Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Aquila sonderbares Ende bereiteten. Sie spannten ihn nämlich zwischen die Mastbäume Wenn Aquila zum großen Teil seinen mittelalterlichen Charakter bewahrt Aquila sonderbares Ende bereiteten. Sie spannten ihn nämlich zwischen die Mastbäume Wenn Aquila zum großen Teil seinen mittelalterlichen Charakter bewahrt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0047" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296058"/> <fw type="header" place="top"> Aquila</fw><lb/> <p xml:id="ID_146" prev="#ID_145"> sonderbares Ende bereiteten. Sie spannten ihn nämlich zwischen die Mastbäume<lb/> zweier Schiffe und ruderten in entgegengesetzter Richtung auseinander, sodaß<lb/> der arme Don aus den Abruzzen hoch in der Luft in zwei Teile zerrissen<lb/> wurde. Hier im Sitzungssaale hätte ich stundenlang weilen mögen in heim¬<lb/> licher Zwiesprache mit diesen alten Herren. Aber die Enge des Ortes, die<lb/> herumstehenden Beamten, die mich halb neugierig, halb mißtrauisch beobachtete!,,<lb/> die Verhandlungen, die der eben amtierende Bürgermeister im anstoßenden Vor¬<lb/> saal mit den Parteien führte, alles das ließ keine gesammelte Stimmung auf¬<lb/> kommen. Ich störte, und ich wurde gestört. Mit dem Gefühl des Bedauerns,<lb/> daß alle diese Altertümer zu ruhiger Betrachtung noch nicht in einem Museum<lb/> vereinigt waren, verabschiedete ich mich von dem übrigens außerordentlich ge¬<lb/> fälligen Bürgermeister und flüchtete zum Trost zu Donna Maria Pereira und<lb/> ihrer kleinen Veatrice. </p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_147"> Wenn Aquila zum großen Teil seinen mittelalterlichen Charakter bewahrt<lb/> hat, namentlich in den engen Seitengassen, wo um die einsamen romanischen<lb/> Portale Nachts die Schatten einer ruhmreichen Vergangenheit schweben, ist es<lb/> doch im ganzen eine betriebsame und geistig rege Stadt, eine kleine Knlturoase<lb/> in dem rauhen Gebirgslande. Es hat ein Gymnasium, ein Konservatorium<lb/> und eine technische Schule. Es ist Hauptstadt einer Provinz und damit Sitz<lb/> hoher Behörden. Es treibt Handel mit Spitzen, Safran und Jnstrumentensaitm<lb/> und läßt sich von elektrischem Licht beleuchten. Das Budget belief sich 1897<lb/> auf 655000 Lire. Ja Aquila hat sogar eine Buchhandlung, wohl die einzige<lb/> der Provinz; anch die nächst größere Stadt Sulmona hat nur einen fliegenden<lb/> Verkaufsstand von Büchern mitten auf der Straße aufzuweisen. Freilich wenig<lb/> genug, wenn man daran denkt, daß Meister Adam aus Rottweil hier eine der<lb/> ersten Buchdruckereien gegründet hat, deren Werke, besonders die Plutarchcms-<lb/> gabe von 1492, von Bücherliebhabern geschützt sind. Die unter den Anjous<lb/> blühende Universität ist nur noch ein kläglicher Torso, eine der vielen Duodez¬<lb/> hochschulen Italiens, wenig besucht und mit den einzigen Lehrkanzeln für Arznei¬<lb/> kunde, Geburtshilfe und Notariat ausgestattet. Dafür liegen jetzt, dem Geiste<lb/> der Zeit entsprechend, zwei Regimenter hier, ein Infanterie- und ein Artillerie¬<lb/> regiment. Zahlreiche Offiziere mit ihren kleidsamen Uniformen bewegen sich<lb/> inmitten der eleganten Welt Abends unter den Kolonnaden auf der Promenade,<lb/> die etwa vom Domplatz den Corso Vittorio Emanuele hin bis zur Ecke der<lb/> Via Nomana, dann diese entlang bis zur Picizza Palazzo reicht. Es fehlt nicht<lb/> an Gecken und schönen Damen in den neusten Pariser Toiletten. Auch wunder¬<lb/> hübsche Kinder sah ich, leider meist wie die Affen aufgeputzt. Aber das Leben<lb/> ist hier wie in den kleinsten Landstädtchen eigentlich um neun Uhr Abends<lb/> schon erloschen. Überhaupt scheinen die Aquilaner ihre Nachtruhe über alles<lb/> zu schätze». In der Locanda, wo ich meine Makkaroni und meine Bohnen¬<lb/> suppe aß, las ich an der Wand einen Anschlag des Prcifekten: Polizeistunde<lb/> in Aquila! Die bessern Wirtschaften haben im Sommer um halb ein Uhr, im<lb/> Winter um halb zwölf Uhr zu schließen, die gewöhnlichen Kneipen um elf Uhr<lb/> im Sommer, um zehn Uhr im Winter!</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0047]
Aquila
sonderbares Ende bereiteten. Sie spannten ihn nämlich zwischen die Mastbäume
zweier Schiffe und ruderten in entgegengesetzter Richtung auseinander, sodaß
der arme Don aus den Abruzzen hoch in der Luft in zwei Teile zerrissen
wurde. Hier im Sitzungssaale hätte ich stundenlang weilen mögen in heim¬
licher Zwiesprache mit diesen alten Herren. Aber die Enge des Ortes, die
herumstehenden Beamten, die mich halb neugierig, halb mißtrauisch beobachtete!,,
die Verhandlungen, die der eben amtierende Bürgermeister im anstoßenden Vor¬
saal mit den Parteien führte, alles das ließ keine gesammelte Stimmung auf¬
kommen. Ich störte, und ich wurde gestört. Mit dem Gefühl des Bedauerns,
daß alle diese Altertümer zu ruhiger Betrachtung noch nicht in einem Museum
vereinigt waren, verabschiedete ich mich von dem übrigens außerordentlich ge¬
fälligen Bürgermeister und flüchtete zum Trost zu Donna Maria Pereira und
ihrer kleinen Veatrice.
Wenn Aquila zum großen Teil seinen mittelalterlichen Charakter bewahrt
hat, namentlich in den engen Seitengassen, wo um die einsamen romanischen
Portale Nachts die Schatten einer ruhmreichen Vergangenheit schweben, ist es
doch im ganzen eine betriebsame und geistig rege Stadt, eine kleine Knlturoase
in dem rauhen Gebirgslande. Es hat ein Gymnasium, ein Konservatorium
und eine technische Schule. Es ist Hauptstadt einer Provinz und damit Sitz
hoher Behörden. Es treibt Handel mit Spitzen, Safran und Jnstrumentensaitm
und läßt sich von elektrischem Licht beleuchten. Das Budget belief sich 1897
auf 655000 Lire. Ja Aquila hat sogar eine Buchhandlung, wohl die einzige
der Provinz; anch die nächst größere Stadt Sulmona hat nur einen fliegenden
Verkaufsstand von Büchern mitten auf der Straße aufzuweisen. Freilich wenig
genug, wenn man daran denkt, daß Meister Adam aus Rottweil hier eine der
ersten Buchdruckereien gegründet hat, deren Werke, besonders die Plutarchcms-
gabe von 1492, von Bücherliebhabern geschützt sind. Die unter den Anjous
blühende Universität ist nur noch ein kläglicher Torso, eine der vielen Duodez¬
hochschulen Italiens, wenig besucht und mit den einzigen Lehrkanzeln für Arznei¬
kunde, Geburtshilfe und Notariat ausgestattet. Dafür liegen jetzt, dem Geiste
der Zeit entsprechend, zwei Regimenter hier, ein Infanterie- und ein Artillerie¬
regiment. Zahlreiche Offiziere mit ihren kleidsamen Uniformen bewegen sich
inmitten der eleganten Welt Abends unter den Kolonnaden auf der Promenade,
die etwa vom Domplatz den Corso Vittorio Emanuele hin bis zur Ecke der
Via Nomana, dann diese entlang bis zur Picizza Palazzo reicht. Es fehlt nicht
an Gecken und schönen Damen in den neusten Pariser Toiletten. Auch wunder¬
hübsche Kinder sah ich, leider meist wie die Affen aufgeputzt. Aber das Leben
ist hier wie in den kleinsten Landstädtchen eigentlich um neun Uhr Abends
schon erloschen. Überhaupt scheinen die Aquilaner ihre Nachtruhe über alles
zu schätze». In der Locanda, wo ich meine Makkaroni und meine Bohnen¬
suppe aß, las ich an der Wand einen Anschlag des Prcifekten: Polizeistunde
in Aquila! Die bessern Wirtschaften haben im Sommer um halb ein Uhr, im
Winter um halb zwölf Uhr zu schließen, die gewöhnlichen Kneipen um elf Uhr
im Sommer, um zehn Uhr im Winter!
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