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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Herrenmenschen

Kegelspiels, die im Kreise schwingt und immer wieder denselben Kegel trifft. --
Eine Uhr ohne Zeiger! -- Man wird kalt beim Sitzen. Und warten! warten!
Ich habe es nie lernen wollen. In der Schlacht im rasenden Anlauf von der
Kugel niedergestreckt zu werden, ist nicht schwer, aber auf seinen Tod warten
müssen wie ein junger Hahn, den die Köchin unter den Korb gesteckt hat, ist er¬
bärmlich. -- Und dazu diese Nässe und Kälte, die von den Füßen her aufsteigt und
allmählich in den Körper eindringt, als wäre es der Tod selber! Im Sonnenbrande
der Wüste verdursten ist nicht schön, aber im Nebel und durchnäßt auf einer Eis¬
scholle sitzen und darauf warten, daß sich das kalte, nasse Grab auftut, ist auch nicht
schön. Was ist Mut? Mut ist Wärme, aber dieser elende Frost, der, den Menschen
schüttelnd, durch Mark und Bein geht, macht feige.

Die Männer hockten in Gruppen beisammen, rauchten Tabak, redeten litauisch
miteinander und horchten auf die Schüsse, die ab und zu vom Lande herüber¬
klangen, und auf das Donnern des Eises. Da plötzlich vernahm man ein dumpfes
Knirschen, das aus der Ferne herannahte und dicht an den Füßen vorüberjagte.
Sogleich tat sich das Eis auseinander, und Wasser quoll aus der Tiefe. Man
sprang auf, packte sein dürftiges Mobiliar auf den Schlitten und wanderte, den
Schlitten mit sich ziehend, windwärts, der Mitte der nun kleinern Scholle zu.
Die Pferde waren scheu geworden und in der entgegengesetzten Richtung davon
galoppiert. Jetzt kamen sie zögernd und die Mähnen schüttelnd zurück, aber der¬
weilen war der Raum zwischen den beiden Schollen schon so groß geworden, daß
sie nicht wagten, herüberzuspringen. Einige der Männer kehrten um, riefen und
winkten. Da faßte eins der Tiere Mut und sprang. Es gelaugte auch mit den
Vorderfüßen hinüber, aber das Eis brach, und so fiel es in die See. Es schwamm,
bemühte sich, die Vorderhufe auf das Eis zu bringen, und schrie vor Angst. Drei
Männer sprangen zu und versuchten Hilfe zu leisten. Aber vergeblich. Jetzt konnte
man erkennen, wie morsch das Eis schon war. Jedesmal, wenn sich das Pferd
halb aus dem Wasser gearbeitet hatte, brach die Kante der Scholle ab. Das Pferd
wurde wild, schlug mit deu Hufen um sich herum, kippte zur Seite, überschlug sich
und verschwand, ehe mens erwartet hatte, unter dem Eise.

Wo ist Jurgeitis?

Er war verschwunden, und eben tauchte sein Kopf, dessen Gesicht das Aus¬
sehen eines Sterbenden hatte, ans dem Wasser hervor. Die beiden andern griffen
zu und zogen ihn aus dem Wasser hervor. Er war nicht tot, es war auch keine
Beschädigung zu erkennen, aber er war völlig kraftlos, er konnte weder Hand noch
Fuß rühren und auch nicht reden, sondern nur stöbre". Er mußte wohl unter
das Pferd gekommen oder von den Eisschollen gequetscht worden sein.

Inzwischen waren die andern umgekehrt und vorsichtig herangetreten. Arte
Beit hob entsetzt die Hände gen Himmel und rief Gottes Barmherzigkeit an, und
der Doktor kam sich vor wie einer der französischen Legitimisten, die, zur Guillotine
verurteilt, dabei stehn und zusehen mußten, wie einer der Genossen nach dem andern
das Schafott bestieg.

Man trug den verletzten Mann zum Schlitten, legte ihn hinein und setzte
den Weg windwärts fort. Ein Mann war vorausgegangen, kehrte aber bald mit
der Nachricht zurück, daß er die jenseitige Grenze des Eises erreicht hätte. Man
hielt also still und richtete sich wieder ein wie zuvor. Für den Doktor war jetzt
nur noch die Schlittendeichsel als Sitzgelegenheit übrig geblieben. Arte Beit tat
ihr Tuch ab, legte es über den Kranken und beschäftigte sich mit seiner Pflege.
Die Tabakspfeifen waren längst ausgegangen, jetzt fing auch die große Tageslampe
an auszugehn. Es wurde dämmrig, und wie lange währte es noch, dann brach eine
Nacht an, so dunkel und so lang, wie sie die Männer noch nicht erlebt hatten.

Herr, bleibe bei uns, ach Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden,
und der Tag hat sich geneigt, betete Arte mit großer Andacht. Aber das Gebet
machte auf Peter Struntz keinen Eindruck.


Herrenmenschen

Kegelspiels, die im Kreise schwingt und immer wieder denselben Kegel trifft. —
Eine Uhr ohne Zeiger! — Man wird kalt beim Sitzen. Und warten! warten!
Ich habe es nie lernen wollen. In der Schlacht im rasenden Anlauf von der
Kugel niedergestreckt zu werden, ist nicht schwer, aber auf seinen Tod warten
müssen wie ein junger Hahn, den die Köchin unter den Korb gesteckt hat, ist er¬
bärmlich. — Und dazu diese Nässe und Kälte, die von den Füßen her aufsteigt und
allmählich in den Körper eindringt, als wäre es der Tod selber! Im Sonnenbrande
der Wüste verdursten ist nicht schön, aber im Nebel und durchnäßt auf einer Eis¬
scholle sitzen und darauf warten, daß sich das kalte, nasse Grab auftut, ist auch nicht
schön. Was ist Mut? Mut ist Wärme, aber dieser elende Frost, der, den Menschen
schüttelnd, durch Mark und Bein geht, macht feige.

Die Männer hockten in Gruppen beisammen, rauchten Tabak, redeten litauisch
miteinander und horchten auf die Schüsse, die ab und zu vom Lande herüber¬
klangen, und auf das Donnern des Eises. Da plötzlich vernahm man ein dumpfes
Knirschen, das aus der Ferne herannahte und dicht an den Füßen vorüberjagte.
Sogleich tat sich das Eis auseinander, und Wasser quoll aus der Tiefe. Man
sprang auf, packte sein dürftiges Mobiliar auf den Schlitten und wanderte, den
Schlitten mit sich ziehend, windwärts, der Mitte der nun kleinern Scholle zu.
Die Pferde waren scheu geworden und in der entgegengesetzten Richtung davon
galoppiert. Jetzt kamen sie zögernd und die Mähnen schüttelnd zurück, aber der¬
weilen war der Raum zwischen den beiden Schollen schon so groß geworden, daß
sie nicht wagten, herüberzuspringen. Einige der Männer kehrten um, riefen und
winkten. Da faßte eins der Tiere Mut und sprang. Es gelaugte auch mit den
Vorderfüßen hinüber, aber das Eis brach, und so fiel es in die See. Es schwamm,
bemühte sich, die Vorderhufe auf das Eis zu bringen, und schrie vor Angst. Drei
Männer sprangen zu und versuchten Hilfe zu leisten. Aber vergeblich. Jetzt konnte
man erkennen, wie morsch das Eis schon war. Jedesmal, wenn sich das Pferd
halb aus dem Wasser gearbeitet hatte, brach die Kante der Scholle ab. Das Pferd
wurde wild, schlug mit deu Hufen um sich herum, kippte zur Seite, überschlug sich
und verschwand, ehe mens erwartet hatte, unter dem Eise.

Wo ist Jurgeitis?

Er war verschwunden, und eben tauchte sein Kopf, dessen Gesicht das Aus¬
sehen eines Sterbenden hatte, ans dem Wasser hervor. Die beiden andern griffen
zu und zogen ihn aus dem Wasser hervor. Er war nicht tot, es war auch keine
Beschädigung zu erkennen, aber er war völlig kraftlos, er konnte weder Hand noch
Fuß rühren und auch nicht reden, sondern nur stöbre». Er mußte wohl unter
das Pferd gekommen oder von den Eisschollen gequetscht worden sein.

Inzwischen waren die andern umgekehrt und vorsichtig herangetreten. Arte
Beit hob entsetzt die Hände gen Himmel und rief Gottes Barmherzigkeit an, und
der Doktor kam sich vor wie einer der französischen Legitimisten, die, zur Guillotine
verurteilt, dabei stehn und zusehen mußten, wie einer der Genossen nach dem andern
das Schafott bestieg.

Man trug den verletzten Mann zum Schlitten, legte ihn hinein und setzte
den Weg windwärts fort. Ein Mann war vorausgegangen, kehrte aber bald mit
der Nachricht zurück, daß er die jenseitige Grenze des Eises erreicht hätte. Man
hielt also still und richtete sich wieder ein wie zuvor. Für den Doktor war jetzt
nur noch die Schlittendeichsel als Sitzgelegenheit übrig geblieben. Arte Beit tat
ihr Tuch ab, legte es über den Kranken und beschäftigte sich mit seiner Pflege.
Die Tabakspfeifen waren längst ausgegangen, jetzt fing auch die große Tageslampe
an auszugehn. Es wurde dämmrig, und wie lange währte es noch, dann brach eine
Nacht an, so dunkel und so lang, wie sie die Männer noch nicht erlebt hatten.

Herr, bleibe bei uns, ach Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden,
und der Tag hat sich geneigt, betete Arte mit großer Andacht. Aber das Gebet
machte auf Peter Struntz keinen Eindruck.


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[0739] Herrenmenschen Kegelspiels, die im Kreise schwingt und immer wieder denselben Kegel trifft. — Eine Uhr ohne Zeiger! — Man wird kalt beim Sitzen. Und warten! warten! Ich habe es nie lernen wollen. In der Schlacht im rasenden Anlauf von der Kugel niedergestreckt zu werden, ist nicht schwer, aber auf seinen Tod warten müssen wie ein junger Hahn, den die Köchin unter den Korb gesteckt hat, ist er¬ bärmlich. — Und dazu diese Nässe und Kälte, die von den Füßen her aufsteigt und allmählich in den Körper eindringt, als wäre es der Tod selber! Im Sonnenbrande der Wüste verdursten ist nicht schön, aber im Nebel und durchnäßt auf einer Eis¬ scholle sitzen und darauf warten, daß sich das kalte, nasse Grab auftut, ist auch nicht schön. Was ist Mut? Mut ist Wärme, aber dieser elende Frost, der, den Menschen schüttelnd, durch Mark und Bein geht, macht feige. Die Männer hockten in Gruppen beisammen, rauchten Tabak, redeten litauisch miteinander und horchten auf die Schüsse, die ab und zu vom Lande herüber¬ klangen, und auf das Donnern des Eises. Da plötzlich vernahm man ein dumpfes Knirschen, das aus der Ferne herannahte und dicht an den Füßen vorüberjagte. Sogleich tat sich das Eis auseinander, und Wasser quoll aus der Tiefe. Man sprang auf, packte sein dürftiges Mobiliar auf den Schlitten und wanderte, den Schlitten mit sich ziehend, windwärts, der Mitte der nun kleinern Scholle zu. Die Pferde waren scheu geworden und in der entgegengesetzten Richtung davon galoppiert. Jetzt kamen sie zögernd und die Mähnen schüttelnd zurück, aber der¬ weilen war der Raum zwischen den beiden Schollen schon so groß geworden, daß sie nicht wagten, herüberzuspringen. Einige der Männer kehrten um, riefen und winkten. Da faßte eins der Tiere Mut und sprang. Es gelaugte auch mit den Vorderfüßen hinüber, aber das Eis brach, und so fiel es in die See. Es schwamm, bemühte sich, die Vorderhufe auf das Eis zu bringen, und schrie vor Angst. Drei Männer sprangen zu und versuchten Hilfe zu leisten. Aber vergeblich. Jetzt konnte man erkennen, wie morsch das Eis schon war. Jedesmal, wenn sich das Pferd halb aus dem Wasser gearbeitet hatte, brach die Kante der Scholle ab. Das Pferd wurde wild, schlug mit deu Hufen um sich herum, kippte zur Seite, überschlug sich und verschwand, ehe mens erwartet hatte, unter dem Eise. Wo ist Jurgeitis? Er war verschwunden, und eben tauchte sein Kopf, dessen Gesicht das Aus¬ sehen eines Sterbenden hatte, ans dem Wasser hervor. Die beiden andern griffen zu und zogen ihn aus dem Wasser hervor. Er war nicht tot, es war auch keine Beschädigung zu erkennen, aber er war völlig kraftlos, er konnte weder Hand noch Fuß rühren und auch nicht reden, sondern nur stöbre». Er mußte wohl unter das Pferd gekommen oder von den Eisschollen gequetscht worden sein. Inzwischen waren die andern umgekehrt und vorsichtig herangetreten. Arte Beit hob entsetzt die Hände gen Himmel und rief Gottes Barmherzigkeit an, und der Doktor kam sich vor wie einer der französischen Legitimisten, die, zur Guillotine verurteilt, dabei stehn und zusehen mußten, wie einer der Genossen nach dem andern das Schafott bestieg. Man trug den verletzten Mann zum Schlitten, legte ihn hinein und setzte den Weg windwärts fort. Ein Mann war vorausgegangen, kehrte aber bald mit der Nachricht zurück, daß er die jenseitige Grenze des Eises erreicht hätte. Man hielt also still und richtete sich wieder ein wie zuvor. Für den Doktor war jetzt nur noch die Schlittendeichsel als Sitzgelegenheit übrig geblieben. Arte Beit tat ihr Tuch ab, legte es über den Kranken und beschäftigte sich mit seiner Pflege. Die Tabakspfeifen waren längst ausgegangen, jetzt fing auch die große Tageslampe an auszugehn. Es wurde dämmrig, und wie lange währte es noch, dann brach eine Nacht an, so dunkel und so lang, wie sie die Männer noch nicht erlebt hatten. Herr, bleibe bei uns, ach Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt, betete Arte mit großer Andacht. Aber das Gebet machte auf Peter Struntz keinen Eindruck.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/739>, abgerufen am 06.02.2025.