Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Afghanistan war von unsrer Ankunft jedenfalls Meldung erstattet worden, doch ließ man Nachdem sich der Beamte nach unserm Befinden erkundigt hatte, wurden Am Abend dieses Tags überbrachte ein Dolmetsch des Emirs jedem von Afghanistan war von unsrer Ankunft jedenfalls Meldung erstattet worden, doch ließ man Nachdem sich der Beamte nach unserm Befinden erkundigt hatte, wurden Am Abend dieses Tags überbrachte ein Dolmetsch des Emirs jedem von <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0705" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297084"/> <fw type="header" place="top"> Afghanistan</fw><lb/> <p xml:id="ID_3250" prev="#ID_3249"> war von unsrer Ankunft jedenfalls Meldung erstattet worden, doch ließ man<lb/> uns warten. Wahrscheinlich wurde während dieser Zeit über die Frage unsrer<lb/> Einquartierung beraten. Endlich wurde unserm Langen und Bangen ein Ziel<lb/> gesteckt, und wir ritten auf einer schönen, durch Baumreihen beschatteten<lb/> Straße an einen Ort in der Nähe der Schlösser des Emirs. Dort stiegen wir<lb/> von den Rossen und wurden in ein sehr großes Doppelzelt geführt, wo uns<lb/> ein noch junger, aber im Range hochstehender Beamter des Emirs bewill¬<lb/> kommnete und in eine gesonderte Abteilung des Zeltes geleitete, wo wir mit<lb/> Tee und feinem Backwerk bewirtet wurden. In dem großen Raume des Zeltes<lb/> standen viele vornehme Männer, vermutlich einheimische Fürsten und Stammes¬<lb/> häuptlinge, die dem Beamten Gesuche übergaben und Anliegen vortrugen. Der<lb/> Boden im Zelte war mit Teppichen belegt, der Beamte saß auf einem besondern,<lb/> goldgestickten Teppiche, nahm die Schriftstücke der Gesuchsteller in Empfang und<lb/> sah sie sofort durch. Die ihm berechtigt scheinenden Gesuche wurden zusammen¬<lb/> gelegt, die andern ohne weiteres auf den Boden geworfen und von den Bitt¬<lb/> stellern demütig wieder zurückgenommen. Im Verlauf einer Stunde wurden<lb/> auf diese Weise alle Gesuche erledigt, worauf in einer andern Abteilung des<lb/> Zeltes gemeinsam gebetet wurde. Dann wurden die Bittsteller entlassen. Unter<lb/> diesen Männern sielen mir sechs wegen ihrer Tracht und ihres martialischen<lb/> Aussehens besonders auf. Sie trugen schwarze Vollbärte, sehr lange, über die<lb/> Schultern niederwallende Haupthaare und sahen mit großen, schwarzen, blitzenden<lb/> Augen um sich. Einer von ihnen maß gewiß 1,90 Meter. Bekleidet waren<lb/> die wilden Gesellen mit langen braunen Lodenröcken und hohen rohledernen<lb/> Stiefeln. Als Kopfbedeckung trugen sie langwollige Schafpelzmützen, die den<lb/> Grenadiermützen früherer Zeiten einigermaßen ähnelten. Um den Leib hatten<lb/> sie Gürtel geschlungen, die mit Gewehrpatronen gefüllt waren. Auf meine<lb/> Frage, woher diese Männer gekommen seien, wurde mir die Antwort, sie lebten<lb/> an der Grenze nächst Belutschistan und seien erschienen, um dem Emir ihre<lb/> Bitten vorzutragen. Sie sollen früher in Belutschistan als Räuber gehaust<lb/> haben und deswegen von den Engländern verfolgt worden sein, sodaß sie es<lb/> vorzogen, über die Grenze nach Afghanistan zu fliehen. Sie werden selbstver¬<lb/> ständlich mit Strenge behandelt und im Zaum gehalten.</p><lb/> <p xml:id="ID_3251"> Nachdem sich der Beamte nach unserm Befinden erkundigt hatte, wurden<lb/> wir höflichst verabschiedet und in unsre Wohnungen geleitet. Diese lagen in<lb/> einem der besten Häuser am nordwestlichen Ende der Stadt, Andarabi genannt,<lb/> wo schon ein Europäer, Frank Martin, wohnte, der uns in freundlichster Weise<lb/> begrüßte. Der Verkehr mit diesem hochachtbaren, ausgezeichneten Manne ge¬<lb/> staltete sich im Laufe der Zeit zu einem wirklich freundschaftlichen, sehr ange¬<lb/> nehmen Verhältnis. Herr Martin ist ein Gentleman in des Wortes voller<lb/> Bedeutung. Der Umgang mit ihm machte mir und meinem Begleiter das Leben<lb/> in Kabul, wo wir uns fern von der gesitteten Welt wußten, erträglich.</p><lb/> <p xml:id="ID_3252" next="#ID_3253"> Am Abend dieses Tags überbrachte ein Dolmetsch des Emirs jedem von<lb/> uns hundert afghanische Rupien als Geschenk des Fürsten. Auch wurden uns<lb/> zehn Rasttage gewährt, damit wir uns von den Anstrengungen der Reise er¬<lb/> holen könnten. Am 21. Juli wurden wir eingeladen, vor dem Emir zu er-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0705]
Afghanistan
war von unsrer Ankunft jedenfalls Meldung erstattet worden, doch ließ man
uns warten. Wahrscheinlich wurde während dieser Zeit über die Frage unsrer
Einquartierung beraten. Endlich wurde unserm Langen und Bangen ein Ziel
gesteckt, und wir ritten auf einer schönen, durch Baumreihen beschatteten
Straße an einen Ort in der Nähe der Schlösser des Emirs. Dort stiegen wir
von den Rossen und wurden in ein sehr großes Doppelzelt geführt, wo uns
ein noch junger, aber im Range hochstehender Beamter des Emirs bewill¬
kommnete und in eine gesonderte Abteilung des Zeltes geleitete, wo wir mit
Tee und feinem Backwerk bewirtet wurden. In dem großen Raume des Zeltes
standen viele vornehme Männer, vermutlich einheimische Fürsten und Stammes¬
häuptlinge, die dem Beamten Gesuche übergaben und Anliegen vortrugen. Der
Boden im Zelte war mit Teppichen belegt, der Beamte saß auf einem besondern,
goldgestickten Teppiche, nahm die Schriftstücke der Gesuchsteller in Empfang und
sah sie sofort durch. Die ihm berechtigt scheinenden Gesuche wurden zusammen¬
gelegt, die andern ohne weiteres auf den Boden geworfen und von den Bitt¬
stellern demütig wieder zurückgenommen. Im Verlauf einer Stunde wurden
auf diese Weise alle Gesuche erledigt, worauf in einer andern Abteilung des
Zeltes gemeinsam gebetet wurde. Dann wurden die Bittsteller entlassen. Unter
diesen Männern sielen mir sechs wegen ihrer Tracht und ihres martialischen
Aussehens besonders auf. Sie trugen schwarze Vollbärte, sehr lange, über die
Schultern niederwallende Haupthaare und sahen mit großen, schwarzen, blitzenden
Augen um sich. Einer von ihnen maß gewiß 1,90 Meter. Bekleidet waren
die wilden Gesellen mit langen braunen Lodenröcken und hohen rohledernen
Stiefeln. Als Kopfbedeckung trugen sie langwollige Schafpelzmützen, die den
Grenadiermützen früherer Zeiten einigermaßen ähnelten. Um den Leib hatten
sie Gürtel geschlungen, die mit Gewehrpatronen gefüllt waren. Auf meine
Frage, woher diese Männer gekommen seien, wurde mir die Antwort, sie lebten
an der Grenze nächst Belutschistan und seien erschienen, um dem Emir ihre
Bitten vorzutragen. Sie sollen früher in Belutschistan als Räuber gehaust
haben und deswegen von den Engländern verfolgt worden sein, sodaß sie es
vorzogen, über die Grenze nach Afghanistan zu fliehen. Sie werden selbstver¬
ständlich mit Strenge behandelt und im Zaum gehalten.
Nachdem sich der Beamte nach unserm Befinden erkundigt hatte, wurden
wir höflichst verabschiedet und in unsre Wohnungen geleitet. Diese lagen in
einem der besten Häuser am nordwestlichen Ende der Stadt, Andarabi genannt,
wo schon ein Europäer, Frank Martin, wohnte, der uns in freundlichster Weise
begrüßte. Der Verkehr mit diesem hochachtbaren, ausgezeichneten Manne ge¬
staltete sich im Laufe der Zeit zu einem wirklich freundschaftlichen, sehr ange¬
nehmen Verhältnis. Herr Martin ist ein Gentleman in des Wortes voller
Bedeutung. Der Umgang mit ihm machte mir und meinem Begleiter das Leben
in Kabul, wo wir uns fern von der gesitteten Welt wußten, erträglich.
Am Abend dieses Tags überbrachte ein Dolmetsch des Emirs jedem von
uns hundert afghanische Rupien als Geschenk des Fürsten. Auch wurden uns
zehn Rasttage gewährt, damit wir uns von den Anstrengungen der Reise er¬
holen könnten. Am 21. Juli wurden wir eingeladen, vor dem Emir zu er-
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