Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Unter Runden, Aomödianten und wilden Tieren Publikums in die acht "Chaisen," was keine ganz leichte Arbeit ist, weil das Bei dieser Gelegenheit will ich erwähnen, daß sich der größte Teil des fahrenden Unter Runden, Aomödianten und wilden Tieren Publikums in die acht „Chaisen," was keine ganz leichte Arbeit ist, weil das Bei dieser Gelegenheit will ich erwähnen, daß sich der größte Teil des fahrenden <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0558" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296937"/> <fw type="header" place="top"> Unter Runden, Aomödianten und wilden Tieren</fw><lb/> <p xml:id="ID_2546" prev="#ID_2545"> Publikums in die acht „Chaisen," was keine ganz leichte Arbeit ist, weil das<lb/> Gleichgewicht so viel wie möglich erhalten werden muß, weshalb wir mitunter<lb/> einzelne Personen aus dem zuschauenden Publikum gratis mitfahren ließen oder<lb/> unbesetzt gebliebne „Chaisen" mit Gewichten beschwerten. Die Frau des Besitzers<lb/> drehte die Orgel, ein Schwager und ich setzten die Schaukel in Bewegung. Als<lb/> das Vogelschießen zu Ende ging, brachen wir ab, mietete» einen Leiterwagen, luden<lb/> die einzelnen Teile der Schaukel auf und fuhren nach Chemnitz zu dem auf dem<lb/> dortigen Brühl abgehaltnen Markt. Unterwegs hätten wir beinahe ein Unglück<lb/> gehabt, da der Wagen auf dem Brückenberge zurückging und sicherlich umgestürzt<lb/> wäre, wenn ich nicht rechtzeitig einen Stein hinter eins der Hinterräder gelegt und<lb/> dadurch den Wagen zum Stehn gebracht hätte. Später brach eins der Vorderräder<lb/> des Leiterwagens, und da wir im nächsten Dorfe beim Schmied kein passendes<lb/> fanden, mußten wir den ganzen vordern Wagenteil durch einen andern ersetzen.<lb/> In Chemnitz trafen wir wieder mit der Menagerie Fischer zusammen, die unter¬<lb/> wegs einen Unfall erlitten hatte. Der Wohnwagen war nämlich in den Straßen¬<lb/> graben gefallen, wobei ein Teil des Küchengeschirrs sowie die Fenster in Scherben<lb/> gegangen waren, was der Besitzer jedoch nicht tragisch nahm. In Chemnitz ging das<lb/> Geschäft recht flott. Es fehlte uns auch nicht an Bier und Essen. Dagegen mußten<lb/> wir zum Schlafen nach einem benachbarten Dorfe wandern, wo wir auf Stroh<lb/> nicht gerade die angenehmste Nachtruhe fanden. Als Tagelohn erhielt ich je nach<lb/> dem Gang des Geschäfts 3 bis 4 Mark. Von Chemnitz zogen wir weiter nach<lb/> Großenhain zum Schützenfest. Dort trafen wir wieder Bekannte aus Zwickau, die<lb/> Liliputanergesellschaft Geschwister Künzel aus Koburg, die aus fünf Mitgliedern be¬<lb/> stand, und deren „Impresario" ein Mann von großer Körperlänge und noch größeren<lb/> Durste war. Von Großenhain fuhren wir in Gesellschaft mehrerer andrer „Ko¬<lb/> mödianten" per Achse nach Dresden zur Vogelwiese. Unterwegs stöberte der Hund<lb/> des Liliputanerimprescirios während der Nacht in Hecken und Gebüsch herum und<lb/> brachte verschiedne Igel zum Vorschein, die von der Liliputanergesellschaft als will-<lb/> konunner Braten begrüßt und verspeist wurden. Gegen Mittag langten wir in<lb/> Dresden an, durchzogen die ganze Stadt und fanden auf der Vogelwiese schon viele<lb/> Buden und große Bretterbauten. Wir mußten uns deshalb mit dem Abladen und<lb/> dem Aufbauen unsrer Schaukel nach Möglichkeit beeilen. Abends gingen wir zum<lb/> Logieren in das Elbschlößchen, kamen aber erst um zwölf oder ein Uhr ins Bett.<lb/> Morgens früh nahm das Putzen der Schaukel sowie der dazugehörenden Lampen<lb/> viel Zeit in Anspruch. Leider hatten wir viel unter dem Regen aufzustehn, der<lb/> das Geschäft nicht gerade günstig beeinflußte. Trotzdem drängte sich das Publikum<lb/> durch die Budenreihen, und es entstand ein beinahe unergründlicher Schlamm, der<lb/> von Zeit zu Zeit zusammengekratzt wurde und in Haufen liegen blieb. Auch der<lb/> .König ließ es sich nicht nehmen, nach seiner Gewohnheit die Vogelwiese zu be¬<lb/> suchen, und wohnte einer Vorstellung in dem mechanischen Theater Morrier bei.<lb/> Auf der Vogelwiese war auch eine GeWerbeausstellung, die mit einer Verlosung<lb/> aller möglichen Gegenstände verbunden war. Ich nahm ein Los und gewann einen<lb/> Reisekoffer. Es war, als ob das Schicksal damals mein notwendigstes Bedürfnis<lb/> gekannt hätte. Der Impresario der Liliputaner, der nach seiner Gepflogenheit eines<lb/> Morgens wieder einmal mehr getrunken hatte, als er vertragen konnte, taumelte<lb/> zwischen den Buden umher und fiel in einen Haufen des zusammengekratzten<lb/> Schlammes, nicht zum Vorteil seines eleganten schwarzen Umzugs, der über und<lb/> über mit Schmutz bedeckt war. Aber, wie immer bei solchen Gelegenheiten, fand<lb/> sich eine hilfreiche Seele, die ihm wieder auf die Beine half und gleich einen Eimer<lb/> Wasser mitbrachte, der über seinem Haupt ausgeleert wurde. Ein paar andre<lb/> faßten ihn unter die Arme und führten ihn nach dem Wohnwagen, wo er von<lb/> seiner strengen Haushälterin mit einer Gardinenpredigt begrüßt wurde, die sicher¬<lb/> lich eine ähnliche Wirkung wie der Eimer kalten Wassers ausübte.</p><lb/> <p xml:id="ID_2547" next="#ID_2548"> Bei dieser Gelegenheit will ich erwähnen, daß sich der größte Teil des fahrenden</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0558]
Unter Runden, Aomödianten und wilden Tieren
Publikums in die acht „Chaisen," was keine ganz leichte Arbeit ist, weil das
Gleichgewicht so viel wie möglich erhalten werden muß, weshalb wir mitunter
einzelne Personen aus dem zuschauenden Publikum gratis mitfahren ließen oder
unbesetzt gebliebne „Chaisen" mit Gewichten beschwerten. Die Frau des Besitzers
drehte die Orgel, ein Schwager und ich setzten die Schaukel in Bewegung. Als
das Vogelschießen zu Ende ging, brachen wir ab, mietete» einen Leiterwagen, luden
die einzelnen Teile der Schaukel auf und fuhren nach Chemnitz zu dem auf dem
dortigen Brühl abgehaltnen Markt. Unterwegs hätten wir beinahe ein Unglück
gehabt, da der Wagen auf dem Brückenberge zurückging und sicherlich umgestürzt
wäre, wenn ich nicht rechtzeitig einen Stein hinter eins der Hinterräder gelegt und
dadurch den Wagen zum Stehn gebracht hätte. Später brach eins der Vorderräder
des Leiterwagens, und da wir im nächsten Dorfe beim Schmied kein passendes
fanden, mußten wir den ganzen vordern Wagenteil durch einen andern ersetzen.
In Chemnitz trafen wir wieder mit der Menagerie Fischer zusammen, die unter¬
wegs einen Unfall erlitten hatte. Der Wohnwagen war nämlich in den Straßen¬
graben gefallen, wobei ein Teil des Küchengeschirrs sowie die Fenster in Scherben
gegangen waren, was der Besitzer jedoch nicht tragisch nahm. In Chemnitz ging das
Geschäft recht flott. Es fehlte uns auch nicht an Bier und Essen. Dagegen mußten
wir zum Schlafen nach einem benachbarten Dorfe wandern, wo wir auf Stroh
nicht gerade die angenehmste Nachtruhe fanden. Als Tagelohn erhielt ich je nach
dem Gang des Geschäfts 3 bis 4 Mark. Von Chemnitz zogen wir weiter nach
Großenhain zum Schützenfest. Dort trafen wir wieder Bekannte aus Zwickau, die
Liliputanergesellschaft Geschwister Künzel aus Koburg, die aus fünf Mitgliedern be¬
stand, und deren „Impresario" ein Mann von großer Körperlänge und noch größeren
Durste war. Von Großenhain fuhren wir in Gesellschaft mehrerer andrer „Ko¬
mödianten" per Achse nach Dresden zur Vogelwiese. Unterwegs stöberte der Hund
des Liliputanerimprescirios während der Nacht in Hecken und Gebüsch herum und
brachte verschiedne Igel zum Vorschein, die von der Liliputanergesellschaft als will-
konunner Braten begrüßt und verspeist wurden. Gegen Mittag langten wir in
Dresden an, durchzogen die ganze Stadt und fanden auf der Vogelwiese schon viele
Buden und große Bretterbauten. Wir mußten uns deshalb mit dem Abladen und
dem Aufbauen unsrer Schaukel nach Möglichkeit beeilen. Abends gingen wir zum
Logieren in das Elbschlößchen, kamen aber erst um zwölf oder ein Uhr ins Bett.
Morgens früh nahm das Putzen der Schaukel sowie der dazugehörenden Lampen
viel Zeit in Anspruch. Leider hatten wir viel unter dem Regen aufzustehn, der
das Geschäft nicht gerade günstig beeinflußte. Trotzdem drängte sich das Publikum
durch die Budenreihen, und es entstand ein beinahe unergründlicher Schlamm, der
von Zeit zu Zeit zusammengekratzt wurde und in Haufen liegen blieb. Auch der
.König ließ es sich nicht nehmen, nach seiner Gewohnheit die Vogelwiese zu be¬
suchen, und wohnte einer Vorstellung in dem mechanischen Theater Morrier bei.
Auf der Vogelwiese war auch eine GeWerbeausstellung, die mit einer Verlosung
aller möglichen Gegenstände verbunden war. Ich nahm ein Los und gewann einen
Reisekoffer. Es war, als ob das Schicksal damals mein notwendigstes Bedürfnis
gekannt hätte. Der Impresario der Liliputaner, der nach seiner Gepflogenheit eines
Morgens wieder einmal mehr getrunken hatte, als er vertragen konnte, taumelte
zwischen den Buden umher und fiel in einen Haufen des zusammengekratzten
Schlammes, nicht zum Vorteil seines eleganten schwarzen Umzugs, der über und
über mit Schmutz bedeckt war. Aber, wie immer bei solchen Gelegenheiten, fand
sich eine hilfreiche Seele, die ihm wieder auf die Beine half und gleich einen Eimer
Wasser mitbrachte, der über seinem Haupt ausgeleert wurde. Ein paar andre
faßten ihn unter die Arme und führten ihn nach dem Wohnwagen, wo er von
seiner strengen Haushälterin mit einer Gardinenpredigt begrüßt wurde, die sicher¬
lich eine ähnliche Wirkung wie der Eimer kalten Wassers ausübte.
Bei dieser Gelegenheit will ich erwähnen, daß sich der größte Teil des fahrenden
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