Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Aquila Peitschen des Kutschers schnell vom Bahnhof im Flußtal hinauf, erst durch Wie ein großer, steinerner Teppich steht sie da, der gelbliche Grund über Hier also wurde am 29. August 1294 der Einsiedler Pietro da Morrone Wäre er lieber in seiner schönen Einsamkeit geblieben und hätte sich den Aquila Peitschen des Kutschers schnell vom Bahnhof im Flußtal hinauf, erst durch Wie ein großer, steinerner Teppich steht sie da, der gelbliche Grund über Hier also wurde am 29. August 1294 der Einsiedler Pietro da Morrone Wäre er lieber in seiner schönen Einsamkeit geblieben und hätte sich den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0042" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296053"/> <fw type="header" place="top"> Aquila</fw><lb/> <p xml:id="ID_125" prev="#ID_124"> Peitschen des Kutschers schnell vom Bahnhof im Flußtal hinauf, erst durch<lb/> freundliche Anlagen an einer großen Artilleriekaserne und schönen Villen vorbei,<lb/> dann durch die engen, rechtwinkligen Gassen der innern Stadt. Mein erster<lb/> Weg, um einigermaßen chronologisch zu verfahren, galt der ältesten Kirche<lb/> Aquilas: S. Maria ti Collemaggio. Durch den neuen öffentlichen Garten, den<lb/> eine Reihe ziemlich lüsterner weiblicher Statuen aus rotgemaltem Ton nicht<lb/> gerade verschönern, gelangte ich auf einen freien Platz, wo etliche Dutzend<lb/> bresthafter alter Männlein, Lahme, Blinde und Blödsinnige, umherwandelten<lb/> und ihr müdes Gebein sonnten, alle in blauem Drillichzeug — die Insassen<lb/> des nahen Provinzialhospizes. Dieser häßliche Eindruck verschwand bald bei<lb/> dem Anblick der Marmorfasfade der Kirche, der ich mich näherte.</p><lb/> <p xml:id="ID_126"> Wie ein großer, steinerner Teppich steht sie da, der gelbliche Grund über<lb/> und über mit roten Kreuzen gemustert. Auf diese Unterlage sind ein großes<lb/> Mittel- und zwei kleine Seitenportale hineiukomponiert und ihnen entsprechend<lb/> ein großes und zwei kleine Rundfenster. Alles in den edelsten Verhältnissen.<lb/> Nur die kräftigen romanischen Rundbogen deuten auf die älteste Gründungszeit<lb/> (1287 n. Chr.), im übrigen sind sie mit ihren zweireihigen Sakramentshäuschen<lb/> — die Statuetten darin sind leider bis auf sechs verschwunden — reizende<lb/> Gebilde der Frühgotik (vierzehntes Jahrhundert), ebenso wie die in strengem<lb/> Stil gehaltnen Rosetten. Man wird gar nicht müde, diese feine Kleinarbeit<lb/> im einzelnen zu bewundern, dann wieder etwa dreißig Schritt zurückzugehn und<lb/> den mächtigen Gesamteindruck auf sich wirken zu lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_127"> Hier also wurde am 29. August 1294 der Einsiedler Pietro da Morrone<lb/> als Cölestin der Fünfte zum Papst gekrönt und bald darauf — beigesetzt. Eine<lb/> traurige Geschichte, aber lehrreich, die des heiligen Cölestin. Er hatte sein Leben<lb/> auf beinahe achtzig Jahre gebracht und gedachte es wohl so sanft und friedlich<lb/> zu beschließen, wie er die letzten vierzig Jahre gelebt hatte, nämlich als Ein¬<lb/> stedler inmitten seiner Mönche, denen er eine neue Regel gegeben hatte. Aber<lb/> die Zeiten waren schlimm für die Kirche. Statt eines ränkesüchtigen Politikers<lb/> suchte man nach einem heiligen, würdigen Manne für den Stuhl Petri und<lb/> glaubte ihn in Pietro da Morrone gefunden zu haben. Der König Karl von<lb/> Neapel selbst und ein königlicher Prinz holten ihn aus seiner Felsengrotte hoch<lb/> über dem herrlichen Tal von Sulmona, setzten ihn auf eiuen Esel, dessen Zügel<lb/> sie, zu beiden Seiten zu Fuß einherschreitend, eigenhändig führten, und so hielt,<lb/> wie einst Christus am Palmsonntag in Jerusalem, der alte fromme Herr seinen<lb/> Einzug in Aquila, gefolgt von Fürsten, Erzbischöfen, Baronen und einer un¬<lb/> zähligen Menge Volks. Nach der Krönung in Collemaggio begab sich Cölestin<lb/> nach Rom. Aber ach, wenig Monate genügten, seine gänzliche Unfähigkeit für<lb/> seine neue Würde zu erweisen. Er unterlag dem Gegenpapst Vonifacius dem<lb/> Achten, der ihn gefangen setzte. Und im Gefängnis ist er bald darauf gestorben.</p><lb/> <p xml:id="ID_128" next="#ID_129"> Wäre er lieber in seiner schönen Einsamkeit geblieben und hätte sich den<lb/> Frieden des Herzens bewahrt! Von diesem Frieden der Einsamkeit und Welt¬<lb/> entsagung zeugen eine Reihe trefflicher Fresken im Innern der Kirche. Sie<lb/> rühren von einem Cölestinermönch her, Andreas Neuther aus Danzig, der sich<lb/> in mannigfachen Tierstücken als begabter Schüler Rubens und Snyders erweist.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0042]
Aquila
Peitschen des Kutschers schnell vom Bahnhof im Flußtal hinauf, erst durch
freundliche Anlagen an einer großen Artilleriekaserne und schönen Villen vorbei,
dann durch die engen, rechtwinkligen Gassen der innern Stadt. Mein erster
Weg, um einigermaßen chronologisch zu verfahren, galt der ältesten Kirche
Aquilas: S. Maria ti Collemaggio. Durch den neuen öffentlichen Garten, den
eine Reihe ziemlich lüsterner weiblicher Statuen aus rotgemaltem Ton nicht
gerade verschönern, gelangte ich auf einen freien Platz, wo etliche Dutzend
bresthafter alter Männlein, Lahme, Blinde und Blödsinnige, umherwandelten
und ihr müdes Gebein sonnten, alle in blauem Drillichzeug — die Insassen
des nahen Provinzialhospizes. Dieser häßliche Eindruck verschwand bald bei
dem Anblick der Marmorfasfade der Kirche, der ich mich näherte.
Wie ein großer, steinerner Teppich steht sie da, der gelbliche Grund über
und über mit roten Kreuzen gemustert. Auf diese Unterlage sind ein großes
Mittel- und zwei kleine Seitenportale hineiukomponiert und ihnen entsprechend
ein großes und zwei kleine Rundfenster. Alles in den edelsten Verhältnissen.
Nur die kräftigen romanischen Rundbogen deuten auf die älteste Gründungszeit
(1287 n. Chr.), im übrigen sind sie mit ihren zweireihigen Sakramentshäuschen
— die Statuetten darin sind leider bis auf sechs verschwunden — reizende
Gebilde der Frühgotik (vierzehntes Jahrhundert), ebenso wie die in strengem
Stil gehaltnen Rosetten. Man wird gar nicht müde, diese feine Kleinarbeit
im einzelnen zu bewundern, dann wieder etwa dreißig Schritt zurückzugehn und
den mächtigen Gesamteindruck auf sich wirken zu lassen.
Hier also wurde am 29. August 1294 der Einsiedler Pietro da Morrone
als Cölestin der Fünfte zum Papst gekrönt und bald darauf — beigesetzt. Eine
traurige Geschichte, aber lehrreich, die des heiligen Cölestin. Er hatte sein Leben
auf beinahe achtzig Jahre gebracht und gedachte es wohl so sanft und friedlich
zu beschließen, wie er die letzten vierzig Jahre gelebt hatte, nämlich als Ein¬
stedler inmitten seiner Mönche, denen er eine neue Regel gegeben hatte. Aber
die Zeiten waren schlimm für die Kirche. Statt eines ränkesüchtigen Politikers
suchte man nach einem heiligen, würdigen Manne für den Stuhl Petri und
glaubte ihn in Pietro da Morrone gefunden zu haben. Der König Karl von
Neapel selbst und ein königlicher Prinz holten ihn aus seiner Felsengrotte hoch
über dem herrlichen Tal von Sulmona, setzten ihn auf eiuen Esel, dessen Zügel
sie, zu beiden Seiten zu Fuß einherschreitend, eigenhändig führten, und so hielt,
wie einst Christus am Palmsonntag in Jerusalem, der alte fromme Herr seinen
Einzug in Aquila, gefolgt von Fürsten, Erzbischöfen, Baronen und einer un¬
zähligen Menge Volks. Nach der Krönung in Collemaggio begab sich Cölestin
nach Rom. Aber ach, wenig Monate genügten, seine gänzliche Unfähigkeit für
seine neue Würde zu erweisen. Er unterlag dem Gegenpapst Vonifacius dem
Achten, der ihn gefangen setzte. Und im Gefängnis ist er bald darauf gestorben.
Wäre er lieber in seiner schönen Einsamkeit geblieben und hätte sich den
Frieden des Herzens bewahrt! Von diesem Frieden der Einsamkeit und Welt¬
entsagung zeugen eine Reihe trefflicher Fresken im Innern der Kirche. Sie
rühren von einem Cölestinermönch her, Andreas Neuther aus Danzig, der sich
in mannigfachen Tierstücken als begabter Schüler Rubens und Snyders erweist.
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