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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Land. Kein gutes Zeichen! Heulend kommt der Wind mis Westen und läßt
außerhalb der Straße eine schwere See vermuten, lind richtig: einige Stunden
später empfängt mich der Pacific auch diesesmal wieder würdig seines un¬
würdigen Namens. Auf dem offnen Ozean schlüge der Wind nach und nach
in einen brausenden Sturm um:

Plötzlich auf N"I Horizonte tauchen
Dunkle Wolken, die herüberhauchen,
Schwer, in stürmischer Beklommenheit;
Eilig kommen sie heraufgefahren,
Haben sich in angstverworrncn Scharen
Um die stumme Schläferin gereiht.
Und sie neigen sich herab und fragen:
Lebst du noch? in lauten Dounerklagcn,
Und sie weinen aus ihr banges Weh;
Zitternd leuchten sie mit scheuem Grauen
Nieder auf das stille Bett und schauen,
Ob die alte Mutter tot, die See?
Nein, sie lebt, sie lebt! Der Töchter Kummer
Hat sie aufgestört aus ihrem Schlummer,
Und sie springt vom Lager hoch empor:
Mutter -- Kinder -- jauchzend sich umschlingen,
Und sie tanzen freudenwild und singen
Ihrer Lieb ein Lied ini Sturmcschor.

Diese wundervolle Sturmesmythe Leunis kam niir in den Sinn, als unser
Schiff, an Kap Pilar vorbei stampfend und rollend, von den wutentfesselten
Wogen des Ozeans empfangen wurde. Dunkle Wolken jagten am Himmel;
berghoch stiegen die Wogen, das Meer schäumte förmlich und schien unser Schiff
zum Gegenstand seines Zorns ausersehen zu haben. Und als wäre der Sturm
so recht ihr Element, so folgen unserm sich langsam und schwer dnrch die hohen
Wellen arbeitenden Schiffe mächtige, nahezu weiße Albatrosse und Kaptauben.
Sie fliegen in so unmittelbarer Nähe, daß man sie trotz der herrschenden
Dämmerung genau erkennen kaun.

Zwei Tage später geht die See noch immer hoch. Uufreuudlich, kühl und
trübe ist die Witterung. Wir schössen heute, am 13. November, drei Albatrosse,
sie sielen aber nicht auf Deck, sondern ins Wasser, eine Beute ihrer gierigen
Genossen. Zum erstenmal sah ich in diesem Teile des Ozeans Alten l>loiäa<z),
sogenannte Tauchervögel. Ihr ziemlich langer, schmaler Leib glänzt weiß und
ist ähnlich dem eines fliegenden Fisches. Gleich diesem fliegen sie hart über
dem Wasser dahin; doch ist ihr Flug wegen ihrer kurzen, verkümmerten Flügel
sonderbar flatternd. Nach einen? nur kurzen Fluge tauchen sie ins Wasser
unter, wo sie ziemlich lange verweilen können.

Mehr und mehr kommen wir nordwärts, einer wärmern Region entgegen.
Schon beginnt die Kälte der letzten Tage langsam zu weichen. Auch die See,
bis jetzt noch so ungestüm und ungebärdig, stand nach und nach ab und wird
ruhiger. Drüben in der Ferne, im Osten, zeigt sich Land: es ist die wald-
und regenreiche Insel Chiloe, an der wir langsam vorbeisteuern, Corral zu.


Land. Kein gutes Zeichen! Heulend kommt der Wind mis Westen und läßt
außerhalb der Straße eine schwere See vermuten, lind richtig: einige Stunden
später empfängt mich der Pacific auch diesesmal wieder würdig seines un¬
würdigen Namens. Auf dem offnen Ozean schlüge der Wind nach und nach
in einen brausenden Sturm um:

Plötzlich auf N»I Horizonte tauchen
Dunkle Wolken, die herüberhauchen,
Schwer, in stürmischer Beklommenheit;
Eilig kommen sie heraufgefahren,
Haben sich in angstverworrncn Scharen
Um die stumme Schläferin gereiht.
Und sie neigen sich herab und fragen:
Lebst du noch? in lauten Dounerklagcn,
Und sie weinen aus ihr banges Weh;
Zitternd leuchten sie mit scheuem Grauen
Nieder auf das stille Bett und schauen,
Ob die alte Mutter tot, die See?
Nein, sie lebt, sie lebt! Der Töchter Kummer
Hat sie aufgestört aus ihrem Schlummer,
Und sie springt vom Lager hoch empor:
Mutter — Kinder — jauchzend sich umschlingen,
Und sie tanzen freudenwild und singen
Ihrer Lieb ein Lied ini Sturmcschor.

Diese wundervolle Sturmesmythe Leunis kam niir in den Sinn, als unser
Schiff, an Kap Pilar vorbei stampfend und rollend, von den wutentfesselten
Wogen des Ozeans empfangen wurde. Dunkle Wolken jagten am Himmel;
berghoch stiegen die Wogen, das Meer schäumte förmlich und schien unser Schiff
zum Gegenstand seines Zorns ausersehen zu haben. Und als wäre der Sturm
so recht ihr Element, so folgen unserm sich langsam und schwer dnrch die hohen
Wellen arbeitenden Schiffe mächtige, nahezu weiße Albatrosse und Kaptauben.
Sie fliegen in so unmittelbarer Nähe, daß man sie trotz der herrschenden
Dämmerung genau erkennen kaun.

Zwei Tage später geht die See noch immer hoch. Uufreuudlich, kühl und
trübe ist die Witterung. Wir schössen heute, am 13. November, drei Albatrosse,
sie sielen aber nicht auf Deck, sondern ins Wasser, eine Beute ihrer gierigen
Genossen. Zum erstenmal sah ich in diesem Teile des Ozeans Alten l>loiäa<z),
sogenannte Tauchervögel. Ihr ziemlich langer, schmaler Leib glänzt weiß und
ist ähnlich dem eines fliegenden Fisches. Gleich diesem fliegen sie hart über
dem Wasser dahin; doch ist ihr Flug wegen ihrer kurzen, verkümmerten Flügel
sonderbar flatternd. Nach einen? nur kurzen Fluge tauchen sie ins Wasser
unter, wo sie ziemlich lange verweilen können.

Mehr und mehr kommen wir nordwärts, einer wärmern Region entgegen.
Schon beginnt die Kälte der letzten Tage langsam zu weichen. Auch die See,
bis jetzt noch so ungestüm und ungebärdig, stand nach und nach ab und wird
ruhiger. Drüben in der Ferne, im Osten, zeigt sich Land: es ist die wald-
und regenreiche Insel Chiloe, an der wir langsam vorbeisteuern, Corral zu.


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[0387] Land. Kein gutes Zeichen! Heulend kommt der Wind mis Westen und läßt außerhalb der Straße eine schwere See vermuten, lind richtig: einige Stunden später empfängt mich der Pacific auch diesesmal wieder würdig seines un¬ würdigen Namens. Auf dem offnen Ozean schlüge der Wind nach und nach in einen brausenden Sturm um: Plötzlich auf N»I Horizonte tauchen Dunkle Wolken, die herüberhauchen, Schwer, in stürmischer Beklommenheit; Eilig kommen sie heraufgefahren, Haben sich in angstverworrncn Scharen Um die stumme Schläferin gereiht. Und sie neigen sich herab und fragen: Lebst du noch? in lauten Dounerklagcn, Und sie weinen aus ihr banges Weh; Zitternd leuchten sie mit scheuem Grauen Nieder auf das stille Bett und schauen, Ob die alte Mutter tot, die See? Nein, sie lebt, sie lebt! Der Töchter Kummer Hat sie aufgestört aus ihrem Schlummer, Und sie springt vom Lager hoch empor: Mutter — Kinder — jauchzend sich umschlingen, Und sie tanzen freudenwild und singen Ihrer Lieb ein Lied ini Sturmcschor. Diese wundervolle Sturmesmythe Leunis kam niir in den Sinn, als unser Schiff, an Kap Pilar vorbei stampfend und rollend, von den wutentfesselten Wogen des Ozeans empfangen wurde. Dunkle Wolken jagten am Himmel; berghoch stiegen die Wogen, das Meer schäumte förmlich und schien unser Schiff zum Gegenstand seines Zorns ausersehen zu haben. Und als wäre der Sturm so recht ihr Element, so folgen unserm sich langsam und schwer dnrch die hohen Wellen arbeitenden Schiffe mächtige, nahezu weiße Albatrosse und Kaptauben. Sie fliegen in so unmittelbarer Nähe, daß man sie trotz der herrschenden Dämmerung genau erkennen kaun. Zwei Tage später geht die See noch immer hoch. Uufreuudlich, kühl und trübe ist die Witterung. Wir schössen heute, am 13. November, drei Albatrosse, sie sielen aber nicht auf Deck, sondern ins Wasser, eine Beute ihrer gierigen Genossen. Zum erstenmal sah ich in diesem Teile des Ozeans Alten l>loiäa<z), sogenannte Tauchervögel. Ihr ziemlich langer, schmaler Leib glänzt weiß und ist ähnlich dem eines fliegenden Fisches. Gleich diesem fliegen sie hart über dem Wasser dahin; doch ist ihr Flug wegen ihrer kurzen, verkümmerten Flügel sonderbar flatternd. Nach einen? nur kurzen Fluge tauchen sie ins Wasser unter, wo sie ziemlich lange verweilen können. Mehr und mehr kommen wir nordwärts, einer wärmern Region entgegen. Schon beginnt die Kälte der letzten Tage langsam zu weichen. Auch die See, bis jetzt noch so ungestüm und ungebärdig, stand nach und nach ab und wird ruhiger. Drüben in der Ferne, im Osten, zeigt sich Land: es ist die wald- und regenreiche Insel Chiloe, an der wir langsam vorbeisteuern, Corral zu.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/387>, abgerufen am 15.01.2025.