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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Bilder aus dem deutsch-französischen Rriege

die ohne Schaden in der Luft platzten, kündete uns an, daß man in der Festung
das kleine Gefecht bemerkt hatte. An der letzten Biegung der Straße, wo man
das umstrittne Haus noch sehen konnte, wandte sich der Leutnant um, der, kurz¬
sichtig, als er eine Gestalt über die Straße huschen sah, mein Gewehr nahm und
abschoß; wir hörten den andern Tag, daß er ein Mädchen tödlich getroffen hatte,
das nach dem Toten oder Schwerverwundeten habe sehen wollen, der in dem
Hause zurückgeblieben war. Zur Feldwache zurückgekehrt, empfing uns der Haupt¬
mann mit Blicken, in denen man etwas wie Anerkennung lesen konnte, und ließ
sich vom Leutnant genauen Bericht erstatten. Die Gefangnen wurden gleich zurück¬
gesandt "zu den andern." In Neudorf blieb es einige Tage vollkommen ruhig,
bis ein nächtlicher Ausfall die Posten des Regiments, das uns abgelöst hatte, ganz
daraus verdrängte, worauf es den nächsten Morgen mit geringem Verlust auf
unsrer Seite wiedergenommen wurde. Die Besatzung der Festung fing damals
schon an zu erschlaffen, und bald ließ sie uns ganz unbehelligt im Besitz des
Dörfchens. Haders entschiednes und wohlüberlegtes Auftreten in dieser kleinen
Affäre wurde in der ganzen Kompagnie anerkannt, besonders der Leutnant hatte
eine Vorliebe für ihn gewonnen. Wenn er auch noch mehrmals Gelegenheit fand,
sich auszuzeichnen und wohl schwierigere Aufgaben zu lösen, so war doch einmal
sein Ruf festgestellt! er gehörte von da an zu den Soldaten, auf die sich die
Kompagnie in allen Fällen verlassen konnte. An seiner Bescheidenheit und seinem
Gleichmut ging aber diese Erhöhung seines Ansehens ganz spurlos vorüber, höchstens,
daß sie ihn anspornte, noch sorgsamer auch die kleinen Pflichten des Soldaten zu
üben. Sogar seinen vertrautesten Kameraden gegenüber sprach er nicht gern von
dein Neudörfel Straßengefecht, lenkte sogar ab, wenn die Unterhaltung darauf kam,
und wir fanden mit der Zeit heraus, daß von dem letzten unglücklichen Schuß,
deu der Leutnant abgefeuert hatte, für Haber ein Schatten ausging, der in seiner
Erinnerung auf dem fröhlichen Kampfe lag. Das arme, unschuldige Mädchen, hörte
ich ihn das einzige mal sagen, wo er noch einmal jenes Tages gedachte, fällt ohne
Schuld und ohne Waffen, nud wir, deren Sache es ist, zu töten und getötet zu
werden, gehn unbeschädigt aus dem Kampfe hervor. Ein solcher Schuß kann die
Lust am Kriege verderben.

Als ich im Februar 1871 als Rekonvaleszent leichten Garnisondienst in
einer süddeutschen Stadt nahe am Rhein tat, wurde ich in eine der Lazarettbaracken
gerufen, um zur nachträglichen Identifizierung eines Unteroffiziers meines Regiments
beizutragen, der mit einem großen Verwundetentransport von Belfort angekommen
war. Eine schwere Schädelwunde hatte ihn bewußtlos gemacht, und er war nicht
wieder zum Bewußtsein gekommen, solange er im Lazarett gelegen hatte; er war
langsam hinübergeschlummert und war schon begraben, als ich der Botschaft folgen
konnte. Keine Papiere, sein Tornister war nicht mit eingeliefert worden; doch
hatte man seine Gewehrnnmmer aufgezeichnet und die Blechmarke, die er um den
Hals getragen hatte, aufbewahrt. Damals herrschte in diesen Lazaretten so nahe
beim Kriegsschauplatz oft große Verwirrung, weniger wegen der Verwundeten aus
den letzten Schlachten bei Belfort, Dijon, Le Mans und Paris, als weil die
Krankenzahl im Januar in unerhörtem Maße gestiegen war; und dazu kamen nun
diese neuen Transporte, die schon deshalb sehr stark waren, weil die Truppen im
raschen Vorrücken möglichst viel Marschunfähige abschoben. Die Uniform zeigte
mir zu meiner Überraschung, daß der Mann meiner Kompagnie angehört hatte.
Haben Sie sonst gar nichts mehr von dem Toten? fragte ich den Lazarett¬
vorstand. -- Alles ist hier, sagte er mit der trocknen Geschäftsmäßigkeit solcher
Leute und deutete auf ein kleines Gefach in einer Schublade: da lag ein Gewehr¬
schraubenschlüssel, ein altes Messer mit Hornheft und ein ledernes Zugbeutelchen;
diese beiden Dinge kamen mir so bekannt vor, daß ich einen Stich im Herzen
fühlte. Und der Inhalt des Beutelchens? Fast nichts; ein paar Münzen und
Knöpfe; hier ein Kompagnieknopf mit einem Zweier. Und dann noch dieses


Bilder aus dem deutsch-französischen Rriege

die ohne Schaden in der Luft platzten, kündete uns an, daß man in der Festung
das kleine Gefecht bemerkt hatte. An der letzten Biegung der Straße, wo man
das umstrittne Haus noch sehen konnte, wandte sich der Leutnant um, der, kurz¬
sichtig, als er eine Gestalt über die Straße huschen sah, mein Gewehr nahm und
abschoß; wir hörten den andern Tag, daß er ein Mädchen tödlich getroffen hatte,
das nach dem Toten oder Schwerverwundeten habe sehen wollen, der in dem
Hause zurückgeblieben war. Zur Feldwache zurückgekehrt, empfing uns der Haupt¬
mann mit Blicken, in denen man etwas wie Anerkennung lesen konnte, und ließ
sich vom Leutnant genauen Bericht erstatten. Die Gefangnen wurden gleich zurück¬
gesandt „zu den andern." In Neudorf blieb es einige Tage vollkommen ruhig,
bis ein nächtlicher Ausfall die Posten des Regiments, das uns abgelöst hatte, ganz
daraus verdrängte, worauf es den nächsten Morgen mit geringem Verlust auf
unsrer Seite wiedergenommen wurde. Die Besatzung der Festung fing damals
schon an zu erschlaffen, und bald ließ sie uns ganz unbehelligt im Besitz des
Dörfchens. Haders entschiednes und wohlüberlegtes Auftreten in dieser kleinen
Affäre wurde in der ganzen Kompagnie anerkannt, besonders der Leutnant hatte
eine Vorliebe für ihn gewonnen. Wenn er auch noch mehrmals Gelegenheit fand,
sich auszuzeichnen und wohl schwierigere Aufgaben zu lösen, so war doch einmal
sein Ruf festgestellt! er gehörte von da an zu den Soldaten, auf die sich die
Kompagnie in allen Fällen verlassen konnte. An seiner Bescheidenheit und seinem
Gleichmut ging aber diese Erhöhung seines Ansehens ganz spurlos vorüber, höchstens,
daß sie ihn anspornte, noch sorgsamer auch die kleinen Pflichten des Soldaten zu
üben. Sogar seinen vertrautesten Kameraden gegenüber sprach er nicht gern von
dein Neudörfel Straßengefecht, lenkte sogar ab, wenn die Unterhaltung darauf kam,
und wir fanden mit der Zeit heraus, daß von dem letzten unglücklichen Schuß,
deu der Leutnant abgefeuert hatte, für Haber ein Schatten ausging, der in seiner
Erinnerung auf dem fröhlichen Kampfe lag. Das arme, unschuldige Mädchen, hörte
ich ihn das einzige mal sagen, wo er noch einmal jenes Tages gedachte, fällt ohne
Schuld und ohne Waffen, nud wir, deren Sache es ist, zu töten und getötet zu
werden, gehn unbeschädigt aus dem Kampfe hervor. Ein solcher Schuß kann die
Lust am Kriege verderben.

Als ich im Februar 1871 als Rekonvaleszent leichten Garnisondienst in
einer süddeutschen Stadt nahe am Rhein tat, wurde ich in eine der Lazarettbaracken
gerufen, um zur nachträglichen Identifizierung eines Unteroffiziers meines Regiments
beizutragen, der mit einem großen Verwundetentransport von Belfort angekommen
war. Eine schwere Schädelwunde hatte ihn bewußtlos gemacht, und er war nicht
wieder zum Bewußtsein gekommen, solange er im Lazarett gelegen hatte; er war
langsam hinübergeschlummert und war schon begraben, als ich der Botschaft folgen
konnte. Keine Papiere, sein Tornister war nicht mit eingeliefert worden; doch
hatte man seine Gewehrnnmmer aufgezeichnet und die Blechmarke, die er um den
Hals getragen hatte, aufbewahrt. Damals herrschte in diesen Lazaretten so nahe
beim Kriegsschauplatz oft große Verwirrung, weniger wegen der Verwundeten aus
den letzten Schlachten bei Belfort, Dijon, Le Mans und Paris, als weil die
Krankenzahl im Januar in unerhörtem Maße gestiegen war; und dazu kamen nun
diese neuen Transporte, die schon deshalb sehr stark waren, weil die Truppen im
raschen Vorrücken möglichst viel Marschunfähige abschoben. Die Uniform zeigte
mir zu meiner Überraschung, daß der Mann meiner Kompagnie angehört hatte.
Haben Sie sonst gar nichts mehr von dem Toten? fragte ich den Lazarett¬
vorstand. — Alles ist hier, sagte er mit der trocknen Geschäftsmäßigkeit solcher
Leute und deutete auf ein kleines Gefach in einer Schublade: da lag ein Gewehr¬
schraubenschlüssel, ein altes Messer mit Hornheft und ein ledernes Zugbeutelchen;
diese beiden Dinge kamen mir so bekannt vor, daß ich einen Stich im Herzen
fühlte. Und der Inhalt des Beutelchens? Fast nichts; ein paar Münzen und
Knöpfe; hier ein Kompagnieknopf mit einem Zweier. Und dann noch dieses


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/174>, abgerufen am 22.12.2024.