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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Heimatklänge

steigen, irgendein Geheimnis verborgen sein, das uns an sich lockt und sich uns
gern enthüllen möchte. Und wie klar und hell eilen aus dem dunkeln Grunde
die plätschernden Bäche herunter, immer mit sich sprechend wie Kinder, welche
etwas in einem fremden Hause bestellen sollen und den Auftrag unterwegs sich
oft laut vorsagen, um ihn nicht zu vergessen, bis sie ihn wirklich vergessen haben
und nun zwecklos weinend am Wege stehn." Seine Heimat, deren "melancho¬
lisch träumenden Charakter" er mit so dichterischer Beseelung zu schildern ver¬
stand, hat Mosen nie vergessen können. Das Heimweh, nach Wilhelm Raabe
"die Quelle aller Poesie," hielt ihn in seinem Bann. Zahlreich sind die Stellen in
seinen Schriften, in denen er mit rührender Sehnsucht der Wälder und der Höhen
seines geliebten Vogtlands gedenkt, so in den Novellen "Heimweh" und "Is-
mael" in den "Bildern im Moose," in "Georg Venlot." "Aus der Fremde,"
aus Oldenburg, wohin der Einundvierzigjährige im Jahre 1844 als Dramaturg
des Hoftheaters berufen wurde, läßt er das schwermütige Lied erklingen:

Wo auf hohen Tannenspitzen,
Die so dunkel und so grün,
Drosseln gern verstohlen sitzen,
Weiß und rot die Moose blühn:
Zu der Heimat in der Ferne
Zög ich heute noch so gerne. --
Wo die Hirtenfeuer brennen,
Durch den Wald die Herde zieht,
Wo mich alle Berge kennen,
Drüberhin die Wolke flieht:
Zu der Heimat in der Ferne
Zög ich heute noch so gerne.
Wo so hell die Glocken schallen
Sonntags früh ins Land hinaus,
Alle in die Kirche wallen,
In der Hand den Blumenstrauß:
Zu der Heimat in der Ferne
Zög ich heute noch so gerne.

Fern von der Heimat hat der liebenswürdige Sänger am 10. Oktober 1867
nach langjährigem schwerem Siechtum die letzte Ruhe gefunden. Zwei Fichten
aus dem geliebten Vogtländischen Walde rauschen über seinem Grabe.

Auch ich, nicht gar weit von Mosers Geburtsort Marieney in einer der
höchstliegenden und rauhesten Gegenden des Vogtlands geboren und aufgewachsen,
hänge mit ganzer Seele an der Stätte, wo meine Wiege stand, denn sie ist meine
Heimat. Der große Römer hat feinsinnig zu verstehn vermocht, warum man
auch ein von der Natur wenig begnadetes Land so herzlich lieben kann.

Das sächsische Vogelart ist bekanntlich nur ein Teil des historischen Vogt¬
lands an der obern Saale und Elster, der alten tsrra g,ävoog.eorum, die seit
dem zwölften Jahrhundert in den erblichen Besitz der Reichsvögte gekommen
war. Von den Vögten, die es im Namen des Kaisers regierten, hat das
Vogelart seinen Namen erhalten. Im Jahre 1569 wurde es mit Kursachsen
vereinigt. Es umfaßte ursprünglich die jetzigen sächsischen Amtshauptmannschaften


Heimatklänge

steigen, irgendein Geheimnis verborgen sein, das uns an sich lockt und sich uns
gern enthüllen möchte. Und wie klar und hell eilen aus dem dunkeln Grunde
die plätschernden Bäche herunter, immer mit sich sprechend wie Kinder, welche
etwas in einem fremden Hause bestellen sollen und den Auftrag unterwegs sich
oft laut vorsagen, um ihn nicht zu vergessen, bis sie ihn wirklich vergessen haben
und nun zwecklos weinend am Wege stehn." Seine Heimat, deren „melancho¬
lisch träumenden Charakter" er mit so dichterischer Beseelung zu schildern ver¬
stand, hat Mosen nie vergessen können. Das Heimweh, nach Wilhelm Raabe
„die Quelle aller Poesie," hielt ihn in seinem Bann. Zahlreich sind die Stellen in
seinen Schriften, in denen er mit rührender Sehnsucht der Wälder und der Höhen
seines geliebten Vogtlands gedenkt, so in den Novellen „Heimweh" und „Is-
mael" in den „Bildern im Moose," in „Georg Venlot." „Aus der Fremde,"
aus Oldenburg, wohin der Einundvierzigjährige im Jahre 1844 als Dramaturg
des Hoftheaters berufen wurde, läßt er das schwermütige Lied erklingen:

Wo auf hohen Tannenspitzen,
Die so dunkel und so grün,
Drosseln gern verstohlen sitzen,
Weiß und rot die Moose blühn:
Zu der Heimat in der Ferne
Zög ich heute noch so gerne. —
Wo die Hirtenfeuer brennen,
Durch den Wald die Herde zieht,
Wo mich alle Berge kennen,
Drüberhin die Wolke flieht:
Zu der Heimat in der Ferne
Zög ich heute noch so gerne.
Wo so hell die Glocken schallen
Sonntags früh ins Land hinaus,
Alle in die Kirche wallen,
In der Hand den Blumenstrauß:
Zu der Heimat in der Ferne
Zög ich heute noch so gerne.

Fern von der Heimat hat der liebenswürdige Sänger am 10. Oktober 1867
nach langjährigem schwerem Siechtum die letzte Ruhe gefunden. Zwei Fichten
aus dem geliebten Vogtländischen Walde rauschen über seinem Grabe.

Auch ich, nicht gar weit von Mosers Geburtsort Marieney in einer der
höchstliegenden und rauhesten Gegenden des Vogtlands geboren und aufgewachsen,
hänge mit ganzer Seele an der Stätte, wo meine Wiege stand, denn sie ist meine
Heimat. Der große Römer hat feinsinnig zu verstehn vermocht, warum man
auch ein von der Natur wenig begnadetes Land so herzlich lieben kann.

Das sächsische Vogelart ist bekanntlich nur ein Teil des historischen Vogt¬
lands an der obern Saale und Elster, der alten tsrra g,ävoog.eorum, die seit
dem zwölften Jahrhundert in den erblichen Besitz der Reichsvögte gekommen
war. Von den Vögten, die es im Namen des Kaisers regierten, hat das
Vogelart seinen Namen erhalten. Im Jahre 1569 wurde es mit Kursachsen
vereinigt. Es umfaßte ursprünglich die jetzigen sächsischen Amtshauptmannschaften


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/26>, abgerufen am 19.10.2024.