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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Die Tommatzscher Pflege und das Geschlecht derer von Schleinitz

gesessen zum Kloster Seußlitz in ebensolche Beziehungen trat wie der westliche
Zweig seines Hauses zum Se. Afrakloster tu Meißen.

Im Verlauf des vierzehnten und des fünfzehnten Jahrhunderts kam das Ge¬
schlecht der Schleinitze im Dienste der Burggrafen, der Markgrafen und der
Bischöfe von Meißen, aber auch durch Bekleidung geistlicher Ämter, der Pröpste!
des Afraklosters und des Domkapitels, der Abtei zu Chemnitz, ja sogar der
Bischofswürde von Meißen und Naumburg immer mehr empor. Seine erst zer¬
streute" Güter schlösse" sich zu größern Komplexen zusammen, deren Mittelpunkte
die Schlösser Schleinitz, Seerhausen, Ragwitz und Jahnishausen (im Tal der Jahna
bei Riesa), Hof bei Oschatz, Schieritz und rechts von der Elbe Scmthain und
Skaffa waren. Wenn man die Lehnsbriefe des Geschlechts durchgeht, so findet
mau, daß es wohl kaum ein Dorf der Lommatzscher Pflege gab, in dem die
Schleinitz nicht zu irgendeiner Zeit Hufen, Güter oder Zinsen besaßen.

Auch nach Böhmen griff Hugold der Dritte von Schleinitz über, indem er
1484 von den Wartenbergs die Herrschaften Schluckencm und Tollenstein erkaufte;
als der Oberhofmarschall Herzog Georgs vou Sachsen, Heinrich von Schleinitz,
noch das große Amt Hohnstein zum Dank dafür erhielt, daß er ihm die polnische
Königstochter Barbara geworben hatte, und noch Pulsnitz dazu kaufte, erreichte der
Grundbesitz des Geschlechts im Anfnug des sechzehnten Jahrhunderts seine größte
Ausdehnung: man sprach damals von einem "Schleinitzer Land," und zu derselben
Zeit war Johann der Siebente von Schleinitz Bischof von Meißen. Dieser große
Grundbesitz war jedoch infolge der besondern wirtschaftlichen Verhältnisse der ersten
Jahrzehnte des sechzehnten Jahrhunderts nicht so einträglich, wie es scheinen könnte.
Er war vielfach mit Schulden belastet; deshalb geht seit der zweiten Hälfte des
sechzehnten Jahrhunderts der Wohlstand des Geschlechts zurück; damals und im
siebzehnten Jahrhundert werden viele Güter verknust, später, namentlich im acht¬
zehnten Jahrhundert, kommen zahlreiche Konkurse vor. Am längsten vou den
sächsischen Besitzungen blieb Schieritz in der Hand des Geschlechts, bis 1841, wo
es Georg von Schleinitz, der 1813 Gouvernemcntskommissnr des Wittenberger
Kreises gewesen und eben deshalb nach dem Wiener Frieden in preußische Dienste
übergetreten war, in bürgerliche Hände verkaufte. Seines Bruders Moritz Sohn
Hermann Otto, geboren 1812 ans dem Ritterguts Munzig, studierte Theologie
und wirkte späterhin als Lehrer in Leipzig. Er war der letzte Schleinitz in
Sachsen, der die Familienrechte, zum Beispiel die Verleihung der sechs Schlcinitzer
Stellen an der Jürstenschule zu Meißen, ausübte. Mit seinem Tode (1891) erlosch
in Sachsen das berühmte Geschlecht, während es in Preußen noch blüht. Die
berühmtesten Sprossen des preußischen Zweiges sind der Minister Alexander
von Schleinitz, der bekannte Gegner Bismarcks (gestorben 1885), und der 1834
geborne Vizeadmiral der deutschen Flotte Freiherr Georg von Schleinitz.

Wenn man die mehr als dreihundertundsechzig männlichen Sprossen des Ge¬
schlechts mustert, die in der "Geschichte des Schleiuitzer Geschlechts" (Berlin, 1897)
nach Abstammung, Taten und Schicksalen behandelt werden, so gibt es wohl kaum
ein militärisches, höfisches oder staatliches Amt, das unter den von den Schleinitzen
bekleideten Stellungen nicht vorhanden wäre: alle Staffeln vom mittelalterliche"
alios bis z"in Generalleutnant und Admiral, vom Kammerjunker bis zum Truchseß
und zun: Oberhofmarschall, vom Assessor bis zum Regierungspräsidenten, Geheimen
Rat und Minister, vom schlichten Volksschullehrer und Diakonus bis zum adlichen
Inspektor der Landschule zu Meißen und zum Abt und Bischof sind vorhanden.
Und neben der Menge der Gestalten, die ohne besonders hervorzutauchen im Zeiten¬
strome mitschwammen, fehlen auch die kühnen Necken und die auffallenden Charakter¬
köpfe nicht. Da ist der riesenhafte Georg von Schleinitz, der an der Spitze von
einigen tausend Söldnern "der langen Garde" gegen Friesen, Butjadinger und
Dithmarschen zu Felde zog mit dem Wahlspruch: "Ware ti, Buer, wann min Garde
kümmt." Er fiel am 17. Februar 1500 im Kampfe gegen die Dithmarschen bei Henning-


Die Tommatzscher Pflege und das Geschlecht derer von Schleinitz

gesessen zum Kloster Seußlitz in ebensolche Beziehungen trat wie der westliche
Zweig seines Hauses zum Se. Afrakloster tu Meißen.

Im Verlauf des vierzehnten und des fünfzehnten Jahrhunderts kam das Ge¬
schlecht der Schleinitze im Dienste der Burggrafen, der Markgrafen und der
Bischöfe von Meißen, aber auch durch Bekleidung geistlicher Ämter, der Pröpste!
des Afraklosters und des Domkapitels, der Abtei zu Chemnitz, ja sogar der
Bischofswürde von Meißen und Naumburg immer mehr empor. Seine erst zer¬
streute» Güter schlösse» sich zu größern Komplexen zusammen, deren Mittelpunkte
die Schlösser Schleinitz, Seerhausen, Ragwitz und Jahnishausen (im Tal der Jahna
bei Riesa), Hof bei Oschatz, Schieritz und rechts von der Elbe Scmthain und
Skaffa waren. Wenn man die Lehnsbriefe des Geschlechts durchgeht, so findet
mau, daß es wohl kaum ein Dorf der Lommatzscher Pflege gab, in dem die
Schleinitz nicht zu irgendeiner Zeit Hufen, Güter oder Zinsen besaßen.

Auch nach Böhmen griff Hugold der Dritte von Schleinitz über, indem er
1484 von den Wartenbergs die Herrschaften Schluckencm und Tollenstein erkaufte;
als der Oberhofmarschall Herzog Georgs vou Sachsen, Heinrich von Schleinitz,
noch das große Amt Hohnstein zum Dank dafür erhielt, daß er ihm die polnische
Königstochter Barbara geworben hatte, und noch Pulsnitz dazu kaufte, erreichte der
Grundbesitz des Geschlechts im Anfnug des sechzehnten Jahrhunderts seine größte
Ausdehnung: man sprach damals von einem „Schleinitzer Land," und zu derselben
Zeit war Johann der Siebente von Schleinitz Bischof von Meißen. Dieser große
Grundbesitz war jedoch infolge der besondern wirtschaftlichen Verhältnisse der ersten
Jahrzehnte des sechzehnten Jahrhunderts nicht so einträglich, wie es scheinen könnte.
Er war vielfach mit Schulden belastet; deshalb geht seit der zweiten Hälfte des
sechzehnten Jahrhunderts der Wohlstand des Geschlechts zurück; damals und im
siebzehnten Jahrhundert werden viele Güter verknust, später, namentlich im acht¬
zehnten Jahrhundert, kommen zahlreiche Konkurse vor. Am längsten vou den
sächsischen Besitzungen blieb Schieritz in der Hand des Geschlechts, bis 1841, wo
es Georg von Schleinitz, der 1813 Gouvernemcntskommissnr des Wittenberger
Kreises gewesen und eben deshalb nach dem Wiener Frieden in preußische Dienste
übergetreten war, in bürgerliche Hände verkaufte. Seines Bruders Moritz Sohn
Hermann Otto, geboren 1812 ans dem Ritterguts Munzig, studierte Theologie
und wirkte späterhin als Lehrer in Leipzig. Er war der letzte Schleinitz in
Sachsen, der die Familienrechte, zum Beispiel die Verleihung der sechs Schlcinitzer
Stellen an der Jürstenschule zu Meißen, ausübte. Mit seinem Tode (1891) erlosch
in Sachsen das berühmte Geschlecht, während es in Preußen noch blüht. Die
berühmtesten Sprossen des preußischen Zweiges sind der Minister Alexander
von Schleinitz, der bekannte Gegner Bismarcks (gestorben 1885), und der 1834
geborne Vizeadmiral der deutschen Flotte Freiherr Georg von Schleinitz.

Wenn man die mehr als dreihundertundsechzig männlichen Sprossen des Ge¬
schlechts mustert, die in der „Geschichte des Schleiuitzer Geschlechts" (Berlin, 1897)
nach Abstammung, Taten und Schicksalen behandelt werden, so gibt es wohl kaum
ein militärisches, höfisches oder staatliches Amt, das unter den von den Schleinitzen
bekleideten Stellungen nicht vorhanden wäre: alle Staffeln vom mittelalterliche»
alios bis z»in Generalleutnant und Admiral, vom Kammerjunker bis zum Truchseß
und zun: Oberhofmarschall, vom Assessor bis zum Regierungspräsidenten, Geheimen
Rat und Minister, vom schlichten Volksschullehrer und Diakonus bis zum adlichen
Inspektor der Landschule zu Meißen und zum Abt und Bischof sind vorhanden.
Und neben der Menge der Gestalten, die ohne besonders hervorzutauchen im Zeiten¬
strome mitschwammen, fehlen auch die kühnen Necken und die auffallenden Charakter¬
köpfe nicht. Da ist der riesenhafte Georg von Schleinitz, der an der Spitze von
einigen tausend Söldnern „der langen Garde" gegen Friesen, Butjadinger und
Dithmarschen zu Felde zog mit dem Wahlspruch: „Ware ti, Buer, wann min Garde
kümmt." Er fiel am 17. Februar 1500 im Kampfe gegen die Dithmarschen bei Henning-


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[0511] Die Tommatzscher Pflege und das Geschlecht derer von Schleinitz gesessen zum Kloster Seußlitz in ebensolche Beziehungen trat wie der westliche Zweig seines Hauses zum Se. Afrakloster tu Meißen. Im Verlauf des vierzehnten und des fünfzehnten Jahrhunderts kam das Ge¬ schlecht der Schleinitze im Dienste der Burggrafen, der Markgrafen und der Bischöfe von Meißen, aber auch durch Bekleidung geistlicher Ämter, der Pröpste! des Afraklosters und des Domkapitels, der Abtei zu Chemnitz, ja sogar der Bischofswürde von Meißen und Naumburg immer mehr empor. Seine erst zer¬ streute» Güter schlösse» sich zu größern Komplexen zusammen, deren Mittelpunkte die Schlösser Schleinitz, Seerhausen, Ragwitz und Jahnishausen (im Tal der Jahna bei Riesa), Hof bei Oschatz, Schieritz und rechts von der Elbe Scmthain und Skaffa waren. Wenn man die Lehnsbriefe des Geschlechts durchgeht, so findet mau, daß es wohl kaum ein Dorf der Lommatzscher Pflege gab, in dem die Schleinitz nicht zu irgendeiner Zeit Hufen, Güter oder Zinsen besaßen. Auch nach Böhmen griff Hugold der Dritte von Schleinitz über, indem er 1484 von den Wartenbergs die Herrschaften Schluckencm und Tollenstein erkaufte; als der Oberhofmarschall Herzog Georgs vou Sachsen, Heinrich von Schleinitz, noch das große Amt Hohnstein zum Dank dafür erhielt, daß er ihm die polnische Königstochter Barbara geworben hatte, und noch Pulsnitz dazu kaufte, erreichte der Grundbesitz des Geschlechts im Anfnug des sechzehnten Jahrhunderts seine größte Ausdehnung: man sprach damals von einem „Schleinitzer Land," und zu derselben Zeit war Johann der Siebente von Schleinitz Bischof von Meißen. Dieser große Grundbesitz war jedoch infolge der besondern wirtschaftlichen Verhältnisse der ersten Jahrzehnte des sechzehnten Jahrhunderts nicht so einträglich, wie es scheinen könnte. Er war vielfach mit Schulden belastet; deshalb geht seit der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts der Wohlstand des Geschlechts zurück; damals und im siebzehnten Jahrhundert werden viele Güter verknust, später, namentlich im acht¬ zehnten Jahrhundert, kommen zahlreiche Konkurse vor. Am längsten vou den sächsischen Besitzungen blieb Schieritz in der Hand des Geschlechts, bis 1841, wo es Georg von Schleinitz, der 1813 Gouvernemcntskommissnr des Wittenberger Kreises gewesen und eben deshalb nach dem Wiener Frieden in preußische Dienste übergetreten war, in bürgerliche Hände verkaufte. Seines Bruders Moritz Sohn Hermann Otto, geboren 1812 ans dem Ritterguts Munzig, studierte Theologie und wirkte späterhin als Lehrer in Leipzig. Er war der letzte Schleinitz in Sachsen, der die Familienrechte, zum Beispiel die Verleihung der sechs Schlcinitzer Stellen an der Jürstenschule zu Meißen, ausübte. Mit seinem Tode (1891) erlosch in Sachsen das berühmte Geschlecht, während es in Preußen noch blüht. Die berühmtesten Sprossen des preußischen Zweiges sind der Minister Alexander von Schleinitz, der bekannte Gegner Bismarcks (gestorben 1885), und der 1834 geborne Vizeadmiral der deutschen Flotte Freiherr Georg von Schleinitz. Wenn man die mehr als dreihundertundsechzig männlichen Sprossen des Ge¬ schlechts mustert, die in der „Geschichte des Schleiuitzer Geschlechts" (Berlin, 1897) nach Abstammung, Taten und Schicksalen behandelt werden, so gibt es wohl kaum ein militärisches, höfisches oder staatliches Amt, das unter den von den Schleinitzen bekleideten Stellungen nicht vorhanden wäre: alle Staffeln vom mittelalterliche» alios bis z»in Generalleutnant und Admiral, vom Kammerjunker bis zum Truchseß und zun: Oberhofmarschall, vom Assessor bis zum Regierungspräsidenten, Geheimen Rat und Minister, vom schlichten Volksschullehrer und Diakonus bis zum adlichen Inspektor der Landschule zu Meißen und zum Abt und Bischof sind vorhanden. Und neben der Menge der Gestalten, die ohne besonders hervorzutauchen im Zeiten¬ strome mitschwammen, fehlen auch die kühnen Necken und die auffallenden Charakter¬ köpfe nicht. Da ist der riesenhafte Georg von Schleinitz, der an der Spitze von einigen tausend Söldnern „der langen Garde" gegen Friesen, Butjadinger und Dithmarschen zu Felde zog mit dem Wahlspruch: „Ware ti, Buer, wann min Garde kümmt." Er fiel am 17. Februar 1500 im Kampfe gegen die Dithmarschen bei Henning-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/511>, abgerufen am 22.12.2024.