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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Lrnst von Lasaulx

sie fortdauerte, das Beste des deutschen Charakters, seinen religiösen Sinn, zu Zwie¬
tracht, Haß und Rache entflammen, zu Gefühlen, die wahrlich auf dem Boden der
Religion nicht erweckt werden sollten. Es hat zu allen Zeiten Männer gegeben,
die sich ohne positive Religion behelfen. Ihre Zahl ist auch heute kleiner, als die
glauben, die sich dazu rechnen, und sie sind nicht glücklich. Aber größer aller¬
dings ist heute ihre Zahl als in irgendeiner frühern Zeit, und wenn der zer¬
setzende Skeptizismus weiter um sich frißt, wenn er den Kern unsers Volkes, den
Bauern- und Bürgerstand ergreift, und wenn hier, im Drange der Not, Gott¬
losigkeit und Armut sich verbinden, dann heben sie das Leben aus den Wurzeln
und stürzen es um.

Als Vormacht im Reiche zieht er Österreich Preußen vor. Dieses habe
mehr Wissenschaft, jenes mehr unverbrauchte Naturkraft. Die Wissenschaft
produziere nicht, sondern konsumiere Leben. Den Einwand, daß Österreich zu
viele undeutsche Bestandteile habe, läßt er nicht gelten. Mau treibe Unfug
mit dem Nationalitätsprinzip. Die Engländer würden Irland, Malta, Korfu,
Indien, die Franzosen Elsaß und Algerien nicht aufgeben der fremden Natio¬
nalitäten wegen; die Deutschen allein seien solcher Torheit fähig. Die Eng¬
länder würden, wenn sie unsre Aufgabe zu lösen hätten, nichts hergeben von
dem, was sie besäßen, vielmehr noch andres dazu zu bekommen suchen, und sie
würden aus den vorhandnen Bestandteilen, so gut es ginge, ein Ganzes
machen, und völlig unbekümmert um den Namen, es den Gelehrten über¬
lassen, ob sie dieses Ganze einen Staatenbund, einen Bundesstaat oder einen
Einheitstaat nennen wollten. Die Franzosen aber würden ihre Theorie so
einrichten, daß die Wirklichkeit, die sie wollten, hineinpaßte, und würden dann
noch dazu uns Deutsche glauben machen, daß diese ihre neue Staatstheorie
die beste und feinste von allen vorhandnen sei.

Nun, meine Herren, wir sind zwar weder Engländer noch Franzosen, aber
etwas von ihrem politischen Verstände könnten wir uns doch aneignen unbeschadet
unsrer Professorenweisheit (große Heiterkeit und lebhafter Beifall auf der Linken).
Ich würde darum, meine Herren, wenn es wahr ist, daß die Nationalsouveränität
wesentlich ein Machtbegriff ist, vor allem suchen, die wirkliche Macht zu gründen,
und würde die ganze Theorie von dem Bundesstaat und ein Dutzend schön
stilisierter Paragraphen unsrer Reichsverfassung freudig in den Kauf geben, wenn
es uns gelänge, ein großes, mächtiges, herrschendes Reich zu werden und statt
des verwünschten Kleindeutschlands mit dem König von Preußen an der Spitze
ein in Wahrheit großes Deutschland zu gründen mit dem jugendlichen Kaiser von
Österreich an der Spitze und den großen Feldherren, die ihn umgeben (große
Heiterkeit und Gelächter auf der Linken), seinen Feldherren Radetzky, Windischgrntz
und Jellachich (Stimmen auf der Linken: ohne! ohne!), und also das alte Reich
deutscher Nation im Herzen Europas wiederherzustellen.

Als man einmal im Cafe gemütlich beisammen saß, fand einer der Ab¬
geordneten diesen Verkehr von Männern verschiedner Parteien auf neutralem
Boden sehr nett. Karl Vogt jedoch bemerkte, die Sache habe auch ihre
Kehrseite. Wenn seine Partei siegte, könnte sie vielleicht von der Guillotine
Gebrauch machen müssen, und da würde es ein fatales Gefühl sein, einem
Manne das Todesurteil sprechen zu müssen, mit dem man eben erst seinen
Schoppen getrunken hätte. Lasaulx aber erwiderte: "Ich meinerseits ver¬
sichere Sie: wenn wir die Sieger sind, und Sie werden an den Laternenpfahl


Lrnst von Lasaulx

sie fortdauerte, das Beste des deutschen Charakters, seinen religiösen Sinn, zu Zwie¬
tracht, Haß und Rache entflammen, zu Gefühlen, die wahrlich auf dem Boden der
Religion nicht erweckt werden sollten. Es hat zu allen Zeiten Männer gegeben,
die sich ohne positive Religion behelfen. Ihre Zahl ist auch heute kleiner, als die
glauben, die sich dazu rechnen, und sie sind nicht glücklich. Aber größer aller¬
dings ist heute ihre Zahl als in irgendeiner frühern Zeit, und wenn der zer¬
setzende Skeptizismus weiter um sich frißt, wenn er den Kern unsers Volkes, den
Bauern- und Bürgerstand ergreift, und wenn hier, im Drange der Not, Gott¬
losigkeit und Armut sich verbinden, dann heben sie das Leben aus den Wurzeln
und stürzen es um.

Als Vormacht im Reiche zieht er Österreich Preußen vor. Dieses habe
mehr Wissenschaft, jenes mehr unverbrauchte Naturkraft. Die Wissenschaft
produziere nicht, sondern konsumiere Leben. Den Einwand, daß Österreich zu
viele undeutsche Bestandteile habe, läßt er nicht gelten. Mau treibe Unfug
mit dem Nationalitätsprinzip. Die Engländer würden Irland, Malta, Korfu,
Indien, die Franzosen Elsaß und Algerien nicht aufgeben der fremden Natio¬
nalitäten wegen; die Deutschen allein seien solcher Torheit fähig. Die Eng¬
länder würden, wenn sie unsre Aufgabe zu lösen hätten, nichts hergeben von
dem, was sie besäßen, vielmehr noch andres dazu zu bekommen suchen, und sie
würden aus den vorhandnen Bestandteilen, so gut es ginge, ein Ganzes
machen, und völlig unbekümmert um den Namen, es den Gelehrten über¬
lassen, ob sie dieses Ganze einen Staatenbund, einen Bundesstaat oder einen
Einheitstaat nennen wollten. Die Franzosen aber würden ihre Theorie so
einrichten, daß die Wirklichkeit, die sie wollten, hineinpaßte, und würden dann
noch dazu uns Deutsche glauben machen, daß diese ihre neue Staatstheorie
die beste und feinste von allen vorhandnen sei.

Nun, meine Herren, wir sind zwar weder Engländer noch Franzosen, aber
etwas von ihrem politischen Verstände könnten wir uns doch aneignen unbeschadet
unsrer Professorenweisheit (große Heiterkeit und lebhafter Beifall auf der Linken).
Ich würde darum, meine Herren, wenn es wahr ist, daß die Nationalsouveränität
wesentlich ein Machtbegriff ist, vor allem suchen, die wirkliche Macht zu gründen,
und würde die ganze Theorie von dem Bundesstaat und ein Dutzend schön
stilisierter Paragraphen unsrer Reichsverfassung freudig in den Kauf geben, wenn
es uns gelänge, ein großes, mächtiges, herrschendes Reich zu werden und statt
des verwünschten Kleindeutschlands mit dem König von Preußen an der Spitze
ein in Wahrheit großes Deutschland zu gründen mit dem jugendlichen Kaiser von
Österreich an der Spitze und den großen Feldherren, die ihn umgeben (große
Heiterkeit und Gelächter auf der Linken), seinen Feldherren Radetzky, Windischgrntz
und Jellachich (Stimmen auf der Linken: ohne! ohne!), und also das alte Reich
deutscher Nation im Herzen Europas wiederherzustellen.

Als man einmal im Cafe gemütlich beisammen saß, fand einer der Ab¬
geordneten diesen Verkehr von Männern verschiedner Parteien auf neutralem
Boden sehr nett. Karl Vogt jedoch bemerkte, die Sache habe auch ihre
Kehrseite. Wenn seine Partei siegte, könnte sie vielleicht von der Guillotine
Gebrauch machen müssen, und da würde es ein fatales Gefühl sein, einem
Manne das Todesurteil sprechen zu müssen, mit dem man eben erst seinen
Schoppen getrunken hätte. Lasaulx aber erwiderte: „Ich meinerseits ver¬
sichere Sie: wenn wir die Sieger sind, und Sie werden an den Laternenpfahl


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/383>, abgerufen am 22.12.2024.