Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches rechtlich schichte, oder dessen Postverwaltung nicht bestrebt wäre, den unter die In Deutschland erstreckt sich der Begriff vom Briefgeheimnis nicht bloß auf Allen diesen das Briefgeheimnis durchbrechenden Bestimmungen liegt der Ge¬ Maßgebliches und Unmaßgebliches rechtlich schichte, oder dessen Postverwaltung nicht bestrebt wäre, den unter die In Deutschland erstreckt sich der Begriff vom Briefgeheimnis nicht bloß auf Allen diesen das Briefgeheimnis durchbrechenden Bestimmungen liegt der Ge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0569" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296580"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_2949" prev="#ID_2948"> rechtlich schichte, oder dessen Postverwaltung nicht bestrebt wäre, den unter die<lb/> Heiligkeit des Siegels gelegten Brief gegen Indiskretionen zu sichern. Freilich die<lb/> Verlockung, im Interesse der Staatsaufsicht durch Vermittlung der Post hinter die<lb/> Geheimnisse verdächtiger Personen zu kommen, ist sehr groß, und in den Ländern<lb/> stockender Kultur — zu nennen wären hier Rußland und die Türkei — mag man<lb/> sichs auch noch versehen, daß die Polizeigewalt gelegentlich einmal über die Grenzen<lb/> der postalischen Wohlanständigkeit hinausgeht. Das Liebeswerben der Polizei um<lb/> postalische Gefälligkeiten hat seit den Tagen der kalifischen Pvlizeipostmeister nicht<lb/> aufgehört, und wenn sie im Reiche Stephans und seiner Nachfolger immer ver¬<lb/> geblich an den harten Felsen der Amtsverschwiegenheit klopfte, so verdanken wir diese<lb/> Sicherheit nicht allein der Selbständigkeit der deutschen Reichspostverwaltnng, sondern<lb/> auch der hohen Auffassung seines Berufs, die der deutsche Postbeamte in sich trägt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2950"> In Deutschland erstreckt sich der Begriff vom Briefgeheimnis nicht bloß auf<lb/> die Achtung des Verschlusses; die dem Postbeamten auferlegte Vertrauenspflicht<lb/> umfaßt alle Tatsachen, die er durch eine Korrespondenz amtlich in Erfahrung<lb/> gebracht hat. Er muß also nicht nur den Inhalt einer offnen Korrespondenz<lb/> als sein Geheimnis wahren, er ist auch zum Stillschweigen darüber verpflichtet,<lb/> zwischen welchen Personen Postsendungen und Telegramme gewechselt worden sind.<lb/> Dagegen läßt das Postgesch bei strafgerichtlichen Untersuchungen und in Konkurs¬<lb/> und zivilprozessualischen Fällen einige notwendige Ausnahmen Vom Briefgeheimnis<lb/> zu, über die aber nur der Richter, in einzelnen Fällen auch der Staatsanwalt, ver¬<lb/> fügen kann. Sofern nämlich Tatsachen vorliegen, aus denen man schließen kann,<lb/> daß der Inhalt der an den Beschuldigten gerichteten oder von ihm herrührenden<lb/> Briefe für die Untersuchung Bedeutung habe, kann der Richter ihre Beschlagnahme<lb/> anordnen; die Post hat mit der beschlagnahmten Sendung dann aber im allgemeinen<lb/> nichts mehr zu tun. Anders in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten. Hier ist eine Be¬<lb/> schlagnahme von Sendungen auf der Post überhaupt unzulässig; es ist nur die<lb/> Auskunftserteilung über Postsendungen oder deren Vorlegung als Beweismittel vor<lb/> Gericht statthaft, und zwar auch nur auf Antrag oder mit Zustimmung des Ab¬<lb/> senders oder des Empfängers. Wenn Postbeamte vor Gericht zu zeugen haben,<lb/> sind sie an das Reichsbeamtengesetz gebunden, wonach sie, auch wenn sie nicht mehr<lb/> im Dienst sind, ihr Zeugnis über Tatsachen, auf die sich die Verpflichtung zur<lb/> Amtsverschwiegenheit bezieht, nur mit Genehmigung ihrer vorgesetzten oder der ihnen<lb/> zuletzt vorgesetzt gewesnen Dienstbehörde abgeben dürfen. Was endlich das ab¬<lb/> weichende Verfahren in Konkursfällen anlangt, fo bestimmt Paragraph 121 der<lb/> Konkursordnung, daß die Postanstalten auf Anordnung des Konkursgerichts alle für<lb/> den Gemeinschnldner eingehenden Sendungen dem Konkursverwalter auszuhändigen<lb/> haben. Auch hier hat die Post mit der Übergabe der Sendungen an den Konkurs¬<lb/> verwalter keine Verpflichtung mehr gegen den Absender und den Empfänger.</p><lb/> <p xml:id="ID_2951" next="#ID_2952"> Allen diesen das Briefgeheimnis durchbrechenden Bestimmungen liegt der Ge¬<lb/> danke zugrunde, daß das private Interesse am Briefgeheimnis unter gewissen Um¬<lb/> ständen den öffentlichen oder Staatsinteressen unterzuordnen sei. Daneben behält<lb/> sich aber auch die Postordnung einige Ausnahmen vor, die sowohl im posttechnischen<lb/> Interesse als auch in der Absicht gegeben sind, die Absender vor Schaden zu be¬<lb/> wahren. Ein solcher Fall tritt ein, wenn ein an seinem Bestimmungsorte unbestell¬<lb/> barer Brief nach dem Abgangsorte zurückkehrt, und es hier der Post, nachdem<lb/> sie alle Register ihrer Findigkeit gezogen hat, nicht gelungen ist, den Absender zu<lb/> ermitteln. Es wäre aus mit dem „Schiff des Geistes." wenn der Post nicht das<lb/> Offnungsrecht zustünde zu dem Zwecke, den Absender festzustellen. Ein solches Recht<lb/> haben aber nicht die Postanstalten; diese sind vielmehr verpflichtet, die unanbring-<lb/> uchen Briefe an ihre vorgesetzte Oberpostdirektion einzusenden, wo eine besondre<lb/> Kommission mit der delikaten Aufgabe betraut ist, mit Fleiß die Namen der Ab¬<lb/> sender zu erforschen, um die Briefe wenigstens zur Rücksendung wieder flott zu<lb/> machen. Für die Beamten dieser Kommission besteht die Bestimmung. daß sie sich<lb/> jeder über den Zweck der Eröffnung hinausgehenden Einsicht der Sendung ent-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0569]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
rechtlich schichte, oder dessen Postverwaltung nicht bestrebt wäre, den unter die
Heiligkeit des Siegels gelegten Brief gegen Indiskretionen zu sichern. Freilich die
Verlockung, im Interesse der Staatsaufsicht durch Vermittlung der Post hinter die
Geheimnisse verdächtiger Personen zu kommen, ist sehr groß, und in den Ländern
stockender Kultur — zu nennen wären hier Rußland und die Türkei — mag man
sichs auch noch versehen, daß die Polizeigewalt gelegentlich einmal über die Grenzen
der postalischen Wohlanständigkeit hinausgeht. Das Liebeswerben der Polizei um
postalische Gefälligkeiten hat seit den Tagen der kalifischen Pvlizeipostmeister nicht
aufgehört, und wenn sie im Reiche Stephans und seiner Nachfolger immer ver¬
geblich an den harten Felsen der Amtsverschwiegenheit klopfte, so verdanken wir diese
Sicherheit nicht allein der Selbständigkeit der deutschen Reichspostverwaltnng, sondern
auch der hohen Auffassung seines Berufs, die der deutsche Postbeamte in sich trägt.
In Deutschland erstreckt sich der Begriff vom Briefgeheimnis nicht bloß auf
die Achtung des Verschlusses; die dem Postbeamten auferlegte Vertrauenspflicht
umfaßt alle Tatsachen, die er durch eine Korrespondenz amtlich in Erfahrung
gebracht hat. Er muß also nicht nur den Inhalt einer offnen Korrespondenz
als sein Geheimnis wahren, er ist auch zum Stillschweigen darüber verpflichtet,
zwischen welchen Personen Postsendungen und Telegramme gewechselt worden sind.
Dagegen läßt das Postgesch bei strafgerichtlichen Untersuchungen und in Konkurs¬
und zivilprozessualischen Fällen einige notwendige Ausnahmen Vom Briefgeheimnis
zu, über die aber nur der Richter, in einzelnen Fällen auch der Staatsanwalt, ver¬
fügen kann. Sofern nämlich Tatsachen vorliegen, aus denen man schließen kann,
daß der Inhalt der an den Beschuldigten gerichteten oder von ihm herrührenden
Briefe für die Untersuchung Bedeutung habe, kann der Richter ihre Beschlagnahme
anordnen; die Post hat mit der beschlagnahmten Sendung dann aber im allgemeinen
nichts mehr zu tun. Anders in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten. Hier ist eine Be¬
schlagnahme von Sendungen auf der Post überhaupt unzulässig; es ist nur die
Auskunftserteilung über Postsendungen oder deren Vorlegung als Beweismittel vor
Gericht statthaft, und zwar auch nur auf Antrag oder mit Zustimmung des Ab¬
senders oder des Empfängers. Wenn Postbeamte vor Gericht zu zeugen haben,
sind sie an das Reichsbeamtengesetz gebunden, wonach sie, auch wenn sie nicht mehr
im Dienst sind, ihr Zeugnis über Tatsachen, auf die sich die Verpflichtung zur
Amtsverschwiegenheit bezieht, nur mit Genehmigung ihrer vorgesetzten oder der ihnen
zuletzt vorgesetzt gewesnen Dienstbehörde abgeben dürfen. Was endlich das ab¬
weichende Verfahren in Konkursfällen anlangt, fo bestimmt Paragraph 121 der
Konkursordnung, daß die Postanstalten auf Anordnung des Konkursgerichts alle für
den Gemeinschnldner eingehenden Sendungen dem Konkursverwalter auszuhändigen
haben. Auch hier hat die Post mit der Übergabe der Sendungen an den Konkurs¬
verwalter keine Verpflichtung mehr gegen den Absender und den Empfänger.
Allen diesen das Briefgeheimnis durchbrechenden Bestimmungen liegt der Ge¬
danke zugrunde, daß das private Interesse am Briefgeheimnis unter gewissen Um¬
ständen den öffentlichen oder Staatsinteressen unterzuordnen sei. Daneben behält
sich aber auch die Postordnung einige Ausnahmen vor, die sowohl im posttechnischen
Interesse als auch in der Absicht gegeben sind, die Absender vor Schaden zu be¬
wahren. Ein solcher Fall tritt ein, wenn ein an seinem Bestimmungsorte unbestell¬
barer Brief nach dem Abgangsorte zurückkehrt, und es hier der Post, nachdem
sie alle Register ihrer Findigkeit gezogen hat, nicht gelungen ist, den Absender zu
ermitteln. Es wäre aus mit dem „Schiff des Geistes." wenn der Post nicht das
Offnungsrecht zustünde zu dem Zwecke, den Absender festzustellen. Ein solches Recht
haben aber nicht die Postanstalten; diese sind vielmehr verpflichtet, die unanbring-
uchen Briefe an ihre vorgesetzte Oberpostdirektion einzusenden, wo eine besondre
Kommission mit der delikaten Aufgabe betraut ist, mit Fleiß die Namen der Ab¬
sender zu erforschen, um die Briefe wenigstens zur Rücksendung wieder flott zu
machen. Für die Beamten dieser Kommission besteht die Bestimmung. daß sie sich
jeder über den Zweck der Eröffnung hinausgehenden Einsicht der Sendung ent-
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