinen Großvater anrührt, dann schlägt sie
euch die Augen ans heute Abend!

Das Fintje! Ja, das ist das Hexenjunge, das Fintje, die Kellerratte, be¬
stätigten viele Stimmen.

Über den Lärm war die Wirtin herbeigekommen, ein zahnloses, häßliches
altes Weib. Sie schlug die runzligen Hände über den Kopf zusammen: Herr
Jesses, Maria und Joseph, der Jakke ist es! Der lustige Jakke d'el Trap.

Jawohl, der Jakke, bestätigte der Umringte, der endlich seine Sprache wieder¬
fand. Der bin ich. Ich bin gekommen, um mit euch Kirmes zu halten, aber ihr
bereitet mir einen schönen Empfang, ihr Marolliens! Nur Roze-Poltje hat mich
erkannt. Nur die kleine Rose hat kluge Augen im Kopf und ein gutes Gedächtnis.
Als sähe er die häßlichen Spuren nicht, die die Zeit ihr in das einst schöne Gesicht
gegraben hatte, nickte er dem alten Weibe bewundernd und vertraulich zu.

Roze-Poltje, du hast früher viel mit mir getanzt, willst du jetzt noch ein¬
mal — es kam plötzlich eine seltsame Rührung über Jakke. Musik! sagte er nur
noch abgebrochen, und er nickte dem Orchester aufmunternd zu.

Ja. Roze-Poltje wollte wohl.

Ein großes Gelächter brach los. alle wichen zur Seite, um den beiden Alten
Platz zu machen. Schmetternd setzte die Musik wieder ein mit einem Übermaß
von Begeisterung. Jakke d'el Trap und Roze-Poltje umfaßten sich und tanzten
langsam und kunstgerecht.

Fintje war auf den Musikantentisch geklettert, um einen freiem Ausblick zu
gewinnen. Sie saß nun neben dem paukenschlagenden Jungen und hielt sich die
Seiten vor Lachen. Schrill und unverschämt durchschnitt dieses Kinderlachen den
Lärm des Orchesters. Zu lustig wollte Fintje der Anblick scheinen, wie da der
Großvater das häßliche, alte Weib herumdrehte.

Bald hatte» die jungen Paare das Zusehen satt, sie faßten sich wieder und
tanzten um die Alten herum und vergaßen diese über sich selbst. Gesteigerte
Wärme, trunkne Genußsucht lagerte in der dunstigen Atmosphäre der Schenke.
Die Ausgelassenheit begann in Zügellosigkeit auszuarten.

Das alte Paar tanzte längst nicht mehr.

Der Flamänder hatte sich in seiner dunkeln Ecke klüglich still gehalten, ein
Glas Fo.ro ums andre getrunken und war dann friedlich eingeschlummert.

Sollen wir nicht endlich gehn, Großvater? Bei uns im Pouchenellekeller
ist doch große Festvorstellung heute, Großvater!


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[0063] Im alten Brüssel Ich tanze besser als ihr Jungen alle, erklärte Jakke selbstbewußt und drehte sich weiter im Solotanz. Die Musik hatte aufgehört zu spielen, aufdringlich klapperten seine Absätze in die eingetretne Stille hinein. Seht ihn an, den Alten, er hat Stiefel an und einen schwarzen Tuchrock, es ist ein Mossieu! Es ist keiner der unfern. Was will der hier? Wir wollen unter uns sein. Eingeschmuggelt hat er sich, der Aristo, der Mossieu! Sogleich wurde vereinzeltes Zischen und Pfeifen laut. Ein Mossieu! Ein Mossieu! Jakke stand still. Verwirre und empört. Nun hätte er sprechen und sich ausweisen müssen, der alte Marollien, aber er fand die Worte nicht. Schon riß ihm ein Slouber (Tunichtgut) die rosa Papiernelke aus dem Knopf¬ loch, und ein andrer zog ihm das weiße Taschentuch aus dem Rockschoß, eine ruch¬ lose Hand faßte sogar nach dem tadellos gestärkten Hemdkragen. '' Hu! du! Imossisu, 1inoLsisuI Doch da sprang Fintje auf und drängte sich zwischen den Großvater und seine Angreifer. Dummheit, Dummheit! kreischte die hohe, grelle Kinderstimme. Er ist kein Mossieu, er ist mein Großvater. Und mich kennt ihr doch, ihr Dummen, ich bin doch das Fintje! Das Fintje aus dem Pouchenellekeller! Das Fintje von der Hexe! Ja wartet, der sag ichs, wenn ihr meinen Großvater anrührt, dann schlägt sie euch die Augen ans heute Abend! Das Fintje! Ja, das ist das Hexenjunge, das Fintje, die Kellerratte, be¬ stätigten viele Stimmen. Über den Lärm war die Wirtin herbeigekommen, ein zahnloses, häßliches altes Weib. Sie schlug die runzligen Hände über den Kopf zusammen: Herr Jesses, Maria und Joseph, der Jakke ist es! Der lustige Jakke d'el Trap. Jawohl, der Jakke, bestätigte der Umringte, der endlich seine Sprache wieder¬ fand. Der bin ich. Ich bin gekommen, um mit euch Kirmes zu halten, aber ihr bereitet mir einen schönen Empfang, ihr Marolliens! Nur Roze-Poltje hat mich erkannt. Nur die kleine Rose hat kluge Augen im Kopf und ein gutes Gedächtnis. Als sähe er die häßlichen Spuren nicht, die die Zeit ihr in das einst schöne Gesicht gegraben hatte, nickte er dem alten Weibe bewundernd und vertraulich zu. Roze-Poltje, du hast früher viel mit mir getanzt, willst du jetzt noch ein¬ mal — es kam plötzlich eine seltsame Rührung über Jakke. Musik! sagte er nur noch abgebrochen, und er nickte dem Orchester aufmunternd zu. Ja. Roze-Poltje wollte wohl. Ein großes Gelächter brach los. alle wichen zur Seite, um den beiden Alten Platz zu machen. Schmetternd setzte die Musik wieder ein mit einem Übermaß von Begeisterung. Jakke d'el Trap und Roze-Poltje umfaßten sich und tanzten langsam und kunstgerecht. Fintje war auf den Musikantentisch geklettert, um einen freiem Ausblick zu gewinnen. Sie saß nun neben dem paukenschlagenden Jungen und hielt sich die Seiten vor Lachen. Schrill und unverschämt durchschnitt dieses Kinderlachen den Lärm des Orchesters. Zu lustig wollte Fintje der Anblick scheinen, wie da der Großvater das häßliche, alte Weib herumdrehte. Bald hatte» die jungen Paare das Zusehen satt, sie faßten sich wieder und tanzten um die Alten herum und vergaßen diese über sich selbst. Gesteigerte Wärme, trunkne Genußsucht lagerte in der dunstigen Atmosphäre der Schenke. Die Ausgelassenheit begann in Zügellosigkeit auszuarten. Das alte Paar tanzte längst nicht mehr. Der Flamänder hatte sich in seiner dunkeln Ecke klüglich still gehalten, ein Glas Fo.ro ums andre getrunken und war dann friedlich eingeschlummert. Sollen wir nicht endlich gehn, Großvater? Bei uns im Pouchenellekeller ist doch große Festvorstellung heute, Großvater!

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/63>, abgerufen am 23.12.2024.