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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Herrenmenschen

Stoikern gepriesen wird, war ihm fremd. Die Worte, die Seneca dem Mäcen
über diesen Gegenstand in den Mund legt, waren ganz nach seinem Herzen.
Am Schluß der Fabel, in der der Bettler den von ihm herbeigerufnen Tod sich
wieder zu entfernen beschwört, ruft La Fontaine aus:

und als der Holzhauer den ebenfalls herbeigerufnen Tod ersucht hat, ihm beim
Wiederaufladen seiner Holztracht behilflich zu sein, bemerkt der Dichter:

Zu unserm Dichter kam der Tod, zwar ungerufen, aber nicht unerwartet,
denn einen Monat vorher hatte er seinem alten Freunde, dem Domherrn
Maucrois in Reims, geschrieben: "Dein bester Freund kann nur noch auf vier¬
zehn Tage Lebens hoffen." Und so ist er dahingegangen, wie er in Philemon
und Bciucis von dem Weisen sagt:

Am Abend dieses schönen glücklichen Tages kam (am 13. April 1695) nicht
der so leicht verscheuchte träumebringende Freund, den er mit Vorliebe verehrt
hatte, sondern der allgewaltige, alle Träume beendende Genius mit der gesenkten
Fackel; er wird ihm als einem Freunde seines mohnbekränzten Bruders die
Augen mit besonders sanfter Hand zugedrückt haben, und wie es von dem Abbe
d'Olivet vorausgesehen worden war, und wie es der Tote verdient hatte, "haben
alle guten Menschen sein Andenken für immer unter ihren Schutz genommen."




Herrenmenschen
Fritz Anders (Max Attila) Roman von8. Die Beichte

is der Doktor den Abschiedsgruß gewinkt und nachdenklich beobachtet
hatte, wie der Kahn im Nebel und aufdämmernden Mondschein ver¬
schwand, wandte er sich zum Dorfe zurück. Sein Weg führte ein
dem Künstlerheim Mopswende vorüber. Er fand es im Jnnern hell
erleuchtet und vernahm in tiefen Baßtönen das alte schöne Lied
"Und auf dem Mühlendamm, da saß ein Mann mit Schwamm, ach
der arme, arme, arme Mann." Er wußte, daß dieses Lied Schwechtings Fest-
^ud Jubellied war, das er anzustimmen pflegte, wenn seine Seele einen besonders
hohen Schwung nahm.


Grenzboten et 19A> ^
Herrenmenschen

Stoikern gepriesen wird, war ihm fremd. Die Worte, die Seneca dem Mäcen
über diesen Gegenstand in den Mund legt, waren ganz nach seinem Herzen.
Am Schluß der Fabel, in der der Bettler den von ihm herbeigerufnen Tod sich
wieder zu entfernen beschwört, ruft La Fontaine aus:

und als der Holzhauer den ebenfalls herbeigerufnen Tod ersucht hat, ihm beim
Wiederaufladen seiner Holztracht behilflich zu sein, bemerkt der Dichter:

Zu unserm Dichter kam der Tod, zwar ungerufen, aber nicht unerwartet,
denn einen Monat vorher hatte er seinem alten Freunde, dem Domherrn
Maucrois in Reims, geschrieben: „Dein bester Freund kann nur noch auf vier¬
zehn Tage Lebens hoffen." Und so ist er dahingegangen, wie er in Philemon
und Bciucis von dem Weisen sagt:

Am Abend dieses schönen glücklichen Tages kam (am 13. April 1695) nicht
der so leicht verscheuchte träumebringende Freund, den er mit Vorliebe verehrt
hatte, sondern der allgewaltige, alle Träume beendende Genius mit der gesenkten
Fackel; er wird ihm als einem Freunde seines mohnbekränzten Bruders die
Augen mit besonders sanfter Hand zugedrückt haben, und wie es von dem Abbe
d'Olivet vorausgesehen worden war, und wie es der Tote verdient hatte, „haben
alle guten Menschen sein Andenken für immer unter ihren Schutz genommen."




Herrenmenschen
Fritz Anders (Max Attila) Roman von8. Die Beichte

is der Doktor den Abschiedsgruß gewinkt und nachdenklich beobachtet
hatte, wie der Kahn im Nebel und aufdämmernden Mondschein ver¬
schwand, wandte er sich zum Dorfe zurück. Sein Weg führte ein
dem Künstlerheim Mopswende vorüber. Er fand es im Jnnern hell
erleuchtet und vernahm in tiefen Baßtönen das alte schöne Lied
„Und auf dem Mühlendamm, da saß ein Mann mit Schwamm, ach
der arme, arme, arme Mann." Er wußte, daß dieses Lied Schwechtings Fest-
^ud Jubellied war, das er anzustimmen pflegte, wenn seine Seele einen besonders
hohen Schwung nahm.


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[0333] Herrenmenschen Stoikern gepriesen wird, war ihm fremd. Die Worte, die Seneca dem Mäcen über diesen Gegenstand in den Mund legt, waren ganz nach seinem Herzen. Am Schluß der Fabel, in der der Bettler den von ihm herbeigerufnen Tod sich wieder zu entfernen beschwört, ruft La Fontaine aus: und als der Holzhauer den ebenfalls herbeigerufnen Tod ersucht hat, ihm beim Wiederaufladen seiner Holztracht behilflich zu sein, bemerkt der Dichter: Zu unserm Dichter kam der Tod, zwar ungerufen, aber nicht unerwartet, denn einen Monat vorher hatte er seinem alten Freunde, dem Domherrn Maucrois in Reims, geschrieben: „Dein bester Freund kann nur noch auf vier¬ zehn Tage Lebens hoffen." Und so ist er dahingegangen, wie er in Philemon und Bciucis von dem Weisen sagt: Am Abend dieses schönen glücklichen Tages kam (am 13. April 1695) nicht der so leicht verscheuchte träumebringende Freund, den er mit Vorliebe verehrt hatte, sondern der allgewaltige, alle Träume beendende Genius mit der gesenkten Fackel; er wird ihm als einem Freunde seines mohnbekränzten Bruders die Augen mit besonders sanfter Hand zugedrückt haben, und wie es von dem Abbe d'Olivet vorausgesehen worden war, und wie es der Tote verdient hatte, „haben alle guten Menschen sein Andenken für immer unter ihren Schutz genommen." Herrenmenschen Fritz Anders (Max Attila) Roman von8. Die Beichte is der Doktor den Abschiedsgruß gewinkt und nachdenklich beobachtet hatte, wie der Kahn im Nebel und aufdämmernden Mondschein ver¬ schwand, wandte er sich zum Dorfe zurück. Sein Weg führte ein dem Künstlerheim Mopswende vorüber. Er fand es im Jnnern hell erleuchtet und vernahm in tiefen Baßtönen das alte schöne Lied „Und auf dem Mühlendamm, da saß ein Mann mit Schwamm, ach der arme, arme, arme Mann." Er wußte, daß dieses Lied Schwechtings Fest- ^ud Jubellied war, das er anzustimmen pflegte, wenn seine Seele einen besonders hohen Schwung nahm. Grenzboten et 19A> ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/333>, abgerufen am 05.02.2025.