Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches unter den Waffen zu halten, ein solches Ansinnen an eine Nation, die ebensogut Wollte man Englands Positionen außerhalb des Vereinigten Königreichs an Maßgebliches und Unmaßgebliches unter den Waffen zu halten, ein solches Ansinnen an eine Nation, die ebensogut Wollte man Englands Positionen außerhalb des Vereinigten Königreichs an <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0343" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297475"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1549" prev="#ID_1548"> unter den Waffen zu halten, ein solches Ansinnen an eine Nation, die ebensogut<lb/> wie England eine europäische Großmacht ist, nicht mehr gestellt worden. Admiral<lb/> Fitzgerald hat kein Kommando in der britischen Marine mehr, und wir haben zu<lb/> Ende der achtziger und zu Anfang der neunziger Jahre schärfere Kriegsdrohungen<lb/> und eine noch herausforderndere Sprache gegen Deutschland von aktiven russischen<lb/> Generalen — man denke an Skobeleff — gelesen. Ein Krieg zwischen Deutsch¬<lb/> land und Rußland ist trotz diesen Radamontaden nicht zum Ausbruch gekommen,<lb/> im Gegenteil, die Beziehungen beider Länder sind wieder recht intim geworden,<lb/> und so wird hoffentlich auch Admiral Fitzgerald mit seiner leichtfertigen Publikation<lb/> die Kriegsflamme nicht anblasen. Daß er als Soldat auf dein Standpunkt steht,<lb/> lieber einen Krieg vom Zaune zu brechen als zu warten, bis der mntmnßliche<lb/> Gegner völlig gerüstet ist, »vollen wir ihm weiter nicht übel nehmen. Moltke und<lb/> andre unsrer hohen Militärs haben wiederholt denselben Standpunkt eingenommen,<lb/> das liegt im Beruf und gehört dazu. Aber Bismarck hat sich bekanntlich mit der<lb/> Weisheit des ruhig abwägenden, überlegnen Staatsmannes gegen jeden Präventiv¬<lb/> krieg ausgesprochen, und da Admiral Fitzgerald ja auch den Fürsten Bismarck als<lb/> Autorität anruft, so wird er sich vielleicht auch der staatsmännischen Einsicht unsers<lb/> ersten Kanzlers in dieser Hinsicht fügen. Wenn den Engländern die deutsche Flotte<lb/> unbequem ist, was man ihnen ohne weiteres glauben kann, so ergibt sich daraus<lb/> doch noch keine Notwendigkeit, sie bekämpfen zu müssen. Es würde England sehr<lb/> wenig Mühe kosten, Deutschland, wenn nicht zum Bundesgenossen, so doch zum<lb/> intimen Freunde zu haben. Eine kluge englische Stnatsleitung sollte also zusehen,<lb/> daß die fortgesetzten Gehässigkeiten in der englischen Presse gegen Deutschland, gegen<lb/> den Kaiser, den Reichskanzler, die Flotte usw. in der deutschen Nation nicht schlie߬<lb/> lich ein Gefühl der Unversöhnlichkeit wachrufen, das hinterher nicht so leicht zu<lb/> besänftigen sein dürfte. Vor englischen Drohungen fürchten wir uns nicht, und<lb/> wenn es die Drohungen einer französisch-englischen Allianz sein sollten — erst recht<lb/> nicht. Die Geschichte ist über Bvnlnnger und Skobeleff zur Tagesordnung über¬<lb/> gegangen, sie wird auch dadurch, daß sich Admiral Fitzgerald seinen Ärger „vom<lb/> Halse schreibt," wie Goethe sagen würde, nicht aus ihren Bahnen geworfen werden.<lb/> Seine Argumentationen beruhn alle auf „Wenn" und auf „Aber," sie haben ihren<lb/> schwächsten Punkt in dem Vorwürfe, deu er Deutschland macht, durch die Besetzung<lb/> von Kiautschou „einen Länderraub an einer befreundeten Macht" begangen zu<lb/> haben. Dentschland besitzt Kiautschou auf Grund eines mit China abgeschlossenen<lb/> regelrechten Pachtvertrags und steht dort mindestens mit demselben, wenn nicht mit<lb/> besserm Recht als die Engländer in Hongkong, in Cypern, in Ägypten und an<lb/> dielen andern Punkten der Erde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1550" next="#ID_1551"> Wollte man Englands Positionen außerhalb des Vereinigten Königreichs an<lb/> der Hand des „Rechts," kraft dessen sich England dort befindet, untersuchen, so<lb/> Würden weitaus die meisten Rechtstitel wohl noch viel weniger haltbar sein als<lb/> der deutsche Rechtstitel für Kiautschou. England bedarf gar keiner Flotte, um sich<lb/> gegen Dentschland zu sichern, sondern es ist ihm nur l'u,it i>I-v und Loyalität in<lb/> seiner Politik nötig. So lange diese aber darin besteht, uns mit allen Mächten,<lb/> ob groß oder klein, zu verhetzen und uns überall Schwierigkeiten in den Weg zu<lb/> legen, so lange wird in Deutschland die Ansicht herrschen, daß wir allen Grund<lb/> haben, gegen England auf der Hut zu sein, und daß wir deshalb nicht nur so<lb/> dick Kriegsschiffe baue» werde», wie England oder der Admiral Fitzgerald uns<lb/> erlauben will, sondern so viel wie wir für nötig halten und bezahlen können.<lb/> Weit bedrohlicher für England könnte eines Tages die amerikanische Marine werden,<lb/> deren Vergrößerung mit dem ausgesprochnen Hinweise auf England geschieht, indem<lb/> Amerika zugleich das Supremat auf dem Stillen Ozean in Anspruch nimmt. Wie steht<lb/> es denn tatsächlich mit der „Oberherrlichkeit zur See," die Admiral Fitzgerald<lb/> c>is Existenznotwendigkeit für Großbritannien bezeichnet, und die heute schon sowohl<lb/> ?uf dem Atlantischen wie im Pazifischen Ozean nicht mehr vorhanden ist oder<lb/> ledcnsnlls stark bestritten ist? In den amerikanischen Gewässern ist von der</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0343]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
unter den Waffen zu halten, ein solches Ansinnen an eine Nation, die ebensogut
wie England eine europäische Großmacht ist, nicht mehr gestellt worden. Admiral
Fitzgerald hat kein Kommando in der britischen Marine mehr, und wir haben zu
Ende der achtziger und zu Anfang der neunziger Jahre schärfere Kriegsdrohungen
und eine noch herausforderndere Sprache gegen Deutschland von aktiven russischen
Generalen — man denke an Skobeleff — gelesen. Ein Krieg zwischen Deutsch¬
land und Rußland ist trotz diesen Radamontaden nicht zum Ausbruch gekommen,
im Gegenteil, die Beziehungen beider Länder sind wieder recht intim geworden,
und so wird hoffentlich auch Admiral Fitzgerald mit seiner leichtfertigen Publikation
die Kriegsflamme nicht anblasen. Daß er als Soldat auf dein Standpunkt steht,
lieber einen Krieg vom Zaune zu brechen als zu warten, bis der mntmnßliche
Gegner völlig gerüstet ist, »vollen wir ihm weiter nicht übel nehmen. Moltke und
andre unsrer hohen Militärs haben wiederholt denselben Standpunkt eingenommen,
das liegt im Beruf und gehört dazu. Aber Bismarck hat sich bekanntlich mit der
Weisheit des ruhig abwägenden, überlegnen Staatsmannes gegen jeden Präventiv¬
krieg ausgesprochen, und da Admiral Fitzgerald ja auch den Fürsten Bismarck als
Autorität anruft, so wird er sich vielleicht auch der staatsmännischen Einsicht unsers
ersten Kanzlers in dieser Hinsicht fügen. Wenn den Engländern die deutsche Flotte
unbequem ist, was man ihnen ohne weiteres glauben kann, so ergibt sich daraus
doch noch keine Notwendigkeit, sie bekämpfen zu müssen. Es würde England sehr
wenig Mühe kosten, Deutschland, wenn nicht zum Bundesgenossen, so doch zum
intimen Freunde zu haben. Eine kluge englische Stnatsleitung sollte also zusehen,
daß die fortgesetzten Gehässigkeiten in der englischen Presse gegen Deutschland, gegen
den Kaiser, den Reichskanzler, die Flotte usw. in der deutschen Nation nicht schlie߬
lich ein Gefühl der Unversöhnlichkeit wachrufen, das hinterher nicht so leicht zu
besänftigen sein dürfte. Vor englischen Drohungen fürchten wir uns nicht, und
wenn es die Drohungen einer französisch-englischen Allianz sein sollten — erst recht
nicht. Die Geschichte ist über Bvnlnnger und Skobeleff zur Tagesordnung über¬
gegangen, sie wird auch dadurch, daß sich Admiral Fitzgerald seinen Ärger „vom
Halse schreibt," wie Goethe sagen würde, nicht aus ihren Bahnen geworfen werden.
Seine Argumentationen beruhn alle auf „Wenn" und auf „Aber," sie haben ihren
schwächsten Punkt in dem Vorwürfe, deu er Deutschland macht, durch die Besetzung
von Kiautschou „einen Länderraub an einer befreundeten Macht" begangen zu
haben. Dentschland besitzt Kiautschou auf Grund eines mit China abgeschlossenen
regelrechten Pachtvertrags und steht dort mindestens mit demselben, wenn nicht mit
besserm Recht als die Engländer in Hongkong, in Cypern, in Ägypten und an
dielen andern Punkten der Erde.
Wollte man Englands Positionen außerhalb des Vereinigten Königreichs an
der Hand des „Rechts," kraft dessen sich England dort befindet, untersuchen, so
Würden weitaus die meisten Rechtstitel wohl noch viel weniger haltbar sein als
der deutsche Rechtstitel für Kiautschou. England bedarf gar keiner Flotte, um sich
gegen Dentschland zu sichern, sondern es ist ihm nur l'u,it i>I-v und Loyalität in
seiner Politik nötig. So lange diese aber darin besteht, uns mit allen Mächten,
ob groß oder klein, zu verhetzen und uns überall Schwierigkeiten in den Weg zu
legen, so lange wird in Deutschland die Ansicht herrschen, daß wir allen Grund
haben, gegen England auf der Hut zu sein, und daß wir deshalb nicht nur so
dick Kriegsschiffe baue» werde», wie England oder der Admiral Fitzgerald uns
erlauben will, sondern so viel wie wir für nötig halten und bezahlen können.
Weit bedrohlicher für England könnte eines Tages die amerikanische Marine werden,
deren Vergrößerung mit dem ausgesprochnen Hinweise auf England geschieht, indem
Amerika zugleich das Supremat auf dem Stillen Ozean in Anspruch nimmt. Wie steht
es denn tatsächlich mit der „Oberherrlichkeit zur See," die Admiral Fitzgerald
c>is Existenznotwendigkeit für Großbritannien bezeichnet, und die heute schon sowohl
?uf dem Atlantischen wie im Pazifischen Ozean nicht mehr vorhanden ist oder
ledcnsnlls stark bestritten ist? In den amerikanischen Gewässern ist von der
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