Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Bedingungen des Bergbaues und des Zechenbetriebs. Ans dem Mitleid mit dieser Es ist ganz unglaublich, welchen Leistungen man in dieser Beziehung während Die Grubenbesitzer erklären mit vollem Recht, daß eine Nachgiebigkeit gegen¬ Maßgebliches und Unmaßgebliches Bedingungen des Bergbaues und des Zechenbetriebs. Ans dem Mitleid mit dieser Es ist ganz unglaublich, welchen Leistungen man in dieser Beziehung während Die Grubenbesitzer erklären mit vollem Recht, daß eine Nachgiebigkeit gegen¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0246" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/87724"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1090" prev="#ID_1089"> Bedingungen des Bergbaues und des Zechenbetriebs. Ans dem Mitleid mit dieser<lb/> mühselig schaffenden Arbeiterwelt des Bergbaues erwächst nur zu leicht die Neigung,<lb/> allen ihren Forderungen ohne weiteres Berechtigung und Anerkennung zuzugestehn,<lb/> dagegen die Zechenverwaltungen und die Grubenbesitzer unbesehen als eine bös¬<lb/> willige, eigennützige Jnteressentenclique hinzustellen, die allein eine unrechtmäßige<lb/> Bereicherung auf Kosten der „hungernden, schlecht bezahlten und schlecht behandelten"<lb/> Bergleute suche.</p><lb/> <p xml:id="ID_1091"> Es ist ganz unglaublich, welchen Leistungen man in dieser Beziehung während<lb/> der letzten Wochen in einem großen, vielleicht dem größten Teil der deutschen<lb/> Zeitungen begegnen konnte, auch in solchen Blättern, die nach ihrer gesamten<lb/> Position gewiß nicht die Aufgabe haben, direkt oder indirekt den Kreuzzug „gegen<lb/> den Kapitalismus" zu predigen. Darauf aber kommt es hinaus, wenn wochenlang<lb/> von Leuten, die von den wirtschaftlichen Bedingungen, der Ordnung und den Er¬<lb/> fordernissen des Bergwerkbetriebs uicht die geringste Ahnung haben, die Zechen¬<lb/> verwaltungen mit Beschuldigungen angegriffen werden, die zum größten Teil dem<lb/> sozialdemokratischen Katechismus entstammen. sozialdemokratische Hetzarbeit liegt<lb/> auch dem jetzigen Streik zugrunde, wie fast jeder Arbeitseinstellung, die mit einem<lb/> Massenkontraktbrnch beginnt. Was auch immerhin an einzelnen Beschwerden der<lb/> Bergarbeiter berechtigt sein mag — und es wird wenig Arbeitsverhältnisse auf<lb/> der Welt geben, bei denen nicht irgendein berechtigter oder unberechtigter Grund<lb/> zur Beschwerde geltend gemacht werden könnte —, so groß waren die Mißstände<lb/> keinesfalls, daß sie einen Massenausstand und vor allen Dingen einen Massen -<lb/> kontraktbruch gerechtfertigt hätten. Dieser — der Kontraktbruch — ist der<lb/> springende Punkt in dem Streit, weil er es den Zechenverwaltungen unmöglich<lb/> macht, mit den Arbeitern in irgendwelche Verhandlungen zu treten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1092" next="#ID_1093"> Die Grubenbesitzer erklären mit vollem Recht, daß eine Nachgiebigkeit gegen¬<lb/> über dem Massenkontraktbrnch sie für alle Zeit um jede Autorität gegenüber den<lb/> Arbeitern bringen und diese dauernd zu Herren der Situation machen würde. Daß<lb/> aber die Grubenbesitzer wenigstens Herren in ihrem Hause bleiben wollen, so gut<lb/> wie der Gutsbesitzer in Hof, Feld und Wald, wird ihnen kein rechtlich Urteilender<lb/> verargen können. Damit steht und fällt unsre gesamte wirtschaftliche Ordnung.<lb/> „Wehe dem Lande, wo Mehrheit siegt und Unverstand entscheidet!" Es war des¬<lb/> halb sehr beifällig zu begrüßen, daß die konservative Partei in der Reichstagssitzung<lb/> vom 20. dieses Monats offen erklärte, die Angelegenheit sei für sie indiskutabel,<lb/> solange der Kontraktbruch andaure. Mit dem Kontraktbruch haben sich die Arbeiter<lb/> ins Unrecht gesetzt, die Wiederaufnahme der Arbeit muß also auch die Bedingung<lb/> jeder staatlichen Aktion sein. Es ist dies um so notwendiger, als füglich den<lb/> Grnbenverwaltungen nicht zugemutet werden darf, mit den Arbeitern vorher über<lb/> neue Arbeitsbedingungen zu verhandeln. Glaubten die Bergleute solche nicht anders<lb/> als dnrch einen allgemeinen Aufstand erreichen zu können, so lag gnr kein Grund<lb/> vor, dies nicht mit vierzehntägiger Kündigung zu tun. Es ist sogar zehn gegen<lb/> eins zu wetten, daß sie damit mehr erreicht und überdem noch vierzehn Tage Lohn<lb/> gehabt hätten. Eine allgemeine Kündigung innerhalb der gesetzlichen Frist würde<lb/> auf die Zechenverwaltungen sicherlich mehr Eindruck und sie zu Verhandlungen ge¬<lb/> neigter gemacht haben; die Arbeiter hätten sich nicht ins Unrecht gesetzt und somit<lb/> der Regierung eine Vermittlung und sogar ein Eingreifen zu ihren Gunsten er¬<lb/> leichtert. Haben die Führer die Massen so in der Gewalt, daß sie sich öffentlich<lb/> für Ruhe und Ordnung verbürgen und im Reichstag erklären können, „der Streik<lb/> werde durch seinen musterhaften Verlauf die Welt in Erstaunen setzen," so hätten<lb/> sie auch für die Jnnehaltnng einer regelrechten Kündigung sorgen und damit wirklich<lb/> dem Streik den Charakter des „musterhaften" sichern können. Das lag aber gar<lb/> nicht in den Absichten der Führer. Die Jnnehaltung der vierzehntägiger Kündigung<lb/> führt dazu, daß die Arbeiter mit Überlegung handeln, und gewährt ihnen Zeit zum<lb/> Nachdenken; sie unterliegen dann weit eher dem Einfluß ihrer Frauen, ihrer sans-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0246]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Bedingungen des Bergbaues und des Zechenbetriebs. Ans dem Mitleid mit dieser
mühselig schaffenden Arbeiterwelt des Bergbaues erwächst nur zu leicht die Neigung,
allen ihren Forderungen ohne weiteres Berechtigung und Anerkennung zuzugestehn,
dagegen die Zechenverwaltungen und die Grubenbesitzer unbesehen als eine bös¬
willige, eigennützige Jnteressentenclique hinzustellen, die allein eine unrechtmäßige
Bereicherung auf Kosten der „hungernden, schlecht bezahlten und schlecht behandelten"
Bergleute suche.
Es ist ganz unglaublich, welchen Leistungen man in dieser Beziehung während
der letzten Wochen in einem großen, vielleicht dem größten Teil der deutschen
Zeitungen begegnen konnte, auch in solchen Blättern, die nach ihrer gesamten
Position gewiß nicht die Aufgabe haben, direkt oder indirekt den Kreuzzug „gegen
den Kapitalismus" zu predigen. Darauf aber kommt es hinaus, wenn wochenlang
von Leuten, die von den wirtschaftlichen Bedingungen, der Ordnung und den Er¬
fordernissen des Bergwerkbetriebs uicht die geringste Ahnung haben, die Zechen¬
verwaltungen mit Beschuldigungen angegriffen werden, die zum größten Teil dem
sozialdemokratischen Katechismus entstammen. sozialdemokratische Hetzarbeit liegt
auch dem jetzigen Streik zugrunde, wie fast jeder Arbeitseinstellung, die mit einem
Massenkontraktbrnch beginnt. Was auch immerhin an einzelnen Beschwerden der
Bergarbeiter berechtigt sein mag — und es wird wenig Arbeitsverhältnisse auf
der Welt geben, bei denen nicht irgendein berechtigter oder unberechtigter Grund
zur Beschwerde geltend gemacht werden könnte —, so groß waren die Mißstände
keinesfalls, daß sie einen Massenausstand und vor allen Dingen einen Massen -
kontraktbruch gerechtfertigt hätten. Dieser — der Kontraktbruch — ist der
springende Punkt in dem Streit, weil er es den Zechenverwaltungen unmöglich
macht, mit den Arbeitern in irgendwelche Verhandlungen zu treten.
Die Grubenbesitzer erklären mit vollem Recht, daß eine Nachgiebigkeit gegen¬
über dem Massenkontraktbrnch sie für alle Zeit um jede Autorität gegenüber den
Arbeitern bringen und diese dauernd zu Herren der Situation machen würde. Daß
aber die Grubenbesitzer wenigstens Herren in ihrem Hause bleiben wollen, so gut
wie der Gutsbesitzer in Hof, Feld und Wald, wird ihnen kein rechtlich Urteilender
verargen können. Damit steht und fällt unsre gesamte wirtschaftliche Ordnung.
„Wehe dem Lande, wo Mehrheit siegt und Unverstand entscheidet!" Es war des¬
halb sehr beifällig zu begrüßen, daß die konservative Partei in der Reichstagssitzung
vom 20. dieses Monats offen erklärte, die Angelegenheit sei für sie indiskutabel,
solange der Kontraktbruch andaure. Mit dem Kontraktbruch haben sich die Arbeiter
ins Unrecht gesetzt, die Wiederaufnahme der Arbeit muß also auch die Bedingung
jeder staatlichen Aktion sein. Es ist dies um so notwendiger, als füglich den
Grnbenverwaltungen nicht zugemutet werden darf, mit den Arbeitern vorher über
neue Arbeitsbedingungen zu verhandeln. Glaubten die Bergleute solche nicht anders
als dnrch einen allgemeinen Aufstand erreichen zu können, so lag gnr kein Grund
vor, dies nicht mit vierzehntägiger Kündigung zu tun. Es ist sogar zehn gegen
eins zu wetten, daß sie damit mehr erreicht und überdem noch vierzehn Tage Lohn
gehabt hätten. Eine allgemeine Kündigung innerhalb der gesetzlichen Frist würde
auf die Zechenverwaltungen sicherlich mehr Eindruck und sie zu Verhandlungen ge¬
neigter gemacht haben; die Arbeiter hätten sich nicht ins Unrecht gesetzt und somit
der Regierung eine Vermittlung und sogar ein Eingreifen zu ihren Gunsten er¬
leichtert. Haben die Führer die Massen so in der Gewalt, daß sie sich öffentlich
für Ruhe und Ordnung verbürgen und im Reichstag erklären können, „der Streik
werde durch seinen musterhaften Verlauf die Welt in Erstaunen setzen," so hätten
sie auch für die Jnnehaltnng einer regelrechten Kündigung sorgen und damit wirklich
dem Streik den Charakter des „musterhaften" sichern können. Das lag aber gar
nicht in den Absichten der Führer. Die Jnnehaltung der vierzehntägiger Kündigung
führt dazu, daß die Arbeiter mit Überlegung handeln, und gewährt ihnen Zeit zum
Nachdenken; sie unterliegen dann weit eher dem Einfluß ihrer Frauen, ihrer sans-
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