Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.Fichtes Auffassung von der akademischen Freiheit ganz kurz zu sagen, einfach darin, daß mit dem Dogma, es habe etwas schon Kant bezeichnete als Natur das Dasein, sofern es nach allgemeinen Ge¬ Es ist seltsam, daß sich der sogenannte gesunde Menschenverstand aus der Die akademische Freiheit ist das Problem. Darauf ist von Anbeginn zu Die besondre Form der Freiheit wird nun näher bestimmt durch die Be¬ Auch die Universität hat, wie alles, was da ist, nicht den mindesten Wert Fichtes Auffassung von der akademischen Freiheit ganz kurz zu sagen, einfach darin, daß mit dem Dogma, es habe etwas schon Kant bezeichnete als Natur das Dasein, sofern es nach allgemeinen Ge¬ Es ist seltsam, daß sich der sogenannte gesunde Menschenverstand aus der Die akademische Freiheit ist das Problem. Darauf ist von Anbeginn zu Die besondre Form der Freiheit wird nun näher bestimmt durch die Be¬ Auch die Universität hat, wie alles, was da ist, nicht den mindesten Wert <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0485" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/298004"/> <fw type="header" place="top"> Fichtes Auffassung von der akademischen Freiheit</fw><lb/> <p xml:id="ID_2347" prev="#ID_2346"> ganz kurz zu sagen, einfach darin, daß mit dem Dogma, es habe etwas schon<lb/> Wert, bloß weil es da sei und um seines bloßen Daseins willen, daß von Kant<lb/> mit diesem Dogma gründlich aufgeräumt worden ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_2348"> Kant bezeichnete als Natur das Dasein, sofern es nach allgemeinen Ge¬<lb/> setzen bestimmt ist, und er verlangte fein säuberliche Trennung der natur¬<lb/> wissenschaftlichen Betrachtungsweise von allen Zweckideen. Die Vermengung<lb/> beider nannte er eine faule Teleologie, und diese galt ihm als der Tod aller<lb/> Naturphilosophie. Das bloße Dasein kennt nur allgemeine Gesetze der Natur,<lb/> aber keine Zwecke. Nichts, was da ist, hat auch nur den mindesten Wert bloß<lb/> dadurch, daß es ist, durch sein bloßes Dasein. Soll es Wert haben, dann darf<lb/> es eben nicht bloß da sein, sondern es muß Zwecken dienen, die allgemeine<lb/> Aufgaben für dieses Dasein bezeichnen, die über das bloße gegebne Dasein eben<lb/> dadurch, daß sie nicht gegeben, sondern aufgegeben sind, hinausliegen. Diese<lb/> Zwecke ins bloße Dasein hineinzudenken, ist und bleibt eine faule Teleologie, sei<lb/> sie nun naturphilosophischer oder naturalistisch-geschichtsphilosophischer Art. Sie<lb/> ist immer ein falscher Schein, der seine Täuschungen und Vorspiegelungen nur<lb/> nach diametral auseinandergehenden Richtungen verbreitet.</p><lb/> <p xml:id="ID_2349"> Es ist seltsam, daß sich der sogenannte gesunde Menschenverstand aus der<lb/> faulen Liebe zum lieben faulen Leben gegen diese ausdrückliche kritische Über¬<lb/> legung so sträubt, wo er doch selbst von ihr praktisch die ergiebigste Anwendung<lb/> macht. Ein Fall solcher praktischer Anwendung ist nun auch der unsrige, ist<lb/> Fichtes philosophische Untersuchung über das Wesen der akademischen Freiheit.<lb/> Ob sie freilich einem allgemeinen Menschenverstande, dessen einziges Prädikat<lb/> das seines Gesundseins wäre, einleuchtet, dürfte fraglich erscheinen. Hat er aber<lb/> zu seiner Gesundheit noch etwas philosophische Kraft, so wird er sich ihr nicht<lb/> verschließen können.</p><lb/> <p xml:id="ID_2350"> Die akademische Freiheit ist das Problem. Darauf ist von Anbeginn zu<lb/> merken. Wir haben es also mit einer besondern Form der Freiheit zu tun,<lb/> eben der zur Akademie, der Universität gehörenden Freiheit. Nun ist der Be¬<lb/> griff der Freiheit aber selbst ein zwei Bestimmungen in sich schließender Begriff.<lb/> Gewöhnlich versteht man darunter nur negativ das Freisein von einem Zwang.<lb/> Diese negative Bedeutung erhält aber erst Sinn durch die positive des Frei¬<lb/> seins für die Erfüllung eines Zwecks, sodaß nun das Freisein von einem Zwang<lb/> erst dahin bestimmt wird, daß es das Freisein von dem bedeutet, was das<lb/> Freisein für einen Zweck stört. Ohne die Rücksicht auf einen solchen wäre der<lb/> Begriff der Freiheit absolut leer und sinnlos.</p><lb/> <p xml:id="ID_2351"> Die besondre Form der Freiheit wird nun näher bestimmt durch die Be¬<lb/> sonderheit des Zwecks, die akademische Freiheit also durch den Zweck der Aka¬<lb/> demie, der Universität. Ihn müssen wir also kennen lernen, wollen wir das<lb/> Wesen der akademischen Freiheit verstehn.</p><lb/> <p xml:id="ID_2352" next="#ID_2353"> Auch die Universität hat, wie alles, was da ist, nicht den mindesten Wert<lb/> bloß dadurch, daß und bloß deshalb, weil sie ist, sondern allein durch den<lb/> Zweck, den sie erfüllt. Dieser Zweck aber ist der ununterbrochne und stetige<lb/> Fortschritt der Geistesbildung unsers Geschlechts, der menschlichen Gesellschaft.<lb/> Denn auch diese Gesellschaft hat nicht etwa dadurch, daß sie ist, einen Wert,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0485]
Fichtes Auffassung von der akademischen Freiheit
ganz kurz zu sagen, einfach darin, daß mit dem Dogma, es habe etwas schon
Wert, bloß weil es da sei und um seines bloßen Daseins willen, daß von Kant
mit diesem Dogma gründlich aufgeräumt worden ist.
Kant bezeichnete als Natur das Dasein, sofern es nach allgemeinen Ge¬
setzen bestimmt ist, und er verlangte fein säuberliche Trennung der natur¬
wissenschaftlichen Betrachtungsweise von allen Zweckideen. Die Vermengung
beider nannte er eine faule Teleologie, und diese galt ihm als der Tod aller
Naturphilosophie. Das bloße Dasein kennt nur allgemeine Gesetze der Natur,
aber keine Zwecke. Nichts, was da ist, hat auch nur den mindesten Wert bloß
dadurch, daß es ist, durch sein bloßes Dasein. Soll es Wert haben, dann darf
es eben nicht bloß da sein, sondern es muß Zwecken dienen, die allgemeine
Aufgaben für dieses Dasein bezeichnen, die über das bloße gegebne Dasein eben
dadurch, daß sie nicht gegeben, sondern aufgegeben sind, hinausliegen. Diese
Zwecke ins bloße Dasein hineinzudenken, ist und bleibt eine faule Teleologie, sei
sie nun naturphilosophischer oder naturalistisch-geschichtsphilosophischer Art. Sie
ist immer ein falscher Schein, der seine Täuschungen und Vorspiegelungen nur
nach diametral auseinandergehenden Richtungen verbreitet.
Es ist seltsam, daß sich der sogenannte gesunde Menschenverstand aus der
faulen Liebe zum lieben faulen Leben gegen diese ausdrückliche kritische Über¬
legung so sträubt, wo er doch selbst von ihr praktisch die ergiebigste Anwendung
macht. Ein Fall solcher praktischer Anwendung ist nun auch der unsrige, ist
Fichtes philosophische Untersuchung über das Wesen der akademischen Freiheit.
Ob sie freilich einem allgemeinen Menschenverstande, dessen einziges Prädikat
das seines Gesundseins wäre, einleuchtet, dürfte fraglich erscheinen. Hat er aber
zu seiner Gesundheit noch etwas philosophische Kraft, so wird er sich ihr nicht
verschließen können.
Die akademische Freiheit ist das Problem. Darauf ist von Anbeginn zu
merken. Wir haben es also mit einer besondern Form der Freiheit zu tun,
eben der zur Akademie, der Universität gehörenden Freiheit. Nun ist der Be¬
griff der Freiheit aber selbst ein zwei Bestimmungen in sich schließender Begriff.
Gewöhnlich versteht man darunter nur negativ das Freisein von einem Zwang.
Diese negative Bedeutung erhält aber erst Sinn durch die positive des Frei¬
seins für die Erfüllung eines Zwecks, sodaß nun das Freisein von einem Zwang
erst dahin bestimmt wird, daß es das Freisein von dem bedeutet, was das
Freisein für einen Zweck stört. Ohne die Rücksicht auf einen solchen wäre der
Begriff der Freiheit absolut leer und sinnlos.
Die besondre Form der Freiheit wird nun näher bestimmt durch die Be¬
sonderheit des Zwecks, die akademische Freiheit also durch den Zweck der Aka¬
demie, der Universität. Ihn müssen wir also kennen lernen, wollen wir das
Wesen der akademischen Freiheit verstehn.
Auch die Universität hat, wie alles, was da ist, nicht den mindesten Wert
bloß dadurch, daß und bloß deshalb, weil sie ist, sondern allein durch den
Zweck, den sie erfüllt. Dieser Zweck aber ist der ununterbrochne und stetige
Fortschritt der Geistesbildung unsers Geschlechts, der menschlichen Gesellschaft.
Denn auch diese Gesellschaft hat nicht etwa dadurch, daß sie ist, einen Wert,
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