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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Ist das Reichwerden leichter geworden?

freilich: das ist nicht jedermanns Sache, und Hans Huckebein ist eine lehrreiche
Mär für die große Zahl derer, die an ihrem Pech selbst schuld sind. Wie sagt
doch der unbarmherzige Goethe?

Wir Molken einmal die wirtschaftlichen Verhältnisse, die den genannten Pio¬
nieren deutscher Industrie ihren Weg ermöglicht haben, einzeln Revue passieren
lassen.

Der Erfolg der kaufmännischen Tätigkeit beruht auf einer doppelten Grund¬
lage: der Kaufmann muß seine Waren erstens möglichst schnell und zweitens
möglichst billig herstellen und verkaufen können. Nun ergibt ein Vergleich der
Vergangenheit mit der Gegenwart, daß in der Schnelligkeit und Wohlfeilheit
des Warenverkehrs unsre Tage ein großes Übergewicht haben. Wenn der
Kaufmann in frühern Jahrzehnten merkte, daß er in der nächsten Zeit
diesen oder jenen Artikel in größern Quantitäten absetzen könnte, so nützte
ihm diese Erkenntnis nicht viel, denn ehe der Lieferant in der Lage war, für
ihn diese Warenmenge herzustellen, vergingen Monate, und inzwischen war
der Reiz der Neuheit und damit die Kauflust verflogen. Während früher die
Herstellung eines Paars Schuhe einen ehrsamen Handwerksmeister einen Tag
voll beschäftigt haben mag, machen die knatternden amerikanischen Maschinen
einer einzigen Fabrik in Burg bei Magdeburg jeden Tag Hunderte, wenn nicht
Tausende von Schuhen, und das Befohlen, das in der Werkstatt des Hand¬
werkers Stunden in Anspruch nehmen muß. ist das Werk nicht von Minuten,
sondern von Sekunden. Die alten Töpfermeister, die täglich nur eine geringe,
fast an den Fingern zu zählende Anzahl von Töpfen herstellen konnten, müssen
staunend erfahren, daß ein einziges Werk in Thale am Harz an jedem Tage über
hunderttausend emaillierte Geschirre zum Verkauf stellt. Einer solchen Massen¬
produktion mit solcher Geschwindigkeit steht das ältere Geschlecht staunend und
kopfschüttelnd gegenüber. Heute folgt eben die Produktion der Konjunktur ans
den Wink. Die Bestellung ist in wenig Minuten durch den Telegraphen der
Fabrik übermittelt -- ein Wort des Direktors an seine Beamten, und das
Räderwerk setzt sich in Bewegung; die Schornsteine, die Meilenzeiger moderner
Produktion, beginnen zu rauchen, Tausende fleißiger Hände regen sich, und in
wenig Wochen oder gar Tagen meldet die Fabrik die Ausführung des Auftrags.

Alle die Umstände, die dieses rasche Ergebnis hervorbringen, sind Erzeug¬
nisse der modernen Zeit. Nur der Großbetrieb, ein Kind unsrer Tage, er¬
möglicht solche Erfolge, denn nur bei ihm ist es möglich, eine bis ins kleinste
durchgeführte Arbeitsteilung unter vielen Menschen und vielen Maschinen
durchzuführen und alle Einrichtungen zu treffen, die das rascheste Tempo in
der Erledigung möglich machen. Die Kraft der Flüsse und der Ströme wird
in den Dienst der Fabrik gestellt, die Motoren sausen und spenden ihre Kraft
nach allen Seiten, wandernde Krame tragen die Lasten von einem Wagen zum
andern, die Maschinen rasen und hämmern, und die selbsttätigen Bahnen de-


Ist das Reichwerden leichter geworden?

freilich: das ist nicht jedermanns Sache, und Hans Huckebein ist eine lehrreiche
Mär für die große Zahl derer, die an ihrem Pech selbst schuld sind. Wie sagt
doch der unbarmherzige Goethe?

Wir Molken einmal die wirtschaftlichen Verhältnisse, die den genannten Pio¬
nieren deutscher Industrie ihren Weg ermöglicht haben, einzeln Revue passieren
lassen.

Der Erfolg der kaufmännischen Tätigkeit beruht auf einer doppelten Grund¬
lage: der Kaufmann muß seine Waren erstens möglichst schnell und zweitens
möglichst billig herstellen und verkaufen können. Nun ergibt ein Vergleich der
Vergangenheit mit der Gegenwart, daß in der Schnelligkeit und Wohlfeilheit
des Warenverkehrs unsre Tage ein großes Übergewicht haben. Wenn der
Kaufmann in frühern Jahrzehnten merkte, daß er in der nächsten Zeit
diesen oder jenen Artikel in größern Quantitäten absetzen könnte, so nützte
ihm diese Erkenntnis nicht viel, denn ehe der Lieferant in der Lage war, für
ihn diese Warenmenge herzustellen, vergingen Monate, und inzwischen war
der Reiz der Neuheit und damit die Kauflust verflogen. Während früher die
Herstellung eines Paars Schuhe einen ehrsamen Handwerksmeister einen Tag
voll beschäftigt haben mag, machen die knatternden amerikanischen Maschinen
einer einzigen Fabrik in Burg bei Magdeburg jeden Tag Hunderte, wenn nicht
Tausende von Schuhen, und das Befohlen, das in der Werkstatt des Hand¬
werkers Stunden in Anspruch nehmen muß. ist das Werk nicht von Minuten,
sondern von Sekunden. Die alten Töpfermeister, die täglich nur eine geringe,
fast an den Fingern zu zählende Anzahl von Töpfen herstellen konnten, müssen
staunend erfahren, daß ein einziges Werk in Thale am Harz an jedem Tage über
hunderttausend emaillierte Geschirre zum Verkauf stellt. Einer solchen Massen¬
produktion mit solcher Geschwindigkeit steht das ältere Geschlecht staunend und
kopfschüttelnd gegenüber. Heute folgt eben die Produktion der Konjunktur ans
den Wink. Die Bestellung ist in wenig Minuten durch den Telegraphen der
Fabrik übermittelt — ein Wort des Direktors an seine Beamten, und das
Räderwerk setzt sich in Bewegung; die Schornsteine, die Meilenzeiger moderner
Produktion, beginnen zu rauchen, Tausende fleißiger Hände regen sich, und in
wenig Wochen oder gar Tagen meldet die Fabrik die Ausführung des Auftrags.

Alle die Umstände, die dieses rasche Ergebnis hervorbringen, sind Erzeug¬
nisse der modernen Zeit. Nur der Großbetrieb, ein Kind unsrer Tage, er¬
möglicht solche Erfolge, denn nur bei ihm ist es möglich, eine bis ins kleinste
durchgeführte Arbeitsteilung unter vielen Menschen und vielen Maschinen
durchzuführen und alle Einrichtungen zu treffen, die das rascheste Tempo in
der Erledigung möglich machen. Die Kraft der Flüsse und der Ströme wird
in den Dienst der Fabrik gestellt, die Motoren sausen und spenden ihre Kraft
nach allen Seiten, wandernde Krame tragen die Lasten von einem Wagen zum
andern, die Maschinen rasen und hämmern, und die selbsttätigen Bahnen de-


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[0595] Ist das Reichwerden leichter geworden? freilich: das ist nicht jedermanns Sache, und Hans Huckebein ist eine lehrreiche Mär für die große Zahl derer, die an ihrem Pech selbst schuld sind. Wie sagt doch der unbarmherzige Goethe? Wir Molken einmal die wirtschaftlichen Verhältnisse, die den genannten Pio¬ nieren deutscher Industrie ihren Weg ermöglicht haben, einzeln Revue passieren lassen. Der Erfolg der kaufmännischen Tätigkeit beruht auf einer doppelten Grund¬ lage: der Kaufmann muß seine Waren erstens möglichst schnell und zweitens möglichst billig herstellen und verkaufen können. Nun ergibt ein Vergleich der Vergangenheit mit der Gegenwart, daß in der Schnelligkeit und Wohlfeilheit des Warenverkehrs unsre Tage ein großes Übergewicht haben. Wenn der Kaufmann in frühern Jahrzehnten merkte, daß er in der nächsten Zeit diesen oder jenen Artikel in größern Quantitäten absetzen könnte, so nützte ihm diese Erkenntnis nicht viel, denn ehe der Lieferant in der Lage war, für ihn diese Warenmenge herzustellen, vergingen Monate, und inzwischen war der Reiz der Neuheit und damit die Kauflust verflogen. Während früher die Herstellung eines Paars Schuhe einen ehrsamen Handwerksmeister einen Tag voll beschäftigt haben mag, machen die knatternden amerikanischen Maschinen einer einzigen Fabrik in Burg bei Magdeburg jeden Tag Hunderte, wenn nicht Tausende von Schuhen, und das Befohlen, das in der Werkstatt des Hand¬ werkers Stunden in Anspruch nehmen muß. ist das Werk nicht von Minuten, sondern von Sekunden. Die alten Töpfermeister, die täglich nur eine geringe, fast an den Fingern zu zählende Anzahl von Töpfen herstellen konnten, müssen staunend erfahren, daß ein einziges Werk in Thale am Harz an jedem Tage über hunderttausend emaillierte Geschirre zum Verkauf stellt. Einer solchen Massen¬ produktion mit solcher Geschwindigkeit steht das ältere Geschlecht staunend und kopfschüttelnd gegenüber. Heute folgt eben die Produktion der Konjunktur ans den Wink. Die Bestellung ist in wenig Minuten durch den Telegraphen der Fabrik übermittelt — ein Wort des Direktors an seine Beamten, und das Räderwerk setzt sich in Bewegung; die Schornsteine, die Meilenzeiger moderner Produktion, beginnen zu rauchen, Tausende fleißiger Hände regen sich, und in wenig Wochen oder gar Tagen meldet die Fabrik die Ausführung des Auftrags. Alle die Umstände, die dieses rasche Ergebnis hervorbringen, sind Erzeug¬ nisse der modernen Zeit. Nur der Großbetrieb, ein Kind unsrer Tage, er¬ möglicht solche Erfolge, denn nur bei ihm ist es möglich, eine bis ins kleinste durchgeführte Arbeitsteilung unter vielen Menschen und vielen Maschinen durchzuführen und alle Einrichtungen zu treffen, die das rascheste Tempo in der Erledigung möglich machen. Die Kraft der Flüsse und der Ströme wird in den Dienst der Fabrik gestellt, die Motoren sausen und spenden ihre Kraft nach allen Seiten, wandernde Krame tragen die Lasten von einem Wagen zum andern, die Maschinen rasen und hämmern, und die selbsttätigen Bahnen de-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/595>, abgerufen am 06.02.2025.