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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Ernst von Lasaulx

zusetzen. Erst würden sich mit liberaler Zulassung die tschechischen Sozial¬
demokraten breit machen, dann die tschechischen Soloth einziehn; das weitere
läßt sich ohne Schwierigkeit hinzudenken. Gerade für die Reichsdeutschen,
denen an einer Slawisierung von Wien nichts gelegen sein kann, dürfte die
Beachtung dieses Umstands von Wichtigkeit sein, so wenig sie ans die sonstigen
deutschösterreichischen Parteiverhältnisse mit ihrer Zerfahrenheit Wert legen
mögen. Solange die Deutschösterreicher uicht haben einsehen lernen, daß sie
im Ncichsrate nur zusammenzustehn und etwa noch die Stimmen der Italiener
oder der Sozialdemokraten durch verstündige Zugeständnisse zu gewinnen
brauchen, wenn sie in jedem einzelnen Falle die hundertundneunzig und einige
slawischen Abgeordneten überstimmen wollen, ist ihnen nicht zu helfen, ihre
Klagen werden nicht verstummen, und ein gewisser Rückgang wird auch nicht
zu vermeiden sein. Aber bis das Verständnis einmal kommt, können noch viele
Jahre vergeh", und darum wäre es im nationalen wie im österreichischen
I --y-- nteresse gut, wenn Wien solange eine rein deutsche Stadt bliebe.




Ernst von Lasaulx

>le Konfessionen zanken sich in Deutschland. Das tun sie seit
vierhundert Jahren ununterbrochen, doch in verschiednen Zeit¬
abschnitten mit verschiednen Graden der Lebhaftigkeit. Manchmal
geschiehts von turore, und wenigstens symbolisch eingeschlagne
I Schädel machen die Instrumentalmusik dazu; manchmal ists nur
ein dumpfes Knurren und Nörgeln, und manchmal wird die Debatte mit
mittlerer Stimmkraft geführt, wie eben jetzt, und nicht vom ganzen Vol-xu8
KvimAolicornm und dem 6ito OMioliooruin, sondern nur von einem immerhin
ziemlich starken Liebhaberchor. Nun gibt es Leute, und ihrer sind nicht wenig,
denen Zanken das unentbehrliche Lebensbrot und der höchste Genuß ist; denen
wollen wir ihr Vergnügen nicht schmälern. Es gibt aber auch andre, die es
schmerzt, wenn über ernste und wichtige Dinge ergebnislos gestritten wird,
und die zur Verständigung mit dem Gegner gelangen möchten. Um sich mit
ihm zu verstündigen, muß man vor allem ihn und seine Meinung kennen.
Dazu ist geselliger Verkehr, wenn er nicht eine heute aus vielen Gründen
seltne Intimität erreicht, nicht immer das beste Mittel. Eine gute, womit nur
gesagt werden soll, das Seelenleben vollständig enthüllende Biographie führt
weiter. Eine solche von einem Führer der dentschen Katholiken hat soeben
Dr. Remigius Stölzls, ordentlicher Professor der Philosophie in Würzburg,
geliefert: Ernst von Lasaulx (Münster, Aschendorfsche Buchhandlung, 1904).
Zwar ist Lasaulx schon lange tot, aber er gehört der Generation von Katho¬
liken an, die im romantischen Zeitalter der Restauration den deutschen Katholi¬
zismus wiederbelebt haben. Diese Wiederbelebung ist von drei Herden aus¬
gegangen: dem westfälischen, dem mittelrheinischen, dem bayrischen. Den zuletzt


Grenzboten I 190S 43
Ernst von Lasaulx

zusetzen. Erst würden sich mit liberaler Zulassung die tschechischen Sozial¬
demokraten breit machen, dann die tschechischen Soloth einziehn; das weitere
läßt sich ohne Schwierigkeit hinzudenken. Gerade für die Reichsdeutschen,
denen an einer Slawisierung von Wien nichts gelegen sein kann, dürfte die
Beachtung dieses Umstands von Wichtigkeit sein, so wenig sie ans die sonstigen
deutschösterreichischen Parteiverhältnisse mit ihrer Zerfahrenheit Wert legen
mögen. Solange die Deutschösterreicher uicht haben einsehen lernen, daß sie
im Ncichsrate nur zusammenzustehn und etwa noch die Stimmen der Italiener
oder der Sozialdemokraten durch verstündige Zugeständnisse zu gewinnen
brauchen, wenn sie in jedem einzelnen Falle die hundertundneunzig und einige
slawischen Abgeordneten überstimmen wollen, ist ihnen nicht zu helfen, ihre
Klagen werden nicht verstummen, und ein gewisser Rückgang wird auch nicht
zu vermeiden sein. Aber bis das Verständnis einmal kommt, können noch viele
Jahre vergeh«, und darum wäre es im nationalen wie im österreichischen
I —y— nteresse gut, wenn Wien solange eine rein deutsche Stadt bliebe.




Ernst von Lasaulx

>le Konfessionen zanken sich in Deutschland. Das tun sie seit
vierhundert Jahren ununterbrochen, doch in verschiednen Zeit¬
abschnitten mit verschiednen Graden der Lebhaftigkeit. Manchmal
geschiehts von turore, und wenigstens symbolisch eingeschlagne
I Schädel machen die Instrumentalmusik dazu; manchmal ists nur
ein dumpfes Knurren und Nörgeln, und manchmal wird die Debatte mit
mittlerer Stimmkraft geführt, wie eben jetzt, und nicht vom ganzen Vol-xu8
KvimAolicornm und dem 6ito OMioliooruin, sondern nur von einem immerhin
ziemlich starken Liebhaberchor. Nun gibt es Leute, und ihrer sind nicht wenig,
denen Zanken das unentbehrliche Lebensbrot und der höchste Genuß ist; denen
wollen wir ihr Vergnügen nicht schmälern. Es gibt aber auch andre, die es
schmerzt, wenn über ernste und wichtige Dinge ergebnislos gestritten wird,
und die zur Verständigung mit dem Gegner gelangen möchten. Um sich mit
ihm zu verstündigen, muß man vor allem ihn und seine Meinung kennen.
Dazu ist geselliger Verkehr, wenn er nicht eine heute aus vielen Gründen
seltne Intimität erreicht, nicht immer das beste Mittel. Eine gute, womit nur
gesagt werden soll, das Seelenleben vollständig enthüllende Biographie führt
weiter. Eine solche von einem Führer der dentschen Katholiken hat soeben
Dr. Remigius Stölzls, ordentlicher Professor der Philosophie in Würzburg,
geliefert: Ernst von Lasaulx (Münster, Aschendorfsche Buchhandlung, 1904).
Zwar ist Lasaulx schon lange tot, aber er gehört der Generation von Katho¬
liken an, die im romantischen Zeitalter der Restauration den deutschen Katholi¬
zismus wiederbelebt haben. Diese Wiederbelebung ist von drei Herden aus¬
gegangen: dem westfälischen, dem mittelrheinischen, dem bayrischen. Den zuletzt


Grenzboten I 190S 43
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[0325] Ernst von Lasaulx zusetzen. Erst würden sich mit liberaler Zulassung die tschechischen Sozial¬ demokraten breit machen, dann die tschechischen Soloth einziehn; das weitere läßt sich ohne Schwierigkeit hinzudenken. Gerade für die Reichsdeutschen, denen an einer Slawisierung von Wien nichts gelegen sein kann, dürfte die Beachtung dieses Umstands von Wichtigkeit sein, so wenig sie ans die sonstigen deutschösterreichischen Parteiverhältnisse mit ihrer Zerfahrenheit Wert legen mögen. Solange die Deutschösterreicher uicht haben einsehen lernen, daß sie im Ncichsrate nur zusammenzustehn und etwa noch die Stimmen der Italiener oder der Sozialdemokraten durch verstündige Zugeständnisse zu gewinnen brauchen, wenn sie in jedem einzelnen Falle die hundertundneunzig und einige slawischen Abgeordneten überstimmen wollen, ist ihnen nicht zu helfen, ihre Klagen werden nicht verstummen, und ein gewisser Rückgang wird auch nicht zu vermeiden sein. Aber bis das Verständnis einmal kommt, können noch viele Jahre vergeh«, und darum wäre es im nationalen wie im österreichischen I —y— nteresse gut, wenn Wien solange eine rein deutsche Stadt bliebe. Ernst von Lasaulx >le Konfessionen zanken sich in Deutschland. Das tun sie seit vierhundert Jahren ununterbrochen, doch in verschiednen Zeit¬ abschnitten mit verschiednen Graden der Lebhaftigkeit. Manchmal geschiehts von turore, und wenigstens symbolisch eingeschlagne I Schädel machen die Instrumentalmusik dazu; manchmal ists nur ein dumpfes Knurren und Nörgeln, und manchmal wird die Debatte mit mittlerer Stimmkraft geführt, wie eben jetzt, und nicht vom ganzen Vol-xu8 KvimAolicornm und dem 6ito OMioliooruin, sondern nur von einem immerhin ziemlich starken Liebhaberchor. Nun gibt es Leute, und ihrer sind nicht wenig, denen Zanken das unentbehrliche Lebensbrot und der höchste Genuß ist; denen wollen wir ihr Vergnügen nicht schmälern. Es gibt aber auch andre, die es schmerzt, wenn über ernste und wichtige Dinge ergebnislos gestritten wird, und die zur Verständigung mit dem Gegner gelangen möchten. Um sich mit ihm zu verstündigen, muß man vor allem ihn und seine Meinung kennen. Dazu ist geselliger Verkehr, wenn er nicht eine heute aus vielen Gründen seltne Intimität erreicht, nicht immer das beste Mittel. Eine gute, womit nur gesagt werden soll, das Seelenleben vollständig enthüllende Biographie führt weiter. Eine solche von einem Führer der dentschen Katholiken hat soeben Dr. Remigius Stölzls, ordentlicher Professor der Philosophie in Würzburg, geliefert: Ernst von Lasaulx (Münster, Aschendorfsche Buchhandlung, 1904). Zwar ist Lasaulx schon lange tot, aber er gehört der Generation von Katho¬ liken an, die im romantischen Zeitalter der Restauration den deutschen Katholi¬ zismus wiederbelebt haben. Diese Wiederbelebung ist von drei Herden aus¬ gegangen: dem westfälischen, dem mittelrheinischen, dem bayrischen. Den zuletzt Grenzboten I 190S 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/325>, abgerufen am 23.07.2024.