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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

einholen können. Damit ist der französischen Eigenliebe, die bezüglich der Wahl
von Tanger besonders empfindlich war, eine Befriedigung zuteil geworden, nicht
minder der spanischen, die die Konferenz nach dem Vorgang der von 1880 am liebsten
in Madrid selbst gehabt hätte. Für den Verlauf der Konferenz selbst kann selbst¬
verständlich niemand gut sagen, da nicht vorherzusehen ist, was für Ansprüche die
einzelnen Staaten geltend machen werden, und was für Gruppierungen dadurch entsteh"
können. Aber von Bedeutung für den Verlauf wird es immerhin bleiben, wenn
Deutschland und Frankreich dort ohne unausgetragne Differenzen erscheinen, mit
der ehrlichen und loyalen Absicht einer Verständigung. Eine solche Absicht besteht
bis jetzt bei dem Kabinett Rouvier, das hoffentlich die Konferenz überdauern und
die gewonnenen Grundlagen eines nachbarlichen Einvernehmens mit Deutschland
weiter Pflegen wird.

Im Interesse der Verständigung war man auf deutscher Seite auf den Zeitungs¬
sturm, den der alte Delcasstsche Stab des französischen Ministeriums des Aus¬
wärtigen in der vorigen Woche plötzlich entfesselt hatte, und der Rouvier selbst
höchst unbequem war, in keiner Weise eingegangen, sondern hatte ihn ruhig aus¬
toben lassen. Von jener Seite her stammt auch wohl die in Berlin nicht be¬
glaubigte Nachricht, daß die Konferenz erst nach dem 1. Januar zusammentreten
soll. Es besteht für keinen Teil ein Interesse, sie auf die lange Bank zu schieben,
es wäre denn, was wenig wahrscheinlich ist, daß der Sultan den deutsch-französischen
Abmachungen nicht beiträte, sondern seinerseits Einwendungen erhöbe. Das ist aber
nicht anzunehmen. Auch die Verlegung der Konferenz nach Algeciras, was selbst¬
verständlich nach vorheriger Zustimmung Spaniens geschehen ist, wird bei den Marok¬
kanern keiner Schwierigkeit begegnen. So viel ist jedenfalls erreicht worden, daß
Marokko nicht wie Algier und Tunis französischer Kolonialbesitz wird, und damit ist
auch die Veränderung des Gleichgewichts beseitigt, die mit einer solchen Erstarkung
Frankreichs, am Mittelmeer und am Atlantischen Ozean zugleich, früher oder später
zweifellos verbunden gewesen wäre. Wir wollen den Tag nicht vor dem Abend
loben, aber das deutsche Volk wird mit den Erfolgen der deutschen Diplomatie zu¬
frieden sein können, namentlich wenn es sich vergegenwärtigt, daß die marokkanische
Angelegenheit der geschickt benutzte Anlaß war, in einer für Deutschland ernst ge-
wordnen Situation mit fester Hand einzugreifen und damit eine Aufklärung im
Interesse des Friedens herbeizuführen. Der Besuch des Kaisers in Tanger hat
die Bedeutung eines politischen Wendepunkts, wenn auch die Folgen erst im Juni
eingetreten sind. Aber das Netz war damit zerrissen, das französisch-englische
Intriguen dem Deutschen Reiche zur Herbeiführung einer empfindlichen diplomatischen
Niederlage über den Kopf zu werfen gedachten.

Auch der russisch-japanische Krieg ist von deutscher Seite geschickt benutzt worden,
eine tiefgreifende Änderung in unserm Verhältnis zu Rußland herbeizuführen. Wie
Minister von Witte es in Paris hervorgehoben hat, sind wir Rußland Freunde in
der Not gewesen, Rußland war von Deutschland in keiner Weise behindert, seine
Kräfte nach Bedarf gegen Japan aufzubieten. Ungeachtet eines gewissen Übel-
wollens, das hie und da gegen uns bestehn mag, ist somit die internationale
Situation, die jetzt für Deutschland erreicht worden ist, sehr viel günstiger, als sie
jahrelang gewesen ist. Es ist dadurch eine erwünschte Frist gewonnen, in der wir
uns auf etwaige Notwendigkeiten der Zukunft vorbereiten können. Regierung und
Reichstag sollten in einmütigem Zusammenwirken jeden Tag und jede Stunde aus¬
nutzen, die wir für die Schließung aller in unsrer Rüstung noch vorhandnen Lücken
gewonnen haben, und eifersüchtig darüber wachen, daß die so gewonnene Frist nicht
nutzlos verloren gehe.

Der Besuch, den der japanische Gesandte dem Reichskanzler in Baden-Baden
abgestattet hat, beweist, daß auch Japan nach dem Kriege vertrauensvoll An¬
näherung an Deutschland sucht und, zunächst jedenfalls, weit davon entfernt ist,
seine in Ostasien errungne Position gegen unsre dortigen Interessen auszunutzen.
Die Lage der japanischen Regierung gegenüber der Verstimmung über den Inhalt


Maßgebliches und Unmaßgebliches

einholen können. Damit ist der französischen Eigenliebe, die bezüglich der Wahl
von Tanger besonders empfindlich war, eine Befriedigung zuteil geworden, nicht
minder der spanischen, die die Konferenz nach dem Vorgang der von 1880 am liebsten
in Madrid selbst gehabt hätte. Für den Verlauf der Konferenz selbst kann selbst¬
verständlich niemand gut sagen, da nicht vorherzusehen ist, was für Ansprüche die
einzelnen Staaten geltend machen werden, und was für Gruppierungen dadurch entsteh»
können. Aber von Bedeutung für den Verlauf wird es immerhin bleiben, wenn
Deutschland und Frankreich dort ohne unausgetragne Differenzen erscheinen, mit
der ehrlichen und loyalen Absicht einer Verständigung. Eine solche Absicht besteht
bis jetzt bei dem Kabinett Rouvier, das hoffentlich die Konferenz überdauern und
die gewonnenen Grundlagen eines nachbarlichen Einvernehmens mit Deutschland
weiter Pflegen wird.

Im Interesse der Verständigung war man auf deutscher Seite auf den Zeitungs¬
sturm, den der alte Delcasstsche Stab des französischen Ministeriums des Aus¬
wärtigen in der vorigen Woche plötzlich entfesselt hatte, und der Rouvier selbst
höchst unbequem war, in keiner Weise eingegangen, sondern hatte ihn ruhig aus¬
toben lassen. Von jener Seite her stammt auch wohl die in Berlin nicht be¬
glaubigte Nachricht, daß die Konferenz erst nach dem 1. Januar zusammentreten
soll. Es besteht für keinen Teil ein Interesse, sie auf die lange Bank zu schieben,
es wäre denn, was wenig wahrscheinlich ist, daß der Sultan den deutsch-französischen
Abmachungen nicht beiträte, sondern seinerseits Einwendungen erhöbe. Das ist aber
nicht anzunehmen. Auch die Verlegung der Konferenz nach Algeciras, was selbst¬
verständlich nach vorheriger Zustimmung Spaniens geschehen ist, wird bei den Marok¬
kanern keiner Schwierigkeit begegnen. So viel ist jedenfalls erreicht worden, daß
Marokko nicht wie Algier und Tunis französischer Kolonialbesitz wird, und damit ist
auch die Veränderung des Gleichgewichts beseitigt, die mit einer solchen Erstarkung
Frankreichs, am Mittelmeer und am Atlantischen Ozean zugleich, früher oder später
zweifellos verbunden gewesen wäre. Wir wollen den Tag nicht vor dem Abend
loben, aber das deutsche Volk wird mit den Erfolgen der deutschen Diplomatie zu¬
frieden sein können, namentlich wenn es sich vergegenwärtigt, daß die marokkanische
Angelegenheit der geschickt benutzte Anlaß war, in einer für Deutschland ernst ge-
wordnen Situation mit fester Hand einzugreifen und damit eine Aufklärung im
Interesse des Friedens herbeizuführen. Der Besuch des Kaisers in Tanger hat
die Bedeutung eines politischen Wendepunkts, wenn auch die Folgen erst im Juni
eingetreten sind. Aber das Netz war damit zerrissen, das französisch-englische
Intriguen dem Deutschen Reiche zur Herbeiführung einer empfindlichen diplomatischen
Niederlage über den Kopf zu werfen gedachten.

Auch der russisch-japanische Krieg ist von deutscher Seite geschickt benutzt worden,
eine tiefgreifende Änderung in unserm Verhältnis zu Rußland herbeizuführen. Wie
Minister von Witte es in Paris hervorgehoben hat, sind wir Rußland Freunde in
der Not gewesen, Rußland war von Deutschland in keiner Weise behindert, seine
Kräfte nach Bedarf gegen Japan aufzubieten. Ungeachtet eines gewissen Übel-
wollens, das hie und da gegen uns bestehn mag, ist somit die internationale
Situation, die jetzt für Deutschland erreicht worden ist, sehr viel günstiger, als sie
jahrelang gewesen ist. Es ist dadurch eine erwünschte Frist gewonnen, in der wir
uns auf etwaige Notwendigkeiten der Zukunft vorbereiten können. Regierung und
Reichstag sollten in einmütigem Zusammenwirken jeden Tag und jede Stunde aus¬
nutzen, die wir für die Schließung aller in unsrer Rüstung noch vorhandnen Lücken
gewonnen haben, und eifersüchtig darüber wachen, daß die so gewonnene Frist nicht
nutzlos verloren gehe.

Der Besuch, den der japanische Gesandte dem Reichskanzler in Baden-Baden
abgestattet hat, beweist, daß auch Japan nach dem Kriege vertrauensvoll An¬
näherung an Deutschland sucht und, zunächst jedenfalls, weit davon entfernt ist,
seine in Ostasien errungne Position gegen unsre dortigen Interessen auszunutzen.
Die Lage der japanischen Regierung gegenüber der Verstimmung über den Inhalt


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[0743] Maßgebliches und Unmaßgebliches einholen können. Damit ist der französischen Eigenliebe, die bezüglich der Wahl von Tanger besonders empfindlich war, eine Befriedigung zuteil geworden, nicht minder der spanischen, die die Konferenz nach dem Vorgang der von 1880 am liebsten in Madrid selbst gehabt hätte. Für den Verlauf der Konferenz selbst kann selbst¬ verständlich niemand gut sagen, da nicht vorherzusehen ist, was für Ansprüche die einzelnen Staaten geltend machen werden, und was für Gruppierungen dadurch entsteh» können. Aber von Bedeutung für den Verlauf wird es immerhin bleiben, wenn Deutschland und Frankreich dort ohne unausgetragne Differenzen erscheinen, mit der ehrlichen und loyalen Absicht einer Verständigung. Eine solche Absicht besteht bis jetzt bei dem Kabinett Rouvier, das hoffentlich die Konferenz überdauern und die gewonnenen Grundlagen eines nachbarlichen Einvernehmens mit Deutschland weiter Pflegen wird. Im Interesse der Verständigung war man auf deutscher Seite auf den Zeitungs¬ sturm, den der alte Delcasstsche Stab des französischen Ministeriums des Aus¬ wärtigen in der vorigen Woche plötzlich entfesselt hatte, und der Rouvier selbst höchst unbequem war, in keiner Weise eingegangen, sondern hatte ihn ruhig aus¬ toben lassen. Von jener Seite her stammt auch wohl die in Berlin nicht be¬ glaubigte Nachricht, daß die Konferenz erst nach dem 1. Januar zusammentreten soll. Es besteht für keinen Teil ein Interesse, sie auf die lange Bank zu schieben, es wäre denn, was wenig wahrscheinlich ist, daß der Sultan den deutsch-französischen Abmachungen nicht beiträte, sondern seinerseits Einwendungen erhöbe. Das ist aber nicht anzunehmen. Auch die Verlegung der Konferenz nach Algeciras, was selbst¬ verständlich nach vorheriger Zustimmung Spaniens geschehen ist, wird bei den Marok¬ kanern keiner Schwierigkeit begegnen. So viel ist jedenfalls erreicht worden, daß Marokko nicht wie Algier und Tunis französischer Kolonialbesitz wird, und damit ist auch die Veränderung des Gleichgewichts beseitigt, die mit einer solchen Erstarkung Frankreichs, am Mittelmeer und am Atlantischen Ozean zugleich, früher oder später zweifellos verbunden gewesen wäre. Wir wollen den Tag nicht vor dem Abend loben, aber das deutsche Volk wird mit den Erfolgen der deutschen Diplomatie zu¬ frieden sein können, namentlich wenn es sich vergegenwärtigt, daß die marokkanische Angelegenheit der geschickt benutzte Anlaß war, in einer für Deutschland ernst ge- wordnen Situation mit fester Hand einzugreifen und damit eine Aufklärung im Interesse des Friedens herbeizuführen. Der Besuch des Kaisers in Tanger hat die Bedeutung eines politischen Wendepunkts, wenn auch die Folgen erst im Juni eingetreten sind. Aber das Netz war damit zerrissen, das französisch-englische Intriguen dem Deutschen Reiche zur Herbeiführung einer empfindlichen diplomatischen Niederlage über den Kopf zu werfen gedachten. Auch der russisch-japanische Krieg ist von deutscher Seite geschickt benutzt worden, eine tiefgreifende Änderung in unserm Verhältnis zu Rußland herbeizuführen. Wie Minister von Witte es in Paris hervorgehoben hat, sind wir Rußland Freunde in der Not gewesen, Rußland war von Deutschland in keiner Weise behindert, seine Kräfte nach Bedarf gegen Japan aufzubieten. Ungeachtet eines gewissen Übel- wollens, das hie und da gegen uns bestehn mag, ist somit die internationale Situation, die jetzt für Deutschland erreicht worden ist, sehr viel günstiger, als sie jahrelang gewesen ist. Es ist dadurch eine erwünschte Frist gewonnen, in der wir uns auf etwaige Notwendigkeiten der Zukunft vorbereiten können. Regierung und Reichstag sollten in einmütigem Zusammenwirken jeden Tag und jede Stunde aus¬ nutzen, die wir für die Schließung aller in unsrer Rüstung noch vorhandnen Lücken gewonnen haben, und eifersüchtig darüber wachen, daß die so gewonnene Frist nicht nutzlos verloren gehe. Der Besuch, den der japanische Gesandte dem Reichskanzler in Baden-Baden abgestattet hat, beweist, daß auch Japan nach dem Kriege vertrauensvoll An¬ näherung an Deutschland sucht und, zunächst jedenfalls, weit davon entfernt ist, seine in Ostasien errungne Position gegen unsre dortigen Interessen auszunutzen. Die Lage der japanischen Regierung gegenüber der Verstimmung über den Inhalt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/743>, abgerufen am 19.10.2024.