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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren

restauriert hatte. Wir schliefen zu zweit in einem leidlichen Bett. Als ich am
andern Morgen auf die Fahrt gehn wollte, bekam ich die völlig zusammengeschrumpften
Stiefel nicht an die Füße, ich fand aber zum Glück ein Paar Holzpantoffeln, mit
denen ich dann loszog. Nach einer Weile erhielt ich von einer mildtätigen Seele
ein Paar Stiefeletten, die allerdings Weder neu noch in gutem Zustande waren,
aber meiner äußern Erscheinung doch ein vorteilhafteres Aussehen gaben als die
Holzpantoffeln. Über Flensburg wanderte ich nach Tondern, wo ich am Weih¬
nachtheiligabend anlangte. Ich beschloß, ans der freundlichen Feststimmung, in der
nach meiner Überzeugung besonders die Ladeninhaber gerade leben mußten, Kapital
zu schlage" und begann sofort damit, die Läden zu stoßen. Am Abend fand auf
der Herberge zur Heimat eine Bescherung statt, wobei es warmes Abendbrot, eine
Mütze, ein Paar Strümpfe, ferner freies Nachtquartier, ein Glas Bier und am
andern Morgen Kaffee gab. Am zweiten Feiertag früh wanderte ich weiter nach
Lügumkloster. Dort erhielt ich von einer Witwe, die allem Anschein nach ihren
Seligen noch nicht lange begraben hatte, ein Paar schöne "Trittchen" (Stiefel), die
nur den einen Fehler hatten, daß sie für meinen Fuß zu schmal waren. Da ich
auf diese Gabe unter keinen Umständen verzichten wollte, der Witwe aber daran
lag, sich davon zu überzeugen, daß mir die Stiefel paßten, so setzte ich mich hin
und probierte sie an. Ich hatte die größte Schwierigkeit, den Fuß hineinzubekommen,
verbiß aber standhaft meine Qualen und gab mir Mühe, möglichst erfreut und be¬
glückt auszusehen, was auf meine Wohltäterin allem Anschein nach den besten Ein¬
druck machte. Als ich mich unter Schmerzen aufrichtete und meinem Danke Aus¬
druck verlieh, sagte die brave Frau: "Es freut mich, daß sie Ihnen so gut Passen,
vertragen Sie sie in Gottes Namen."

Nach diesem erfreulichen Ergebnis meiner Fahrt beschloß ich, den Rest des
Tages zu feiern, holte mir noch ein Fläschchen Fischtran und versuchte auf der
Herberge, meine Stiefel dnrch gehöriges Einschmieren dehnbar und passender zu
machen, was leider nicht in dem gewünschten Maße gelang. Trotzdem zog ich sie
am andern Morgen an, ließ meine Stiefeletten unter der Bank stehn und wanderte
in Gesellschaft eines Fleischers, eines Kaufmanns und eines Kellners auf Avenrade
zu. Wir mochten etwa zehn Minuten unterwegs gewesen sein, als ich zu der Ein¬
sicht kam, daß ich mit meiner engen Fußbekleidung nicht recht fortkäme. Ich zog
die Stiefel deshalb aus, fand, daß an meinen Füßen schon eine Blase an der
andern saß, und lief trotz der Dezemberkälte barfuß weiter. Da ich in diesem Zu¬
stande sehr bemitleidenswert aussah, machte ich meinen drei Begleitern den Vor¬
schlag, wir wollten immer zu Vieren die "fetten Kaffern" (reichen Bauern) stoßen,
die dort in der Gegend auf ansehnlichen Gütern wohnen. Diese Spekulation erwies
sich als richtig, wir erhielten überall mindestens zwanzig "Poscher," außerdem reich¬
liches Essen und fast überall eine" "Kump" mit selbstgebrautem Bier. Unsre Ab¬
sicht, Apenrade an diesem Tage noch zu erreiche", ließ sich nicht verwirklichen.
Wir mußten in Rvtenkrug im Dorfgasthos übernachten. Wir aßen und tranken
dort gut, und ich hatte zum erstenmal Gelegenheit, die Leute dänisch sprechen zu
hören. An einem der Nachbartische saß ein Bauer, der sein Bier trank. Einer
meiner Begleiter, der Kaufmann, sagte mir, ich solle, wenn der Bauer das Glas
zum Munde führe, laut das Wort "Staat" (Prosit) hinnberrnfe", was ich auch tat.
Der Bauer freute sich über diese Aufmerksamkeit sehr, erwiderte rin dem dänischen
Sprüchlein: "Min Staat. din Staat, alle faulte Pigers Staat!" (Mein Wohl,
dein Wohl, aller schönen Mädchen Wohl) und zahlte für jeden von uns ein Glas
Bier. Am andern Morgen talften wir zunächst das Kaff ab und kehrten in den
Krug zurück, wo ich beobachtete, wie sich ein Bauer Kaffeepunsch bestellte und mit
sichtbarem Behagen trank. Da ich neugierig war, dieses mir noch unbekannte Ge¬
tränk kennen zu lernen, bestellte ich ebenfalls Kaffeepnnsch, der mir allerdings nicht
gerade angenehm mundete. Es war eine Mischung von einem Drittel sehr starkem
schwarzem Kaffee mit Zucker und zwei Dritteln Schnaps.


Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren

restauriert hatte. Wir schliefen zu zweit in einem leidlichen Bett. Als ich am
andern Morgen auf die Fahrt gehn wollte, bekam ich die völlig zusammengeschrumpften
Stiefel nicht an die Füße, ich fand aber zum Glück ein Paar Holzpantoffeln, mit
denen ich dann loszog. Nach einer Weile erhielt ich von einer mildtätigen Seele
ein Paar Stiefeletten, die allerdings Weder neu noch in gutem Zustande waren,
aber meiner äußern Erscheinung doch ein vorteilhafteres Aussehen gaben als die
Holzpantoffeln. Über Flensburg wanderte ich nach Tondern, wo ich am Weih¬
nachtheiligabend anlangte. Ich beschloß, ans der freundlichen Feststimmung, in der
nach meiner Überzeugung besonders die Ladeninhaber gerade leben mußten, Kapital
zu schlage» und begann sofort damit, die Läden zu stoßen. Am Abend fand auf
der Herberge zur Heimat eine Bescherung statt, wobei es warmes Abendbrot, eine
Mütze, ein Paar Strümpfe, ferner freies Nachtquartier, ein Glas Bier und am
andern Morgen Kaffee gab. Am zweiten Feiertag früh wanderte ich weiter nach
Lügumkloster. Dort erhielt ich von einer Witwe, die allem Anschein nach ihren
Seligen noch nicht lange begraben hatte, ein Paar schöne „Trittchen" (Stiefel), die
nur den einen Fehler hatten, daß sie für meinen Fuß zu schmal waren. Da ich
auf diese Gabe unter keinen Umständen verzichten wollte, der Witwe aber daran
lag, sich davon zu überzeugen, daß mir die Stiefel paßten, so setzte ich mich hin
und probierte sie an. Ich hatte die größte Schwierigkeit, den Fuß hineinzubekommen,
verbiß aber standhaft meine Qualen und gab mir Mühe, möglichst erfreut und be¬
glückt auszusehen, was auf meine Wohltäterin allem Anschein nach den besten Ein¬
druck machte. Als ich mich unter Schmerzen aufrichtete und meinem Danke Aus¬
druck verlieh, sagte die brave Frau: „Es freut mich, daß sie Ihnen so gut Passen,
vertragen Sie sie in Gottes Namen."

Nach diesem erfreulichen Ergebnis meiner Fahrt beschloß ich, den Rest des
Tages zu feiern, holte mir noch ein Fläschchen Fischtran und versuchte auf der
Herberge, meine Stiefel dnrch gehöriges Einschmieren dehnbar und passender zu
machen, was leider nicht in dem gewünschten Maße gelang. Trotzdem zog ich sie
am andern Morgen an, ließ meine Stiefeletten unter der Bank stehn und wanderte
in Gesellschaft eines Fleischers, eines Kaufmanns und eines Kellners auf Avenrade
zu. Wir mochten etwa zehn Minuten unterwegs gewesen sein, als ich zu der Ein¬
sicht kam, daß ich mit meiner engen Fußbekleidung nicht recht fortkäme. Ich zog
die Stiefel deshalb aus, fand, daß an meinen Füßen schon eine Blase an der
andern saß, und lief trotz der Dezemberkälte barfuß weiter. Da ich in diesem Zu¬
stande sehr bemitleidenswert aussah, machte ich meinen drei Begleitern den Vor¬
schlag, wir wollten immer zu Vieren die „fetten Kaffern" (reichen Bauern) stoßen,
die dort in der Gegend auf ansehnlichen Gütern wohnen. Diese Spekulation erwies
sich als richtig, wir erhielten überall mindestens zwanzig „Poscher," außerdem reich¬
liches Essen und fast überall eine» „Kump" mit selbstgebrautem Bier. Unsre Ab¬
sicht, Apenrade an diesem Tage noch zu erreiche», ließ sich nicht verwirklichen.
Wir mußten in Rvtenkrug im Dorfgasthos übernachten. Wir aßen und tranken
dort gut, und ich hatte zum erstenmal Gelegenheit, die Leute dänisch sprechen zu
hören. An einem der Nachbartische saß ein Bauer, der sein Bier trank. Einer
meiner Begleiter, der Kaufmann, sagte mir, ich solle, wenn der Bauer das Glas
zum Munde führe, laut das Wort „Staat" (Prosit) hinnberrnfe», was ich auch tat.
Der Bauer freute sich über diese Aufmerksamkeit sehr, erwiderte rin dem dänischen
Sprüchlein: „Min Staat. din Staat, alle faulte Pigers Staat!" (Mein Wohl,
dein Wohl, aller schönen Mädchen Wohl) und zahlte für jeden von uns ein Glas
Bier. Am andern Morgen talften wir zunächst das Kaff ab und kehrten in den
Krug zurück, wo ich beobachtete, wie sich ein Bauer Kaffeepunsch bestellte und mit
sichtbarem Behagen trank. Da ich neugierig war, dieses mir noch unbekannte Ge¬
tränk kennen zu lernen, bestellte ich ebenfalls Kaffeepnnsch, der mir allerdings nicht
gerade angenehm mundete. Es war eine Mischung von einem Drittel sehr starkem
schwarzem Kaffee mit Zucker und zwei Dritteln Schnaps.


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[0676] Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren restauriert hatte. Wir schliefen zu zweit in einem leidlichen Bett. Als ich am andern Morgen auf die Fahrt gehn wollte, bekam ich die völlig zusammengeschrumpften Stiefel nicht an die Füße, ich fand aber zum Glück ein Paar Holzpantoffeln, mit denen ich dann loszog. Nach einer Weile erhielt ich von einer mildtätigen Seele ein Paar Stiefeletten, die allerdings Weder neu noch in gutem Zustande waren, aber meiner äußern Erscheinung doch ein vorteilhafteres Aussehen gaben als die Holzpantoffeln. Über Flensburg wanderte ich nach Tondern, wo ich am Weih¬ nachtheiligabend anlangte. Ich beschloß, ans der freundlichen Feststimmung, in der nach meiner Überzeugung besonders die Ladeninhaber gerade leben mußten, Kapital zu schlage» und begann sofort damit, die Läden zu stoßen. Am Abend fand auf der Herberge zur Heimat eine Bescherung statt, wobei es warmes Abendbrot, eine Mütze, ein Paar Strümpfe, ferner freies Nachtquartier, ein Glas Bier und am andern Morgen Kaffee gab. Am zweiten Feiertag früh wanderte ich weiter nach Lügumkloster. Dort erhielt ich von einer Witwe, die allem Anschein nach ihren Seligen noch nicht lange begraben hatte, ein Paar schöne „Trittchen" (Stiefel), die nur den einen Fehler hatten, daß sie für meinen Fuß zu schmal waren. Da ich auf diese Gabe unter keinen Umständen verzichten wollte, der Witwe aber daran lag, sich davon zu überzeugen, daß mir die Stiefel paßten, so setzte ich mich hin und probierte sie an. Ich hatte die größte Schwierigkeit, den Fuß hineinzubekommen, verbiß aber standhaft meine Qualen und gab mir Mühe, möglichst erfreut und be¬ glückt auszusehen, was auf meine Wohltäterin allem Anschein nach den besten Ein¬ druck machte. Als ich mich unter Schmerzen aufrichtete und meinem Danke Aus¬ druck verlieh, sagte die brave Frau: „Es freut mich, daß sie Ihnen so gut Passen, vertragen Sie sie in Gottes Namen." Nach diesem erfreulichen Ergebnis meiner Fahrt beschloß ich, den Rest des Tages zu feiern, holte mir noch ein Fläschchen Fischtran und versuchte auf der Herberge, meine Stiefel dnrch gehöriges Einschmieren dehnbar und passender zu machen, was leider nicht in dem gewünschten Maße gelang. Trotzdem zog ich sie am andern Morgen an, ließ meine Stiefeletten unter der Bank stehn und wanderte in Gesellschaft eines Fleischers, eines Kaufmanns und eines Kellners auf Avenrade zu. Wir mochten etwa zehn Minuten unterwegs gewesen sein, als ich zu der Ein¬ sicht kam, daß ich mit meiner engen Fußbekleidung nicht recht fortkäme. Ich zog die Stiefel deshalb aus, fand, daß an meinen Füßen schon eine Blase an der andern saß, und lief trotz der Dezemberkälte barfuß weiter. Da ich in diesem Zu¬ stande sehr bemitleidenswert aussah, machte ich meinen drei Begleitern den Vor¬ schlag, wir wollten immer zu Vieren die „fetten Kaffern" (reichen Bauern) stoßen, die dort in der Gegend auf ansehnlichen Gütern wohnen. Diese Spekulation erwies sich als richtig, wir erhielten überall mindestens zwanzig „Poscher," außerdem reich¬ liches Essen und fast überall eine» „Kump" mit selbstgebrautem Bier. Unsre Ab¬ sicht, Apenrade an diesem Tage noch zu erreiche», ließ sich nicht verwirklichen. Wir mußten in Rvtenkrug im Dorfgasthos übernachten. Wir aßen und tranken dort gut, und ich hatte zum erstenmal Gelegenheit, die Leute dänisch sprechen zu hören. An einem der Nachbartische saß ein Bauer, der sein Bier trank. Einer meiner Begleiter, der Kaufmann, sagte mir, ich solle, wenn der Bauer das Glas zum Munde führe, laut das Wort „Staat" (Prosit) hinnberrnfe», was ich auch tat. Der Bauer freute sich über diese Aufmerksamkeit sehr, erwiderte rin dem dänischen Sprüchlein: „Min Staat. din Staat, alle faulte Pigers Staat!" (Mein Wohl, dein Wohl, aller schönen Mädchen Wohl) und zahlte für jeden von uns ein Glas Bier. Am andern Morgen talften wir zunächst das Kaff ab und kehrten in den Krug zurück, wo ich beobachtete, wie sich ein Bauer Kaffeepunsch bestellte und mit sichtbarem Behagen trank. Da ich neugierig war, dieses mir noch unbekannte Ge¬ tränk kennen zu lernen, bestellte ich ebenfalls Kaffeepnnsch, der mir allerdings nicht gerade angenehm mundete. Es war eine Mischung von einem Drittel sehr starkem schwarzem Kaffee mit Zucker und zwei Dritteln Schnaps.

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/676>, abgerufen am 06.02.2025.