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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege

zur Schanzarbeit antreten würden. So, jetzt leg dich zwischen uns hin, ich werde
versuchen, mich etwas tiefer in die Mauer hineinzudrücken, dein Nachbar links ist
unser guter Kamerad Haber, von dem du manches lernen wirst, was der Musketier
heutzutage braucht.

Dieser Nachbar schien schon gerückt zu haben, ich fand noch Raum genug,
indem ich mich auf die Schmalseite ^ Is, Hering legte, und muß sofort in Schlaf
versunken sein, hörte auch uicht, wie um zwei Uhr der Posten abgelöst wurde; als
ich aber beim Frühsonnenlicht erwachte, war der Platz meines Nachbars zur Linken
leer, und er schien vor seinem Weggang sein Lagerstroh auf mich gelegt zu haben,
denn ich fühlte mich in höchst wohltuender Weise zugedeckt.

Das war die erste Liebe, mein Freund Haber, die ich von dir erfahren habe.
Wie oft habe ich seitdem deinen Zartsinn erprobt. Du wirktest uicht bloß, wie
man guten Frauen nachrühmt, von der Seite des Leibes auf den Geist ein, indem
du dich mit vielseitig geschickter Hand bald als Kleiderreiniger und Flickschneider, bald
als Koch und Kellermeister, bald als Hausmeister, der für ein trocknes und warmes
Lager sorgte, bald als Büchsenspanner verdient machtest, der unmögliche Rostflecken
aus Gewehrläufen entfernte; du wußtest mit heiterm Sir" und mancher lieblichen
Volksmelodie Mißklänge zu übertönen und betrübte Gemüter aufzurichten; und über
dem allen gabst du in schwierigen Lagen Beispiele von Heldenmut. Dabei ver¬
langtest du nichts für dich selbst. Deine Leistungen erwarteten keinen Lohn und
keine Auszeichnung, deine Liebe war selbstlos. . . .

Doch ich eile ja weit dem Gang der Ereignisse voraus, indem ich meinen
lieben Kameraden Haber wie einen längst Bekannten einführe, wo der Leser mich
doch erst bis an die Schwelle meines Eintritts in die zweite Kompagnie begleitet
hat. Ich will es kurz machen. Den nächsten Morgen fünf Uhr Hornsignal, das,
von den zwei Hornisten durch das Dorf getragen, bald da bald dort erklingt; ich
würde mich zu jeder andern Zeit über das heitere Wandern des Signals gefreut
haben, heute störte es mich in der Erwägung der neuen Lage, in der ich war.
Ich war wie ein zugeflogner Vogel in dieser Kriegerschar, in der nur Reiske mich
kannte, und dieser war unglücklicherweise um vier Uhr auf Posten gegangen. Ver¬
mutlich hätte er mir noch ein Paar Verhaltungsmaßregeln gegeben, wenn ich uicht
so tief in meinem Stroh geschlafen hätte, daß er mich vergeblich zu wecken gesucht
hatte. Ich stand nun ratlos da. Instinktiv tat ich, was alle andern taten, ging
zum Brunnen, wusch mich und kämmte mich, bürstete die Halme und den Staub
von der Uniform und stellte mich dem Unteroffizier vor, einem kleinen, lebhaften,
rundgesichtigen Mann, der mich gleich von vorn maß, dann "Kehrt" kommandierte
und mich auch von hinten musterte. Ungewöhnliche Art der Vorstellung! Sie sind
also der Kriegsfreiwillige, der der Kompagnie zugeteilt ist? -- Jawohl. -- Und
wollen in meine Korporalschaft? -- Jawohl. -- Warum? -- Weil der Einjährige
Reiske darin dient. -- Das ist kein Grund. -- Ich war bestürzt, Freundschaft ist
hier offenbar kein hinreichender Grund, es galt also rasch einen bessern zu finden. --
Reiske ist mein Stiefbruder. -- Sieht Ihnen aber verflucht unähnlich. -- Jawohl,
Stiefbruder. -- Sehen Sie, daß Sie Kaffee bekommen, Brot haben Sie wohl keins
gefaßt? -- Noch nicht. -- Sehen Sie, daß Ihnen einer ein Stück gibt.

Ich machte Kehrt, um mich der schwierige" Aufgabe zuzuwenden, Unbekannte,
die ich vielleicht heute Nacht bei meinem Eiertanz durch die Scheune auf Hände
oder Füße getreten hatte, zu veranlassen, mir ein Stück Brot zu schenken. -- Halt,
Kriegsfreiwilliger! rief es hinter mir. Der Unteroffizier winkte mich heran, faßte
meine linke Achselklappe an: Hier sitzt der Kompagnieknopf locker; ich sage Ihnen,
wenn Sie den verlieren, ists gefehlt. Sofort festnähen.

Dieses Sofort schnitt mir durch Mark und Bein. Zwar würde ich im bürger¬
lichen Leben geglaubt haben, mit diesem nur wenig gelockerten Knopf noch einige
Wochen bestehn zu können; aber hier, das mußte ich mir sagen, hat der kleine, fast
halbkuglige Knopf mit der Nummer Zwei einen besondern Wert, war nicht so leicht


Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege

zur Schanzarbeit antreten würden. So, jetzt leg dich zwischen uns hin, ich werde
versuchen, mich etwas tiefer in die Mauer hineinzudrücken, dein Nachbar links ist
unser guter Kamerad Haber, von dem du manches lernen wirst, was der Musketier
heutzutage braucht.

Dieser Nachbar schien schon gerückt zu haben, ich fand noch Raum genug,
indem ich mich auf die Schmalseite ^ Is, Hering legte, und muß sofort in Schlaf
versunken sein, hörte auch uicht, wie um zwei Uhr der Posten abgelöst wurde; als
ich aber beim Frühsonnenlicht erwachte, war der Platz meines Nachbars zur Linken
leer, und er schien vor seinem Weggang sein Lagerstroh auf mich gelegt zu haben,
denn ich fühlte mich in höchst wohltuender Weise zugedeckt.

Das war die erste Liebe, mein Freund Haber, die ich von dir erfahren habe.
Wie oft habe ich seitdem deinen Zartsinn erprobt. Du wirktest uicht bloß, wie
man guten Frauen nachrühmt, von der Seite des Leibes auf den Geist ein, indem
du dich mit vielseitig geschickter Hand bald als Kleiderreiniger und Flickschneider, bald
als Koch und Kellermeister, bald als Hausmeister, der für ein trocknes und warmes
Lager sorgte, bald als Büchsenspanner verdient machtest, der unmögliche Rostflecken
aus Gewehrläufen entfernte; du wußtest mit heiterm Sir» und mancher lieblichen
Volksmelodie Mißklänge zu übertönen und betrübte Gemüter aufzurichten; und über
dem allen gabst du in schwierigen Lagen Beispiele von Heldenmut. Dabei ver¬
langtest du nichts für dich selbst. Deine Leistungen erwarteten keinen Lohn und
keine Auszeichnung, deine Liebe war selbstlos. . . .

Doch ich eile ja weit dem Gang der Ereignisse voraus, indem ich meinen
lieben Kameraden Haber wie einen längst Bekannten einführe, wo der Leser mich
doch erst bis an die Schwelle meines Eintritts in die zweite Kompagnie begleitet
hat. Ich will es kurz machen. Den nächsten Morgen fünf Uhr Hornsignal, das,
von den zwei Hornisten durch das Dorf getragen, bald da bald dort erklingt; ich
würde mich zu jeder andern Zeit über das heitere Wandern des Signals gefreut
haben, heute störte es mich in der Erwägung der neuen Lage, in der ich war.
Ich war wie ein zugeflogner Vogel in dieser Kriegerschar, in der nur Reiske mich
kannte, und dieser war unglücklicherweise um vier Uhr auf Posten gegangen. Ver¬
mutlich hätte er mir noch ein Paar Verhaltungsmaßregeln gegeben, wenn ich uicht
so tief in meinem Stroh geschlafen hätte, daß er mich vergeblich zu wecken gesucht
hatte. Ich stand nun ratlos da. Instinktiv tat ich, was alle andern taten, ging
zum Brunnen, wusch mich und kämmte mich, bürstete die Halme und den Staub
von der Uniform und stellte mich dem Unteroffizier vor, einem kleinen, lebhaften,
rundgesichtigen Mann, der mich gleich von vorn maß, dann „Kehrt" kommandierte
und mich auch von hinten musterte. Ungewöhnliche Art der Vorstellung! Sie sind
also der Kriegsfreiwillige, der der Kompagnie zugeteilt ist? — Jawohl. — Und
wollen in meine Korporalschaft? — Jawohl. — Warum? — Weil der Einjährige
Reiske darin dient. — Das ist kein Grund. — Ich war bestürzt, Freundschaft ist
hier offenbar kein hinreichender Grund, es galt also rasch einen bessern zu finden. —
Reiske ist mein Stiefbruder. — Sieht Ihnen aber verflucht unähnlich. — Jawohl,
Stiefbruder. — Sehen Sie, daß Sie Kaffee bekommen, Brot haben Sie wohl keins
gefaßt? — Noch nicht. — Sehen Sie, daß Ihnen einer ein Stück gibt.

Ich machte Kehrt, um mich der schwierige» Aufgabe zuzuwenden, Unbekannte,
die ich vielleicht heute Nacht bei meinem Eiertanz durch die Scheune auf Hände
oder Füße getreten hatte, zu veranlassen, mir ein Stück Brot zu schenken. — Halt,
Kriegsfreiwilliger! rief es hinter mir. Der Unteroffizier winkte mich heran, faßte
meine linke Achselklappe an: Hier sitzt der Kompagnieknopf locker; ich sage Ihnen,
wenn Sie den verlieren, ists gefehlt. Sofort festnähen.

Dieses Sofort schnitt mir durch Mark und Bein. Zwar würde ich im bürger¬
lichen Leben geglaubt haben, mit diesem nur wenig gelockerten Knopf noch einige
Wochen bestehn zu können; aber hier, das mußte ich mir sagen, hat der kleine, fast
halbkuglige Knopf mit der Nummer Zwei einen besondern Wert, war nicht so leicht


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[0110] Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege zur Schanzarbeit antreten würden. So, jetzt leg dich zwischen uns hin, ich werde versuchen, mich etwas tiefer in die Mauer hineinzudrücken, dein Nachbar links ist unser guter Kamerad Haber, von dem du manches lernen wirst, was der Musketier heutzutage braucht. Dieser Nachbar schien schon gerückt zu haben, ich fand noch Raum genug, indem ich mich auf die Schmalseite ^ Is, Hering legte, und muß sofort in Schlaf versunken sein, hörte auch uicht, wie um zwei Uhr der Posten abgelöst wurde; als ich aber beim Frühsonnenlicht erwachte, war der Platz meines Nachbars zur Linken leer, und er schien vor seinem Weggang sein Lagerstroh auf mich gelegt zu haben, denn ich fühlte mich in höchst wohltuender Weise zugedeckt. Das war die erste Liebe, mein Freund Haber, die ich von dir erfahren habe. Wie oft habe ich seitdem deinen Zartsinn erprobt. Du wirktest uicht bloß, wie man guten Frauen nachrühmt, von der Seite des Leibes auf den Geist ein, indem du dich mit vielseitig geschickter Hand bald als Kleiderreiniger und Flickschneider, bald als Koch und Kellermeister, bald als Hausmeister, der für ein trocknes und warmes Lager sorgte, bald als Büchsenspanner verdient machtest, der unmögliche Rostflecken aus Gewehrläufen entfernte; du wußtest mit heiterm Sir» und mancher lieblichen Volksmelodie Mißklänge zu übertönen und betrübte Gemüter aufzurichten; und über dem allen gabst du in schwierigen Lagen Beispiele von Heldenmut. Dabei ver¬ langtest du nichts für dich selbst. Deine Leistungen erwarteten keinen Lohn und keine Auszeichnung, deine Liebe war selbstlos. . . . Doch ich eile ja weit dem Gang der Ereignisse voraus, indem ich meinen lieben Kameraden Haber wie einen längst Bekannten einführe, wo der Leser mich doch erst bis an die Schwelle meines Eintritts in die zweite Kompagnie begleitet hat. Ich will es kurz machen. Den nächsten Morgen fünf Uhr Hornsignal, das, von den zwei Hornisten durch das Dorf getragen, bald da bald dort erklingt; ich würde mich zu jeder andern Zeit über das heitere Wandern des Signals gefreut haben, heute störte es mich in der Erwägung der neuen Lage, in der ich war. Ich war wie ein zugeflogner Vogel in dieser Kriegerschar, in der nur Reiske mich kannte, und dieser war unglücklicherweise um vier Uhr auf Posten gegangen. Ver¬ mutlich hätte er mir noch ein Paar Verhaltungsmaßregeln gegeben, wenn ich uicht so tief in meinem Stroh geschlafen hätte, daß er mich vergeblich zu wecken gesucht hatte. Ich stand nun ratlos da. Instinktiv tat ich, was alle andern taten, ging zum Brunnen, wusch mich und kämmte mich, bürstete die Halme und den Staub von der Uniform und stellte mich dem Unteroffizier vor, einem kleinen, lebhaften, rundgesichtigen Mann, der mich gleich von vorn maß, dann „Kehrt" kommandierte und mich auch von hinten musterte. Ungewöhnliche Art der Vorstellung! Sie sind also der Kriegsfreiwillige, der der Kompagnie zugeteilt ist? — Jawohl. — Und wollen in meine Korporalschaft? — Jawohl. — Warum? — Weil der Einjährige Reiske darin dient. — Das ist kein Grund. — Ich war bestürzt, Freundschaft ist hier offenbar kein hinreichender Grund, es galt also rasch einen bessern zu finden. — Reiske ist mein Stiefbruder. — Sieht Ihnen aber verflucht unähnlich. — Jawohl, Stiefbruder. — Sehen Sie, daß Sie Kaffee bekommen, Brot haben Sie wohl keins gefaßt? — Noch nicht. — Sehen Sie, daß Ihnen einer ein Stück gibt. Ich machte Kehrt, um mich der schwierige» Aufgabe zuzuwenden, Unbekannte, die ich vielleicht heute Nacht bei meinem Eiertanz durch die Scheune auf Hände oder Füße getreten hatte, zu veranlassen, mir ein Stück Brot zu schenken. — Halt, Kriegsfreiwilliger! rief es hinter mir. Der Unteroffizier winkte mich heran, faßte meine linke Achselklappe an: Hier sitzt der Kompagnieknopf locker; ich sage Ihnen, wenn Sie den verlieren, ists gefehlt. Sofort festnähen. Dieses Sofort schnitt mir durch Mark und Bein. Zwar würde ich im bürger¬ lichen Leben geglaubt haben, mit diesem nur wenig gelockerten Knopf noch einige Wochen bestehn zu können; aber hier, das mußte ich mir sagen, hat der kleine, fast halbkuglige Knopf mit der Nummer Zwei einen besondern Wert, war nicht so leicht

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/110>, abgerufen am 23.07.2024.