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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Selten hat sich das Glück, das gerade den Ausgräber gern narrt, so hold
erwiesen wie hier, Evans hatte die Genugtuung, in das Museum zu Kandia ganze
Depots von Tontäfelchen, nieist von der Form eines Wetzsteins, schaffen zu können,
uns denen zwischen vorgezeichneten Linien ganze Zeilen dieser neuentdeckten Schrift
eingeritzt sind. Das Feuer hat sich bei dem furchtbaren Brande, der der stolzen
Herrlichkeit des Schlosses ein jähes Ende bereitet hat, als eine wohltätige Macht
erwiesein die an der Luft getrockneten Lehmtafeln sind durch die ungeheure Glut
Zu harte", unvergänglichen Ziegeln verglast worden, auf denen die eingeritzter In¬
schriften deutlich erkennbar sind. Der auf dem verwunschnem Schlosse lastende
Ruch hat sich jahrtausendelang so wirksam erwiesen, daß diese "Tablettennester"
unberührt geblieben sind, bis sie der Spaten des Altertumsforschers in jüngster
Zeit aufgedeckt hat. Nachdem Evans so eine ungeahnte Fülle neuen Materials
gewonnen hat, ist jeder Zweifel daran verstummt, daß diese Zeichen wirklich einer
bisher unbekannten Schrift angehören.

Obwohl die Deutung im einzelnen noch große Schwierigkeiten macht, ist der
unermüdliche Gelehrte vor kurzem mit einem neuen Versuche hervorgetreten, die
Mselhafte Schrift zu entziffern. Vor allem sind zwei "Schriftsysteme" voneinander
ö,u scheiden: ein älteres, das sich aus Bildern zusammensetzt, den Hieroglyphen
Ägyptens vergleichbar, und ein jüngeres, lineares, dessen Zeichen durch gerade und
krumme Linien, ähnlich wie zum Beispiel bei der Antiqnaschrift, gebildet werden.
Einzelne Zeichen der linearen Schrift nähern sich der Bilderschrift, ohne daß man
darum mit Sicherheit behaupten könnte, daß sich die eine aus der andern entwickelt
haben müsse. Die Bilderschrift gehört den Resten eines ältern Palastes an, als
dessen Zeit durch ähnliche in Ägypten gemachte Funde das dritte Jahrtausend
d- Chr. bestimmt wird. Diese Anlage, die von einer verhältnismäßig hohen Zivili¬
sation Kunde gibt, scheint infolge einer Dynastieumwälzung gewaltsam zerstört worden
zu sein. Über dieser Schicht liegen die Palastbauten der "minoischen" Zeit, die
^u zweiten vorchristlichen Jahrtausend errichtet worden sind. Hier haben sich die
Zuschriften der linearen Zeichen gefunden, für die insbesondre jene Bibliothek von
Tontäfelchen Tausende vou Beispielen bietet. Nach Art von Rechnungen sind auf
^"gerechten Linien verschiedne Posten links untereinander gesetzt und rechts mit
bestimmten Vermerken oder Zahlen versehen, in denen sich an verschiednen Stellen
dieselben Zeichen wiederholen, in der Art, wie beim Dezimalsystem die Ziffern an
verschiednen Stellen verschiednen Wert haben. Die Zählung scheint mindestens bis
^(jgg gereicht zu haben. Auf einigen dieser Tabellen deutet Evans gewisse
"eichen als Symbole sür die Begriffe "Mäuner" und "Frauen": demnach geben
d^ehe Verzeichnisse die Stärke der Streitmacht an oder zählen die Sklaven und
Sklavinnen des Hofstaats auf.

So genane Buchführung ist den vorderasiatischen Völkern durchaus nicht fremd
gewesen: assyrische Inschriften geben zum Beispiel immer bestimmte Zahlen der in
°er Schlacht Gefallnen und der Gefangnen. Auf Bildnissen sind königliche Schreiber
"rgestellt, die sich während der Schlacht die nötigen Notizen auf Lederstreifen
Aachen, um Unterlagen für die amtlichen Berichte zu beschaffen, in denen der
^"hin ihres Königs verkündet wird. Ju ähnlicher Weise werden uns den kretischen
Zuschriften vermutlich die Untertanen in Heer und Harem hergezählt. Das Geschlecht
er Personennamen wird anscheinend durch männliche und weibliche Endungen unter-
Meden, und die wechselnde" Suffixe (Anhängesilben) deuten darauf hiu, daß die
Zainen, wie bei deu indogermanischen Sprachen, aus zwei Stämmen zusammen-
gesetzt siud.

semitisch ist die Sprache der kretischen Inschriften wahrscheinlich nicht ge-
vejen. Dazu stimmt vortrefflich, daß die Profillinie dieser Kulturmenschen nichts
, Mein hat mit dem semitischen Typus, der auf andern orientalischen Denkmälern
>werkennbar ausgeprägt ist. Mit diesen allgemeinen Andeutungen über den Inhalt
^ kretischen Schrifttaftlu muß man sich zurzeit zufrieden geben, denn diese Schrift


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Selten hat sich das Glück, das gerade den Ausgräber gern narrt, so hold
erwiesen wie hier, Evans hatte die Genugtuung, in das Museum zu Kandia ganze
Depots von Tontäfelchen, nieist von der Form eines Wetzsteins, schaffen zu können,
uns denen zwischen vorgezeichneten Linien ganze Zeilen dieser neuentdeckten Schrift
eingeritzt sind. Das Feuer hat sich bei dem furchtbaren Brande, der der stolzen
Herrlichkeit des Schlosses ein jähes Ende bereitet hat, als eine wohltätige Macht
erwiesein die an der Luft getrockneten Lehmtafeln sind durch die ungeheure Glut
Zu harte», unvergänglichen Ziegeln verglast worden, auf denen die eingeritzter In¬
schriften deutlich erkennbar sind. Der auf dem verwunschnem Schlosse lastende
Ruch hat sich jahrtausendelang so wirksam erwiesen, daß diese „Tablettennester"
unberührt geblieben sind, bis sie der Spaten des Altertumsforschers in jüngster
Zeit aufgedeckt hat. Nachdem Evans so eine ungeahnte Fülle neuen Materials
gewonnen hat, ist jeder Zweifel daran verstummt, daß diese Zeichen wirklich einer
bisher unbekannten Schrift angehören.

Obwohl die Deutung im einzelnen noch große Schwierigkeiten macht, ist der
unermüdliche Gelehrte vor kurzem mit einem neuen Versuche hervorgetreten, die
Mselhafte Schrift zu entziffern. Vor allem sind zwei „Schriftsysteme" voneinander
ö,u scheiden: ein älteres, das sich aus Bildern zusammensetzt, den Hieroglyphen
Ägyptens vergleichbar, und ein jüngeres, lineares, dessen Zeichen durch gerade und
krumme Linien, ähnlich wie zum Beispiel bei der Antiqnaschrift, gebildet werden.
Einzelne Zeichen der linearen Schrift nähern sich der Bilderschrift, ohne daß man
darum mit Sicherheit behaupten könnte, daß sich die eine aus der andern entwickelt
haben müsse. Die Bilderschrift gehört den Resten eines ältern Palastes an, als
dessen Zeit durch ähnliche in Ägypten gemachte Funde das dritte Jahrtausend
d- Chr. bestimmt wird. Diese Anlage, die von einer verhältnismäßig hohen Zivili¬
sation Kunde gibt, scheint infolge einer Dynastieumwälzung gewaltsam zerstört worden
zu sein. Über dieser Schicht liegen die Palastbauten der „minoischen" Zeit, die
^u zweiten vorchristlichen Jahrtausend errichtet worden sind. Hier haben sich die
Zuschriften der linearen Zeichen gefunden, für die insbesondre jene Bibliothek von
Tontäfelchen Tausende vou Beispielen bietet. Nach Art von Rechnungen sind auf
^"gerechten Linien verschiedne Posten links untereinander gesetzt und rechts mit
bestimmten Vermerken oder Zahlen versehen, in denen sich an verschiednen Stellen
dieselben Zeichen wiederholen, in der Art, wie beim Dezimalsystem die Ziffern an
verschiednen Stellen verschiednen Wert haben. Die Zählung scheint mindestens bis
^(jgg gereicht zu haben. Auf einigen dieser Tabellen deutet Evans gewisse
«eichen als Symbole sür die Begriffe „Mäuner" und „Frauen": demnach geben
d^ehe Verzeichnisse die Stärke der Streitmacht an oder zählen die Sklaven und
Sklavinnen des Hofstaats auf.

So genane Buchführung ist den vorderasiatischen Völkern durchaus nicht fremd
gewesen: assyrische Inschriften geben zum Beispiel immer bestimmte Zahlen der in
°er Schlacht Gefallnen und der Gefangnen. Auf Bildnissen sind königliche Schreiber
"rgestellt, die sich während der Schlacht die nötigen Notizen auf Lederstreifen
Aachen, um Unterlagen für die amtlichen Berichte zu beschaffen, in denen der
^»hin ihres Königs verkündet wird. Ju ähnlicher Weise werden uns den kretischen
Zuschriften vermutlich die Untertanen in Heer und Harem hergezählt. Das Geschlecht
er Personennamen wird anscheinend durch männliche und weibliche Endungen unter-
Meden, und die wechselnde» Suffixe (Anhängesilben) deuten darauf hiu, daß die
Zainen, wie bei deu indogermanischen Sprachen, aus zwei Stämmen zusammen-
gesetzt siud.

semitisch ist die Sprache der kretischen Inschriften wahrscheinlich nicht ge-
vejen. Dazu stimmt vortrefflich, daß die Profillinie dieser Kulturmenschen nichts
, Mein hat mit dem semitischen Typus, der auf andern orientalischen Denkmälern
>werkennbar ausgeprägt ist. Mit diesen allgemeinen Andeutungen über den Inhalt
^ kretischen Schrifttaftlu muß man sich zurzeit zufrieden geben, denn diese Schrift


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[0123] Maßgebliches und Unmaßgebliches Selten hat sich das Glück, das gerade den Ausgräber gern narrt, so hold erwiesen wie hier, Evans hatte die Genugtuung, in das Museum zu Kandia ganze Depots von Tontäfelchen, nieist von der Form eines Wetzsteins, schaffen zu können, uns denen zwischen vorgezeichneten Linien ganze Zeilen dieser neuentdeckten Schrift eingeritzt sind. Das Feuer hat sich bei dem furchtbaren Brande, der der stolzen Herrlichkeit des Schlosses ein jähes Ende bereitet hat, als eine wohltätige Macht erwiesein die an der Luft getrockneten Lehmtafeln sind durch die ungeheure Glut Zu harte», unvergänglichen Ziegeln verglast worden, auf denen die eingeritzter In¬ schriften deutlich erkennbar sind. Der auf dem verwunschnem Schlosse lastende Ruch hat sich jahrtausendelang so wirksam erwiesen, daß diese „Tablettennester" unberührt geblieben sind, bis sie der Spaten des Altertumsforschers in jüngster Zeit aufgedeckt hat. Nachdem Evans so eine ungeahnte Fülle neuen Materials gewonnen hat, ist jeder Zweifel daran verstummt, daß diese Zeichen wirklich einer bisher unbekannten Schrift angehören. Obwohl die Deutung im einzelnen noch große Schwierigkeiten macht, ist der unermüdliche Gelehrte vor kurzem mit einem neuen Versuche hervorgetreten, die Mselhafte Schrift zu entziffern. Vor allem sind zwei „Schriftsysteme" voneinander ö,u scheiden: ein älteres, das sich aus Bildern zusammensetzt, den Hieroglyphen Ägyptens vergleichbar, und ein jüngeres, lineares, dessen Zeichen durch gerade und krumme Linien, ähnlich wie zum Beispiel bei der Antiqnaschrift, gebildet werden. Einzelne Zeichen der linearen Schrift nähern sich der Bilderschrift, ohne daß man darum mit Sicherheit behaupten könnte, daß sich die eine aus der andern entwickelt haben müsse. Die Bilderschrift gehört den Resten eines ältern Palastes an, als dessen Zeit durch ähnliche in Ägypten gemachte Funde das dritte Jahrtausend d- Chr. bestimmt wird. Diese Anlage, die von einer verhältnismäßig hohen Zivili¬ sation Kunde gibt, scheint infolge einer Dynastieumwälzung gewaltsam zerstört worden zu sein. Über dieser Schicht liegen die Palastbauten der „minoischen" Zeit, die ^u zweiten vorchristlichen Jahrtausend errichtet worden sind. Hier haben sich die Zuschriften der linearen Zeichen gefunden, für die insbesondre jene Bibliothek von Tontäfelchen Tausende vou Beispielen bietet. Nach Art von Rechnungen sind auf ^"gerechten Linien verschiedne Posten links untereinander gesetzt und rechts mit bestimmten Vermerken oder Zahlen versehen, in denen sich an verschiednen Stellen dieselben Zeichen wiederholen, in der Art, wie beim Dezimalsystem die Ziffern an verschiednen Stellen verschiednen Wert haben. Die Zählung scheint mindestens bis ^(jgg gereicht zu haben. Auf einigen dieser Tabellen deutet Evans gewisse «eichen als Symbole sür die Begriffe „Mäuner" und „Frauen": demnach geben d^ehe Verzeichnisse die Stärke der Streitmacht an oder zählen die Sklaven und Sklavinnen des Hofstaats auf. So genane Buchführung ist den vorderasiatischen Völkern durchaus nicht fremd gewesen: assyrische Inschriften geben zum Beispiel immer bestimmte Zahlen der in °er Schlacht Gefallnen und der Gefangnen. Auf Bildnissen sind königliche Schreiber "rgestellt, die sich während der Schlacht die nötigen Notizen auf Lederstreifen Aachen, um Unterlagen für die amtlichen Berichte zu beschaffen, in denen der ^»hin ihres Königs verkündet wird. Ju ähnlicher Weise werden uns den kretischen Zuschriften vermutlich die Untertanen in Heer und Harem hergezählt. Das Geschlecht er Personennamen wird anscheinend durch männliche und weibliche Endungen unter- Meden, und die wechselnde» Suffixe (Anhängesilben) deuten darauf hiu, daß die Zainen, wie bei deu indogermanischen Sprachen, aus zwei Stämmen zusammen- gesetzt siud. semitisch ist die Sprache der kretischen Inschriften wahrscheinlich nicht ge- vejen. Dazu stimmt vortrefflich, daß die Profillinie dieser Kulturmenschen nichts , Mein hat mit dem semitischen Typus, der auf andern orientalischen Denkmälern >werkennbar ausgeprägt ist. Mit diesen allgemeinen Andeutungen über den Inhalt ^ kretischen Schrifttaftlu muß man sich zurzeit zufrieden geben, denn diese Schrift

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/123>, abgerufen am 05.02.2025.