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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Konstituante von 1812 zutage getreten ist in einem jahrhundertelang von einem
weltlichen und kirchlichen Despotismus mißhandelten Volke, so kann man auch dem
kommenden Semskij Sobor nicht ganz ohne Hoffnung entgegensehen. Alles kommt
darauf an, daß der Zar rechtzeitig den Entschluß faßt, ihn zu berufen und die schou
begonnenen Reformen der Verwaltung, zu deren Beratung ja auch schon Vertreter
der Interessenten zugezogen werden sollen, durchführt, daß er sich davor nicht ab¬
schrecken läßt durch die ruchlose Bluttat des 17. Februars, die Ermordung des
Großfürsten Sergius, die jedermann verurteilt und doch jedermann begreiflich findet,
denn der Despotismus, gemildert durch den Meuchelmord, ist ebenso russisch wie
türkisch. Wie anders stünde heute Rußland da, wenn sich Alexander der Dritte
das Herz gefaßt hätte, den Verfassungsentwurf seines ermordeten Vaters auszuführen!
Schärfer als es schon bisher -- und zwar ohne rechte Wirkung -- geschehen ist, lasse"
sich die Zügel nicht mehr anziehen; über Salven, Verhaftungen und Unterdrückung,
mißliebiger Zeitungen kann man schließlich auch in Rußland nicht Hinausgehn.

Freilich, eins wird dabei häufig im Abendlande übersehen. Rußland ist auch
darin ein halborientalisches Reich, daß Staat, Kirche und Volk untrennbar ver¬
bunden sind, daß der Zar zugleich das Oberhaupt der Kirche ist, und daß der echte
Russe der "orthodoxen" Kirche angehören muß. Für die Wohlfahrt und die Erziehung
des Volks leistet diese Kirche fast nichts, sie predigt nur die unbedingte Autorität
des Zaren und ihre eigne. Was soll nun mit der russischen Kirche werden, wenn-
die Autokratie ins Wanken gerät? Das wird auch auf sie hinüberwirken, sie wird
die modernen abendländischen Ideen der Toleranz und der Glaubensfreiheit vom
"heiligen" Rußland nicht mehr so ausschließen können wie bisher; damit aber müßte
sie ihr eignes Prinzip aufgeben, sie würde dem Sektenwesen, zu dem die Russen
ganz besonders neigen, Tür und Tor öffnen, und sie würde ihre eigne zusammen¬
haltende Kraft verlieren. Zersetzt sich aber das großrussische Volk, der eigentliche
Träger des Reichs, in kirchliche und politische Parteien, dann ist nicht abzusehen,
wie es die fremden Nationalitäten des Reichs länger zusammenhalten soll, die es
ihm gewaltsam einverleibt, aber trotz allen Brutalitäten gegen die Polen, die bal¬
tischen Deutschen und die Finnländer nicht mit sich verschmolzen hat. Kurz, die
Verfassungsfrage wird über die Zukunft des Reichs entscheiden.

So ist schon die innere Lage für den Zaren fast verzweifelt. Wenn nun vollends
Rußland durch Verpfleguugs- und Transportschwierigkeiten verhindert werden sollte,
in der Mandschurei eine den Japanern wesentlich überlegne Armee aufzustellen, was-
ch bisher doch immer noch gehofft hat, wenn es also keinen entschiednen Landsieg
erfechten kann, und wenn die letzte Flotte, die es aufzubieten hat, eine Nieder¬
lage erleidet, dann ist nicht abzusehen, wie es zu einem ehrenvollen, sein Ansehen
nicht tief schädigenden Frieden kommen soll. Muß es aber einen ungünstigen
Frieden schließen, dann wird nicht nur sein Prestige in Asien aufs schwerste er¬
schüttert, sondern auch die Macht der Regierung, und das in eineni Augenblicke,
wo es einer starken Regierung zur Überwindung der innern Schwierigkeiten bedarf.
Wird aber Nußland auf längere Zeit mattgesetzt, dann gerät auch das Gleich¬
gewicht der Mächte in Gefahr, und das könnte nur zugunsten Englands sein, das
rin der Schwächung der russischen Marine eins von den Gegengewichten seiner
Übermacht ausscheiden sähe. Für Deutschland wäre es, wie die Dinge liegen, im
höchsten Grade unerwünscht, diese Übermacht Englands und der englischen Flotte
mittelbar noch mehr verstärkt zu sehen, besonders nachdem eben erst ein hoher
Beamter des englischen Marineministeriums so unklug aus der Schule geschwatzt
hat. Es ist also in Deutschlands Interesse, daß Rußland im Innern bald zu einer
Klärung und Befestigung seiner Zustände, nach außen zu einem annehmbaren Frieden
gelangt. Niemals ist einem russischen Staatsmann eine wichtigere und schwierigere
* Aufgabe gestellt worden. -------






Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh, Grunow in Leipzig -- Druck von Karl Marquart in Leipzig
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Konstituante von 1812 zutage getreten ist in einem jahrhundertelang von einem
weltlichen und kirchlichen Despotismus mißhandelten Volke, so kann man auch dem
kommenden Semskij Sobor nicht ganz ohne Hoffnung entgegensehen. Alles kommt
darauf an, daß der Zar rechtzeitig den Entschluß faßt, ihn zu berufen und die schou
begonnenen Reformen der Verwaltung, zu deren Beratung ja auch schon Vertreter
der Interessenten zugezogen werden sollen, durchführt, daß er sich davor nicht ab¬
schrecken läßt durch die ruchlose Bluttat des 17. Februars, die Ermordung des
Großfürsten Sergius, die jedermann verurteilt und doch jedermann begreiflich findet,
denn der Despotismus, gemildert durch den Meuchelmord, ist ebenso russisch wie
türkisch. Wie anders stünde heute Rußland da, wenn sich Alexander der Dritte
das Herz gefaßt hätte, den Verfassungsentwurf seines ermordeten Vaters auszuführen!
Schärfer als es schon bisher — und zwar ohne rechte Wirkung — geschehen ist, lasse»
sich die Zügel nicht mehr anziehen; über Salven, Verhaftungen und Unterdrückung,
mißliebiger Zeitungen kann man schließlich auch in Rußland nicht Hinausgehn.

Freilich, eins wird dabei häufig im Abendlande übersehen. Rußland ist auch
darin ein halborientalisches Reich, daß Staat, Kirche und Volk untrennbar ver¬
bunden sind, daß der Zar zugleich das Oberhaupt der Kirche ist, und daß der echte
Russe der „orthodoxen" Kirche angehören muß. Für die Wohlfahrt und die Erziehung
des Volks leistet diese Kirche fast nichts, sie predigt nur die unbedingte Autorität
des Zaren und ihre eigne. Was soll nun mit der russischen Kirche werden, wenn-
die Autokratie ins Wanken gerät? Das wird auch auf sie hinüberwirken, sie wird
die modernen abendländischen Ideen der Toleranz und der Glaubensfreiheit vom
„heiligen" Rußland nicht mehr so ausschließen können wie bisher; damit aber müßte
sie ihr eignes Prinzip aufgeben, sie würde dem Sektenwesen, zu dem die Russen
ganz besonders neigen, Tür und Tor öffnen, und sie würde ihre eigne zusammen¬
haltende Kraft verlieren. Zersetzt sich aber das großrussische Volk, der eigentliche
Träger des Reichs, in kirchliche und politische Parteien, dann ist nicht abzusehen,
wie es die fremden Nationalitäten des Reichs länger zusammenhalten soll, die es
ihm gewaltsam einverleibt, aber trotz allen Brutalitäten gegen die Polen, die bal¬
tischen Deutschen und die Finnländer nicht mit sich verschmolzen hat. Kurz, die
Verfassungsfrage wird über die Zukunft des Reichs entscheiden.

So ist schon die innere Lage für den Zaren fast verzweifelt. Wenn nun vollends
Rußland durch Verpfleguugs- und Transportschwierigkeiten verhindert werden sollte,
in der Mandschurei eine den Japanern wesentlich überlegne Armee aufzustellen, was-
ch bisher doch immer noch gehofft hat, wenn es also keinen entschiednen Landsieg
erfechten kann, und wenn die letzte Flotte, die es aufzubieten hat, eine Nieder¬
lage erleidet, dann ist nicht abzusehen, wie es zu einem ehrenvollen, sein Ansehen
nicht tief schädigenden Frieden kommen soll. Muß es aber einen ungünstigen
Frieden schließen, dann wird nicht nur sein Prestige in Asien aufs schwerste er¬
schüttert, sondern auch die Macht der Regierung, und das in eineni Augenblicke,
wo es einer starken Regierung zur Überwindung der innern Schwierigkeiten bedarf.
Wird aber Nußland auf längere Zeit mattgesetzt, dann gerät auch das Gleich¬
gewicht der Mächte in Gefahr, und das könnte nur zugunsten Englands sein, das
rin der Schwächung der russischen Marine eins von den Gegengewichten seiner
Übermacht ausscheiden sähe. Für Deutschland wäre es, wie die Dinge liegen, im
höchsten Grade unerwünscht, diese Übermacht Englands und der englischen Flotte
mittelbar noch mehr verstärkt zu sehen, besonders nachdem eben erst ein hoher
Beamter des englischen Marineministeriums so unklug aus der Schule geschwatzt
hat. Es ist also in Deutschlands Interesse, daß Rußland im Innern bald zu einer
Klärung und Befestigung seiner Zustände, nach außen zu einem annehmbaren Frieden
gelangt. Niemals ist einem russischen Staatsmann eine wichtigere und schwierigere
* Aufgabe gestellt worden. -------






Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh, Grunow in Leipzig — Druck von Karl Marquart in Leipzig
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[0528] Maßgebliches und Unmaßgebliches Konstituante von 1812 zutage getreten ist in einem jahrhundertelang von einem weltlichen und kirchlichen Despotismus mißhandelten Volke, so kann man auch dem kommenden Semskij Sobor nicht ganz ohne Hoffnung entgegensehen. Alles kommt darauf an, daß der Zar rechtzeitig den Entschluß faßt, ihn zu berufen und die schou begonnenen Reformen der Verwaltung, zu deren Beratung ja auch schon Vertreter der Interessenten zugezogen werden sollen, durchführt, daß er sich davor nicht ab¬ schrecken läßt durch die ruchlose Bluttat des 17. Februars, die Ermordung des Großfürsten Sergius, die jedermann verurteilt und doch jedermann begreiflich findet, denn der Despotismus, gemildert durch den Meuchelmord, ist ebenso russisch wie türkisch. Wie anders stünde heute Rußland da, wenn sich Alexander der Dritte das Herz gefaßt hätte, den Verfassungsentwurf seines ermordeten Vaters auszuführen! Schärfer als es schon bisher — und zwar ohne rechte Wirkung — geschehen ist, lasse» sich die Zügel nicht mehr anziehen; über Salven, Verhaftungen und Unterdrückung, mißliebiger Zeitungen kann man schließlich auch in Rußland nicht Hinausgehn. Freilich, eins wird dabei häufig im Abendlande übersehen. Rußland ist auch darin ein halborientalisches Reich, daß Staat, Kirche und Volk untrennbar ver¬ bunden sind, daß der Zar zugleich das Oberhaupt der Kirche ist, und daß der echte Russe der „orthodoxen" Kirche angehören muß. Für die Wohlfahrt und die Erziehung des Volks leistet diese Kirche fast nichts, sie predigt nur die unbedingte Autorität des Zaren und ihre eigne. Was soll nun mit der russischen Kirche werden, wenn- die Autokratie ins Wanken gerät? Das wird auch auf sie hinüberwirken, sie wird die modernen abendländischen Ideen der Toleranz und der Glaubensfreiheit vom „heiligen" Rußland nicht mehr so ausschließen können wie bisher; damit aber müßte sie ihr eignes Prinzip aufgeben, sie würde dem Sektenwesen, zu dem die Russen ganz besonders neigen, Tür und Tor öffnen, und sie würde ihre eigne zusammen¬ haltende Kraft verlieren. Zersetzt sich aber das großrussische Volk, der eigentliche Träger des Reichs, in kirchliche und politische Parteien, dann ist nicht abzusehen, wie es die fremden Nationalitäten des Reichs länger zusammenhalten soll, die es ihm gewaltsam einverleibt, aber trotz allen Brutalitäten gegen die Polen, die bal¬ tischen Deutschen und die Finnländer nicht mit sich verschmolzen hat. Kurz, die Verfassungsfrage wird über die Zukunft des Reichs entscheiden. So ist schon die innere Lage für den Zaren fast verzweifelt. Wenn nun vollends Rußland durch Verpfleguugs- und Transportschwierigkeiten verhindert werden sollte, in der Mandschurei eine den Japanern wesentlich überlegne Armee aufzustellen, was- ch bisher doch immer noch gehofft hat, wenn es also keinen entschiednen Landsieg erfechten kann, und wenn die letzte Flotte, die es aufzubieten hat, eine Nieder¬ lage erleidet, dann ist nicht abzusehen, wie es zu einem ehrenvollen, sein Ansehen nicht tief schädigenden Frieden kommen soll. Muß es aber einen ungünstigen Frieden schließen, dann wird nicht nur sein Prestige in Asien aufs schwerste er¬ schüttert, sondern auch die Macht der Regierung, und das in eineni Augenblicke, wo es einer starken Regierung zur Überwindung der innern Schwierigkeiten bedarf. Wird aber Nußland auf längere Zeit mattgesetzt, dann gerät auch das Gleich¬ gewicht der Mächte in Gefahr, und das könnte nur zugunsten Englands sein, das rin der Schwächung der russischen Marine eins von den Gegengewichten seiner Übermacht ausscheiden sähe. Für Deutschland wäre es, wie die Dinge liegen, im höchsten Grade unerwünscht, diese Übermacht Englands und der englischen Flotte mittelbar noch mehr verstärkt zu sehen, besonders nachdem eben erst ein hoher Beamter des englischen Marineministeriums so unklug aus der Schule geschwatzt hat. Es ist also in Deutschlands Interesse, daß Rußland im Innern bald zu einer Klärung und Befestigung seiner Zustände, nach außen zu einem annehmbaren Frieden gelangt. Niemals ist einem russischen Staatsmann eine wichtigere und schwierigere * Aufgabe gestellt worden. ------- Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh, Grunow in Leipzig — Druck von Karl Marquart in Leipzig

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/528>, abgerufen am 23.07.2024.