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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Die Bedeutung der Presse für die Kultur

erlebte, durch alle abwechselnden Gestalten der Meinung, durch seine Torheit
und seine Weisheit, seine Verschlimmerung und seine Veredlung, begleitet sie
ihn; von allem, was er sich nahm und gab, muß sie Rechenschaft ablegen.
Es ist keiner unter Ihnen allen, dem die Geschichte nicht etwas wichtiges zu
sagen hätte; alle noch so verschiednen Bahnen Ihrer künftigen Bestimmung ver¬
knüpfen sich irgendwo mit derselben; aber eine Bestimmung teilen Sie alle auf
gleiche Weise miteinander, diejenige, welche Sie auf die Welt mitbrachten -- sich
als Menschen auszubilden --, und zu dem Menschen eben redet die Geschichte."

Was Schiller hier einst seinen jungen Hörern in bezug auf die Geschichte
an das Herz legte, das darf man in unsern Tagen getrost auf die Presse an¬
wenden. Wir brauchen nur das Wort Geschichte mit Presse zu vertauschen, der
gesamte Inhalt trifft vollständig zu. Denn das ist eben das merkwürdige dieser
ungeheuern Entwicklung, die sich von den Zeiten des ersten handschriftlichen Nach¬
richtenwesens bis auf die heutige telephonisch und telegraphisch hergestellte Zeitung
vollzogen hat, daß sich heute in der gesamten Kulturwelt fast kein einziger Mensch
der Einwirkung der Presse entziehn kann. Sie tritt mittelbar oder unmittelbar an
jeden Erwachsnen heran, und indem sie ihm ein Spiegelbild seines Zeitalters liefert,
senkt sie damit in Millionen von Gemütern täglich eine neue Aussaat keimender
und werdender Ideen, aus denen sich in ewiger Wechselwirkung unaufhaltsam
und unaufhörlich der Kulturfortschritt der Menschheit im guten oder im bösen
vollzieht. Es ist niemand unter uns, der nicht irgendwie im Bannkreise der
Presse steht, der ihrer nicht bedarf, auf den sie nicht in dem einen oder dem
andern Sinne Einfluß übt. Dieser Einfluß ist, wie wir gesehen haben, wechsel¬
seitig. Die Presse unterliegt ihm, indem sie die Handlungen und die Ideen
der Zeitgenossen registrieren und verarbeiten muß, um daraus Folgerungen
und Nutzanwendungen für Gegenwart und Zukunft zu ziehn, wir Zeitgenossen
wiederum unterliegen je nach dem Grade unsrer geistigen Selbständigkeit dem
Einflüsse, den die Presse durch diese tägliche geistige Arbeit auf uns ausübt.

Bis zu einen: gewissen Grade trägt jeder Einzelne, auch in den hinterstell
Gliedern des großen Kulturheerbannes, den wir Volk nennen, durch sein Tun
und Treiben, durch die Ausgaben, denen er sich widmet, durch seine Lebens-
betätigung zu dem Material bei, das die Presse täglich verarbeiten muß, und
indem er das Produkt dieser geistigen Arbeit noch an demselben oder am
nächsten Tage wieder in sich aufnimmt, steht er bewußt oder unbewußt in
dem ewigen, unendlichen Kreislauf, den dann eine spätere Zeit als die Kultur-
entwicklung unsrer Tage registriert.

Goethe erklärt zwar, unser Anteil an öffentlichen Angelegenheiten sei meist
nur Philisterei. Aber auch diese Philisterei hat mit an unsrer heutigen Kultur-
welt gebaut und baut an der Zukunft!

So viel -- und doch so wenig über die Bedeutung der Presse für die
Kultur!




Die Bedeutung der Presse für die Kultur

erlebte, durch alle abwechselnden Gestalten der Meinung, durch seine Torheit
und seine Weisheit, seine Verschlimmerung und seine Veredlung, begleitet sie
ihn; von allem, was er sich nahm und gab, muß sie Rechenschaft ablegen.
Es ist keiner unter Ihnen allen, dem die Geschichte nicht etwas wichtiges zu
sagen hätte; alle noch so verschiednen Bahnen Ihrer künftigen Bestimmung ver¬
knüpfen sich irgendwo mit derselben; aber eine Bestimmung teilen Sie alle auf
gleiche Weise miteinander, diejenige, welche Sie auf die Welt mitbrachten — sich
als Menschen auszubilden —, und zu dem Menschen eben redet die Geschichte."

Was Schiller hier einst seinen jungen Hörern in bezug auf die Geschichte
an das Herz legte, das darf man in unsern Tagen getrost auf die Presse an¬
wenden. Wir brauchen nur das Wort Geschichte mit Presse zu vertauschen, der
gesamte Inhalt trifft vollständig zu. Denn das ist eben das merkwürdige dieser
ungeheuern Entwicklung, die sich von den Zeiten des ersten handschriftlichen Nach¬
richtenwesens bis auf die heutige telephonisch und telegraphisch hergestellte Zeitung
vollzogen hat, daß sich heute in der gesamten Kulturwelt fast kein einziger Mensch
der Einwirkung der Presse entziehn kann. Sie tritt mittelbar oder unmittelbar an
jeden Erwachsnen heran, und indem sie ihm ein Spiegelbild seines Zeitalters liefert,
senkt sie damit in Millionen von Gemütern täglich eine neue Aussaat keimender
und werdender Ideen, aus denen sich in ewiger Wechselwirkung unaufhaltsam
und unaufhörlich der Kulturfortschritt der Menschheit im guten oder im bösen
vollzieht. Es ist niemand unter uns, der nicht irgendwie im Bannkreise der
Presse steht, der ihrer nicht bedarf, auf den sie nicht in dem einen oder dem
andern Sinne Einfluß übt. Dieser Einfluß ist, wie wir gesehen haben, wechsel¬
seitig. Die Presse unterliegt ihm, indem sie die Handlungen und die Ideen
der Zeitgenossen registrieren und verarbeiten muß, um daraus Folgerungen
und Nutzanwendungen für Gegenwart und Zukunft zu ziehn, wir Zeitgenossen
wiederum unterliegen je nach dem Grade unsrer geistigen Selbständigkeit dem
Einflüsse, den die Presse durch diese tägliche geistige Arbeit auf uns ausübt.

Bis zu einen: gewissen Grade trägt jeder Einzelne, auch in den hinterstell
Gliedern des großen Kulturheerbannes, den wir Volk nennen, durch sein Tun
und Treiben, durch die Ausgaben, denen er sich widmet, durch seine Lebens-
betätigung zu dem Material bei, das die Presse täglich verarbeiten muß, und
indem er das Produkt dieser geistigen Arbeit noch an demselben oder am
nächsten Tage wieder in sich aufnimmt, steht er bewußt oder unbewußt in
dem ewigen, unendlichen Kreislauf, den dann eine spätere Zeit als die Kultur-
entwicklung unsrer Tage registriert.

Goethe erklärt zwar, unser Anteil an öffentlichen Angelegenheiten sei meist
nur Philisterei. Aber auch diese Philisterei hat mit an unsrer heutigen Kultur-
welt gebaut und baut an der Zukunft!

So viel — und doch so wenig über die Bedeutung der Presse für die
Kultur!




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[0722] Die Bedeutung der Presse für die Kultur erlebte, durch alle abwechselnden Gestalten der Meinung, durch seine Torheit und seine Weisheit, seine Verschlimmerung und seine Veredlung, begleitet sie ihn; von allem, was er sich nahm und gab, muß sie Rechenschaft ablegen. Es ist keiner unter Ihnen allen, dem die Geschichte nicht etwas wichtiges zu sagen hätte; alle noch so verschiednen Bahnen Ihrer künftigen Bestimmung ver¬ knüpfen sich irgendwo mit derselben; aber eine Bestimmung teilen Sie alle auf gleiche Weise miteinander, diejenige, welche Sie auf die Welt mitbrachten — sich als Menschen auszubilden —, und zu dem Menschen eben redet die Geschichte." Was Schiller hier einst seinen jungen Hörern in bezug auf die Geschichte an das Herz legte, das darf man in unsern Tagen getrost auf die Presse an¬ wenden. Wir brauchen nur das Wort Geschichte mit Presse zu vertauschen, der gesamte Inhalt trifft vollständig zu. Denn das ist eben das merkwürdige dieser ungeheuern Entwicklung, die sich von den Zeiten des ersten handschriftlichen Nach¬ richtenwesens bis auf die heutige telephonisch und telegraphisch hergestellte Zeitung vollzogen hat, daß sich heute in der gesamten Kulturwelt fast kein einziger Mensch der Einwirkung der Presse entziehn kann. Sie tritt mittelbar oder unmittelbar an jeden Erwachsnen heran, und indem sie ihm ein Spiegelbild seines Zeitalters liefert, senkt sie damit in Millionen von Gemütern täglich eine neue Aussaat keimender und werdender Ideen, aus denen sich in ewiger Wechselwirkung unaufhaltsam und unaufhörlich der Kulturfortschritt der Menschheit im guten oder im bösen vollzieht. Es ist niemand unter uns, der nicht irgendwie im Bannkreise der Presse steht, der ihrer nicht bedarf, auf den sie nicht in dem einen oder dem andern Sinne Einfluß übt. Dieser Einfluß ist, wie wir gesehen haben, wechsel¬ seitig. Die Presse unterliegt ihm, indem sie die Handlungen und die Ideen der Zeitgenossen registrieren und verarbeiten muß, um daraus Folgerungen und Nutzanwendungen für Gegenwart und Zukunft zu ziehn, wir Zeitgenossen wiederum unterliegen je nach dem Grade unsrer geistigen Selbständigkeit dem Einflüsse, den die Presse durch diese tägliche geistige Arbeit auf uns ausübt. Bis zu einen: gewissen Grade trägt jeder Einzelne, auch in den hinterstell Gliedern des großen Kulturheerbannes, den wir Volk nennen, durch sein Tun und Treiben, durch die Ausgaben, denen er sich widmet, durch seine Lebens- betätigung zu dem Material bei, das die Presse täglich verarbeiten muß, und indem er das Produkt dieser geistigen Arbeit noch an demselben oder am nächsten Tage wieder in sich aufnimmt, steht er bewußt oder unbewußt in dem ewigen, unendlichen Kreislauf, den dann eine spätere Zeit als die Kultur- entwicklung unsrer Tage registriert. Goethe erklärt zwar, unser Anteil an öffentlichen Angelegenheiten sei meist nur Philisterei. Aber auch diese Philisterei hat mit an unsrer heutigen Kultur- welt gebaut und baut an der Zukunft! So viel — und doch so wenig über die Bedeutung der Presse für die Kultur!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/722>, abgerufen am 15.01.2025.