Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Herrenmenschen Vorläufig, antwortete Ramborn, leiden auch wir unter diesem einen Herrn, Er machte eine geringschätzige Bewegung, Ach, sagte der Herr Pastor, und seine Züge belebten sich, und sein Inneres Namborn machte ein ungläubiges Gesicht und entgegnete spöttisch: Es möchte Leider, leider! rief der Herr Pastor betrübt. Der Charakter dieses Volks Das ist ja erstaunlich, sagte der Doktor im Tone eines gelinden Zweifels. Sie müssen nicht glauben, Herr Doktor, fuhr der Herr Pastor fort, daß ich Der Herr Pastor brach ab, als fürchte er, zuviel gesagt zu haben. Denn fuhr ^unz recht, Herr Prediger, sagte Ramborn, aber diese verborgnen Wässer muß Herrenmenschen Vorläufig, antwortete Ramborn, leiden auch wir unter diesem einen Herrn, Er machte eine geringschätzige Bewegung, Ach, sagte der Herr Pastor, und seine Züge belebten sich, und sein Inneres Namborn machte ein ungläubiges Gesicht und entgegnete spöttisch: Es möchte Leider, leider! rief der Herr Pastor betrübt. Der Charakter dieses Volks Das ist ja erstaunlich, sagte der Doktor im Tone eines gelinden Zweifels. Sie müssen nicht glauben, Herr Doktor, fuhr der Herr Pastor fort, daß ich Der Herr Pastor brach ab, als fürchte er, zuviel gesagt zu haben. Denn fuhr ^unz recht, Herr Prediger, sagte Ramborn, aber diese verborgnen Wässer muß <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0283" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297415"/> <fw type="header" place="top"> Herrenmenschen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1288"> Vorläufig, antwortete Ramborn, leiden auch wir unter diesem einen Herrn,<lb/> und dieses litauische Volk —</p><lb/> <p xml:id="ID_1289"> Er machte eine geringschätzige Bewegung,</p><lb/> <p xml:id="ID_1290"> Ach, sagte der Herr Pastor, und seine Züge belebten sich, und sein Inneres<lb/> fing an aus den Augen herauszuschauen, Sie kennen das litauische Volk nicht. Mau<lb/> verachtet leicht, was man nicht kennt. Glauben Sie mir, wenn sich die Menschen<lb/> besser kennten, würden sie sich mehr lieben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1291"> Namborn machte ein ungläubiges Gesicht und entgegnete spöttisch: Es möchte<lb/> die Frage sein, ob es nicht besser ist, daß man recht wenig voneinander weiß.<lb/> Wenigstens hat das, was ich von Ihrer Gemeinde, Herr Prediger, bisher kennen<lb/> gelernt habe, nicht dazu beigetragen, Vertrauen zu erwecken.</p><lb/> <p xml:id="ID_1292"> Leider, leider! rief der Herr Pastor betrübt. Der Charakter dieses Volks<lb/> ist äußerlich hart wie die Züge ihrer altnordischen Vorfahren. Schwere, schreiende<lb/> Sünden werden begangen fast ohne das Bewußtsein, daß es Sünde ist. Die<lb/> mangelnde Harmonie der Volksseele zeigt sich in scharfen ungcmilderten Dissonanzen.<lb/> Und doch ist hinter dieser harten und abstoßenden Außenseite ein weiches Gemüt,<lb/> eine nicht unedle Art verborgen. Glauben Sie mir, Herr Doktor, wer diese ver¬<lb/> borgne Schönheit kennt, muß das litauische Volk lieben. Diese kindliche Einfalt<lb/> hinter einem Vorhange von verschlagner List, dieser echt fromme Sinn hinter argem<lb/> Aberglauben verborgen. Wer zugegen gewesen ist, wie die jungen Mädchen, den<lb/> Rautenkranz im Haar, ihre Dainos singen und dichten, wer es weiß, welche tiefe,<lb/> wehmütige Empfindung, welchen offnen Sinn für die Natur sie haben, welche echten<lb/> Herzenstöne sie zu treffe» wissen, wer es gesehen hat, mit welcher Meisterschaft,<lb/> mit welcher Lust an Farbe und Form sie ihre Kleidung verzieren, der muß sagen,<lb/> daß sie einen natürlichen künstlerischen Zug haben, wie man ihn bei den Natur¬<lb/> völkern findet, und der ihnen leider von der Kultur nur zu bald verkümmert und<lb/> genommen wird. Vor allem sind sie geborne Sänger. Haben Sie Mendelssohns<lb/> Italienische Reise gelesen? Nicht? Nun, in diesem Buche berichtet Mendelssohn<lb/> von der päpstlichen Kapelle, derselben, deren Dirigent jetzt Perosi ist, daß die<lb/> Kapelle die gregorianischen Kirchentöne mit allerlei Verzierungen umgaben, und<lb/> daß ihr Leiter behauptet hätte, das machten sie impiovista durch Eingaben des<lb/> heiligen Geistes. Aber, sagt Mendelssohn, er habe beobachtet, daß es kunstvoll<lb/> vorbereitete und eingelernte Ornamente gewesen seien. Meine Litauer, Herr Doktor,<lb/> können das besser. Die Choralmelodie ist ihnen der gregorianische Ton, und sie<lb/> verzieren die Melodie durch zierliche Triolen und ganz geschickte Ausweichungen,<lb/> "hre daß es vom Herrn Kantor eingelernt ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1293"> Das ist ja erstaunlich, sagte der Doktor im Tone eines gelinden Zweifels.</p><lb/> <p xml:id="ID_1294"> Sie müssen nicht glauben, Herr Doktor, fuhr der Herr Pastor fort, daß ich<lb/> ^gen die Sünden meiner Tnpnicker wie ein schwacher Vater blind sei. Ich weiß<lb/> ^°si, was uns fehlt. Wir siud um ein paar hundert Jahre in der Kulturarbeit<lb/> zurück. Noch vor zweihundert Jahren war das Volk im Zustande tiefster Barbarei,<lb/> ""d noch bis in dieses Geschlecht hinein reichen die Reste heidnischer Sitten. Das<lb/> ^ut verdankt seineu Königen viel, und darum ist ihnen auch ihr König der oberste<lb/> Herr. Sie nennen ihn wiosiipats, deu Herrn, mit einem Worte, das sie sonst nur<lb/> dem Namen Gottes setzen. Aber man hat auch viel an ihnen gesündigt und<lb/> "es „och. Das sind die Herren, die von christlich-konservativer Weltanschauung<lb/> und doch nur ihre eigne feudale Herrschaft meinen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1295"> Der Herr Pastor brach ab, als fürchte er, zuviel gesagt zu haben. Denn fuhr<lb/> s, Mit leiserer Stimme, als rede er mit sich selbst, fort: Man muß die Unter-<lb/> rvrnungen kennen. Nicht bloß die Meere haben sie, sondern auch die Menschen-<lb/> ^ur hat sie. Es gibt nicht bloß eine Hydrographie der Erdoberfläche, sondern<lb/> ^us der Tiefe. Die Wasserverteilnng auf der Erdoberfläche kennt jedermann, wenn<lb/> eine Tiefwasserkarte der Sahara gäbe, so würde sie Seen, Ströme und<lb/> ^h« ausweisen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1296" next="#ID_1297"> ^unz recht, Herr Prediger, sagte Ramborn, aber diese verborgnen Wässer muß</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0283]
Herrenmenschen
Vorläufig, antwortete Ramborn, leiden auch wir unter diesem einen Herrn,
und dieses litauische Volk —
Er machte eine geringschätzige Bewegung,
Ach, sagte der Herr Pastor, und seine Züge belebten sich, und sein Inneres
fing an aus den Augen herauszuschauen, Sie kennen das litauische Volk nicht. Mau
verachtet leicht, was man nicht kennt. Glauben Sie mir, wenn sich die Menschen
besser kennten, würden sie sich mehr lieben.
Namborn machte ein ungläubiges Gesicht und entgegnete spöttisch: Es möchte
die Frage sein, ob es nicht besser ist, daß man recht wenig voneinander weiß.
Wenigstens hat das, was ich von Ihrer Gemeinde, Herr Prediger, bisher kennen
gelernt habe, nicht dazu beigetragen, Vertrauen zu erwecken.
Leider, leider! rief der Herr Pastor betrübt. Der Charakter dieses Volks
ist äußerlich hart wie die Züge ihrer altnordischen Vorfahren. Schwere, schreiende
Sünden werden begangen fast ohne das Bewußtsein, daß es Sünde ist. Die
mangelnde Harmonie der Volksseele zeigt sich in scharfen ungcmilderten Dissonanzen.
Und doch ist hinter dieser harten und abstoßenden Außenseite ein weiches Gemüt,
eine nicht unedle Art verborgen. Glauben Sie mir, Herr Doktor, wer diese ver¬
borgne Schönheit kennt, muß das litauische Volk lieben. Diese kindliche Einfalt
hinter einem Vorhange von verschlagner List, dieser echt fromme Sinn hinter argem
Aberglauben verborgen. Wer zugegen gewesen ist, wie die jungen Mädchen, den
Rautenkranz im Haar, ihre Dainos singen und dichten, wer es weiß, welche tiefe,
wehmütige Empfindung, welchen offnen Sinn für die Natur sie haben, welche echten
Herzenstöne sie zu treffe» wissen, wer es gesehen hat, mit welcher Meisterschaft,
mit welcher Lust an Farbe und Form sie ihre Kleidung verzieren, der muß sagen,
daß sie einen natürlichen künstlerischen Zug haben, wie man ihn bei den Natur¬
völkern findet, und der ihnen leider von der Kultur nur zu bald verkümmert und
genommen wird. Vor allem sind sie geborne Sänger. Haben Sie Mendelssohns
Italienische Reise gelesen? Nicht? Nun, in diesem Buche berichtet Mendelssohn
von der päpstlichen Kapelle, derselben, deren Dirigent jetzt Perosi ist, daß die
Kapelle die gregorianischen Kirchentöne mit allerlei Verzierungen umgaben, und
daß ihr Leiter behauptet hätte, das machten sie impiovista durch Eingaben des
heiligen Geistes. Aber, sagt Mendelssohn, er habe beobachtet, daß es kunstvoll
vorbereitete und eingelernte Ornamente gewesen seien. Meine Litauer, Herr Doktor,
können das besser. Die Choralmelodie ist ihnen der gregorianische Ton, und sie
verzieren die Melodie durch zierliche Triolen und ganz geschickte Ausweichungen,
"hre daß es vom Herrn Kantor eingelernt ist.
Das ist ja erstaunlich, sagte der Doktor im Tone eines gelinden Zweifels.
Sie müssen nicht glauben, Herr Doktor, fuhr der Herr Pastor fort, daß ich
^gen die Sünden meiner Tnpnicker wie ein schwacher Vater blind sei. Ich weiß
^°si, was uns fehlt. Wir siud um ein paar hundert Jahre in der Kulturarbeit
zurück. Noch vor zweihundert Jahren war das Volk im Zustande tiefster Barbarei,
""d noch bis in dieses Geschlecht hinein reichen die Reste heidnischer Sitten. Das
^ut verdankt seineu Königen viel, und darum ist ihnen auch ihr König der oberste
Herr. Sie nennen ihn wiosiipats, deu Herrn, mit einem Worte, das sie sonst nur
dem Namen Gottes setzen. Aber man hat auch viel an ihnen gesündigt und
"es „och. Das sind die Herren, die von christlich-konservativer Weltanschauung
und doch nur ihre eigne feudale Herrschaft meinen.
Der Herr Pastor brach ab, als fürchte er, zuviel gesagt zu haben. Denn fuhr
s, Mit leiserer Stimme, als rede er mit sich selbst, fort: Man muß die Unter-
rvrnungen kennen. Nicht bloß die Meere haben sie, sondern auch die Menschen-
^ur hat sie. Es gibt nicht bloß eine Hydrographie der Erdoberfläche, sondern
^us der Tiefe. Die Wasserverteilnng auf der Erdoberfläche kennt jedermann, wenn
eine Tiefwasserkarte der Sahara gäbe, so würde sie Seen, Ströme und
^h« ausweisen.
^unz recht, Herr Prediger, sagte Ramborn, aber diese verborgnen Wässer muß
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