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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Aquila

knallen und um die Wette entgegenschrein: Vuols? Vuols? so muß man sich
eben selbst darum kümmern, zu einem der zwei oder drei Unternehmer, die das
gesamte Fuhrwesen der Stadt in Hunden haben, entweder schicken oder sich
eigenfüßig begeben und wegen der Fahrt unterhandeln. Die freundliche, rührige
Wirtin der "Stella" besorgte die Angelegenheit, und an einem heitern Herbst¬
nachmittage rollte mein leichtes Wägelchen hinaus gen Amiternum.

Wir brauchten weit über eine Stunde, ehe wir unser Ziel erreichten. Denn
das Pferd lähmte infolge einer schlechtgeheilten Wunde am Fuß, und der
Kutscher hatte keine Peitsche. Er hatte sie am Morgen verloren, und da er
nur eine Lira Tageslohn von seinem Herrn bekam, und die Peitsche eine Lira
fünfzig Centesimi kostete, so mußte der arme aus der Hand in den Mund
lebende Kerl jetzt einige Tage ohne Peitsche fahren. Weniger mich selbst als
den Kutscher und seinen Gaul ob ihres Mißgeschicks bedauernd, faßte ich mich
in Geduld und hing, die herrliche Gestalt des Denkmals vor der Seele, meinen
Gedanken nach. Wie sonderbar: von den unzähligen sich Jahrtausende hindurch
folgenden Geschlechtern einer Stadt lebt schließlich nur ein Name, und dieser
Name erhebt zugleich die Heimat seines Trügers über Hunderte ähnlicher und
ohne einen solchen Namen bedeutungslos bleibender Städte. So kennen wir
nur einen Namen aus Sirmione, einen aus Sulmona, einen aus Venusia.
Aber diese Orte selbst würde kein Mensch nennen, wenn nicht Catull, Ovid und
Hornz in ihnen das Licht der Sonne begrüßt hätten.

Dasselbe gilt von Amiternum. Und seine wenigen Ruinen wären wohl
kaum das Ziel des Reisenden, wenn sie nicht der Nimbus des geistreichen
Geschichtschreibers noch jetzt weihte. Von der einst so blühenden Munizipal-
stadt stehn nur noch die Trümmer zweier Theater, dicht umwuchert von Disteln
und einem krautartigen Flieder (abruzzesisch: Nurloalg.). Sallust hat es sich
nicht träumen lassen, daß einst in dem Schauspielhause, wo er den Stücken des
Plautus und Terenz lauschte, Schaf und Ziege weiden, daß in der Arena des
Amphitheaters, wo die Gladiatoren kämpften, sich ein Kornfeld ausbreiten würde.

Aus der Ebne stieg ich zum Dörfchen San Vittorino empor, wo vor der
Besitzergreifung der Römer (293 v. Chr.) die Grenzfeste der Sabiner zu den
Vestinern hinüberdrohte. Höchst anmutig ist die Aussicht von hier auf das
fruchtbare Tal mit seinen Wiesen und Feldern, seinen Pappeln und Weiden,
zwischen denen sich der klare Forellenbach Aterno hinzieht, auf die im Abend¬
schimmer leuchtenden Mauern und Türme von Aquila, auf den stattlichen
Kranz der Berge, besonders die nördlichen Trabanten des Velinostocks und
den 1900 Meter hohen Monte Calvo. Eine schöne Heimat hat Sallust gehabt,
die er vielleicht nicht zu seinem Glück allzu bald verlassen und wohl kaum
wiedergesehen hat. So maßgebend die Eindrücke der Kindheit und der ersten
Jugend für das spätere Leben großer Männer werden, in Sallusts Schriften
suchen wir vergebens nach einem Niederschlage dieser Art, nach einer Erinnerung
aus seiner Jttnglingszeit. Aber gewiß hat der spätere Günstling und Freund
Cäsars hier oben oft gestanden und sehnsüchtig in die weite Welt hinaus ge¬
schaut, damals als er voller Ideale und Pläne noch nicht die frühe Resigna¬
tion kannte, die ihn zwang, sich nach der glänzendsten Karriere -- mit kaum


Aquila

knallen und um die Wette entgegenschrein: Vuols? Vuols? so muß man sich
eben selbst darum kümmern, zu einem der zwei oder drei Unternehmer, die das
gesamte Fuhrwesen der Stadt in Hunden haben, entweder schicken oder sich
eigenfüßig begeben und wegen der Fahrt unterhandeln. Die freundliche, rührige
Wirtin der „Stella" besorgte die Angelegenheit, und an einem heitern Herbst¬
nachmittage rollte mein leichtes Wägelchen hinaus gen Amiternum.

Wir brauchten weit über eine Stunde, ehe wir unser Ziel erreichten. Denn
das Pferd lähmte infolge einer schlechtgeheilten Wunde am Fuß, und der
Kutscher hatte keine Peitsche. Er hatte sie am Morgen verloren, und da er
nur eine Lira Tageslohn von seinem Herrn bekam, und die Peitsche eine Lira
fünfzig Centesimi kostete, so mußte der arme aus der Hand in den Mund
lebende Kerl jetzt einige Tage ohne Peitsche fahren. Weniger mich selbst als
den Kutscher und seinen Gaul ob ihres Mißgeschicks bedauernd, faßte ich mich
in Geduld und hing, die herrliche Gestalt des Denkmals vor der Seele, meinen
Gedanken nach. Wie sonderbar: von den unzähligen sich Jahrtausende hindurch
folgenden Geschlechtern einer Stadt lebt schließlich nur ein Name, und dieser
Name erhebt zugleich die Heimat seines Trügers über Hunderte ähnlicher und
ohne einen solchen Namen bedeutungslos bleibender Städte. So kennen wir
nur einen Namen aus Sirmione, einen aus Sulmona, einen aus Venusia.
Aber diese Orte selbst würde kein Mensch nennen, wenn nicht Catull, Ovid und
Hornz in ihnen das Licht der Sonne begrüßt hätten.

Dasselbe gilt von Amiternum. Und seine wenigen Ruinen wären wohl
kaum das Ziel des Reisenden, wenn sie nicht der Nimbus des geistreichen
Geschichtschreibers noch jetzt weihte. Von der einst so blühenden Munizipal-
stadt stehn nur noch die Trümmer zweier Theater, dicht umwuchert von Disteln
und einem krautartigen Flieder (abruzzesisch: Nurloalg.). Sallust hat es sich
nicht träumen lassen, daß einst in dem Schauspielhause, wo er den Stücken des
Plautus und Terenz lauschte, Schaf und Ziege weiden, daß in der Arena des
Amphitheaters, wo die Gladiatoren kämpften, sich ein Kornfeld ausbreiten würde.

Aus der Ebne stieg ich zum Dörfchen San Vittorino empor, wo vor der
Besitzergreifung der Römer (293 v. Chr.) die Grenzfeste der Sabiner zu den
Vestinern hinüberdrohte. Höchst anmutig ist die Aussicht von hier auf das
fruchtbare Tal mit seinen Wiesen und Feldern, seinen Pappeln und Weiden,
zwischen denen sich der klare Forellenbach Aterno hinzieht, auf die im Abend¬
schimmer leuchtenden Mauern und Türme von Aquila, auf den stattlichen
Kranz der Berge, besonders die nördlichen Trabanten des Velinostocks und
den 1900 Meter hohen Monte Calvo. Eine schöne Heimat hat Sallust gehabt,
die er vielleicht nicht zu seinem Glück allzu bald verlassen und wohl kaum
wiedergesehen hat. So maßgebend die Eindrücke der Kindheit und der ersten
Jugend für das spätere Leben großer Männer werden, in Sallusts Schriften
suchen wir vergebens nach einem Niederschlage dieser Art, nach einer Erinnerung
aus seiner Jttnglingszeit. Aber gewiß hat der spätere Günstling und Freund
Cäsars hier oben oft gestanden und sehnsüchtig in die weite Welt hinaus ge¬
schaut, damals als er voller Ideale und Pläne noch nicht die frühe Resigna¬
tion kannte, die ihn zwang, sich nach der glänzendsten Karriere — mit kaum


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/51>, abgerufen am 15.01.2025.