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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege

"schmetternden" Gewehrübernehmen braun und bien geworden. Es ist ja recht
löblich, daß du die Dinge ernst nimmst; du brauchst aber den Schießprügel darum
nicht so furchtbar auf die Schulter zu werfen, das nutzt uns nichts und schadet
keinem Franzosen was. Dagegen rate ich dir, beim Präsentieren den Bauch etwas
mehr einzuziehn, daß das Gewehr die Sehne eines Bogenabschnitts bildet, um
dessen Peripherie der ganze Musketier sozusagen herumgeschwungen ist. -- Donner¬
wetter, Reiske, du nimmst diese Dinge tief. Du scheinst jetzt deine akademischen
Denkgewohnheiten auf die Durchleuchtung des Exerzierreglements zu verwenden.

Ja, sagte Reiske, ich habe genug darüber nachgedacht. Und wenn du es
hören willst, gebe ich dir einmal im gedrungensten Stil meine philosophische Lehre
von den Gewehrgriffen zum besten. Für heute sozusagen nur die Überschrift oder
das Extrakt: Die Idee der Griffe ist die Aufnahme des Gewehrs in den ganzen
körperlichen und geistigen Menschen des Soldaten. Diese Inkorporation einer
starren Waffe aus Holz und Stahl kann aber nicht verwirklicht werden, ohne daß
in Holz und Stahl die Liebe übergeht. Das Leder des Gewehrriemens nenne
ich nicht besonders, weil es mit dem Wesen des Gewehrs nichts zu tun hat^
totes mechanisches Anhängsel! Merkst du, wie hier die Forderung der Griff¬
fertigkeit, die dem Unteroffizier erhebt, mit der zusammentrifft, die der Büchsen¬
macher stellt, daß der Soldat sein Gewehr so rein halten müsse wie seinen
Körper? Mindestens so rein! Dieses ist eine Forderung der soldatischen Tugend¬
haftigkeit, das andre ist eine umfassendere, die sich auf deu ganzen Charakter und
dessen Betätigung in der soldatischen Lebenserscheinung und -führung erstreckt.
Zur Erfüllung der Tngendforderung rostfleckenloser Reinheit des Gewehrlaufs kann
nun jeder erzogen werden, sagen wir fast jeder, denn es gibt ja Neinlichkeits-
idioten. Dagegen zum Sichemporschwingen der Gewehrgriffe ans der mechanischen
Übung deiner Knochen und Muskeln gehört Talent. Du stehst vor einem Manne,
der dieses Talent hat, da siehst du, während er Gewehr über! macht, überhaupt
kein Gewehr, das zuckt nur so durch die Luft, und wenn es nun auch wie ein
Wetterstrahl auf die Schulter saust, hast du nicht die Vorstellung, es liege nun
ein Gewicht von zwölf Pfand auf der Schulter, sondern du sagst: Dieser Mann
hat nur einmal seinen rechten Arm zu einer harmonischen Bewegung aufgeschwungen,
und da es ihm ganz gleich ist, ob der Gewehrkolben der Erde aufruht oder in
seiner linken Hand gehalten wird, so hat das Gewehr einfach mitgeschwungen.
Und wenn du General wärest (was Gott verhüte!) und würdest dasselbe Talent
für Gewehrgriffe vor dir präsentieren sehen, so würdest dn den Eindruck haben,
der Mann bietet mir ans Deferenz sein Gewehr an, aber ich sehe an der Art,
wie ers hält, daß es mit ihm verwachsen ist, und daß nicht einmal ein General
es ihm entwinden konnte. Dabei kommt nun eben mich der Winkel von 89 Grad
in Frage . . .

Lieber Freund, sagte ich, dn bist ohne Zweifel auf dem besten Wege, ein zweiter
Clausewitz, wenn anch erst in der Sphäre des Musketiers, zu werden, und ich be-
wundre deine Gewehrphilosophie aufrichtig; aber für den Augenblick lasse einmal
deinen hohen Geist herabsteigen und diese blutige Schwiele in meiner Hand be¬
trachten. Wie kann ich sie wegbringen? Ich möchte morgen arbeitsfähig sein, aber
mit dieser Hand werde ich mit dem besten Willen keine Schaufel schwingen. --
O. das ist nicht viel, das haben wir alle gehabt. Aus dieser Blutblase wirst du
die beste Schwiele des Regiments Heranpflegen, wenn du das Blut herausdrückst,
daun die Stelle mit Hirschtalg dick einschmierst und die ganze Hand die Nacht
über verbunden hältst. Und wenn die Schwiele fertig ist, wirst du noch ganz
andre Griffe machen. Übrigens versteht sich Haber ausgezeichnet anch auf diese
Dinge. -- Und Haber, auch hier hilfbereit, knetet meine Hand, bis das brennende
Gefühl heraus ist, salbt sie, verbindet sie, und ich kann mit Ruhe dem nächsten
Tag entgegensehen. Welche Schmach, wenn ich schon am zweiten Feldzugstage von
der Arbeit hatte wegbleiben müssen! Diese Nacht legte ich mich nicht als Gedul-


Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege

„schmetternden" Gewehrübernehmen braun und bien geworden. Es ist ja recht
löblich, daß du die Dinge ernst nimmst; du brauchst aber den Schießprügel darum
nicht so furchtbar auf die Schulter zu werfen, das nutzt uns nichts und schadet
keinem Franzosen was. Dagegen rate ich dir, beim Präsentieren den Bauch etwas
mehr einzuziehn, daß das Gewehr die Sehne eines Bogenabschnitts bildet, um
dessen Peripherie der ganze Musketier sozusagen herumgeschwungen ist. — Donner¬
wetter, Reiske, du nimmst diese Dinge tief. Du scheinst jetzt deine akademischen
Denkgewohnheiten auf die Durchleuchtung des Exerzierreglements zu verwenden.

Ja, sagte Reiske, ich habe genug darüber nachgedacht. Und wenn du es
hören willst, gebe ich dir einmal im gedrungensten Stil meine philosophische Lehre
von den Gewehrgriffen zum besten. Für heute sozusagen nur die Überschrift oder
das Extrakt: Die Idee der Griffe ist die Aufnahme des Gewehrs in den ganzen
körperlichen und geistigen Menschen des Soldaten. Diese Inkorporation einer
starren Waffe aus Holz und Stahl kann aber nicht verwirklicht werden, ohne daß
in Holz und Stahl die Liebe übergeht. Das Leder des Gewehrriemens nenne
ich nicht besonders, weil es mit dem Wesen des Gewehrs nichts zu tun hat^
totes mechanisches Anhängsel! Merkst du, wie hier die Forderung der Griff¬
fertigkeit, die dem Unteroffizier erhebt, mit der zusammentrifft, die der Büchsen¬
macher stellt, daß der Soldat sein Gewehr so rein halten müsse wie seinen
Körper? Mindestens so rein! Dieses ist eine Forderung der soldatischen Tugend¬
haftigkeit, das andre ist eine umfassendere, die sich auf deu ganzen Charakter und
dessen Betätigung in der soldatischen Lebenserscheinung und -führung erstreckt.
Zur Erfüllung der Tngendforderung rostfleckenloser Reinheit des Gewehrlaufs kann
nun jeder erzogen werden, sagen wir fast jeder, denn es gibt ja Neinlichkeits-
idioten. Dagegen zum Sichemporschwingen der Gewehrgriffe ans der mechanischen
Übung deiner Knochen und Muskeln gehört Talent. Du stehst vor einem Manne,
der dieses Talent hat, da siehst du, während er Gewehr über! macht, überhaupt
kein Gewehr, das zuckt nur so durch die Luft, und wenn es nun auch wie ein
Wetterstrahl auf die Schulter saust, hast du nicht die Vorstellung, es liege nun
ein Gewicht von zwölf Pfand auf der Schulter, sondern du sagst: Dieser Mann
hat nur einmal seinen rechten Arm zu einer harmonischen Bewegung aufgeschwungen,
und da es ihm ganz gleich ist, ob der Gewehrkolben der Erde aufruht oder in
seiner linken Hand gehalten wird, so hat das Gewehr einfach mitgeschwungen.
Und wenn du General wärest (was Gott verhüte!) und würdest dasselbe Talent
für Gewehrgriffe vor dir präsentieren sehen, so würdest dn den Eindruck haben,
der Mann bietet mir ans Deferenz sein Gewehr an, aber ich sehe an der Art,
wie ers hält, daß es mit ihm verwachsen ist, und daß nicht einmal ein General
es ihm entwinden konnte. Dabei kommt nun eben mich der Winkel von 89 Grad
in Frage . . .

Lieber Freund, sagte ich, dn bist ohne Zweifel auf dem besten Wege, ein zweiter
Clausewitz, wenn anch erst in der Sphäre des Musketiers, zu werden, und ich be-
wundre deine Gewehrphilosophie aufrichtig; aber für den Augenblick lasse einmal
deinen hohen Geist herabsteigen und diese blutige Schwiele in meiner Hand be¬
trachten. Wie kann ich sie wegbringen? Ich möchte morgen arbeitsfähig sein, aber
mit dieser Hand werde ich mit dem besten Willen keine Schaufel schwingen. —
O. das ist nicht viel, das haben wir alle gehabt. Aus dieser Blutblase wirst du
die beste Schwiele des Regiments Heranpflegen, wenn du das Blut herausdrückst,
daun die Stelle mit Hirschtalg dick einschmierst und die ganze Hand die Nacht
über verbunden hältst. Und wenn die Schwiele fertig ist, wirst du noch ganz
andre Griffe machen. Übrigens versteht sich Haber ausgezeichnet anch auf diese
Dinge. — Und Haber, auch hier hilfbereit, knetet meine Hand, bis das brennende
Gefühl heraus ist, salbt sie, verbindet sie, und ich kann mit Ruhe dem nächsten
Tag entgegensehen. Welche Schmach, wenn ich schon am zweiten Feldzugstage von
der Arbeit hatte wegbleiben müssen! Diese Nacht legte ich mich nicht als Gedul-


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[0112] Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege „schmetternden" Gewehrübernehmen braun und bien geworden. Es ist ja recht löblich, daß du die Dinge ernst nimmst; du brauchst aber den Schießprügel darum nicht so furchtbar auf die Schulter zu werfen, das nutzt uns nichts und schadet keinem Franzosen was. Dagegen rate ich dir, beim Präsentieren den Bauch etwas mehr einzuziehn, daß das Gewehr die Sehne eines Bogenabschnitts bildet, um dessen Peripherie der ganze Musketier sozusagen herumgeschwungen ist. — Donner¬ wetter, Reiske, du nimmst diese Dinge tief. Du scheinst jetzt deine akademischen Denkgewohnheiten auf die Durchleuchtung des Exerzierreglements zu verwenden. Ja, sagte Reiske, ich habe genug darüber nachgedacht. Und wenn du es hören willst, gebe ich dir einmal im gedrungensten Stil meine philosophische Lehre von den Gewehrgriffen zum besten. Für heute sozusagen nur die Überschrift oder das Extrakt: Die Idee der Griffe ist die Aufnahme des Gewehrs in den ganzen körperlichen und geistigen Menschen des Soldaten. Diese Inkorporation einer starren Waffe aus Holz und Stahl kann aber nicht verwirklicht werden, ohne daß in Holz und Stahl die Liebe übergeht. Das Leder des Gewehrriemens nenne ich nicht besonders, weil es mit dem Wesen des Gewehrs nichts zu tun hat^ totes mechanisches Anhängsel! Merkst du, wie hier die Forderung der Griff¬ fertigkeit, die dem Unteroffizier erhebt, mit der zusammentrifft, die der Büchsen¬ macher stellt, daß der Soldat sein Gewehr so rein halten müsse wie seinen Körper? Mindestens so rein! Dieses ist eine Forderung der soldatischen Tugend¬ haftigkeit, das andre ist eine umfassendere, die sich auf deu ganzen Charakter und dessen Betätigung in der soldatischen Lebenserscheinung und -führung erstreckt. Zur Erfüllung der Tngendforderung rostfleckenloser Reinheit des Gewehrlaufs kann nun jeder erzogen werden, sagen wir fast jeder, denn es gibt ja Neinlichkeits- idioten. Dagegen zum Sichemporschwingen der Gewehrgriffe ans der mechanischen Übung deiner Knochen und Muskeln gehört Talent. Du stehst vor einem Manne, der dieses Talent hat, da siehst du, während er Gewehr über! macht, überhaupt kein Gewehr, das zuckt nur so durch die Luft, und wenn es nun auch wie ein Wetterstrahl auf die Schulter saust, hast du nicht die Vorstellung, es liege nun ein Gewicht von zwölf Pfand auf der Schulter, sondern du sagst: Dieser Mann hat nur einmal seinen rechten Arm zu einer harmonischen Bewegung aufgeschwungen, und da es ihm ganz gleich ist, ob der Gewehrkolben der Erde aufruht oder in seiner linken Hand gehalten wird, so hat das Gewehr einfach mitgeschwungen. Und wenn du General wärest (was Gott verhüte!) und würdest dasselbe Talent für Gewehrgriffe vor dir präsentieren sehen, so würdest dn den Eindruck haben, der Mann bietet mir ans Deferenz sein Gewehr an, aber ich sehe an der Art, wie ers hält, daß es mit ihm verwachsen ist, und daß nicht einmal ein General es ihm entwinden konnte. Dabei kommt nun eben mich der Winkel von 89 Grad in Frage . . . Lieber Freund, sagte ich, dn bist ohne Zweifel auf dem besten Wege, ein zweiter Clausewitz, wenn anch erst in der Sphäre des Musketiers, zu werden, und ich be- wundre deine Gewehrphilosophie aufrichtig; aber für den Augenblick lasse einmal deinen hohen Geist herabsteigen und diese blutige Schwiele in meiner Hand be¬ trachten. Wie kann ich sie wegbringen? Ich möchte morgen arbeitsfähig sein, aber mit dieser Hand werde ich mit dem besten Willen keine Schaufel schwingen. — O. das ist nicht viel, das haben wir alle gehabt. Aus dieser Blutblase wirst du die beste Schwiele des Regiments Heranpflegen, wenn du das Blut herausdrückst, daun die Stelle mit Hirschtalg dick einschmierst und die ganze Hand die Nacht über verbunden hältst. Und wenn die Schwiele fertig ist, wirst du noch ganz andre Griffe machen. Übrigens versteht sich Haber ausgezeichnet anch auf diese Dinge. — Und Haber, auch hier hilfbereit, knetet meine Hand, bis das brennende Gefühl heraus ist, salbt sie, verbindet sie, und ich kann mit Ruhe dem nächsten Tag entgegensehen. Welche Schmach, wenn ich schon am zweiten Feldzugstage von der Arbeit hatte wegbleiben müssen! Diese Nacht legte ich mich nicht als Gedul-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/112>, abgerufen am 22.12.2024.