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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren

zum nicht geringen Kummer der Affen, die sich jetzt wieder ohne ein solches Spiel¬
zeug behelfen mußten.

Der Sommer war sehr reich an Gewittern, die gewöhnlich des Nachts auf¬
traten und die Mutter meiner Prinzipalin immer mit neuer Angst erfüllten. Sobald
sich der erste Donner hören ließ, wurden alle Hausgenossen geweckt und mußten
sich in der Schlasiammer der Alten versammeln und dieser Mut einsprechen. Als
ich wieder einmal im besten Schlafe lag, wurde an meine Tür geklopft, und jemand
rief nnr zu, ich möchte doch zur Großmutter kommen, da es wieder donnere. Ichantwortete darauf, ich könnte das Donnern auch in meiner Kammer hören und
zöge es vor, im Bette zu bleiben. Ich konnte mich nun meiner Nachtruhe un¬
gestört hingeben, merkte aber der Alten an. wie sehr sie sich durch meine Lieblosigkeit
gekränkt fühlte.

Auf die Ponys hatte ich unausgesetzt die größte Mühe verwandt, und die
Tiere waren nun so glatt und blank, daß es eine Freude war, sie anzusehen. Sie
wurden an den Sonntagnachmittagen in eine kleine Reitbahn geführt und dienten
den Kindern der Besucher zum Reiten. Wir Angestellten mußten die Pferdchen mit
den kleinen Reitern dreimal um die ganze Bahn führen, wofür zehn Pfennige an
der Kasse bezahlt wurden. Der Geschäftsführer machte dann den Stallmeister und
stand mit Zylinder und langer Peitsche in der Mitte der Bahn. Nun hatten wir
aber noch zwei Halbponys, die so bösartig und verwildert waren, daß sich niemand
an sie herantraute. Sie standen in einem Box, wo der Mist einen halben Meter
hoch lag, erhielten einen Eimer Wasser und ihr Futter unter großen Vorsichts¬
maßregeln hineingereicht und konnten sich im übrigen dem absoluten Nichtstun hin¬
geben. Ich beschloß, diese Tiere zu bändigen und nutzbar zu machen. Zu diesem
Zwecke warf ich einem nach dem andern einen Lasso über den Kopf, zog es mit
Aufbietung aller Kraft nach der Tür, ließ es von den beiden Burschen halten und
legte ihnen dann Halfter an. wobei ich die Oberlippe mit einer Bremse versah,
die ich mit einem Holzpflock zusammendrehte und am Halfter festband. Die Tiere
vergaßen über dem ungewöhnlichen Gefühl das Schlagen und das Beißen und
wurden so gefügig, daß ich sie hinausführen und im Stalle anbinden konnte. Am
nächsten Tage führte ich sie in die Reitbahn und machte dort die ersten Versuche,
sie zu putzen was mit großen Schwierigkeiten verbunden war, da sie Neigung
zeigten, in ihre alte Wildheit zurückzufallen. Aber es gelang mir schließlich doch
durch List und Geduld, und bald konnte ich sie frei umherlaufen lassen und mit
einem Stück Zucker zu mir heranlocken.

Einige Zeit danach bekamen wir vom Tierhändler Reiche in Alfeld eine Tier¬
sendung, die aus einem Tapir, einem Stachelschwein und einem Riesenkänguruh
bestand. Der kleine Sohn meines Prinzipals hatte für das Stachelschwein ein
ganz besondres Interesse, und eines Tages ertappte ich ihn dabei, wie er dem Tier
eine Anzahl Stacheln ausriß. Auf meine Vorwürfe erwiderte er, wenn man die
Stacheln in die Erde steckte, so wüchsen junge Stachelschweine daraus. Das Riesen¬
känguruh ging acht Tage nach seiner Ankunft am Starrkrampf ein, und Bertram,
der sich nie wohler fühlte, als wenn er einen Prozeß führen konnte, benutzte die
Gelegenheit, den Tierhändler zu verklagen.

Da mir meine Wirksamkeit in Braunschweig immer wemger gefiel, und va
ich bei außerordentlich angestrengter Arbeit die Mahlzeiten sehr unregelmäßig bekam,
kündigte ich zum 1. August und schrieb an den Zoologischen Garten in Leipzig
um dort meine Dienste anzubieten. Ich erhielt die Antwort, daß augenblicklich
keine Stelle frei sei, daß ich aber, wenn ich von Braunschweig wegginge meine
Adresse hinterlassen möchte. Ein paar Tage später erhielt ich von Leipzig die
Anfrage, ob ich sofort antreten könnte. Ich sprach mit Bertram, der aber darauf
bestand, daß ich bis zum 1. August aushielte. Als ich am letzten Tage mit dem
Einpacken meiner Habseligkeiten beschäftigt war, kam auch eine Depesche von der
Menagerie Kraibe aus Wernigerode, ob ich dort eine Stelle übernehmen wollte.


Grenzboten IV 1905
Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren

zum nicht geringen Kummer der Affen, die sich jetzt wieder ohne ein solches Spiel¬
zeug behelfen mußten.

Der Sommer war sehr reich an Gewittern, die gewöhnlich des Nachts auf¬
traten und die Mutter meiner Prinzipalin immer mit neuer Angst erfüllten. Sobald
sich der erste Donner hören ließ, wurden alle Hausgenossen geweckt und mußten
sich in der Schlasiammer der Alten versammeln und dieser Mut einsprechen. Als
ich wieder einmal im besten Schlafe lag, wurde an meine Tür geklopft, und jemand
rief nnr zu, ich möchte doch zur Großmutter kommen, da es wieder donnere. Ichantwortete darauf, ich könnte das Donnern auch in meiner Kammer hören und
zöge es vor, im Bette zu bleiben. Ich konnte mich nun meiner Nachtruhe un¬
gestört hingeben, merkte aber der Alten an. wie sehr sie sich durch meine Lieblosigkeit
gekränkt fühlte.

Auf die Ponys hatte ich unausgesetzt die größte Mühe verwandt, und die
Tiere waren nun so glatt und blank, daß es eine Freude war, sie anzusehen. Sie
wurden an den Sonntagnachmittagen in eine kleine Reitbahn geführt und dienten
den Kindern der Besucher zum Reiten. Wir Angestellten mußten die Pferdchen mit
den kleinen Reitern dreimal um die ganze Bahn führen, wofür zehn Pfennige an
der Kasse bezahlt wurden. Der Geschäftsführer machte dann den Stallmeister und
stand mit Zylinder und langer Peitsche in der Mitte der Bahn. Nun hatten wir
aber noch zwei Halbponys, die so bösartig und verwildert waren, daß sich niemand
an sie herantraute. Sie standen in einem Box, wo der Mist einen halben Meter
hoch lag, erhielten einen Eimer Wasser und ihr Futter unter großen Vorsichts¬
maßregeln hineingereicht und konnten sich im übrigen dem absoluten Nichtstun hin¬
geben. Ich beschloß, diese Tiere zu bändigen und nutzbar zu machen. Zu diesem
Zwecke warf ich einem nach dem andern einen Lasso über den Kopf, zog es mit
Aufbietung aller Kraft nach der Tür, ließ es von den beiden Burschen halten und
legte ihnen dann Halfter an. wobei ich die Oberlippe mit einer Bremse versah,
die ich mit einem Holzpflock zusammendrehte und am Halfter festband. Die Tiere
vergaßen über dem ungewöhnlichen Gefühl das Schlagen und das Beißen und
wurden so gefügig, daß ich sie hinausführen und im Stalle anbinden konnte. Am
nächsten Tage führte ich sie in die Reitbahn und machte dort die ersten Versuche,
sie zu putzen was mit großen Schwierigkeiten verbunden war, da sie Neigung
zeigten, in ihre alte Wildheit zurückzufallen. Aber es gelang mir schließlich doch
durch List und Geduld, und bald konnte ich sie frei umherlaufen lassen und mit
einem Stück Zucker zu mir heranlocken.

Einige Zeit danach bekamen wir vom Tierhändler Reiche in Alfeld eine Tier¬
sendung, die aus einem Tapir, einem Stachelschwein und einem Riesenkänguruh
bestand. Der kleine Sohn meines Prinzipals hatte für das Stachelschwein ein
ganz besondres Interesse, und eines Tages ertappte ich ihn dabei, wie er dem Tier
eine Anzahl Stacheln ausriß. Auf meine Vorwürfe erwiderte er, wenn man die
Stacheln in die Erde steckte, so wüchsen junge Stachelschweine daraus. Das Riesen¬
känguruh ging acht Tage nach seiner Ankunft am Starrkrampf ein, und Bertram,
der sich nie wohler fühlte, als wenn er einen Prozeß führen konnte, benutzte die
Gelegenheit, den Tierhändler zu verklagen.

Da mir meine Wirksamkeit in Braunschweig immer wemger gefiel, und va
ich bei außerordentlich angestrengter Arbeit die Mahlzeiten sehr unregelmäßig bekam,
kündigte ich zum 1. August und schrieb an den Zoologischen Garten in Leipzig
um dort meine Dienste anzubieten. Ich erhielt die Antwort, daß augenblicklich
keine Stelle frei sei, daß ich aber, wenn ich von Braunschweig wegginge meine
Adresse hinterlassen möchte. Ein paar Tage später erhielt ich von Leipzig die
Anfrage, ob ich sofort antreten könnte. Ich sprach mit Bertram, der aber darauf
bestand, daß ich bis zum 1. August aushielte. Als ich am letzten Tage mit dem
Einpacken meiner Habseligkeiten beschäftigt war, kam auch eine Depesche von der
Menagerie Kraibe aus Wernigerode, ob ich dort eine Stelle übernehmen wollte.


Grenzboten IV 1905
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[0219] Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren zum nicht geringen Kummer der Affen, die sich jetzt wieder ohne ein solches Spiel¬ zeug behelfen mußten. Der Sommer war sehr reich an Gewittern, die gewöhnlich des Nachts auf¬ traten und die Mutter meiner Prinzipalin immer mit neuer Angst erfüllten. Sobald sich der erste Donner hören ließ, wurden alle Hausgenossen geweckt und mußten sich in der Schlasiammer der Alten versammeln und dieser Mut einsprechen. Als ich wieder einmal im besten Schlafe lag, wurde an meine Tür geklopft, und jemand rief nnr zu, ich möchte doch zur Großmutter kommen, da es wieder donnere. Ichantwortete darauf, ich könnte das Donnern auch in meiner Kammer hören und zöge es vor, im Bette zu bleiben. Ich konnte mich nun meiner Nachtruhe un¬ gestört hingeben, merkte aber der Alten an. wie sehr sie sich durch meine Lieblosigkeit gekränkt fühlte. Auf die Ponys hatte ich unausgesetzt die größte Mühe verwandt, und die Tiere waren nun so glatt und blank, daß es eine Freude war, sie anzusehen. Sie wurden an den Sonntagnachmittagen in eine kleine Reitbahn geführt und dienten den Kindern der Besucher zum Reiten. Wir Angestellten mußten die Pferdchen mit den kleinen Reitern dreimal um die ganze Bahn führen, wofür zehn Pfennige an der Kasse bezahlt wurden. Der Geschäftsführer machte dann den Stallmeister und stand mit Zylinder und langer Peitsche in der Mitte der Bahn. Nun hatten wir aber noch zwei Halbponys, die so bösartig und verwildert waren, daß sich niemand an sie herantraute. Sie standen in einem Box, wo der Mist einen halben Meter hoch lag, erhielten einen Eimer Wasser und ihr Futter unter großen Vorsichts¬ maßregeln hineingereicht und konnten sich im übrigen dem absoluten Nichtstun hin¬ geben. Ich beschloß, diese Tiere zu bändigen und nutzbar zu machen. Zu diesem Zwecke warf ich einem nach dem andern einen Lasso über den Kopf, zog es mit Aufbietung aller Kraft nach der Tür, ließ es von den beiden Burschen halten und legte ihnen dann Halfter an. wobei ich die Oberlippe mit einer Bremse versah, die ich mit einem Holzpflock zusammendrehte und am Halfter festband. Die Tiere vergaßen über dem ungewöhnlichen Gefühl das Schlagen und das Beißen und wurden so gefügig, daß ich sie hinausführen und im Stalle anbinden konnte. Am nächsten Tage führte ich sie in die Reitbahn und machte dort die ersten Versuche, sie zu putzen was mit großen Schwierigkeiten verbunden war, da sie Neigung zeigten, in ihre alte Wildheit zurückzufallen. Aber es gelang mir schließlich doch durch List und Geduld, und bald konnte ich sie frei umherlaufen lassen und mit einem Stück Zucker zu mir heranlocken. Einige Zeit danach bekamen wir vom Tierhändler Reiche in Alfeld eine Tier¬ sendung, die aus einem Tapir, einem Stachelschwein und einem Riesenkänguruh bestand. Der kleine Sohn meines Prinzipals hatte für das Stachelschwein ein ganz besondres Interesse, und eines Tages ertappte ich ihn dabei, wie er dem Tier eine Anzahl Stacheln ausriß. Auf meine Vorwürfe erwiderte er, wenn man die Stacheln in die Erde steckte, so wüchsen junge Stachelschweine daraus. Das Riesen¬ känguruh ging acht Tage nach seiner Ankunft am Starrkrampf ein, und Bertram, der sich nie wohler fühlte, als wenn er einen Prozeß führen konnte, benutzte die Gelegenheit, den Tierhändler zu verklagen. Da mir meine Wirksamkeit in Braunschweig immer wemger gefiel, und va ich bei außerordentlich angestrengter Arbeit die Mahlzeiten sehr unregelmäßig bekam, kündigte ich zum 1. August und schrieb an den Zoologischen Garten in Leipzig um dort meine Dienste anzubieten. Ich erhielt die Antwort, daß augenblicklich keine Stelle frei sei, daß ich aber, wenn ich von Braunschweig wegginge meine Adresse hinterlassen möchte. Ein paar Tage später erhielt ich von Leipzig die Anfrage, ob ich sofort antreten könnte. Ich sprach mit Bertram, der aber darauf bestand, daß ich bis zum 1. August aushielte. Als ich am letzten Tage mit dem Einpacken meiner Habseligkeiten beschäftigt war, kam auch eine Depesche von der Menagerie Kraibe aus Wernigerode, ob ich dort eine Stelle übernehmen wollte. Grenzboten IV 1905

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/219>, abgerufen am 15.01.2025.