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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Ernst von jtasaulx

schmerzt es ihn, daß Preußen eine unpatriotische Haltung einnehme. Doch
gibt er die Hoffnung auf Preußen nicht auf; er hofft, daß sich der Prinz¬
regent, als echter Sohn der Königin Luise, dieser dereinst mehr erinnern werde
als seiner verwandtschaftlichen Beziehungen zu London und Se. Petersburg.
Schon 1851 hatte er gerufen:

Die deutsche Frage wird, wie alle großen Fragen im Leben der Völker,
durchs Schwert gelöst werden, und ich begrüße den, der den Mut und die Kraft
hat,, dieses Schwert in die Hand zu nehmen.

Den Einheitstaat will er freilich nicht.

Wer die Geschichte nicht auf den bequemen Waggons der Massen studiert
hat f?^, der weiß, daß eine dritthalbtausendjährige l?^ Geschichte Deutschlands uns
lehrt, daß Deutschland niemals ein Einheitstaat gewesen ist, weil ein solcher dem
Grundcharakter des deutschen Volkes widerspricht. Die fundamentalen Bestrebungen
der Deutschen sind auf die Entwicklung der Individualität und auf Föderalismus
gerichtet, nicht aber auf Zentralisation, die wenn sie erreicht werden könnte, jeden¬
falls nur durch eine tiefgreifende und blutige Revolution hervorgebracht werden könnte,
und das Ende dieser Revolution wäre kein andres als ein Militärdespotismus.

Er lobt die allgemeine Wehrpflicht Preußens. Stein und Scharnhorst
hätten den zertrümmerten Staat wieder aufgerichtet, indem sie Kants Moral
auf den politischen Boden verpflanzten und die mangelnde physische Macht
durch Potenzierung der sittlichen Kraft zu ersetzen suchten. Dieser Versuch sei
in Preußen gelungen und die Grundlage der großen und wohlverdienten
Achtung, die dieser Staat seitdem in Europa genieße, seiner geordneten Finanzen,
seiner militärischen Tüchtigkeit und seiner hervorragenden Leistungen in Wissen¬
schaft und Industrie. Seine Armee sei eine Schule männlicher Erziehung.
Moralische Tüchtigkeit und Integrität, der Sinn für Ordnung und Gehorsam,
ein gediegner und verstündiger Sinn sei in Preußen allgemeiner verbreitet als
in vielen andern Ländern.

Ein großer General, der selige Scharnhorst, pflegte zu sagen, Preußen bedürfe
immer der besten Verfassung, des besten Heeres und der besten Talente, der zuletzt
genannten am meisten, weil ohne sie die andern beiden nicht zu erhalten sind.
Demgemäß hat die preußische Regierung von jeher großen Wert darauf gelegt,
bedeutende Männer für sich zu gewinnen; sie hat die Acquisition geistiger Kräfte
als einen Zuwachs von Macht angesehen, während andre Regierungen zuweilen
mit großem Gleichmut bedeutende Männer wegziehn ließen.

Auch für Bayern wünscht er eine starke Armee und stimmt für alle
Militärforderungen; in politischer Beziehung will er trotz der erlangten bessern
Meinung von Preußen Bayern an der Seite Österreichs sehen. Er ist ent¬
schieden monarchisch gesinnt.

Man hat den alten Aristokratien oft und nicht mit Unrecht vorgeworfen, daß
sie selbstsüchtig gewesen seien. Wenn Körperschaften herrschen, sagt man, so herrschen
sie in ihrem eignen Interesse. Diesen Vorwurf kann man der monarchischen Ver¬
fassung nicht machen; wenn hier der König eine Ausnahmestellung einnimmt, so
geschieht das uicht sowohl um seiner selbst willen, als vielmehr um des Staates
willen; es ist für den Staat gut, wenn eine Stelle vorhanden ist, die dem unge¬
zügelten Ehrgeiz nicht offen steht. ... In außerordentlichen Lagen außerordentliche
Maßregeln zu ergreifen, ist nicht sowohl ein Recht als Pflicht der Regierung.
Wenn man der Regierung dieses Recht bestreitet, macht man sie unmöglich. Eine


Ernst von jtasaulx

schmerzt es ihn, daß Preußen eine unpatriotische Haltung einnehme. Doch
gibt er die Hoffnung auf Preußen nicht auf; er hofft, daß sich der Prinz¬
regent, als echter Sohn der Königin Luise, dieser dereinst mehr erinnern werde
als seiner verwandtschaftlichen Beziehungen zu London und Se. Petersburg.
Schon 1851 hatte er gerufen:

Die deutsche Frage wird, wie alle großen Fragen im Leben der Völker,
durchs Schwert gelöst werden, und ich begrüße den, der den Mut und die Kraft
hat,, dieses Schwert in die Hand zu nehmen.

Den Einheitstaat will er freilich nicht.

Wer die Geschichte nicht auf den bequemen Waggons der Massen studiert
hat f?^, der weiß, daß eine dritthalbtausendjährige l?^ Geschichte Deutschlands uns
lehrt, daß Deutschland niemals ein Einheitstaat gewesen ist, weil ein solcher dem
Grundcharakter des deutschen Volkes widerspricht. Die fundamentalen Bestrebungen
der Deutschen sind auf die Entwicklung der Individualität und auf Föderalismus
gerichtet, nicht aber auf Zentralisation, die wenn sie erreicht werden könnte, jeden¬
falls nur durch eine tiefgreifende und blutige Revolution hervorgebracht werden könnte,
und das Ende dieser Revolution wäre kein andres als ein Militärdespotismus.

Er lobt die allgemeine Wehrpflicht Preußens. Stein und Scharnhorst
hätten den zertrümmerten Staat wieder aufgerichtet, indem sie Kants Moral
auf den politischen Boden verpflanzten und die mangelnde physische Macht
durch Potenzierung der sittlichen Kraft zu ersetzen suchten. Dieser Versuch sei
in Preußen gelungen und die Grundlage der großen und wohlverdienten
Achtung, die dieser Staat seitdem in Europa genieße, seiner geordneten Finanzen,
seiner militärischen Tüchtigkeit und seiner hervorragenden Leistungen in Wissen¬
schaft und Industrie. Seine Armee sei eine Schule männlicher Erziehung.
Moralische Tüchtigkeit und Integrität, der Sinn für Ordnung und Gehorsam,
ein gediegner und verstündiger Sinn sei in Preußen allgemeiner verbreitet als
in vielen andern Ländern.

Ein großer General, der selige Scharnhorst, pflegte zu sagen, Preußen bedürfe
immer der besten Verfassung, des besten Heeres und der besten Talente, der zuletzt
genannten am meisten, weil ohne sie die andern beiden nicht zu erhalten sind.
Demgemäß hat die preußische Regierung von jeher großen Wert darauf gelegt,
bedeutende Männer für sich zu gewinnen; sie hat die Acquisition geistiger Kräfte
als einen Zuwachs von Macht angesehen, während andre Regierungen zuweilen
mit großem Gleichmut bedeutende Männer wegziehn ließen.

Auch für Bayern wünscht er eine starke Armee und stimmt für alle
Militärforderungen; in politischer Beziehung will er trotz der erlangten bessern
Meinung von Preußen Bayern an der Seite Österreichs sehen. Er ist ent¬
schieden monarchisch gesinnt.

Man hat den alten Aristokratien oft und nicht mit Unrecht vorgeworfen, daß
sie selbstsüchtig gewesen seien. Wenn Körperschaften herrschen, sagt man, so herrschen
sie in ihrem eignen Interesse. Diesen Vorwurf kann man der monarchischen Ver¬
fassung nicht machen; wenn hier der König eine Ausnahmestellung einnimmt, so
geschieht das uicht sowohl um seiner selbst willen, als vielmehr um des Staates
willen; es ist für den Staat gut, wenn eine Stelle vorhanden ist, die dem unge¬
zügelten Ehrgeiz nicht offen steht. ... In außerordentlichen Lagen außerordentliche
Maßregeln zu ergreifen, ist nicht sowohl ein Recht als Pflicht der Regierung.
Wenn man der Regierung dieses Recht bestreitet, macht man sie unmöglich. Eine


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[0385] Ernst von jtasaulx schmerzt es ihn, daß Preußen eine unpatriotische Haltung einnehme. Doch gibt er die Hoffnung auf Preußen nicht auf; er hofft, daß sich der Prinz¬ regent, als echter Sohn der Königin Luise, dieser dereinst mehr erinnern werde als seiner verwandtschaftlichen Beziehungen zu London und Se. Petersburg. Schon 1851 hatte er gerufen: Die deutsche Frage wird, wie alle großen Fragen im Leben der Völker, durchs Schwert gelöst werden, und ich begrüße den, der den Mut und die Kraft hat,, dieses Schwert in die Hand zu nehmen. Den Einheitstaat will er freilich nicht. Wer die Geschichte nicht auf den bequemen Waggons der Massen studiert hat f?^, der weiß, daß eine dritthalbtausendjährige l?^ Geschichte Deutschlands uns lehrt, daß Deutschland niemals ein Einheitstaat gewesen ist, weil ein solcher dem Grundcharakter des deutschen Volkes widerspricht. Die fundamentalen Bestrebungen der Deutschen sind auf die Entwicklung der Individualität und auf Föderalismus gerichtet, nicht aber auf Zentralisation, die wenn sie erreicht werden könnte, jeden¬ falls nur durch eine tiefgreifende und blutige Revolution hervorgebracht werden könnte, und das Ende dieser Revolution wäre kein andres als ein Militärdespotismus. Er lobt die allgemeine Wehrpflicht Preußens. Stein und Scharnhorst hätten den zertrümmerten Staat wieder aufgerichtet, indem sie Kants Moral auf den politischen Boden verpflanzten und die mangelnde physische Macht durch Potenzierung der sittlichen Kraft zu ersetzen suchten. Dieser Versuch sei in Preußen gelungen und die Grundlage der großen und wohlverdienten Achtung, die dieser Staat seitdem in Europa genieße, seiner geordneten Finanzen, seiner militärischen Tüchtigkeit und seiner hervorragenden Leistungen in Wissen¬ schaft und Industrie. Seine Armee sei eine Schule männlicher Erziehung. Moralische Tüchtigkeit und Integrität, der Sinn für Ordnung und Gehorsam, ein gediegner und verstündiger Sinn sei in Preußen allgemeiner verbreitet als in vielen andern Ländern. Ein großer General, der selige Scharnhorst, pflegte zu sagen, Preußen bedürfe immer der besten Verfassung, des besten Heeres und der besten Talente, der zuletzt genannten am meisten, weil ohne sie die andern beiden nicht zu erhalten sind. Demgemäß hat die preußische Regierung von jeher großen Wert darauf gelegt, bedeutende Männer für sich zu gewinnen; sie hat die Acquisition geistiger Kräfte als einen Zuwachs von Macht angesehen, während andre Regierungen zuweilen mit großem Gleichmut bedeutende Männer wegziehn ließen. Auch für Bayern wünscht er eine starke Armee und stimmt für alle Militärforderungen; in politischer Beziehung will er trotz der erlangten bessern Meinung von Preußen Bayern an der Seite Österreichs sehen. Er ist ent¬ schieden monarchisch gesinnt. Man hat den alten Aristokratien oft und nicht mit Unrecht vorgeworfen, daß sie selbstsüchtig gewesen seien. Wenn Körperschaften herrschen, sagt man, so herrschen sie in ihrem eignen Interesse. Diesen Vorwurf kann man der monarchischen Ver¬ fassung nicht machen; wenn hier der König eine Ausnahmestellung einnimmt, so geschieht das uicht sowohl um seiner selbst willen, als vielmehr um des Staates willen; es ist für den Staat gut, wenn eine Stelle vorhanden ist, die dem unge¬ zügelten Ehrgeiz nicht offen steht. ... In außerordentlichen Lagen außerordentliche Maßregeln zu ergreifen, ist nicht sowohl ein Recht als Pflicht der Regierung. Wenn man der Regierung dieses Recht bestreitet, macht man sie unmöglich. Eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/385>, abgerufen am 22.12.2024.