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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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von der Reichshauptstadt nach dem Riesengebirge durch die Luft

Schlepptau UNI Bäume und andre Gegenstände schlingt, ist es in seinem untern
Teile mit einer Stahleinlage versehen. "Ja aber der entsetzliche Nuck, wenn
der Anker faßt, wodurch der Korbinsasse herausgeschleudert werden kann, oder
wenn das Ankertau plötzlich reißt!" Diese Befürchtungen sind heutzutage
grundlos. Ein Anker wird, in Deutschland wenigstens, nicht mehr mitge¬
nommen, er wird ersetzt durch die von Hauptmann Groß im Luftschifferbataillon
erfuudne Reißvorrichtuug.

Aus einer der aneinander genähten Stoffbahnen der Ballonhülle ist nämlich
ein langes Stück herausgeschnitten und dafür ein andrer Stoffstreifen an beiden
Seiten mit Gummi festgeklebt, aber in einer Weise, daß er nur gewaltsam los¬
gerissen >verden kann. Dies geschieht mit Hilfe eines den ganzen Streifen
durchlaufenden, von dessen oberm Ende innerhalb des Ballons herabhängenden
Gurtbandes, das ebenso wie die Ventilleine durch den Füllnusatz des Ballons
und den Stahlring in den Korb herunterreicht, und zwar wie jene mit einigen
Metern Spielraum, damit es sich nicht unter dem Einfluß der Witterung von
selber straffe und so ein unbeabsichtigtes Aufreißen der Vallouhülle herbeiführt.
Um einem unvorsichtigen vorzeitigen Gebrauche dieser "Reißleine" vorzubeugen,
ist sie purpurrot gefärbt und muß zunächst durch einen Nuck aus einer Sperr¬
vorrichtung ausgeklinkt werden, ähnlich wie beim Gewehr der Druckpunkt vor
einem übereilten Zurückziehn des Abzugs schützt. So wird diese rote Leine
vom Luftreisenden mit ähnlichem Respekt betrachtet und behandelt wie etwa
die Notbremse vom Reisenden auf der Eisenbahn. Erst wenn der Führer des
Ballons ganz sicher ist, daß er mit dem Schlepptau die Erde nicht wieder ver¬
lassen will, tunkt er die Reißlcine aus; beim ersten Aufstoßen des Korbes, das
ja manchmal etwas unsanft erfolgt, reißt er den geklebten Streifen mit aller
Macht auf, das Gas entströmt der Hülle, der Ballon gibt buchstäblich seinen
Geist auf, der Korb steht oder liegt still. Die früher so gefürchteten Schlcif-
fahrten über Häuser, Bäume und Telegrapheuleitungen siud mithin kaum noch
möglich.

"Wenn aber bei der Landung ein Hindernis, ein Baum, eine Mauer,
ein großer Stein in den Weg kommt, wie leicht kann der Anprall da ver¬
hängnisvoll werden!" Ein solches Anprallen kommt allerdings oft genug vor,
aber man kennt ja die Seite des Korbes, mit der er erfolgen müßte, nämlich,
mit der dem Schlepptau abgewandten, der sogenannten Schleifseite, also heißes
eben, sich an den Leinen der Schlepptauseite festhalten und im Notfall den
Kopf unter deu Korbrand bergen. Wohl ist bei der Landung, wenn sie sich
"glatt" vollziehn soll, nicht nur für deu Führer, sondern für jeden Mit¬
reisenden volle Geistesgegenwart nötig, und es ist bezeichnend, daß der Gruß
der Luftschiffer nicht "Glück auf!" soudern "Glück ab!" lautet. Aber wenn
alle Vorsichtsmaßregeln gewissenhaft beobachtet werden, dann ist ein Unfall in
der Tat nicht zu erwarten, und von Gefahren sind wir ja auch sonst überall
umgeben, auf der Eisenbahn, der Elektrischen, bei einer Wagenfahrt, beim
Überschreiten verkehrsreicher Straßen, beim Verlassen eines Bootes; auch da
kommt zu Schaden, wer nicht aufmerksam ist. Und was steht dieser jetzt nur
noch geringen Gefährlichkeit einer Ballonfahrt andrerseits für eine Fülle von


von der Reichshauptstadt nach dem Riesengebirge durch die Luft

Schlepptau UNI Bäume und andre Gegenstände schlingt, ist es in seinem untern
Teile mit einer Stahleinlage versehen. „Ja aber der entsetzliche Nuck, wenn
der Anker faßt, wodurch der Korbinsasse herausgeschleudert werden kann, oder
wenn das Ankertau plötzlich reißt!" Diese Befürchtungen sind heutzutage
grundlos. Ein Anker wird, in Deutschland wenigstens, nicht mehr mitge¬
nommen, er wird ersetzt durch die von Hauptmann Groß im Luftschifferbataillon
erfuudne Reißvorrichtuug.

Aus einer der aneinander genähten Stoffbahnen der Ballonhülle ist nämlich
ein langes Stück herausgeschnitten und dafür ein andrer Stoffstreifen an beiden
Seiten mit Gummi festgeklebt, aber in einer Weise, daß er nur gewaltsam los¬
gerissen >verden kann. Dies geschieht mit Hilfe eines den ganzen Streifen
durchlaufenden, von dessen oberm Ende innerhalb des Ballons herabhängenden
Gurtbandes, das ebenso wie die Ventilleine durch den Füllnusatz des Ballons
und den Stahlring in den Korb herunterreicht, und zwar wie jene mit einigen
Metern Spielraum, damit es sich nicht unter dem Einfluß der Witterung von
selber straffe und so ein unbeabsichtigtes Aufreißen der Vallouhülle herbeiführt.
Um einem unvorsichtigen vorzeitigen Gebrauche dieser „Reißleine" vorzubeugen,
ist sie purpurrot gefärbt und muß zunächst durch einen Nuck aus einer Sperr¬
vorrichtung ausgeklinkt werden, ähnlich wie beim Gewehr der Druckpunkt vor
einem übereilten Zurückziehn des Abzugs schützt. So wird diese rote Leine
vom Luftreisenden mit ähnlichem Respekt betrachtet und behandelt wie etwa
die Notbremse vom Reisenden auf der Eisenbahn. Erst wenn der Führer des
Ballons ganz sicher ist, daß er mit dem Schlepptau die Erde nicht wieder ver¬
lassen will, tunkt er die Reißlcine aus; beim ersten Aufstoßen des Korbes, das
ja manchmal etwas unsanft erfolgt, reißt er den geklebten Streifen mit aller
Macht auf, das Gas entströmt der Hülle, der Ballon gibt buchstäblich seinen
Geist auf, der Korb steht oder liegt still. Die früher so gefürchteten Schlcif-
fahrten über Häuser, Bäume und Telegrapheuleitungen siud mithin kaum noch
möglich.

„Wenn aber bei der Landung ein Hindernis, ein Baum, eine Mauer,
ein großer Stein in den Weg kommt, wie leicht kann der Anprall da ver¬
hängnisvoll werden!" Ein solches Anprallen kommt allerdings oft genug vor,
aber man kennt ja die Seite des Korbes, mit der er erfolgen müßte, nämlich,
mit der dem Schlepptau abgewandten, der sogenannten Schleifseite, also heißes
eben, sich an den Leinen der Schlepptauseite festhalten und im Notfall den
Kopf unter deu Korbrand bergen. Wohl ist bei der Landung, wenn sie sich
„glatt" vollziehn soll, nicht nur für deu Führer, sondern für jeden Mit¬
reisenden volle Geistesgegenwart nötig, und es ist bezeichnend, daß der Gruß
der Luftschiffer nicht „Glück auf!" soudern „Glück ab!" lautet. Aber wenn
alle Vorsichtsmaßregeln gewissenhaft beobachtet werden, dann ist ein Unfall in
der Tat nicht zu erwarten, und von Gefahren sind wir ja auch sonst überall
umgeben, auf der Eisenbahn, der Elektrischen, bei einer Wagenfahrt, beim
Überschreiten verkehrsreicher Straßen, beim Verlassen eines Bootes; auch da
kommt zu Schaden, wer nicht aufmerksam ist. Und was steht dieser jetzt nur
noch geringen Gefährlichkeit einer Ballonfahrt andrerseits für eine Fülle von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/100>, abgerufen am 22.12.2024.