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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege

und weithin ist das weiße Feld fleckenlos, ohne eine einzige Menschen- oder Tier¬
spur. Unten liegt der Schnee gegen die Hütten angeweht, ihre breiten Dächer
schauen wie Klippen aus dem Meere, über dem es jetzt Heller zu werden beginnt.
Am Waldrande beginnt in einem kleinen Kalkplattenbruch ein undeutlicher Weg,
der hinabführen muß. Wir folgen ihm; das helle Gebell eines Hundes von weiter
Witterung kündet uns an, daß das Dorf Wohl auch Menschen bergen wird. Der
Weg führt stetig hinab, wird zu einer Art Straße, deren Schnee unrein wird,
und so marschieren wir langsam, immer die Pferde führend, in das Dorf hinein.

Dieses Dorf lag wie im Hohlweg, zu beiden Seiten ging es steil hinauf, und
die kleinen Häuser, manche aus rohem Steinbau, standen eng um das Sträßlein,
die ältesten von ihnen drängten sich bis auf den Weg vor und kümmerten sich nicht
darum, ob sie schief zu ihm standen. Ein einziges ragte über die andern hervor,
es stand auf hohen Mauern an dem Abhang der Mulde, in der das Dörfchen
lag. Doch sah es so verfallen unter seinem schweren dunkeln Dach aus, daß man
zweifeln mochte, ob es bewohnt sei. Ein paar Männer und Weiber sammelten
sich um uns, einige schauten neugierig drein, einige erschraken. Mein Kamerad
sagte leichthin: Hier scheinen wir noch nicht gewesen zu sein. Es fehlten in der
Tat alle Merkmale, die kcmtonierende Truppen in den Dörfern zurücklassen: die
Inschriften an Toren oder Fensterläden, die Reste von Schutzhütten oder Wetter¬
schirmen an den Eingängen und den Ausgängen, die Scheunen, die offenstehn, weil
sie ausgeleert sind, die von Pferden zerstampften Plätze unter Bäumen. Als ich
nach dem Hanse des Maire fragte, zeigte es sich in der Tat, daß die Leute hier
noch nicht die Übung des Verkehrs mit fremden Truppen hatten. Man schickte
nach irgend jemand, doch stellte es sich heraus, daß das der Lehrer war, der für
den im nächsten Weiler wohnenden Ortsvorsteher Schreiberdienste besorgte, ein ver-
wachsner Mensch, der nicht so ganz dumm und unwissend sein mochte, wie er sich
zu stellen schien. Seinem Wunsch, eine halbe Stunde zurück zu dem Weiler des
Maire zu reiten, setzten wir die bestimmte Absicht entgegen, hier zu bleiben. Wir
überschauten beide in demselben Gedanken prüfend die Hütten und die Scheunen.
Wo mochten unsre Pferde am besten aufgehoben sein? Die Aussichten waren nicht
glänzend, das Dörfchen war offenbar ebenso dürftig wie klein. Die Leute, deren
Zahl nnn gewachsen war, schauten zwar absolut friedlich aus, sie wären uns aber
doch gern los gewesen und schilderten das Nachbardorf in hellen Farben.

Auf einmal stand die hohe, breitschultrige Gestalt eines Geistlichen wie aus
der Erde gewachsen hinter dem Haufen, der sich teilte, als er ihn gewahr wurde,
als sei es selbstverständlich, daß er mit uns parlamentieren müsse. Ich fühlte den
prüfenden, fast stechenden Blick kleiner kohlschwarzer Augen auf uns ruhen, grüßte,
stieg vom Pferde und ging auf ihn zu. Der schien nichts andres erwartet zu
haben, fragte sogleich, woher wir kämen, und ob ein größerer Truppenkörper nach¬
kommen werde. Auf meine nicht ganz bestimmte Antwort, die diese Möglichkeit
mit Absicht nicht ausschloß, sagte er, daß wir die ersten Deutschen seien, die den
Weg hierher gefunden hätten. Er ging dann gleich dazu über, die Friedfertigkeit
seiner Dorfbewohner zu loben, und hob sein Bemühen hervor, sie auf diesem Wege
zu erhalten. Sie hätten hier eine Streifpartie von Clinchant gehabt, erzählte er,
schlecht berittne und viel zu leicht gekleidete Truppen, Leute, zum Erbarmen Is,
xg,uvrötö nemo, denen wir, die wir selbst in Friedenszeiten arm sind, gaben, was
wir entbehren konnten. Sonst hat niemand den Weg hier herauf gefunden. Man
hörte zwar deutlich heraus, daß er unsre Ankunft bedauerte und uns vielleicht im
stillen weit weg wünschte, aber ein Blick auf die Dorfbewohner, die sich um uns
gesammelt hatten, bestätigte, was er von ihrer Friedliche sagte. Man konnte
übrigens begreifen, wie ungern er sein Dörfchen noch so spät, vielleicht an der
Schwelle des Friedens, von den Kriegswellen erreicht sah. Es war klein, eigent¬
liche Bauern gab es hier offenbar nicht. Den Leuten, die uns umgaben, sah man
an, daß sie den ganzen Winter an der Hobelbank oder über der Schnitzbank


Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege

und weithin ist das weiße Feld fleckenlos, ohne eine einzige Menschen- oder Tier¬
spur. Unten liegt der Schnee gegen die Hütten angeweht, ihre breiten Dächer
schauen wie Klippen aus dem Meere, über dem es jetzt Heller zu werden beginnt.
Am Waldrande beginnt in einem kleinen Kalkplattenbruch ein undeutlicher Weg,
der hinabführen muß. Wir folgen ihm; das helle Gebell eines Hundes von weiter
Witterung kündet uns an, daß das Dorf Wohl auch Menschen bergen wird. Der
Weg führt stetig hinab, wird zu einer Art Straße, deren Schnee unrein wird,
und so marschieren wir langsam, immer die Pferde führend, in das Dorf hinein.

Dieses Dorf lag wie im Hohlweg, zu beiden Seiten ging es steil hinauf, und
die kleinen Häuser, manche aus rohem Steinbau, standen eng um das Sträßlein,
die ältesten von ihnen drängten sich bis auf den Weg vor und kümmerten sich nicht
darum, ob sie schief zu ihm standen. Ein einziges ragte über die andern hervor,
es stand auf hohen Mauern an dem Abhang der Mulde, in der das Dörfchen
lag. Doch sah es so verfallen unter seinem schweren dunkeln Dach aus, daß man
zweifeln mochte, ob es bewohnt sei. Ein paar Männer und Weiber sammelten
sich um uns, einige schauten neugierig drein, einige erschraken. Mein Kamerad
sagte leichthin: Hier scheinen wir noch nicht gewesen zu sein. Es fehlten in der
Tat alle Merkmale, die kcmtonierende Truppen in den Dörfern zurücklassen: die
Inschriften an Toren oder Fensterläden, die Reste von Schutzhütten oder Wetter¬
schirmen an den Eingängen und den Ausgängen, die Scheunen, die offenstehn, weil
sie ausgeleert sind, die von Pferden zerstampften Plätze unter Bäumen. Als ich
nach dem Hanse des Maire fragte, zeigte es sich in der Tat, daß die Leute hier
noch nicht die Übung des Verkehrs mit fremden Truppen hatten. Man schickte
nach irgend jemand, doch stellte es sich heraus, daß das der Lehrer war, der für
den im nächsten Weiler wohnenden Ortsvorsteher Schreiberdienste besorgte, ein ver-
wachsner Mensch, der nicht so ganz dumm und unwissend sein mochte, wie er sich
zu stellen schien. Seinem Wunsch, eine halbe Stunde zurück zu dem Weiler des
Maire zu reiten, setzten wir die bestimmte Absicht entgegen, hier zu bleiben. Wir
überschauten beide in demselben Gedanken prüfend die Hütten und die Scheunen.
Wo mochten unsre Pferde am besten aufgehoben sein? Die Aussichten waren nicht
glänzend, das Dörfchen war offenbar ebenso dürftig wie klein. Die Leute, deren
Zahl nnn gewachsen war, schauten zwar absolut friedlich aus, sie wären uns aber
doch gern los gewesen und schilderten das Nachbardorf in hellen Farben.

Auf einmal stand die hohe, breitschultrige Gestalt eines Geistlichen wie aus
der Erde gewachsen hinter dem Haufen, der sich teilte, als er ihn gewahr wurde,
als sei es selbstverständlich, daß er mit uns parlamentieren müsse. Ich fühlte den
prüfenden, fast stechenden Blick kleiner kohlschwarzer Augen auf uns ruhen, grüßte,
stieg vom Pferde und ging auf ihn zu. Der schien nichts andres erwartet zu
haben, fragte sogleich, woher wir kämen, und ob ein größerer Truppenkörper nach¬
kommen werde. Auf meine nicht ganz bestimmte Antwort, die diese Möglichkeit
mit Absicht nicht ausschloß, sagte er, daß wir die ersten Deutschen seien, die den
Weg hierher gefunden hätten. Er ging dann gleich dazu über, die Friedfertigkeit
seiner Dorfbewohner zu loben, und hob sein Bemühen hervor, sie auf diesem Wege
zu erhalten. Sie hätten hier eine Streifpartie von Clinchant gehabt, erzählte er,
schlecht berittne und viel zu leicht gekleidete Truppen, Leute, zum Erbarmen Is,
xg,uvrötö nemo, denen wir, die wir selbst in Friedenszeiten arm sind, gaben, was
wir entbehren konnten. Sonst hat niemand den Weg hier herauf gefunden. Man
hörte zwar deutlich heraus, daß er unsre Ankunft bedauerte und uns vielleicht im
stillen weit weg wünschte, aber ein Blick auf die Dorfbewohner, die sich um uns
gesammelt hatten, bestätigte, was er von ihrer Friedliche sagte. Man konnte
übrigens begreifen, wie ungern er sein Dörfchen noch so spät, vielleicht an der
Schwelle des Friedens, von den Kriegswellen erreicht sah. Es war klein, eigent¬
liche Bauern gab es hier offenbar nicht. Den Leuten, die uns umgaben, sah man
an, daß sie den ganzen Winter an der Hobelbank oder über der Schnitzbank


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[0292] Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege und weithin ist das weiße Feld fleckenlos, ohne eine einzige Menschen- oder Tier¬ spur. Unten liegt der Schnee gegen die Hütten angeweht, ihre breiten Dächer schauen wie Klippen aus dem Meere, über dem es jetzt Heller zu werden beginnt. Am Waldrande beginnt in einem kleinen Kalkplattenbruch ein undeutlicher Weg, der hinabführen muß. Wir folgen ihm; das helle Gebell eines Hundes von weiter Witterung kündet uns an, daß das Dorf Wohl auch Menschen bergen wird. Der Weg führt stetig hinab, wird zu einer Art Straße, deren Schnee unrein wird, und so marschieren wir langsam, immer die Pferde führend, in das Dorf hinein. Dieses Dorf lag wie im Hohlweg, zu beiden Seiten ging es steil hinauf, und die kleinen Häuser, manche aus rohem Steinbau, standen eng um das Sträßlein, die ältesten von ihnen drängten sich bis auf den Weg vor und kümmerten sich nicht darum, ob sie schief zu ihm standen. Ein einziges ragte über die andern hervor, es stand auf hohen Mauern an dem Abhang der Mulde, in der das Dörfchen lag. Doch sah es so verfallen unter seinem schweren dunkeln Dach aus, daß man zweifeln mochte, ob es bewohnt sei. Ein paar Männer und Weiber sammelten sich um uns, einige schauten neugierig drein, einige erschraken. Mein Kamerad sagte leichthin: Hier scheinen wir noch nicht gewesen zu sein. Es fehlten in der Tat alle Merkmale, die kcmtonierende Truppen in den Dörfern zurücklassen: die Inschriften an Toren oder Fensterläden, die Reste von Schutzhütten oder Wetter¬ schirmen an den Eingängen und den Ausgängen, die Scheunen, die offenstehn, weil sie ausgeleert sind, die von Pferden zerstampften Plätze unter Bäumen. Als ich nach dem Hanse des Maire fragte, zeigte es sich in der Tat, daß die Leute hier noch nicht die Übung des Verkehrs mit fremden Truppen hatten. Man schickte nach irgend jemand, doch stellte es sich heraus, daß das der Lehrer war, der für den im nächsten Weiler wohnenden Ortsvorsteher Schreiberdienste besorgte, ein ver- wachsner Mensch, der nicht so ganz dumm und unwissend sein mochte, wie er sich zu stellen schien. Seinem Wunsch, eine halbe Stunde zurück zu dem Weiler des Maire zu reiten, setzten wir die bestimmte Absicht entgegen, hier zu bleiben. Wir überschauten beide in demselben Gedanken prüfend die Hütten und die Scheunen. Wo mochten unsre Pferde am besten aufgehoben sein? Die Aussichten waren nicht glänzend, das Dörfchen war offenbar ebenso dürftig wie klein. Die Leute, deren Zahl nnn gewachsen war, schauten zwar absolut friedlich aus, sie wären uns aber doch gern los gewesen und schilderten das Nachbardorf in hellen Farben. Auf einmal stand die hohe, breitschultrige Gestalt eines Geistlichen wie aus der Erde gewachsen hinter dem Haufen, der sich teilte, als er ihn gewahr wurde, als sei es selbstverständlich, daß er mit uns parlamentieren müsse. Ich fühlte den prüfenden, fast stechenden Blick kleiner kohlschwarzer Augen auf uns ruhen, grüßte, stieg vom Pferde und ging auf ihn zu. Der schien nichts andres erwartet zu haben, fragte sogleich, woher wir kämen, und ob ein größerer Truppenkörper nach¬ kommen werde. Auf meine nicht ganz bestimmte Antwort, die diese Möglichkeit mit Absicht nicht ausschloß, sagte er, daß wir die ersten Deutschen seien, die den Weg hierher gefunden hätten. Er ging dann gleich dazu über, die Friedfertigkeit seiner Dorfbewohner zu loben, und hob sein Bemühen hervor, sie auf diesem Wege zu erhalten. Sie hätten hier eine Streifpartie von Clinchant gehabt, erzählte er, schlecht berittne und viel zu leicht gekleidete Truppen, Leute, zum Erbarmen Is, xg,uvrötö nemo, denen wir, die wir selbst in Friedenszeiten arm sind, gaben, was wir entbehren konnten. Sonst hat niemand den Weg hier herauf gefunden. Man hörte zwar deutlich heraus, daß er unsre Ankunft bedauerte und uns vielleicht im stillen weit weg wünschte, aber ein Blick auf die Dorfbewohner, die sich um uns gesammelt hatten, bestätigte, was er von ihrer Friedliche sagte. Man konnte übrigens begreifen, wie ungern er sein Dörfchen noch so spät, vielleicht an der Schwelle des Friedens, von den Kriegswellen erreicht sah. Es war klein, eigent¬ liche Bauern gab es hier offenbar nicht. Den Leuten, die uns umgaben, sah man an, daß sie den ganzen Winter an der Hobelbank oder über der Schnitzbank

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/292>, abgerufen am 22.12.2024.