Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches ließ, zu ersparen. Prinz Heinrich hat es zudem taktvoll verstanden, seiner Mission In Rußland scheinen sich die revolutionären Wasser einstweilen zu verlaufen, und Der russische Liberalismus hat immer mit dem polnischen Liberalismus kokettiert, Weit radikaler sind die Prvgressisten und die Polnische sozialistische Partei. Maßgebliches und Unmaßgebliches ließ, zu ersparen. Prinz Heinrich hat es zudem taktvoll verstanden, seiner Mission In Rußland scheinen sich die revolutionären Wasser einstweilen zu verlaufen, und Der russische Liberalismus hat immer mit dem polnischen Liberalismus kokettiert, Weit radikaler sind die Prvgressisten und die Polnische sozialistische Partei. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0510" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296521"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_2711" prev="#ID_2710"> ließ, zu ersparen. Prinz Heinrich hat es zudem taktvoll verstanden, seiner Mission<lb/> äußerlich einen in maßvollen Grenzen gehaltnen Umfang zu geben.</p><lb/> <p xml:id="ID_2712"> In Rußland scheinen sich die revolutionären Wasser einstweilen zu verlaufen, und<lb/> es treten Leute gemäßigter Richtung in den Vordergrund, ohne deren tätige Mit¬<lb/> wirkung von der Durchführung einer Verfassung schwerlich die Rede sein kann.<lb/> Daß diese Mitwirkung an die Bedingung weiterer Konzessionen geknüpft werden<lb/> würde, kounte man voraussehen. Zunächst müssen sie gegeben werden, wie weit<lb/> sie mit den Lebensbedingungen Rußlands auf die Dauer vereinbar sind, wird die<lb/> Zeit lehren. Genaue Kenner der russischen Verhältnisse sind überzeugt, daß eine<lb/> Revolution, die die großen Massen in Rußland ergriffe, an Schrecken alles da-<lb/> gewesne übertreffen und alles Bestehende vernichten würde. Es ist deshalb be¬<lb/> greiflich, daß die leitenden Kreise Petersburgs zu weitgehenden Konzessionen ge¬<lb/> neigt sind und alles tun, der beginnenden Revolution den Boden zu entzieh«. Um<lb/> so mehr freilich sollten die Gemäßigten die Regierung nicht noch weiter drängen.<lb/> Ist die Masse erst einmal im Taumel entfesselt, so wird sie durch keine noch so<lb/> liberale Phraseologie wieder einzufangen und zu bändigen sein. Auch die Geneigt¬<lb/> heit der russischen Negierung zu weitern Zugeständnissen an die gemäßigten Polen<lb/> muß von diesem Standpunkt aus ihre Beurteilung finden, ebenso die Bereitwillig¬<lb/> keit, womit die Moskaner Semstwoversammlung auf die Wünsche der dort ver-<lb/> tretuen Polen eingegangen ist, nachdem sich diese feierlich von jeder separatistischen<lb/> Tendenz losgesagt hatten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2713"> Der russische Liberalismus hat immer mit dem polnischen Liberalismus kokettiert,<lb/> obgleich solche Koketterie bisher immer der Vorläufer eines polnischen Aufstandes<lb/> gewesen ist, weil man hübsch „liberal" ans alle Vvrbengnngsmnßregeln ver¬<lb/> zichtete. Diesesmal mögen die Verhältnisse anders liegen, weil die polnischen Kreise,<lb/> die ehedem die Revolution anzustiften und zu begünstigen pflegten, genau wissen,<lb/> daß jetzt eine solche nicht einen nationalpolnischen, sondern einen sozialistisch-anar¬<lb/> chistischen Charakter haben würde. Die Befürchtung eines solchen Aufstandes ist<lb/> bei ihnen nicht geringer als bei der russischen Regierung, und darum stimmen beide<lb/> in der Absicht überein, einem Ausbruch durch Konzessionen vorzubeugen. Diese<lb/> Auffassung teilt offenbar auch die Moskaner Semstwoversammlung, die vollständig<lb/> den Charakter eines russischen Vorparlaments angenommen hat. Die polnische<lb/> Partei, mit der die jetzige russische Regierung zu transigieren vermag, sind die<lb/> publizistisch durch deu Warschauer „Goniec" vertretenen Nationaldemokraten. Sie<lb/> haben wie alle andern polnischen Parteien das Manifest vom 30. Oktober als un¬<lb/> genügend bezeichnet und sofort die Forderung der nationalen Unabhängigkeit, völlige<lb/> Autonomie mit einer Konstituante in Warschau, erhoben. Mit solchen Leuten, die<lb/> doch immerhin noch unter dem russischen Zepter bleiben wollen, vermag Rußland<lb/> allenfalls zu reden.</p><lb/> <p xml:id="ID_2714" next="#ID_2715"> Weit radikaler sind die Prvgressisten und die Polnische sozialistische Partei.<lb/> Diese hat in einem Aufruf vom 1. November die „Volksrepublik" als ihr Ziel be¬<lb/> zeichnet. Am radikalsten ist die Partei der „Svzinldemvkraten des Königreichs<lb/> Polen und Litauen." Sie ist zugleich der Vereinigungspunkt der jüdischen Sozinlisten<lb/> mit der russische» Sozialdemokratie. Die Partei verwirft jeden nationalen Stand¬<lb/> punkt und setzt sich den Umsturz alles Bestehenden zum Ziel, Die Partei ist selbst¬<lb/> verständlich eine abgesagte Gegnerin der Nationnldemokraten, die unier Betonung<lb/> des polnischen und des religiösen Gedankens die polnische sozialistische Partei von<lb/> jenen abzudrängen suchen. Der „Goniec," hat deshalb seine Redaktionsränme,<lb/> schon wiederholt von den „Sozialdemokraten des Königreichs Polen und Litauen"<lb/> hart bedrängt gesehen. Die Frage liegt nahe, weshalb die rassischen Behörden in<lb/> Warschau nicht rechtzeitiger eingegriffen haben. Der Generalgouvemeur Senior<lb/> hat wiederholt energische Versuche gegen die Warschauer revolutionäre Bewegung<lb/> gemacht, ist aber jedesmal von Petersburg aus zur Nachgiebigkeit angehalten worden,<lb/> wo man durch allgemeine Gesetze gewährte, was er streng verboten hatte. In</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0510]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
ließ, zu ersparen. Prinz Heinrich hat es zudem taktvoll verstanden, seiner Mission
äußerlich einen in maßvollen Grenzen gehaltnen Umfang zu geben.
In Rußland scheinen sich die revolutionären Wasser einstweilen zu verlaufen, und
es treten Leute gemäßigter Richtung in den Vordergrund, ohne deren tätige Mit¬
wirkung von der Durchführung einer Verfassung schwerlich die Rede sein kann.
Daß diese Mitwirkung an die Bedingung weiterer Konzessionen geknüpft werden
würde, kounte man voraussehen. Zunächst müssen sie gegeben werden, wie weit
sie mit den Lebensbedingungen Rußlands auf die Dauer vereinbar sind, wird die
Zeit lehren. Genaue Kenner der russischen Verhältnisse sind überzeugt, daß eine
Revolution, die die großen Massen in Rußland ergriffe, an Schrecken alles da-
gewesne übertreffen und alles Bestehende vernichten würde. Es ist deshalb be¬
greiflich, daß die leitenden Kreise Petersburgs zu weitgehenden Konzessionen ge¬
neigt sind und alles tun, der beginnenden Revolution den Boden zu entzieh«. Um
so mehr freilich sollten die Gemäßigten die Regierung nicht noch weiter drängen.
Ist die Masse erst einmal im Taumel entfesselt, so wird sie durch keine noch so
liberale Phraseologie wieder einzufangen und zu bändigen sein. Auch die Geneigt¬
heit der russischen Negierung zu weitern Zugeständnissen an die gemäßigten Polen
muß von diesem Standpunkt aus ihre Beurteilung finden, ebenso die Bereitwillig¬
keit, womit die Moskaner Semstwoversammlung auf die Wünsche der dort ver-
tretuen Polen eingegangen ist, nachdem sich diese feierlich von jeder separatistischen
Tendenz losgesagt hatten.
Der russische Liberalismus hat immer mit dem polnischen Liberalismus kokettiert,
obgleich solche Koketterie bisher immer der Vorläufer eines polnischen Aufstandes
gewesen ist, weil man hübsch „liberal" ans alle Vvrbengnngsmnßregeln ver¬
zichtete. Diesesmal mögen die Verhältnisse anders liegen, weil die polnischen Kreise,
die ehedem die Revolution anzustiften und zu begünstigen pflegten, genau wissen,
daß jetzt eine solche nicht einen nationalpolnischen, sondern einen sozialistisch-anar¬
chistischen Charakter haben würde. Die Befürchtung eines solchen Aufstandes ist
bei ihnen nicht geringer als bei der russischen Regierung, und darum stimmen beide
in der Absicht überein, einem Ausbruch durch Konzessionen vorzubeugen. Diese
Auffassung teilt offenbar auch die Moskaner Semstwoversammlung, die vollständig
den Charakter eines russischen Vorparlaments angenommen hat. Die polnische
Partei, mit der die jetzige russische Regierung zu transigieren vermag, sind die
publizistisch durch deu Warschauer „Goniec" vertretenen Nationaldemokraten. Sie
haben wie alle andern polnischen Parteien das Manifest vom 30. Oktober als un¬
genügend bezeichnet und sofort die Forderung der nationalen Unabhängigkeit, völlige
Autonomie mit einer Konstituante in Warschau, erhoben. Mit solchen Leuten, die
doch immerhin noch unter dem russischen Zepter bleiben wollen, vermag Rußland
allenfalls zu reden.
Weit radikaler sind die Prvgressisten und die Polnische sozialistische Partei.
Diese hat in einem Aufruf vom 1. November die „Volksrepublik" als ihr Ziel be¬
zeichnet. Am radikalsten ist die Partei der „Svzinldemvkraten des Königreichs
Polen und Litauen." Sie ist zugleich der Vereinigungspunkt der jüdischen Sozinlisten
mit der russische» Sozialdemokratie. Die Partei verwirft jeden nationalen Stand¬
punkt und setzt sich den Umsturz alles Bestehenden zum Ziel, Die Partei ist selbst¬
verständlich eine abgesagte Gegnerin der Nationnldemokraten, die unier Betonung
des polnischen und des religiösen Gedankens die polnische sozialistische Partei von
jenen abzudrängen suchen. Der „Goniec," hat deshalb seine Redaktionsränme,
schon wiederholt von den „Sozialdemokraten des Königreichs Polen und Litauen"
hart bedrängt gesehen. Die Frage liegt nahe, weshalb die rassischen Behörden in
Warschau nicht rechtzeitiger eingegriffen haben. Der Generalgouvemeur Senior
hat wiederholt energische Versuche gegen die Warschauer revolutionäre Bewegung
gemacht, ist aber jedesmal von Petersburg aus zur Nachgiebigkeit angehalten worden,
wo man durch allgemeine Gesetze gewährte, was er streng verboten hatte. In
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