Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Ist das Reichwerden leichter geworden? noncen ein so großes Publikum erfassen, wie für die Rentabilität absolut not¬ Aber auch andre wirksame Wege hat die Reklame. In der Bahn, auf Und nun erst die Kreditverhältnisse! Auch der Reichste konnte früher leicht Wir sehen also, daß die moderne Zeit, was die Schnelligkeit anlangt, der Ist das Reichwerden leichter geworden? noncen ein so großes Publikum erfassen, wie für die Rentabilität absolut not¬ Aber auch andre wirksame Wege hat die Reklame. In der Bahn, auf Und nun erst die Kreditverhältnisse! Auch der Reichste konnte früher leicht Wir sehen also, daß die moderne Zeit, was die Schnelligkeit anlangt, der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0597" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296976"/> <fw type="header" place="top"> Ist das Reichwerden leichter geworden?</fw><lb/> <p xml:id="ID_2753" prev="#ID_2752"> noncen ein so großes Publikum erfassen, wie für die Rentabilität absolut not¬<lb/> wendig war. — Heute ist das alles anders. Das Deutsche Reich beherbergt<lb/> über 55 Millionen Menschen und gewährt ihnen ein Einkommen, das einen<lb/> großen Teil befähigt, den Lebensgenuß durch Erwerbung von Waren zu er¬<lb/> höhen. Die Zeitungen sind in Millionen von Exemplaren verbreitet; ihr Preis<lb/> ist äußerst billig, ihre Auflage zählt oft nach vielen Zehntausenden. Die Annoncen<lb/> haben darum eine viel größere Wirkung als einst; sie werden von einer viel<lb/> größern und viel kaufkräftigern Menschenmenge gelesen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2754"> Aber auch andre wirksame Wege hat die Reklame. In der Bahn, auf<lb/> Brandmauern, an Bretterzäunen und Litfaßsäulen sehen wir bei unserm Gang<lb/> zum Bureau des Morgens, wo wir diese oder jene neu eingetrosfne Ware sofort<lb/> kaufen können. Die breiten luxuriösen Schaufenster auf unserm Wege führen<lb/> uns täglich die eben ausgepackte „neueste Mode" vor Augen. Ja es gibt Ge¬<lb/> schäfte, deren ganze Grundlage die Reklame abgibt. Früher stöhnte man, wenn<lb/> man im Jahre Hunderte oder Tausende für Reklamezwecke ausgab, wo jetzt<lb/> Zehntausende lange nicht mehr ausreichen, und manche bekannte Firmen geben<lb/> Hunderttausende für die Reklame aus. Alle diese Mittel der Reklame schaffen<lb/> dem Handel die Möglichkeit, schnell eine große Käufermenge zu erreichen, während<lb/> früher weder diese große Käuferzahl, noch die Mittel, schnell an sie heranzu¬<lb/> kommen, zur Verfügung standen. Man mußte deshalb früher froh sein, wenn<lb/> man im Handel sein Kapital ein- oder zweimal im Jahre umsetzte, während<lb/> jetzt in wenig Tagen die amerikanischen Kontrollkassen ihre eingesammelten<lb/> Schätze fertig gebucht herausgeben.</p><lb/> <p xml:id="ID_2755"> Und nun erst die Kreditverhältnisse! Auch der Reichste konnte früher leicht<lb/> in Geldverlegenheit kommen und nicht in der Lage sein, ein ihn lockendes Geschäft<lb/> abzuschließen, da er die nötigen Kapitalien nicht schnell genug beschaffen konnte.<lb/> Heute ist das Kapital in jeder Beziehung mobilisiert, und die Beschaffung von<lb/> Bargeld in jeder Höhe ist in wenig Tagen möglich. Auch verschlangen früher<lb/> die Zinsen, die man für eine zu geschäftlichen Zwecken aufgenommene Summe<lb/> zu zahlen hatte, sehr oft den größten Teil des Gewinns. Jetzt ist der Zinsfuß,<lb/> wie das Bürgerliche Gesetzbuch sogar ausdrücklich bestimmt, sehr gefallen; der<lb/> Kaufmann kann billiger fremdes Geld in seine Dienste stellen als früher.</p><lb/> <p xml:id="ID_2756"> Wir sehen also, daß die moderne Zeit, was die Schnelligkeit anlangt, der<lb/> Vergangenheit bei weitem überlegen ist. Aber auch die Wohlfeilheit der Waren,<lb/> wenn auch nicht aller (des Kaviars leider!), hat große Fortschritte gemacht.<lb/> Wie wäre es, was heute eine Kleinigkeit ist, möglich gewesen, eine Schachtel<lb/> schwedischer Zündhölzer für 1 Pfennig anzubieten; die Uhr, die in der Nähe<lb/> deines Herzens schlägt, hat vor Jahrzehnten das Dreifache von dem gekostet,<lb/> was sie jetzt kostet, und wenn früher das deutsche Volk jährlich Hunderte oder<lb/> Tausende von Uhren brauchte, sind es jetzt Hunderttausende. Könnte unser<lb/> Volk wohl daran denken, sich diese Dinge in solcher Menge zu kaufen, wenn sich<lb/> die Preise gleich geblieben wären? Aber die Billigkeit ermöglicht weiten Kreisen<lb/> die Anschaffung — Schwefelhölzcr sieht man nur noch auf Dörfern, und fast<lb/> jeder erwachsene Mensch (in den Städten wenigstens) hat seinen seiger in der<lb/> Westentasche.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0597]
Ist das Reichwerden leichter geworden?
noncen ein so großes Publikum erfassen, wie für die Rentabilität absolut not¬
wendig war. — Heute ist das alles anders. Das Deutsche Reich beherbergt
über 55 Millionen Menschen und gewährt ihnen ein Einkommen, das einen
großen Teil befähigt, den Lebensgenuß durch Erwerbung von Waren zu er¬
höhen. Die Zeitungen sind in Millionen von Exemplaren verbreitet; ihr Preis
ist äußerst billig, ihre Auflage zählt oft nach vielen Zehntausenden. Die Annoncen
haben darum eine viel größere Wirkung als einst; sie werden von einer viel
größern und viel kaufkräftigern Menschenmenge gelesen.
Aber auch andre wirksame Wege hat die Reklame. In der Bahn, auf
Brandmauern, an Bretterzäunen und Litfaßsäulen sehen wir bei unserm Gang
zum Bureau des Morgens, wo wir diese oder jene neu eingetrosfne Ware sofort
kaufen können. Die breiten luxuriösen Schaufenster auf unserm Wege führen
uns täglich die eben ausgepackte „neueste Mode" vor Augen. Ja es gibt Ge¬
schäfte, deren ganze Grundlage die Reklame abgibt. Früher stöhnte man, wenn
man im Jahre Hunderte oder Tausende für Reklamezwecke ausgab, wo jetzt
Zehntausende lange nicht mehr ausreichen, und manche bekannte Firmen geben
Hunderttausende für die Reklame aus. Alle diese Mittel der Reklame schaffen
dem Handel die Möglichkeit, schnell eine große Käufermenge zu erreichen, während
früher weder diese große Käuferzahl, noch die Mittel, schnell an sie heranzu¬
kommen, zur Verfügung standen. Man mußte deshalb früher froh sein, wenn
man im Handel sein Kapital ein- oder zweimal im Jahre umsetzte, während
jetzt in wenig Tagen die amerikanischen Kontrollkassen ihre eingesammelten
Schätze fertig gebucht herausgeben.
Und nun erst die Kreditverhältnisse! Auch der Reichste konnte früher leicht
in Geldverlegenheit kommen und nicht in der Lage sein, ein ihn lockendes Geschäft
abzuschließen, da er die nötigen Kapitalien nicht schnell genug beschaffen konnte.
Heute ist das Kapital in jeder Beziehung mobilisiert, und die Beschaffung von
Bargeld in jeder Höhe ist in wenig Tagen möglich. Auch verschlangen früher
die Zinsen, die man für eine zu geschäftlichen Zwecken aufgenommene Summe
zu zahlen hatte, sehr oft den größten Teil des Gewinns. Jetzt ist der Zinsfuß,
wie das Bürgerliche Gesetzbuch sogar ausdrücklich bestimmt, sehr gefallen; der
Kaufmann kann billiger fremdes Geld in seine Dienste stellen als früher.
Wir sehen also, daß die moderne Zeit, was die Schnelligkeit anlangt, der
Vergangenheit bei weitem überlegen ist. Aber auch die Wohlfeilheit der Waren,
wenn auch nicht aller (des Kaviars leider!), hat große Fortschritte gemacht.
Wie wäre es, was heute eine Kleinigkeit ist, möglich gewesen, eine Schachtel
schwedischer Zündhölzer für 1 Pfennig anzubieten; die Uhr, die in der Nähe
deines Herzens schlägt, hat vor Jahrzehnten das Dreifache von dem gekostet,
was sie jetzt kostet, und wenn früher das deutsche Volk jährlich Hunderte oder
Tausende von Uhren brauchte, sind es jetzt Hunderttausende. Könnte unser
Volk wohl daran denken, sich diese Dinge in solcher Menge zu kaufen, wenn sich
die Preise gleich geblieben wären? Aber die Billigkeit ermöglicht weiten Kreisen
die Anschaffung — Schwefelhölzcr sieht man nur noch auf Dörfern, und fast
jeder erwachsene Mensch (in den Städten wenigstens) hat seinen seiger in der
Westentasche.
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