Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches der jüngsten Gegenwart, die hier eindrücklich zum Herzen aller Naturfreunde unsers Maßgebliches und Unmaßgebliches der jüngsten Gegenwart, die hier eindrücklich zum Herzen aller Naturfreunde unsers <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0231" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297363"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1063" prev="#ID_1062" next="#ID_1064"> der jüngsten Gegenwart, die hier eindrücklich zum Herzen aller Naturfreunde unsers<lb/> schönen Vaterlandes um die Wende des neunzehnten und des zwanzigsten Jahr¬<lb/> hunderts spricht. Schweigen im Walde! schwieg er denn, der deutsche, der<lb/> nordische Wald, dessen Schauer die Legionen des Varus umfing, aus dessen<lb/> bergenden Wildnissen der große Waldemar, ja noch der erste König aus dem<lb/> Hause Wasa hervorbrachen, ihr zerrissenes Vaterland zu befreien? schwieg er,<lb/> wenn in warmen Frühjnhrstagen der sonnige Süden an unsre Breiten die anver¬<lb/> traute Vogelwelt zurückgab, die sich dann ihre Sommerwohnungen in den traulichen<lb/> Höhlungen von all den Tausenden von ästigen und halbwegs morschen Stämmen<lb/> einrichtete, denen noch kein scharfes Forstmannsauge den Frieden eines natürlichen<lb/> Todes mißgönnte, die aber außer uusern Vögeln noch viele andre wohnungsuchende<lb/> Liebhaber fanden, vierfüßige Räuber, summende Schwärme von liudenbesucheudeu<lb/> Bieue»? Und wo stürzende Waldesriesen weite Lücken gerissen, gras- und blumen-<lb/> bedcckte Lichtungen geöffnet hatten, fochten nicht bloß Hirsche und Birkhähne ihre<lb/> Kämpfe aus, auch der Brunstschrei des Urs, das Geheul des Wolfes durchtönte<lb/> die Wildnis, und wo diese Großen später dem Menschen weichen mußten, blieb<lb/> doch für die minder unbescheidnen Glieder der Tierwelt die Landschaft noch viele<lb/> Jahrhunderte ungestört behaglich. Solange noch masttragende Eichen weithin über<lb/> die Felder zerstreut, alles nasse Gelände reichlich mit Buschholz bedeckt war, so¬<lb/> lange der Ruf der Hirten mit dem fröhlichen Gebell ihrer Hunde jahraus jahrein<lb/> in die Wälder zog, und der Zahn ihrer Herden für die Erhaltung der Lichtungen<lb/> sorgte, solange fast nur der Bedarf der eignen Wirtschaft den Nutzen der Wälder<lb/> bestimmte, die nnr ein Teil des ländlichen Betriebes waren, so lange vertrugen sie<lb/> sich vortrefflich, der Wald und seine lebendigen Bewohner, so lange schwieg der<lb/> Wald noch nicht, so lange toute er mit tausend Stimmen von freilich nicht immer<lb/> gleichmäßig friedlichem Klang. Erst als das Holz ein Handelsartikel wurde, als<lb/> es dann eine Forstwirtschaft gab, die nichts mehr zu tuu hatte mit den Stroh¬<lb/> dächern der Bauern oder den Scheunen der Gutsherren, als Forst und Feld sich<lb/> sonderten und voneinander abschlossen, und der Forst Weide und Wiesen in seinem<lb/> Innern in Wald verwandelte, und als jeder Baum von Jugend auf zu nutzbaren<lb/> Holze, zu einem glatten Stamme streng erzogen wurde, und ganze große Flächen<lb/> nur noch eine einzige gleichmäßige Handelsware, nur noch eine einzige Sorte Bäume<lb/> trugen, und als sich zugleich der Ackerbauer, den der Wald ausgestoßen hatte, rächte<lb/> und — man nennt es Verkuppelung — unbarmherzig alle Gebüsche auf seinem<lb/> Felde rötete und alle Bäume, die den Anschluß an den Wald nicht hatten finden<lb/> können, niederschlug, kurz als die neue praktische Zeit des neunzehnten Jahrhunderts<lb/> heraufzog, da wurde es den lebendigen Bewohnern des Waldes unbehaglich und<lb/> immer unbehaglicher. Ohne morsche höhlenreiche Bänme, ohne Lichtungen, ohne<lb/> den bunten Wechsel der Pflanzen, der für das Leben der Insekten und der von<lb/> ihnen abhängigen Vögel so wichtig ist, ohne den steten Übergang zwischen dem Schutze<lb/> der Wildnis und den Strahlen des Lichts, schon dnrch seine Eintönigkeit für<lb/> Mensch und Tier erdrückend, zwang der Wald des neunzehnten Jahrhunderts, je<lb/> mehr er zum hochstämmigen Forst wurde, die alten Bewohner, deren Stimmen ihn<lb/> durchklungen hatten, zur Auswanderung, die für viele von ihnen der Vernichtung<lb/> nahekam. Nicht jedes Tier verwandelt sich, wie der Wolf es dem Menschen zu<lb/> Gefallen getan hat, ans einem Steppen- in einen Waldbewohner. Schweigen im<lb/> Walde! Wie erfreut sich unser Gemüt so gern an dem fast überlauten Nachtigallen¬<lb/> schlag schlehdornbestcmdner Wallanlagen mitten in dichtbewohnten Städten, wo ein<lb/> Fvrstunkraut das andre ablöst, und wie traurig ist es, auf stundenlangen Gängen<lb/> durch meilenweit gleichmäßige Buchen- oder Kieferuforsten kaum ein fröhliches<lb/> Vogelgezwitscher zu hören. Unbarmherzig erstickt schon im Juni der tiefe Schatten<lb/> gerade unsrer Buchenwälder mit ihrem horizontal gebreiteten Laube alles Leben<lb/> unter ihrem Dache in schlagendem Gegensatz zu den, goldig flüssigen Grün, mit<lb/> dem dasselbe Laub zu unserm Entzücken jeden neuen Mai begrüßt, wie es von</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0231]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
der jüngsten Gegenwart, die hier eindrücklich zum Herzen aller Naturfreunde unsers
schönen Vaterlandes um die Wende des neunzehnten und des zwanzigsten Jahr¬
hunderts spricht. Schweigen im Walde! schwieg er denn, der deutsche, der
nordische Wald, dessen Schauer die Legionen des Varus umfing, aus dessen
bergenden Wildnissen der große Waldemar, ja noch der erste König aus dem
Hause Wasa hervorbrachen, ihr zerrissenes Vaterland zu befreien? schwieg er,
wenn in warmen Frühjnhrstagen der sonnige Süden an unsre Breiten die anver¬
traute Vogelwelt zurückgab, die sich dann ihre Sommerwohnungen in den traulichen
Höhlungen von all den Tausenden von ästigen und halbwegs morschen Stämmen
einrichtete, denen noch kein scharfes Forstmannsauge den Frieden eines natürlichen
Todes mißgönnte, die aber außer uusern Vögeln noch viele andre wohnungsuchende
Liebhaber fanden, vierfüßige Räuber, summende Schwärme von liudenbesucheudeu
Bieue»? Und wo stürzende Waldesriesen weite Lücken gerissen, gras- und blumen-
bedcckte Lichtungen geöffnet hatten, fochten nicht bloß Hirsche und Birkhähne ihre
Kämpfe aus, auch der Brunstschrei des Urs, das Geheul des Wolfes durchtönte
die Wildnis, und wo diese Großen später dem Menschen weichen mußten, blieb
doch für die minder unbescheidnen Glieder der Tierwelt die Landschaft noch viele
Jahrhunderte ungestört behaglich. Solange noch masttragende Eichen weithin über
die Felder zerstreut, alles nasse Gelände reichlich mit Buschholz bedeckt war, so¬
lange der Ruf der Hirten mit dem fröhlichen Gebell ihrer Hunde jahraus jahrein
in die Wälder zog, und der Zahn ihrer Herden für die Erhaltung der Lichtungen
sorgte, solange fast nur der Bedarf der eignen Wirtschaft den Nutzen der Wälder
bestimmte, die nnr ein Teil des ländlichen Betriebes waren, so lange vertrugen sie
sich vortrefflich, der Wald und seine lebendigen Bewohner, so lange schwieg der
Wald noch nicht, so lange toute er mit tausend Stimmen von freilich nicht immer
gleichmäßig friedlichem Klang. Erst als das Holz ein Handelsartikel wurde, als
es dann eine Forstwirtschaft gab, die nichts mehr zu tuu hatte mit den Stroh¬
dächern der Bauern oder den Scheunen der Gutsherren, als Forst und Feld sich
sonderten und voneinander abschlossen, und der Forst Weide und Wiesen in seinem
Innern in Wald verwandelte, und als jeder Baum von Jugend auf zu nutzbaren
Holze, zu einem glatten Stamme streng erzogen wurde, und ganze große Flächen
nur noch eine einzige gleichmäßige Handelsware, nur noch eine einzige Sorte Bäume
trugen, und als sich zugleich der Ackerbauer, den der Wald ausgestoßen hatte, rächte
und — man nennt es Verkuppelung — unbarmherzig alle Gebüsche auf seinem
Felde rötete und alle Bäume, die den Anschluß an den Wald nicht hatten finden
können, niederschlug, kurz als die neue praktische Zeit des neunzehnten Jahrhunderts
heraufzog, da wurde es den lebendigen Bewohnern des Waldes unbehaglich und
immer unbehaglicher. Ohne morsche höhlenreiche Bänme, ohne Lichtungen, ohne
den bunten Wechsel der Pflanzen, der für das Leben der Insekten und der von
ihnen abhängigen Vögel so wichtig ist, ohne den steten Übergang zwischen dem Schutze
der Wildnis und den Strahlen des Lichts, schon dnrch seine Eintönigkeit für
Mensch und Tier erdrückend, zwang der Wald des neunzehnten Jahrhunderts, je
mehr er zum hochstämmigen Forst wurde, die alten Bewohner, deren Stimmen ihn
durchklungen hatten, zur Auswanderung, die für viele von ihnen der Vernichtung
nahekam. Nicht jedes Tier verwandelt sich, wie der Wolf es dem Menschen zu
Gefallen getan hat, ans einem Steppen- in einen Waldbewohner. Schweigen im
Walde! Wie erfreut sich unser Gemüt so gern an dem fast überlauten Nachtigallen¬
schlag schlehdornbestcmdner Wallanlagen mitten in dichtbewohnten Städten, wo ein
Fvrstunkraut das andre ablöst, und wie traurig ist es, auf stundenlangen Gängen
durch meilenweit gleichmäßige Buchen- oder Kieferuforsten kaum ein fröhliches
Vogelgezwitscher zu hören. Unbarmherzig erstickt schon im Juni der tiefe Schatten
gerade unsrer Buchenwälder mit ihrem horizontal gebreiteten Laube alles Leben
unter ihrem Dache in schlagendem Gegensatz zu den, goldig flüssigen Grün, mit
dem dasselbe Laub zu unserm Entzücken jeden neuen Mai begrüßt, wie es von
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |