Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.Line Uniistgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts behandelt hatte. Die Statue des Generals Zieten (1794) ist ganz ohne Vor¬ Line Uniistgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts behandelt hatte. Die Statue des Generals Zieten (1794) ist ganz ohne Vor¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0042" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/87519"/> <fw type="header" place="top"> Line Uniistgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts</fw><lb/> <p xml:id="ID_85" prev="#ID_84" next="#ID_86"> behandelt hatte. Die Statue des Generals Zieten (1794) ist ganz ohne Vor¬<lb/> bild. Dieses Wahrzeichen echter Natürlichkeit, nächst Schlüters Großem Kur¬<lb/> fürsten das bedeutendste Denkmal, das Berlin besitzt, hat sich in seiner Wirkung<lb/> durch alle Geschmackswandlungen der folgenden Zeit hindurch behauptet. Als<lb/> die klassische Strömung längst über Berlin hereingebrochen war, und man es<lb/> für angemessen erachtete, den unbekleideten Kriegern der Schloßbrückengruppen<lb/> Speer und Schild in die Hände und Pallas Athene zur Begleiterin zu geben,<lb/> hörte man doch nicht auf, das schlichte Denkmal an dem stillen Zietenplatz zu<lb/> besuchen und sich dabei dankbar des alten Schadow zu erinnern. Dieser mußte<lb/> sich dann in einem Blücherdenkmal der klassischen Kunstlehre fügen, die Goethe<lb/> vertrat. „Homeride sein zu wollen, wenn man Goethe ist, Hütte ich doch die<lb/> Macht, diese unverzeihliche Bescheidenheit zu verbieten," hatte Schadow noch<lb/> 1801 geschrieben. Nun war er unmodern geworden für ein Geschlecht, das<lb/> nur noch mit den Augen Thorwaldscns sehen wollte. Goethe hatte gesiegt,<lb/> und Schadow zog sich auf theoretische Arbeiten zurück. Während Schadows<lb/> Berliner Lokalkunst eigentlich nur in der einen Zietenstatue es zu einer vollen<lb/> und reinen Leistung brachte, gewann Thorwaldsen europäischen Ruhm, dem<lb/> sich allein die französische Plastik nicht beugte, und der für eiuen Teil unsers<lb/> großen Publikums noch bis heute dauert. Es wird für alle Zeit merkwürdig<lb/> bleiben, daß ein Nordländer im neunzehnten Jahrhundert so ganz zum<lb/> Griechen hat werden können, und es ist durchaus richtig, wenn Schmid, dem<lb/> wir in allem, was,, er über Thorwaldsen sagt, beistimmen, von der Voraus¬<lb/> setzung ausgeht.^daß für diesen Künstler selbst die fremde Sprache zur Natur<lb/> geworden war; er konnte nicht anders als sich in ihren Formen ausdrücken.<lb/> Es hat noch niemals in der Geschichte eine solche Jmitcitionskunst gegeben<lb/> wie Thorwaldscns „reines Griechisch." Und das Merkwürdigste an dieser<lb/> ganzen Zeiterscheinung ist doch, daß sich das deutsche Publikum hat einreden<lb/> lassen, das sei der Anfang der modernen Plastik gewesen. Den Dänen mag<lb/> man diese Auffassung zugute halten; verdankten sie doch ihrem Landsmann,<lb/> daß um seinetwillen ! von ihnen überhaupt zum erstenmal in der Kunstgeschichte<lb/> die Rede war. „Nichts behinderte Thorwaldsen in seinem Streben, die Antike<lb/> zu repetieren, weder der Wunsch, originell zu sein, noch der Gedanke, durch<lb/> Naturstudiuni die Antike zu verbessern. Er war lediglich rezeptiv, nirgends<lb/> produktiv. Hatte er irgend ein hübsches Motiv an einer stehenden oder<lb/> sitzenden Figur gesehen, so wiederholte er es, wobei unwillkürlich das Modell<lb/> die Muskulatur einer antiken Statue unter seinen Händen annahm, denn er<lb/> hatte ein erstaunliches Erinnerungsvermögen für das, was er im Belvedere ge¬<lb/> sehen." Zwei nicht der Antike entnommne Werke trugen ihm den besondern Ruhm<lb/> eines Erfinders ein: die Christnssigur, die doch nur eine Replik nach Naffciels<lb/> Tcppichkarton (Weide meine Lümmer) war, und der zum Andenken an die in<lb/> Paris gefallnen Schweizergardcn gestiftete Löwe in Luzern. „Der malerischen<lb/> Aufstellung und der poetischen Umgebung verdankt er es, daß niemand die<lb/> Grimassen dieses zoologischen Wundertieres kritisch betrachtet, diesen weh¬<lb/> mütigen, bis in den Tod getreuen, mit so viel menschlichen Gefühlen be¬<lb/> lasteten Löwen, der eher irgend einem Zopfkünstler als dem berühmten Rege-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0042]
Line Uniistgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts
behandelt hatte. Die Statue des Generals Zieten (1794) ist ganz ohne Vor¬
bild. Dieses Wahrzeichen echter Natürlichkeit, nächst Schlüters Großem Kur¬
fürsten das bedeutendste Denkmal, das Berlin besitzt, hat sich in seiner Wirkung
durch alle Geschmackswandlungen der folgenden Zeit hindurch behauptet. Als
die klassische Strömung längst über Berlin hereingebrochen war, und man es
für angemessen erachtete, den unbekleideten Kriegern der Schloßbrückengruppen
Speer und Schild in die Hände und Pallas Athene zur Begleiterin zu geben,
hörte man doch nicht auf, das schlichte Denkmal an dem stillen Zietenplatz zu
besuchen und sich dabei dankbar des alten Schadow zu erinnern. Dieser mußte
sich dann in einem Blücherdenkmal der klassischen Kunstlehre fügen, die Goethe
vertrat. „Homeride sein zu wollen, wenn man Goethe ist, Hütte ich doch die
Macht, diese unverzeihliche Bescheidenheit zu verbieten," hatte Schadow noch
1801 geschrieben. Nun war er unmodern geworden für ein Geschlecht, das
nur noch mit den Augen Thorwaldscns sehen wollte. Goethe hatte gesiegt,
und Schadow zog sich auf theoretische Arbeiten zurück. Während Schadows
Berliner Lokalkunst eigentlich nur in der einen Zietenstatue es zu einer vollen
und reinen Leistung brachte, gewann Thorwaldsen europäischen Ruhm, dem
sich allein die französische Plastik nicht beugte, und der für eiuen Teil unsers
großen Publikums noch bis heute dauert. Es wird für alle Zeit merkwürdig
bleiben, daß ein Nordländer im neunzehnten Jahrhundert so ganz zum
Griechen hat werden können, und es ist durchaus richtig, wenn Schmid, dem
wir in allem, was,, er über Thorwaldsen sagt, beistimmen, von der Voraus¬
setzung ausgeht.^daß für diesen Künstler selbst die fremde Sprache zur Natur
geworden war; er konnte nicht anders als sich in ihren Formen ausdrücken.
Es hat noch niemals in der Geschichte eine solche Jmitcitionskunst gegeben
wie Thorwaldscns „reines Griechisch." Und das Merkwürdigste an dieser
ganzen Zeiterscheinung ist doch, daß sich das deutsche Publikum hat einreden
lassen, das sei der Anfang der modernen Plastik gewesen. Den Dänen mag
man diese Auffassung zugute halten; verdankten sie doch ihrem Landsmann,
daß um seinetwillen ! von ihnen überhaupt zum erstenmal in der Kunstgeschichte
die Rede war. „Nichts behinderte Thorwaldsen in seinem Streben, die Antike
zu repetieren, weder der Wunsch, originell zu sein, noch der Gedanke, durch
Naturstudiuni die Antike zu verbessern. Er war lediglich rezeptiv, nirgends
produktiv. Hatte er irgend ein hübsches Motiv an einer stehenden oder
sitzenden Figur gesehen, so wiederholte er es, wobei unwillkürlich das Modell
die Muskulatur einer antiken Statue unter seinen Händen annahm, denn er
hatte ein erstaunliches Erinnerungsvermögen für das, was er im Belvedere ge¬
sehen." Zwei nicht der Antike entnommne Werke trugen ihm den besondern Ruhm
eines Erfinders ein: die Christnssigur, die doch nur eine Replik nach Naffciels
Tcppichkarton (Weide meine Lümmer) war, und der zum Andenken an die in
Paris gefallnen Schweizergardcn gestiftete Löwe in Luzern. „Der malerischen
Aufstellung und der poetischen Umgebung verdankt er es, daß niemand die
Grimassen dieses zoologischen Wundertieres kritisch betrachtet, diesen weh¬
mütigen, bis in den Tod getreuen, mit so viel menschlichen Gefühlen be¬
lasteten Löwen, der eher irgend einem Zopfkünstler als dem berühmten Rege-
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