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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Im alten Brüssel

O du! rief sie begeistert und warf beide Arme Ovale um den Hals und
küßte in das blasse Knabengesicht, wo es eben hintraf.

Laß doch! wehrte dieser unwillig und schob sie hastig von sich, wobei er um
sich schielte, ob er auch keine Zuschauer bei dem unerwarteten Überfall gehabt hatte.
Benimm dich doch anständig, mahnte er weise.

Aber Fintjes Freude ließ sich so schnell nicht dämpfen. Während sie nun
strahlenden Auges neben ihm hertänzelte, packte sie ihn plötzlich am Arm und sagte:
Du, Ovale, halt dich recht gerade, streck dich ein bißchen, daß du aussiehst wie
ein Erwachsner, ich bin auch nicht mehr so gar klein, da halten sie uns am Ende
für Liebesleute im Jardin rompu und sagen: "Ach, da kommt wieder einer mit
seinem Schatz." Och! Und Fintje kreischte wieder ebenso laut und ausgelassen auf
wie vorhin.

In der alten Wirtschaft zum Jardin rompu spielte ein vollständiges Musik¬
orchester vom hellen Mittag bis in die halbe Nacht hinein für fünf Franken. Und
die Marolliens hießen dieses lärmende Gedudel Konzert, saßen vor ihren Gläsern
und waren guter Dinge.

Ovale und Fintje aber waren von allen Wohl die wenigst geschwätzigen, die an¬
dächtigsten Zuhörer. Und sie hielten lange aus vor ihren zwei leeren Gläsern,
bis die Lampen angezündet wurden, und die Gesellschaft intimer wurde, und alles
zusammenrückte um einen großen Tisch.

süsse Peperkoek wollte jetzt ein Lied vortragen, er sprang auf den Tisch und
reckte die kurze, schmächtige Gestalt. Auch Ovale und Fintje waren aufgestanden
und drängten sich näher zu dem Tisch. Mit erstaunlich kräftiger Stimme begann
der Kleine auf dem Tisch sein Lied:

Was gemeint sei mit dieser kg-usus' Isyon, verstanden die Hörer nicht, aber
der Name nettete Perle Amour gefiel und rief ein Lächeln auch auf den stumpf¬
sinnigsten Gesichtern wach.

Das Lächeln war erstorben. Verächtlich sahen sie einander an: Das ist eine,
diese Stolze, pfui!

Die Gesichter aller sahen erregt aus, aber kein Mitleid prägte sich in den
zuckenden Zügen aus. V'sse bisn ks.it, murrten sie.


Im alten Brüssel

O du! rief sie begeistert und warf beide Arme Ovale um den Hals und
küßte in das blasse Knabengesicht, wo es eben hintraf.

Laß doch! wehrte dieser unwillig und schob sie hastig von sich, wobei er um
sich schielte, ob er auch keine Zuschauer bei dem unerwarteten Überfall gehabt hatte.
Benimm dich doch anständig, mahnte er weise.

Aber Fintjes Freude ließ sich so schnell nicht dämpfen. Während sie nun
strahlenden Auges neben ihm hertänzelte, packte sie ihn plötzlich am Arm und sagte:
Du, Ovale, halt dich recht gerade, streck dich ein bißchen, daß du aussiehst wie
ein Erwachsner, ich bin auch nicht mehr so gar klein, da halten sie uns am Ende
für Liebesleute im Jardin rompu und sagen: „Ach, da kommt wieder einer mit
seinem Schatz." Och! Und Fintje kreischte wieder ebenso laut und ausgelassen auf
wie vorhin.

In der alten Wirtschaft zum Jardin rompu spielte ein vollständiges Musik¬
orchester vom hellen Mittag bis in die halbe Nacht hinein für fünf Franken. Und
die Marolliens hießen dieses lärmende Gedudel Konzert, saßen vor ihren Gläsern
und waren guter Dinge.

Ovale und Fintje aber waren von allen Wohl die wenigst geschwätzigen, die an¬
dächtigsten Zuhörer. Und sie hielten lange aus vor ihren zwei leeren Gläsern,
bis die Lampen angezündet wurden, und die Gesellschaft intimer wurde, und alles
zusammenrückte um einen großen Tisch.

süsse Peperkoek wollte jetzt ein Lied vortragen, er sprang auf den Tisch und
reckte die kurze, schmächtige Gestalt. Auch Ovale und Fintje waren aufgestanden
und drängten sich näher zu dem Tisch. Mit erstaunlich kräftiger Stimme begann
der Kleine auf dem Tisch sein Lied:

Was gemeint sei mit dieser kg-usus' Isyon, verstanden die Hörer nicht, aber
der Name nettete Perle Amour gefiel und rief ein Lächeln auch auf den stumpf¬
sinnigsten Gesichtern wach.

Das Lächeln war erstorben. Verächtlich sahen sie einander an: Das ist eine,
diese Stolze, pfui!

Die Gesichter aller sahen erregt aus, aber kein Mitleid prägte sich in den
zuckenden Zügen aus. V'sse bisn ks.it, murrten sie.


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[0178] Im alten Brüssel O du! rief sie begeistert und warf beide Arme Ovale um den Hals und küßte in das blasse Knabengesicht, wo es eben hintraf. Laß doch! wehrte dieser unwillig und schob sie hastig von sich, wobei er um sich schielte, ob er auch keine Zuschauer bei dem unerwarteten Überfall gehabt hatte. Benimm dich doch anständig, mahnte er weise. Aber Fintjes Freude ließ sich so schnell nicht dämpfen. Während sie nun strahlenden Auges neben ihm hertänzelte, packte sie ihn plötzlich am Arm und sagte: Du, Ovale, halt dich recht gerade, streck dich ein bißchen, daß du aussiehst wie ein Erwachsner, ich bin auch nicht mehr so gar klein, da halten sie uns am Ende für Liebesleute im Jardin rompu und sagen: „Ach, da kommt wieder einer mit seinem Schatz." Och! Und Fintje kreischte wieder ebenso laut und ausgelassen auf wie vorhin. In der alten Wirtschaft zum Jardin rompu spielte ein vollständiges Musik¬ orchester vom hellen Mittag bis in die halbe Nacht hinein für fünf Franken. Und die Marolliens hießen dieses lärmende Gedudel Konzert, saßen vor ihren Gläsern und waren guter Dinge. Ovale und Fintje aber waren von allen Wohl die wenigst geschwätzigen, die an¬ dächtigsten Zuhörer. Und sie hielten lange aus vor ihren zwei leeren Gläsern, bis die Lampen angezündet wurden, und die Gesellschaft intimer wurde, und alles zusammenrückte um einen großen Tisch. süsse Peperkoek wollte jetzt ein Lied vortragen, er sprang auf den Tisch und reckte die kurze, schmächtige Gestalt. Auch Ovale und Fintje waren aufgestanden und drängten sich näher zu dem Tisch. Mit erstaunlich kräftiger Stimme begann der Kleine auf dem Tisch sein Lied: Was gemeint sei mit dieser kg-usus' Isyon, verstanden die Hörer nicht, aber der Name nettete Perle Amour gefiel und rief ein Lächeln auch auf den stumpf¬ sinnigsten Gesichtern wach. Das Lächeln war erstorben. Verächtlich sahen sie einander an: Das ist eine, diese Stolze, pfui! Die Gesichter aller sahen erregt aus, aber kein Mitleid prägte sich in den zuckenden Zügen aus. V'sse bisn ks.it, murrten sie.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/178>, abgerufen am 22.12.2024.