Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Universitätsfragen in Rußland Nebenbeschäftigung ausgeht und solche in Lehrerstellungen an andern Unterrichts¬ Die Laufbahn des Professors war bis zum Jahre 1884 von seiner Habili¬ Universitätsfragen in Rußland Nebenbeschäftigung ausgeht und solche in Lehrerstellungen an andern Unterrichts¬ Die Laufbahn des Professors war bis zum Jahre 1884 von seiner Habili¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0259" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297391"/> <fw type="header" place="top"> Universitätsfragen in Rußland</fw><lb/> <p xml:id="ID_1143" prev="#ID_1142"> Nebenbeschäftigung ausgeht und solche in Lehrerstellungen an andern Unterrichts¬<lb/> anstalten findet, oder zum Beispiel für den Sommer Vadearztstellungen annimmt,<lb/> oder als Mitarbeiter und Redakteur von Zeitschriften tätig ist. Natürlich geht<lb/> ihnen unter diesen Umständen Zeit und Möglichkeit verloren, den Fortschritten<lb/> der Wissenschaft genügend zu folgen: ihre Vorlesungen verlieren für sie und<lb/> ihre Hörer jedes Interesse, denn sie sind durch Überlieferung bekannt und<lb/> bringen nichts neues. Zu der Klasse dieser Lehrer gehören die sogenannten<lb/> „ewigen" Magister, denen die Studentenschaft ansieht, daß sie niemals den<lb/> Doktorgrad erreichen werden, und die in der Stellung außerordentlicher Pro¬<lb/> fessoren dem Ansehen des Standes nur schaden, obgleich sie unter materiell<lb/> günstigern Verhältnissen brauchbare und geachtete Vertreter des Lehrkörpers<lb/> ihrer Universität hätten werden können.</p><lb/> <p xml:id="ID_1144" next="#ID_1145"> Die Laufbahn des Professors war bis zum Jahre 1884 von seiner Habili¬<lb/> tation an so geregelt, daß er sich als „Dozent" den zweiten akademischen Grad,<lb/> den des Doktors, erwarb und durch Wahl der Fakultät zum außerordentlichen<lb/> Professor ausrückte. Als Mitglied der Fakultät und als Examinator nahm<lb/> er tätig Anteil an den Aufgaben der Universität und bereitete sich auf seine<lb/> spätere Stellung vor; er ersetzte einen Professor, wenn ein Lehrstuhl frei war,<lb/> oder las Spezialkollegieu und leitete die praktischen Übungen, wenn für das<lb/> Fach ein etatsmäßiger Professor vorhanden war. Das Reglement von 1884<lb/> führte an die Stelle der Dozenten die Privatdozenten ein, die mit den Pro¬<lb/> fessoren in Konkurrenz traten, anstatt sie wie bisher in ihrer Lehrtätigkeit zu<lb/> unterstützen und zu ergänzen. Indem man die Privatdozenten nach deutschem<lb/> Muster in den Lehrkörper einfügte, berücksichtigte man zu wenig, daß der Zu¬<lb/> schnitt der russischen Universität ein andrer ist als der der deutschen. Der<lb/> Privatdozent ersetzt jetzt, wie seinerzeit der Dozent nach dem Reglement von<lb/> 1863, einen fehlenden etatsmüßigcn Universitätslehrer, nur mit einem geringern<lb/> Gehalt (1200 Rubel) und mit dem Unterschiede, daß seine weitere Laufbahn<lb/> nicht von der Fakultät, sondern vom Minister abhängig ist, und daß der<lb/> freie Lehrstuhl jederzeit durch denselben Minister anders besetzt werden kann.<lb/> Der Privatdozent kann ferner dasselbe Kolleg lesen wie ein etatsmäßiger Pro¬<lb/> fessor und wird in diesen: Falle möglichst viel Hörer an sich zu ziehn suchen,<lb/> uicht immer mit den besten Mitteln, zum Beispiel durch milde Beurteilung bei<lb/> ^n Prüfungen und dnrch einen gewissen freien Ton im Vortrag, wie ihn sich<lb/> der etatsmüßige Professor, zumal der juristischen Fakultät, aus dienstlichen<lb/> Gründen nicht erlauben darf. In beiden Fallen fehlt es den Privatdozenten<lb/> "'eist an der wissenschaftlichen Tiefe und der nötigen Schulung, wie sie die<lb/> frühern Dozenten in längerer Vorbereitungszeit unter der Anleitung und Kon¬<lb/> trolle ihrer Fakultät gewannen. Nichts aber ist gefährlicher, als solchen<lb/> Männern, deren Interessen sich mit denen der Universität nicht völlig decken,<lb/> denen das Gefühl der Verantwortlichkeit vor der studierenden Jugend abgeht,<lb/> die Bildung dieser Jugend anzuvertrauen. Sie drücken den Standpunkt des<lb/> Hochschulunterrichts hinunter, schaden ihm in den Augen der Lernenden und<lb/> untergraben die Autorität der Professoren. Außerdem aber äußert sich die<lb/> Konkurrenz der Privatdozenten ungünstig auf das Verhalten der Professoren,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0259]
Universitätsfragen in Rußland
Nebenbeschäftigung ausgeht und solche in Lehrerstellungen an andern Unterrichts¬
anstalten findet, oder zum Beispiel für den Sommer Vadearztstellungen annimmt,
oder als Mitarbeiter und Redakteur von Zeitschriften tätig ist. Natürlich geht
ihnen unter diesen Umständen Zeit und Möglichkeit verloren, den Fortschritten
der Wissenschaft genügend zu folgen: ihre Vorlesungen verlieren für sie und
ihre Hörer jedes Interesse, denn sie sind durch Überlieferung bekannt und
bringen nichts neues. Zu der Klasse dieser Lehrer gehören die sogenannten
„ewigen" Magister, denen die Studentenschaft ansieht, daß sie niemals den
Doktorgrad erreichen werden, und die in der Stellung außerordentlicher Pro¬
fessoren dem Ansehen des Standes nur schaden, obgleich sie unter materiell
günstigern Verhältnissen brauchbare und geachtete Vertreter des Lehrkörpers
ihrer Universität hätten werden können.
Die Laufbahn des Professors war bis zum Jahre 1884 von seiner Habili¬
tation an so geregelt, daß er sich als „Dozent" den zweiten akademischen Grad,
den des Doktors, erwarb und durch Wahl der Fakultät zum außerordentlichen
Professor ausrückte. Als Mitglied der Fakultät und als Examinator nahm
er tätig Anteil an den Aufgaben der Universität und bereitete sich auf seine
spätere Stellung vor; er ersetzte einen Professor, wenn ein Lehrstuhl frei war,
oder las Spezialkollegieu und leitete die praktischen Übungen, wenn für das
Fach ein etatsmäßiger Professor vorhanden war. Das Reglement von 1884
führte an die Stelle der Dozenten die Privatdozenten ein, die mit den Pro¬
fessoren in Konkurrenz traten, anstatt sie wie bisher in ihrer Lehrtätigkeit zu
unterstützen und zu ergänzen. Indem man die Privatdozenten nach deutschem
Muster in den Lehrkörper einfügte, berücksichtigte man zu wenig, daß der Zu¬
schnitt der russischen Universität ein andrer ist als der der deutschen. Der
Privatdozent ersetzt jetzt, wie seinerzeit der Dozent nach dem Reglement von
1863, einen fehlenden etatsmüßigcn Universitätslehrer, nur mit einem geringern
Gehalt (1200 Rubel) und mit dem Unterschiede, daß seine weitere Laufbahn
nicht von der Fakultät, sondern vom Minister abhängig ist, und daß der
freie Lehrstuhl jederzeit durch denselben Minister anders besetzt werden kann.
Der Privatdozent kann ferner dasselbe Kolleg lesen wie ein etatsmäßiger Pro¬
fessor und wird in diesen: Falle möglichst viel Hörer an sich zu ziehn suchen,
uicht immer mit den besten Mitteln, zum Beispiel durch milde Beurteilung bei
^n Prüfungen und dnrch einen gewissen freien Ton im Vortrag, wie ihn sich
der etatsmüßige Professor, zumal der juristischen Fakultät, aus dienstlichen
Gründen nicht erlauben darf. In beiden Fallen fehlt es den Privatdozenten
"'eist an der wissenschaftlichen Tiefe und der nötigen Schulung, wie sie die
frühern Dozenten in längerer Vorbereitungszeit unter der Anleitung und Kon¬
trolle ihrer Fakultät gewannen. Nichts aber ist gefährlicher, als solchen
Männern, deren Interessen sich mit denen der Universität nicht völlig decken,
denen das Gefühl der Verantwortlichkeit vor der studierenden Jugend abgeht,
die Bildung dieser Jugend anzuvertrauen. Sie drücken den Standpunkt des
Hochschulunterrichts hinunter, schaden ihm in den Augen der Lernenden und
untergraben die Autorität der Professoren. Außerdem aber äußert sich die
Konkurrenz der Privatdozenten ungünstig auf das Verhalten der Professoren,
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