Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Warum? Plötzlich begann Moritz hinter ihm leise zu wimmern. Was hast du, mein Leben? Mein Gold, friert dich? Ich bin müde. Dem Vater rieselte der Schreck durch Mark und Bein. Er wußte, daß der Wir werden ausruhn einen Augenblick, sagte er und drehte sich zu ihm. Er lehnte seinen Korb ohne ihn abzusetzen an einen Baum und zog den Jetzt wird es wieder gehn, mein Jungck, sagte er endlich. Langsam --du, Langsam ließ der Jude die Trageriemen von seinen Schultern gleiten und O die Ware -- die schöne Ware -- wo wird die bleiben? jammerte Moritzchen. Die Broschen und das Sammetband -- die darfst dn nicht hierlassen -- die Mach ihn zu einem, der Israel unterweise, setzte der Vater leise seinem Spruch Moritzchen sah aus den, Nest mit seinen schwarzen, enggestellten Angen heraus, Wirst du kalt? fragte er nach einer Weile. Ich weiß nicht, piepte Moritzchen. Soll ich dich niedersetzen? Will mein Jungck umherspringen, um sich aufzu¬ Nein. Sind wir noch nicht bald da? Noch eine Viertelstunde -- wenn der Einige uns gnädig ist. Dieser Zusatz Warum? Plötzlich begann Moritz hinter ihm leise zu wimmern. Was hast du, mein Leben? Mein Gold, friert dich? Ich bin müde. Dem Vater rieselte der Schreck durch Mark und Bein. Er wußte, daß der Wir werden ausruhn einen Augenblick, sagte er und drehte sich zu ihm. Er lehnte seinen Korb ohne ihn abzusetzen an einen Baum und zog den Jetzt wird es wieder gehn, mein Jungck, sagte er endlich. Langsam —du, Langsam ließ der Jude die Trageriemen von seinen Schultern gleiten und O die Ware — die schöne Ware — wo wird die bleiben? jammerte Moritzchen. Die Broschen und das Sammetband — die darfst dn nicht hierlassen — die Mach ihn zu einem, der Israel unterweise, setzte der Vater leise seinem Spruch Moritzchen sah aus den, Nest mit seinen schwarzen, enggestellten Angen heraus, Wirst du kalt? fragte er nach einer Weile. Ich weiß nicht, piepte Moritzchen. Soll ich dich niedersetzen? Will mein Jungck umherspringen, um sich aufzu¬ Nein. Sind wir noch nicht bald da? Noch eine Viertelstunde — wenn der Einige uns gnädig ist. Dieser Zusatz <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0627" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296638"/> <fw type="header" place="top"> Warum?</fw><lb/> <p xml:id="ID_3253"> Plötzlich begann Moritz hinter ihm leise zu wimmern.</p><lb/> <p xml:id="ID_3254"> Was hast du, mein Leben? Mein Gold, friert dich?</p><lb/> <p xml:id="ID_3255"> Ich bin müde.</p><lb/> <p xml:id="ID_3256"> Dem Vater rieselte der Schreck durch Mark und Bein. Er wußte, daß der<lb/> Kleine nicht ohne Not versagte, und fühlte, daß er selbst beinahe am Ende seiner<lb/> Kraft war. Matt schon hatte er heute den Weg angetreten, und das stete, wenn<lb/> auch noch so geringe Zurückgleiten des Fußes bei jedem Tritt ermüdete außer¬<lb/> ordentlich.</p><lb/> <p xml:id="ID_3257"> Wir werden ausruhn einen Augenblick, sagte er und drehte sich zu ihm.<lb/> Vielleicht kommt ein Wagen und nimmt uns mit — ja gewiß kommt ein Wagen<lb/> oder ein Schlitten.</p><lb/> <p xml:id="ID_3258"> Er lehnte seinen Korb ohne ihn abzusetzen an einen Baum und zog den<lb/> Kleinen an sich. Er drückte sich Moritzchens glühendes Gesicht an den Mantel,<lb/> von dem er den Schnee abgeklopft hatte. Dabei fühlte er, daß der Junge vor<lb/> Erschöpfung zitterte. Die Kleide ging ihm selbst durch den erhitzten Rücken, den er<lb/> dem schneidenden Winde aussetzen mußte. So stände» sie eine Weile schweigend,<lb/> und die Hand von Plutus glitt liebkosend über den Nacken des Kleinen.</p><lb/> <p xml:id="ID_3259"> Jetzt wird es wieder gehn, mein Jungck, sagte er endlich. Langsam —du,<lb/> gehst immer dicht hinter mir. Er stieß sich mit einem Ruck von dem Stamme ab,<lb/> sodaß er wieder in gebückte Haltung kam, und schritt voran, bis Moritzchen vor<lb/> Müdigkeit stolperte und fiel. Er zog ihn am Arme in die Höhe, aber der Kleine<lb/> taumelte nur «och ein paar Schritte vorwärts, dann fiel er abermals und weinte.</p><lb/> <p xml:id="ID_3260"> Langsam ließ der Jude die Trageriemen von seinen Schultern gleiten und<lb/> stellte den Korb zu Boden. Ich werde dich jetzt tragen. Mein Kind braucht nicht<lb/> zu weinen Ich werde die Ware Herausnehmen, und du wirst hineinsteigen.</p><lb/> <p xml:id="ID_3261"> O die Ware — die schöne Ware — wo wird die bleiben? jammerte Moritzchen.<lb/> Aber der Vater nahm alle schweren Sachen heraus und schlug sie so gut es ging<lb/> in das Wachstuch. Dabei murmelte er inbrünstig den Schluß des lLal uiärs — des<lb/> großen Bnßgebets vom Versöhnungstage i Mein Gott, ehe ich geschaffen, war ich<lb/> nichts — und jetzt da ich geschaffen, bin ich so, als wäre ich nicht geschaffen. Staub<lb/> bin ich im Leben — noch mehr im Tode; ich bin voller Schmach und Schande.<lb/> Es sei dir, Einiger, wohlgefällig, daß ich nicht mehr sündige.</p><lb/> <p xml:id="ID_3262"> Die Broschen und das Sammetband — die darfst dn nicht hierlassen — die<lb/> sind ein Geschäft, sagte der Kleine weinerlich, während er neben dem Korbe auf<lb/> den Knien lag.</p><lb/> <p xml:id="ID_3263"> Mach ihn zu einem, der Israel unterweise, setzte der Vater leise seinem Spruch<lb/> hinzu, und er legte den Warmhalten hinter einem schlanken Kastanienbäumchen in<lb/> den Graben und häufte Schnee darüber. Ja, ich werde die Kleinigkeiten mit¬<lb/> nehmen so gut wie die Betriemen — und auch die Wolle; sie wärmt dich noch.<lb/> Er hob den Knaben hinein. So leg dich an mich — und die Wolle hier zur<lb/> Seite — und halt die Arme fest am Leib, daß du warm bleibst.</p><lb/> <p xml:id="ID_3264"> Moritzchen sah aus den, Nest mit seinen schwarzen, enggestellten Angen heraus,<lb/> wie die Maus aus dem Loch. Plutus wuchtete sich den Korb wieder auf den<lb/> Rücken und ging die ersten Schritte taumelnd. Die Last war nicht leichter ge¬<lb/> worden, und der Schneesturm nicht barmherziger. Er mußte jetzt öfters stillstehn,<lb/> das durfte er aber nur tun, wenn er zugleich einen der Alleebäuine umfassen konnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_3265"> Wirst du kalt? fragte er nach einer Weile.</p><lb/> <p xml:id="ID_3266"> Ich weiß nicht, piepte Moritzchen.</p><lb/> <p xml:id="ID_3267"> Soll ich dich niedersetzen? Will mein Jungck umherspringen, um sich aufzu¬<lb/> wärmen?</p><lb/> <p xml:id="ID_3268"> Nein. Sind wir noch nicht bald da?</p><lb/> <p xml:id="ID_3269" next="#ID_3270"> Noch eine Viertelstunde — wenn der Einige uns gnädig ist. Dieser Zusatz<lb/> wurde leise gemacht. Er sprach jetzt gar nicht mehr und ruhte auch nicht mehr<lb/> aus. Sein Atem wurde keuchend. Er zählte die Schritte immer von eins bis<lb/> zehn, und vor seinen von Blutäderchen geröteten Augen, die er auf den Boden ge¬<lb/> richtet hielt, flimmerte es. Seinem heißen Gesicht waren die Schneeflocken jetzt an-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0627]
Warum?
Plötzlich begann Moritz hinter ihm leise zu wimmern.
Was hast du, mein Leben? Mein Gold, friert dich?
Ich bin müde.
Dem Vater rieselte der Schreck durch Mark und Bein. Er wußte, daß der
Kleine nicht ohne Not versagte, und fühlte, daß er selbst beinahe am Ende seiner
Kraft war. Matt schon hatte er heute den Weg angetreten, und das stete, wenn
auch noch so geringe Zurückgleiten des Fußes bei jedem Tritt ermüdete außer¬
ordentlich.
Wir werden ausruhn einen Augenblick, sagte er und drehte sich zu ihm.
Vielleicht kommt ein Wagen und nimmt uns mit — ja gewiß kommt ein Wagen
oder ein Schlitten.
Er lehnte seinen Korb ohne ihn abzusetzen an einen Baum und zog den
Kleinen an sich. Er drückte sich Moritzchens glühendes Gesicht an den Mantel,
von dem er den Schnee abgeklopft hatte. Dabei fühlte er, daß der Junge vor
Erschöpfung zitterte. Die Kleide ging ihm selbst durch den erhitzten Rücken, den er
dem schneidenden Winde aussetzen mußte. So stände» sie eine Weile schweigend,
und die Hand von Plutus glitt liebkosend über den Nacken des Kleinen.
Jetzt wird es wieder gehn, mein Jungck, sagte er endlich. Langsam —du,
gehst immer dicht hinter mir. Er stieß sich mit einem Ruck von dem Stamme ab,
sodaß er wieder in gebückte Haltung kam, und schritt voran, bis Moritzchen vor
Müdigkeit stolperte und fiel. Er zog ihn am Arme in die Höhe, aber der Kleine
taumelte nur «och ein paar Schritte vorwärts, dann fiel er abermals und weinte.
Langsam ließ der Jude die Trageriemen von seinen Schultern gleiten und
stellte den Korb zu Boden. Ich werde dich jetzt tragen. Mein Kind braucht nicht
zu weinen Ich werde die Ware Herausnehmen, und du wirst hineinsteigen.
O die Ware — die schöne Ware — wo wird die bleiben? jammerte Moritzchen.
Aber der Vater nahm alle schweren Sachen heraus und schlug sie so gut es ging
in das Wachstuch. Dabei murmelte er inbrünstig den Schluß des lLal uiärs — des
großen Bnßgebets vom Versöhnungstage i Mein Gott, ehe ich geschaffen, war ich
nichts — und jetzt da ich geschaffen, bin ich so, als wäre ich nicht geschaffen. Staub
bin ich im Leben — noch mehr im Tode; ich bin voller Schmach und Schande.
Es sei dir, Einiger, wohlgefällig, daß ich nicht mehr sündige.
Die Broschen und das Sammetband — die darfst dn nicht hierlassen — die
sind ein Geschäft, sagte der Kleine weinerlich, während er neben dem Korbe auf
den Knien lag.
Mach ihn zu einem, der Israel unterweise, setzte der Vater leise seinem Spruch
hinzu, und er legte den Warmhalten hinter einem schlanken Kastanienbäumchen in
den Graben und häufte Schnee darüber. Ja, ich werde die Kleinigkeiten mit¬
nehmen so gut wie die Betriemen — und auch die Wolle; sie wärmt dich noch.
Er hob den Knaben hinein. So leg dich an mich — und die Wolle hier zur
Seite — und halt die Arme fest am Leib, daß du warm bleibst.
Moritzchen sah aus den, Nest mit seinen schwarzen, enggestellten Angen heraus,
wie die Maus aus dem Loch. Plutus wuchtete sich den Korb wieder auf den
Rücken und ging die ersten Schritte taumelnd. Die Last war nicht leichter ge¬
worden, und der Schneesturm nicht barmherziger. Er mußte jetzt öfters stillstehn,
das durfte er aber nur tun, wenn er zugleich einen der Alleebäuine umfassen konnte.
Wirst du kalt? fragte er nach einer Weile.
Ich weiß nicht, piepte Moritzchen.
Soll ich dich niedersetzen? Will mein Jungck umherspringen, um sich aufzu¬
wärmen?
Nein. Sind wir noch nicht bald da?
Noch eine Viertelstunde — wenn der Einige uns gnädig ist. Dieser Zusatz
wurde leise gemacht. Er sprach jetzt gar nicht mehr und ruhte auch nicht mehr
aus. Sein Atem wurde keuchend. Er zählte die Schritte immer von eins bis
zehn, und vor seinen von Blutäderchen geröteten Augen, die er auf den Boden ge¬
richtet hielt, flimmerte es. Seinem heißen Gesicht waren die Schneeflocken jetzt an-
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