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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Meißen

War die natürliche Größe und der weiße Marmor nicht passend, wohl aber die
vornehm blassen, geschmackvoll ausgeglichnen Farben dieser feinen Erde mit ihrer
schimmernden, durchscheinenden Oberfläche. Glücklich die Zeit, die sich an diesem
aus dem Spiegel der Kunst zurückgeworfnen Puppenspiel ihres Daseins Vergnügen
konnte." Und sie vergnügte sich daran: sogar der allmächtige Premierminister
Graf Brühl gefiel sich darin, sich als Gärtnerburschen und seiue Frau, die geborne
Gräfin Kolowrat-Krakowska, als Gärtnerin modellieren zu lassen.

Das schönste der größern Werke Kändlers ist wohl der große Spiegel und
Spiegeltisch mit Apollo und den neun Musen, den er 1750 zu Ehren der Geburt
des ersten Kindes der Dauphine, der sächsischen Prinzessin Maria Josephs, modellierte
und persönlich nach Versailles überbrachte. Er ist bei der Weltausstellung in
Chicago von neuem angefertigt worden und jetzt im Dresdner Verkaufsraume der
Manufaktur ausgestellt. Die erste Blüte der Meißner Porzellanfabrik knickte der
siebenjährige Krieg: zwar wurde der Betrieb auch unter der preußischen Ver¬
waltung notdürftig aufrecht erhalten, aber die besten Arbeiter versetzte Friedrich
der Große an die Berliner Konkurrenzfabrik, wohin er auch ganze Wagenladungen
von Meißner Modellen überführen ließ. Zum Dank dafür verbot er 1764 die
Einführung Meißner Porzellans nach Preußen. So ging die Meißner Manufaktur
auch in der Zeit nach dem Hubertusburger Friede" zurück, namentlich als unter
dem Einflüsse des Klassizismus das kalte, weiße unglasierte Biskuitporzellan Mode
wurde. Eine neue wirtschaftliche Blüte beginnt erst 1834 mit der Schaffung des
deutschen Zollvereins, der den Absatz sehr günstig beeinflußte, und besonders mit
der Verlegung der Fabrik aus der Albrechtsburg in ein den neuern technischen
Anforderungen entsprechendes Gebäude des Triebischtales (1863). Gegenwärtig
bemüht sich die Meißner Porzellanfabrik, außer den noch immer viel begehrten
Figuren und Gruppen Kändlers und Aciers (1765 bis 1795) auch Erzeugnisse
des neuesten "Jugendstils" herzustellen und in der sogenannten ?ü,eg-sui'-?g.ts-
Malerei und der Scharffeuerfarbentechnik neue Wirkungen zu erreichen.

Neben dem bedeutenden Anteil, den Meißen in der ersten Hälfte des acht¬
zehnten Jahrhunderts an dem künstlerischen Leben hatte, steht ein zwar minder
bekannter, aber doch auch bemerkenswerter Anteil am literarischen Leben der Nation.
Über die Sprachmengerei, den Schwulst und die Ausländerei der deutscheu Nede-
und Schreibweise, die das siebzehnte Jahrhundert hinterlassen hatte, siegte in der
ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts die schlichte und anmutige Redeweise,
die damals zuerst im obersächsischen Dialekt, also im Meißner Lande durchdrang.
Es war das zweitemal, daß von dem heute wegen seines Dialekts so sehr ge¬
schmähten Sachsen das Schrift- und Sprachtum der ganzen Nation reformiert
wurde -- das erstemal durch die meißnische Kanzleisprache und Luthers Bibel¬
übersetzung, das zweitemal durch die insbesondre von den sächsischen Fürstenschuleu
ausgehende Reinigung und Hebung der deutschen Dichtkunst wie der Prosa. Aus
Se. Afra sind Gellert, Rabener und Gärtner hervorgegangen, die im Verein mit
den Portensern Klopstock, Johann Adolf und Johann Elias Schlegel, den Söhnen
des Meißner Stiftssyndikus, und dem Grimmenser Cramer das klassische Zeit¬
alter unsrer Literatur sehr wesentlich vorbereiten halfen. Schon auf der Fürsten¬
schule, zum Teil nach Gottscheds Grundsätzen zu einem reinern Gebrauch der
Muttersprache in Reim und Prosa angeleitet, waren sie die einflußreichsten Mit¬
glieder des Leipziger Dichterkreises, der sogenannten "Bremer Beiträger." In
der Betonung des Gemüts und der Phantasie wuchsen sie weit über Gottscheds
Verstandesdürre hinaus, Gellert und Rabener aber wurden außerdem die Bildner
einer geschmackvoll erzählenden Prosa und des modernen Briefstils. Die Verdienste
Meißens um die deutsche Sprache und Literatur sind heute vergessen, der Bremer
oder der Berliner, voll der törichten Einbildung, ein besseres Deutsch zu sprechen als
der Sachse, würde nur mit einem ungläubigen Kopfschütteln davon hören, aber im
ganzen achtzehnten Jahrhundert war die Kunde davon lebendig, sodciß noch Schiller,


Meißen

War die natürliche Größe und der weiße Marmor nicht passend, wohl aber die
vornehm blassen, geschmackvoll ausgeglichnen Farben dieser feinen Erde mit ihrer
schimmernden, durchscheinenden Oberfläche. Glücklich die Zeit, die sich an diesem
aus dem Spiegel der Kunst zurückgeworfnen Puppenspiel ihres Daseins Vergnügen
konnte." Und sie vergnügte sich daran: sogar der allmächtige Premierminister
Graf Brühl gefiel sich darin, sich als Gärtnerburschen und seiue Frau, die geborne
Gräfin Kolowrat-Krakowska, als Gärtnerin modellieren zu lassen.

Das schönste der größern Werke Kändlers ist wohl der große Spiegel und
Spiegeltisch mit Apollo und den neun Musen, den er 1750 zu Ehren der Geburt
des ersten Kindes der Dauphine, der sächsischen Prinzessin Maria Josephs, modellierte
und persönlich nach Versailles überbrachte. Er ist bei der Weltausstellung in
Chicago von neuem angefertigt worden und jetzt im Dresdner Verkaufsraume der
Manufaktur ausgestellt. Die erste Blüte der Meißner Porzellanfabrik knickte der
siebenjährige Krieg: zwar wurde der Betrieb auch unter der preußischen Ver¬
waltung notdürftig aufrecht erhalten, aber die besten Arbeiter versetzte Friedrich
der Große an die Berliner Konkurrenzfabrik, wohin er auch ganze Wagenladungen
von Meißner Modellen überführen ließ. Zum Dank dafür verbot er 1764 die
Einführung Meißner Porzellans nach Preußen. So ging die Meißner Manufaktur
auch in der Zeit nach dem Hubertusburger Friede» zurück, namentlich als unter
dem Einflüsse des Klassizismus das kalte, weiße unglasierte Biskuitporzellan Mode
wurde. Eine neue wirtschaftliche Blüte beginnt erst 1834 mit der Schaffung des
deutschen Zollvereins, der den Absatz sehr günstig beeinflußte, und besonders mit
der Verlegung der Fabrik aus der Albrechtsburg in ein den neuern technischen
Anforderungen entsprechendes Gebäude des Triebischtales (1863). Gegenwärtig
bemüht sich die Meißner Porzellanfabrik, außer den noch immer viel begehrten
Figuren und Gruppen Kändlers und Aciers (1765 bis 1795) auch Erzeugnisse
des neuesten „Jugendstils" herzustellen und in der sogenannten ?ü,eg-sui'-?g.ts-
Malerei und der Scharffeuerfarbentechnik neue Wirkungen zu erreichen.

Neben dem bedeutenden Anteil, den Meißen in der ersten Hälfte des acht¬
zehnten Jahrhunderts an dem künstlerischen Leben hatte, steht ein zwar minder
bekannter, aber doch auch bemerkenswerter Anteil am literarischen Leben der Nation.
Über die Sprachmengerei, den Schwulst und die Ausländerei der deutscheu Nede-
und Schreibweise, die das siebzehnte Jahrhundert hinterlassen hatte, siegte in der
ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts die schlichte und anmutige Redeweise,
die damals zuerst im obersächsischen Dialekt, also im Meißner Lande durchdrang.
Es war das zweitemal, daß von dem heute wegen seines Dialekts so sehr ge¬
schmähten Sachsen das Schrift- und Sprachtum der ganzen Nation reformiert
wurde — das erstemal durch die meißnische Kanzleisprache und Luthers Bibel¬
übersetzung, das zweitemal durch die insbesondre von den sächsischen Fürstenschuleu
ausgehende Reinigung und Hebung der deutschen Dichtkunst wie der Prosa. Aus
Se. Afra sind Gellert, Rabener und Gärtner hervorgegangen, die im Verein mit
den Portensern Klopstock, Johann Adolf und Johann Elias Schlegel, den Söhnen
des Meißner Stiftssyndikus, und dem Grimmenser Cramer das klassische Zeit¬
alter unsrer Literatur sehr wesentlich vorbereiten halfen. Schon auf der Fürsten¬
schule, zum Teil nach Gottscheds Grundsätzen zu einem reinern Gebrauch der
Muttersprache in Reim und Prosa angeleitet, waren sie die einflußreichsten Mit¬
glieder des Leipziger Dichterkreises, der sogenannten „Bremer Beiträger." In
der Betonung des Gemüts und der Phantasie wuchsen sie weit über Gottscheds
Verstandesdürre hinaus, Gellert und Rabener aber wurden außerdem die Bildner
einer geschmackvoll erzählenden Prosa und des modernen Briefstils. Die Verdienste
Meißens um die deutsche Sprache und Literatur sind heute vergessen, der Bremer
oder der Berliner, voll der törichten Einbildung, ein besseres Deutsch zu sprechen als
der Sachse, würde nur mit einem ungläubigen Kopfschütteln davon hören, aber im
ganzen achtzehnten Jahrhundert war die Kunde davon lebendig, sodciß noch Schiller,


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[0722] Meißen War die natürliche Größe und der weiße Marmor nicht passend, wohl aber die vornehm blassen, geschmackvoll ausgeglichnen Farben dieser feinen Erde mit ihrer schimmernden, durchscheinenden Oberfläche. Glücklich die Zeit, die sich an diesem aus dem Spiegel der Kunst zurückgeworfnen Puppenspiel ihres Daseins Vergnügen konnte." Und sie vergnügte sich daran: sogar der allmächtige Premierminister Graf Brühl gefiel sich darin, sich als Gärtnerburschen und seiue Frau, die geborne Gräfin Kolowrat-Krakowska, als Gärtnerin modellieren zu lassen. Das schönste der größern Werke Kändlers ist wohl der große Spiegel und Spiegeltisch mit Apollo und den neun Musen, den er 1750 zu Ehren der Geburt des ersten Kindes der Dauphine, der sächsischen Prinzessin Maria Josephs, modellierte und persönlich nach Versailles überbrachte. Er ist bei der Weltausstellung in Chicago von neuem angefertigt worden und jetzt im Dresdner Verkaufsraume der Manufaktur ausgestellt. Die erste Blüte der Meißner Porzellanfabrik knickte der siebenjährige Krieg: zwar wurde der Betrieb auch unter der preußischen Ver¬ waltung notdürftig aufrecht erhalten, aber die besten Arbeiter versetzte Friedrich der Große an die Berliner Konkurrenzfabrik, wohin er auch ganze Wagenladungen von Meißner Modellen überführen ließ. Zum Dank dafür verbot er 1764 die Einführung Meißner Porzellans nach Preußen. So ging die Meißner Manufaktur auch in der Zeit nach dem Hubertusburger Friede» zurück, namentlich als unter dem Einflüsse des Klassizismus das kalte, weiße unglasierte Biskuitporzellan Mode wurde. Eine neue wirtschaftliche Blüte beginnt erst 1834 mit der Schaffung des deutschen Zollvereins, der den Absatz sehr günstig beeinflußte, und besonders mit der Verlegung der Fabrik aus der Albrechtsburg in ein den neuern technischen Anforderungen entsprechendes Gebäude des Triebischtales (1863). Gegenwärtig bemüht sich die Meißner Porzellanfabrik, außer den noch immer viel begehrten Figuren und Gruppen Kändlers und Aciers (1765 bis 1795) auch Erzeugnisse des neuesten „Jugendstils" herzustellen und in der sogenannten ?ü,eg-sui'-?g.ts- Malerei und der Scharffeuerfarbentechnik neue Wirkungen zu erreichen. Neben dem bedeutenden Anteil, den Meißen in der ersten Hälfte des acht¬ zehnten Jahrhunderts an dem künstlerischen Leben hatte, steht ein zwar minder bekannter, aber doch auch bemerkenswerter Anteil am literarischen Leben der Nation. Über die Sprachmengerei, den Schwulst und die Ausländerei der deutscheu Nede- und Schreibweise, die das siebzehnte Jahrhundert hinterlassen hatte, siegte in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts die schlichte und anmutige Redeweise, die damals zuerst im obersächsischen Dialekt, also im Meißner Lande durchdrang. Es war das zweitemal, daß von dem heute wegen seines Dialekts so sehr ge¬ schmähten Sachsen das Schrift- und Sprachtum der ganzen Nation reformiert wurde — das erstemal durch die meißnische Kanzleisprache und Luthers Bibel¬ übersetzung, das zweitemal durch die insbesondre von den sächsischen Fürstenschuleu ausgehende Reinigung und Hebung der deutschen Dichtkunst wie der Prosa. Aus Se. Afra sind Gellert, Rabener und Gärtner hervorgegangen, die im Verein mit den Portensern Klopstock, Johann Adolf und Johann Elias Schlegel, den Söhnen des Meißner Stiftssyndikus, und dem Grimmenser Cramer das klassische Zeit¬ alter unsrer Literatur sehr wesentlich vorbereiten halfen. Schon auf der Fürsten¬ schule, zum Teil nach Gottscheds Grundsätzen zu einem reinern Gebrauch der Muttersprache in Reim und Prosa angeleitet, waren sie die einflußreichsten Mit¬ glieder des Leipziger Dichterkreises, der sogenannten „Bremer Beiträger." In der Betonung des Gemüts und der Phantasie wuchsen sie weit über Gottscheds Verstandesdürre hinaus, Gellert und Rabener aber wurden außerdem die Bildner einer geschmackvoll erzählenden Prosa und des modernen Briefstils. Die Verdienste Meißens um die deutsche Sprache und Literatur sind heute vergessen, der Bremer oder der Berliner, voll der törichten Einbildung, ein besseres Deutsch zu sprechen als der Sachse, würde nur mit einem ungläubigen Kopfschütteln davon hören, aber im ganzen achtzehnten Jahrhundert war die Kunde davon lebendig, sodciß noch Schiller,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/722>, abgerufen am 05.02.2025.