Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.veutschösterreichische Parteien Schürung des Hasses der Nationen gegeneinander konnte sich die bisher Im März 1897 begannen die Reichsratswahlen nach der neuen Wahl¬ veutschösterreichische Parteien Schürung des Hasses der Nationen gegeneinander konnte sich die bisher Im März 1897 begannen die Reichsratswahlen nach der neuen Wahl¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0318" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/87796"/> <fw type="header" place="top"> veutschösterreichische Parteien</fw><lb/> <p xml:id="ID_1356" prev="#ID_1355"> Schürung des Hasses der Nationen gegeneinander konnte sich die bisher<lb/> maßgebende Presse Beachtung sichern, während sie diese durch ihre politische<lb/> und wirtschaftliche Haltung auf allen andern Gebieten eingebüßt hatte. Mit<lb/> ihr hatte eine ganze Anzahl von unbedeutenden Berufspolitikern, die nach<lb/> einer Verständigung zwischen Deutschen und Tschechen jede Bedeutung einge¬<lb/> büßt Hütten, dasselbe Interesse, daß der nationale Hader nicht eingedämmt<lb/> würde. Die verwandten Seelen fanden sich, wer vom Unfrieden lebte, konnte<lb/> die Verständigung nicht brauchen, nud weder Baden noch die dem Frieden<lb/> geneigten deutschen und tschechischen Führer zeigten sich der Lage gewachsen.<lb/> Wer Baden veranlaßt hat, die Sprachenverordnungcn gerade in einer Form,<lb/> die den Deutschen zur berechtigten Opposition Anlaß gab, und ohne genügende<lb/> Borherverständigung herauszugeben, ist nicht genau bekannt geworden. Er war<lb/> von Galizien aus an die „Hofjuden" gewöhnt; als seine intimen Ratgeber<lb/> und Mitarbeiter hatte er in seinem Wiener Bureau zwei, deu Hofrat von Frei¬<lb/> berg und den Kanzleidirektor Blumenstock, der seinen Namen in Halban um¬<lb/> geändert hatte. Wer von beiden die Hand im Spiele gehabt hatte, als Baden<lb/> die Fehler bei den Sprachenverordunngen machte und sich später zur Gewalt¬<lb/> politik gegen die obstruierende» Deutschen verleiten ließ, ist nicht genau fest¬<lb/> gestellt worden, jedenfalls leitete sich der Sturz Badens davon her. Vorher<lb/> hatten sich aber noch einige Ereignisse von Einfluß abgespielt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1357" next="#ID_1358"> Im März 1897 begannen die Reichsratswahlen nach der neuen Wahl¬<lb/> ordnung, und zwar wählte zuerst die neue allgemeine Wühlerklasse (fünfte Kurie),<lb/> wobei die Sozialdemokraten auf einen durchschlagenden Erfolg hofften. In<lb/> Wien wurden sie offen von der liberalen Presse unterstützt, die von dieser<lb/> Seite eine Hilfstruppe gegen die Antisemiten erhoffte. Aber sämtliche neuen<lb/> Mandate in Niederösterreich mit Wien sielen diesen zu, und in den andern<lb/> Wahlkurien büßten die Dentschliberalen bis auf vier Mandate alle übrigen an<lb/> ihre Gegner ein, obgleich schon diesesmal die antisemitischen Schönererianer<lb/> mit ihnen die beiden andern antisemitischen Parteien, die deutsche Volkspartei<lb/> und die christlichsozialen Anhänger Luegcrs, bekämpften. Auch in andern Kron¬<lb/> ländern erlitt die Fortschrittspartei starke Verluste; in Böhmen, wo die Volks¬<lb/> partei keinen Führer hatte, machte sich schönerer deren Parteivorarbeit zunutze.<lb/> Die Fortschrittspartei, obgleich sie uuter diesem Namen ein halbes Jahr vor<lb/> den Wahlen aus der vereinigten Linken ausgetreten war, um ihre besondern<lb/> Wahlzwecke zu fördern, schnitt überall mit Verlusten ab, und auch die kräftige<lb/> Unterstützung der liberalen Presse vermochte ihr, die sich selbst als den Nach¬<lb/> folger der frühern liberalen Partei bezeichnete, nicht zu helfen. Ihr Glück<lb/> war noch, daß die aufs doppelte ihrer frühern Anzahl cmgewachsne Bolks-<lb/> partei keine einheitliche Leitung hatte, sondern in Ländergrnppen zerfiel, die<lb/> auf der einen Seite von der Fortschrittspartei, auf der andern von den<lb/> Schönerericmern beeinflußt wurden. Die schwerste Niederlage für die Fort¬<lb/> schrittspartei war freilich die in Wien und Niederösterreich, und die liberale<lb/> Presse beklagte in schmerzvollen Worten die „zühe Rückständigkeit" von Wien.<lb/> Aber die Kaiserstadt hatte doch nahezu ein halbes Jahrhundert, mehr als alle<lb/> andern Landesteile, den bildenden Einfluß der liberalen Presse genossen! —</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0318]
veutschösterreichische Parteien
Schürung des Hasses der Nationen gegeneinander konnte sich die bisher
maßgebende Presse Beachtung sichern, während sie diese durch ihre politische
und wirtschaftliche Haltung auf allen andern Gebieten eingebüßt hatte. Mit
ihr hatte eine ganze Anzahl von unbedeutenden Berufspolitikern, die nach
einer Verständigung zwischen Deutschen und Tschechen jede Bedeutung einge¬
büßt Hütten, dasselbe Interesse, daß der nationale Hader nicht eingedämmt
würde. Die verwandten Seelen fanden sich, wer vom Unfrieden lebte, konnte
die Verständigung nicht brauchen, nud weder Baden noch die dem Frieden
geneigten deutschen und tschechischen Führer zeigten sich der Lage gewachsen.
Wer Baden veranlaßt hat, die Sprachenverordnungcn gerade in einer Form,
die den Deutschen zur berechtigten Opposition Anlaß gab, und ohne genügende
Borherverständigung herauszugeben, ist nicht genau bekannt geworden. Er war
von Galizien aus an die „Hofjuden" gewöhnt; als seine intimen Ratgeber
und Mitarbeiter hatte er in seinem Wiener Bureau zwei, deu Hofrat von Frei¬
berg und den Kanzleidirektor Blumenstock, der seinen Namen in Halban um¬
geändert hatte. Wer von beiden die Hand im Spiele gehabt hatte, als Baden
die Fehler bei den Sprachenverordunngen machte und sich später zur Gewalt¬
politik gegen die obstruierende» Deutschen verleiten ließ, ist nicht genau fest¬
gestellt worden, jedenfalls leitete sich der Sturz Badens davon her. Vorher
hatten sich aber noch einige Ereignisse von Einfluß abgespielt.
Im März 1897 begannen die Reichsratswahlen nach der neuen Wahl¬
ordnung, und zwar wählte zuerst die neue allgemeine Wühlerklasse (fünfte Kurie),
wobei die Sozialdemokraten auf einen durchschlagenden Erfolg hofften. In
Wien wurden sie offen von der liberalen Presse unterstützt, die von dieser
Seite eine Hilfstruppe gegen die Antisemiten erhoffte. Aber sämtliche neuen
Mandate in Niederösterreich mit Wien sielen diesen zu, und in den andern
Wahlkurien büßten die Dentschliberalen bis auf vier Mandate alle übrigen an
ihre Gegner ein, obgleich schon diesesmal die antisemitischen Schönererianer
mit ihnen die beiden andern antisemitischen Parteien, die deutsche Volkspartei
und die christlichsozialen Anhänger Luegcrs, bekämpften. Auch in andern Kron¬
ländern erlitt die Fortschrittspartei starke Verluste; in Böhmen, wo die Volks¬
partei keinen Führer hatte, machte sich schönerer deren Parteivorarbeit zunutze.
Die Fortschrittspartei, obgleich sie uuter diesem Namen ein halbes Jahr vor
den Wahlen aus der vereinigten Linken ausgetreten war, um ihre besondern
Wahlzwecke zu fördern, schnitt überall mit Verlusten ab, und auch die kräftige
Unterstützung der liberalen Presse vermochte ihr, die sich selbst als den Nach¬
folger der frühern liberalen Partei bezeichnete, nicht zu helfen. Ihr Glück
war noch, daß die aufs doppelte ihrer frühern Anzahl cmgewachsne Bolks-
partei keine einheitliche Leitung hatte, sondern in Ländergrnppen zerfiel, die
auf der einen Seite von der Fortschrittspartei, auf der andern von den
Schönerericmern beeinflußt wurden. Die schwerste Niederlage für die Fort¬
schrittspartei war freilich die in Wien und Niederösterreich, und die liberale
Presse beklagte in schmerzvollen Worten die „zühe Rückständigkeit" von Wien.
Aber die Kaiserstadt hatte doch nahezu ein halbes Jahrhundert, mehr als alle
andern Landesteile, den bildenden Einfluß der liberalen Presse genossen! —
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