Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Die Lebensschicksale eines geisteskranken Fürsten sein sollte. Auch auf ein Muttergottesbild soll er geschossen haben. Es war Der in so hohem Maß anstößige Lebenswandel Johann Friedrichs blieb Die Lebensschicksale eines geisteskranken Fürsten sein sollte. Auch auf ein Muttergottesbild soll er geschossen haben. Es war Der in so hohem Maß anstößige Lebenswandel Johann Friedrichs blieb <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0209" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296220"/> <fw type="header" place="top"> Die Lebensschicksale eines geisteskranken Fürsten</fw><lb/> <p xml:id="ID_1184" prev="#ID_1183"> sein sollte. Auch auf ein Muttergottesbild soll er geschossen haben. Es war<lb/> geradezu gefährlich, in seine Nähe zu kommen: den weimarischen Oberstleutnant<lb/> Bvmer, den er haßte, verwundete er, als er mit ihm im Schloß zu Jchters-<lb/> hausen zusammentraf, durch mehrere Stiche in die Brust, „daß es Milch ge¬<lb/> geben," wie er später einmal bemerkte; mehrere Personen erschoß er — wie es<lb/> scheint, wegen geringfügiger Verfehlungen oder auch ohne besondern Anlaß —<lb/> auf der Landstraße bei Jchtershauseu und Eischleben. Ju spätern Verhören<lb/> berief er sich in bezug hierauf auf das Recht, als Fürst über das Leben seiner<lb/> Untertanen verfügen zu können. Allerdings muß mau bei der Beurteilung<lb/> dieser Bluttaten auch die immer zunehmende ein Menschenleben nicht besonders<lb/> hoch rechnende allgemeine Verwilderung in Betracht ziehn, die der um schon<lb/> acht Jahre währende mörderische Krieg zur Folge hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1185" next="#ID_1186"> Der in so hohem Maß anstößige Lebenswandel Johann Friedrichs blieb<lb/> natürlich seinen fürstlichen Brüdern nicht unbekannt und erregte immer mehr<lb/> deren Scham und Besorgnis. Und zwar scheint man fast mehr seine magische<lb/> Betätigung als seine sonstigen Frevel verdammt zu haben. Die Herzöge hielten<lb/> es für angezeigt, die Angelegenheit vor den bei der Vermählung des Land¬<lb/> grafen Georg von Hessen mit der ältesten Tochter des Kurfürsten Johann<lb/> Georg von Sachsen am 1. April 1627 in Torgau abgehauenen Familienrat<lb/> der Agnciten des Hauses Sachsen zu bringen. Man faßte schon damals den<lb/> Beschluß, den Herzog zur Verhütung weitern Unheils lind Bewahrung der<lb/> ewigen Seligkeit in Haft zu nehmen und in dein Gartenschlößchen — der<lb/> jetzigen Bibliothek — in Weimar in Gewahrsam zu halten. Johann Friedrich,<lb/> der hiervon Nachricht erhalten zu haben scheint, entzog sich dem aber, indem<lb/> er Anfang April, diesmal allein, jedoch mit Degen, Bandelierrohr, zwei Pistolen<lb/> und einem Dolch bewaffnet, ein Felleisen mit tausend Talern hinter sich auf<lb/> das Pferd geschnallt, Jchtershauseu bei Nacht und Nebel verließ. Am 20. April<lb/> sah ihn ein Reiter der Tillyschen Armee, die damals die von den Dänen be¬<lb/> setzte Stadt Nordheim in Hannover belagerte, in ziemlich verwahrlostem Zu¬<lb/> stande, mit langem Haar, auf dem Rand eines Grabens sitzen, während sein<lb/> Pferd auf der Wiese weidete. Nach einem kurzen Wortwechsel schlug Johann<lb/> Ernst ans den Reiter an. Dieser kam ihm aber zuvor und schoß ihn durch<lb/> den linken Arm. In dem Hanse, in das er nunmehr durch einen Leutnant des<lb/> Herbersdorfschen Regiments gebracht wurde, entriß er diesem plötzlich den Degen<lb/> und stach ihn damit durch den Leib. Später, nachdem er mit größter An¬<lb/> strengung überwältigt worden war und dabei noch drei Wunden erhalten hatte,<lb/> überfiel er einen der ihn bewachenden Schützen und brachte ihm mit dem<lb/> Messer, mit dem dieser aß, fünf Stiche in Arm und Brust bei. So rasend<lb/> gebärdete sich der Fürst bei dem ganzen Vorfall, daß es erst am fünften Tage<lb/> möglich war, seine ziemlich schweren Verletzungen zu verbinden. Alsdann wurde<lb/> er nach der Festung Erichsburg in sichern Gewahrsam abgeführt, während sich<lb/> Tilly wegen seiner Auslieferung mit Herzog Wilhelm in Verbindung setzte.<lb/> Dieser führte nunmehr nach nochmaligem Einvernehmen mit dem Kurfürsten,<lb/> als Senior des Hauses Sachsen, den schon in Torgau gefaßten Beschluß, über<lb/> ihren Bruder eine sichere „Kustodie" zu verhänam, mit aller Entschiedenheit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0209]
Die Lebensschicksale eines geisteskranken Fürsten
sein sollte. Auch auf ein Muttergottesbild soll er geschossen haben. Es war
geradezu gefährlich, in seine Nähe zu kommen: den weimarischen Oberstleutnant
Bvmer, den er haßte, verwundete er, als er mit ihm im Schloß zu Jchters-
hausen zusammentraf, durch mehrere Stiche in die Brust, „daß es Milch ge¬
geben," wie er später einmal bemerkte; mehrere Personen erschoß er — wie es
scheint, wegen geringfügiger Verfehlungen oder auch ohne besondern Anlaß —
auf der Landstraße bei Jchtershauseu und Eischleben. Ju spätern Verhören
berief er sich in bezug hierauf auf das Recht, als Fürst über das Leben seiner
Untertanen verfügen zu können. Allerdings muß mau bei der Beurteilung
dieser Bluttaten auch die immer zunehmende ein Menschenleben nicht besonders
hoch rechnende allgemeine Verwilderung in Betracht ziehn, die der um schon
acht Jahre währende mörderische Krieg zur Folge hatte.
Der in so hohem Maß anstößige Lebenswandel Johann Friedrichs blieb
natürlich seinen fürstlichen Brüdern nicht unbekannt und erregte immer mehr
deren Scham und Besorgnis. Und zwar scheint man fast mehr seine magische
Betätigung als seine sonstigen Frevel verdammt zu haben. Die Herzöge hielten
es für angezeigt, die Angelegenheit vor den bei der Vermählung des Land¬
grafen Georg von Hessen mit der ältesten Tochter des Kurfürsten Johann
Georg von Sachsen am 1. April 1627 in Torgau abgehauenen Familienrat
der Agnciten des Hauses Sachsen zu bringen. Man faßte schon damals den
Beschluß, den Herzog zur Verhütung weitern Unheils lind Bewahrung der
ewigen Seligkeit in Haft zu nehmen und in dein Gartenschlößchen — der
jetzigen Bibliothek — in Weimar in Gewahrsam zu halten. Johann Friedrich,
der hiervon Nachricht erhalten zu haben scheint, entzog sich dem aber, indem
er Anfang April, diesmal allein, jedoch mit Degen, Bandelierrohr, zwei Pistolen
und einem Dolch bewaffnet, ein Felleisen mit tausend Talern hinter sich auf
das Pferd geschnallt, Jchtershauseu bei Nacht und Nebel verließ. Am 20. April
sah ihn ein Reiter der Tillyschen Armee, die damals die von den Dänen be¬
setzte Stadt Nordheim in Hannover belagerte, in ziemlich verwahrlostem Zu¬
stande, mit langem Haar, auf dem Rand eines Grabens sitzen, während sein
Pferd auf der Wiese weidete. Nach einem kurzen Wortwechsel schlug Johann
Ernst ans den Reiter an. Dieser kam ihm aber zuvor und schoß ihn durch
den linken Arm. In dem Hanse, in das er nunmehr durch einen Leutnant des
Herbersdorfschen Regiments gebracht wurde, entriß er diesem plötzlich den Degen
und stach ihn damit durch den Leib. Später, nachdem er mit größter An¬
strengung überwältigt worden war und dabei noch drei Wunden erhalten hatte,
überfiel er einen der ihn bewachenden Schützen und brachte ihm mit dem
Messer, mit dem dieser aß, fünf Stiche in Arm und Brust bei. So rasend
gebärdete sich der Fürst bei dem ganzen Vorfall, daß es erst am fünften Tage
möglich war, seine ziemlich schweren Verletzungen zu verbinden. Alsdann wurde
er nach der Festung Erichsburg in sichern Gewahrsam abgeführt, während sich
Tilly wegen seiner Auslieferung mit Herzog Wilhelm in Verbindung setzte.
Dieser führte nunmehr nach nochmaligem Einvernehmen mit dem Kurfürsten,
als Senior des Hauses Sachsen, den schon in Torgau gefaßten Beschluß, über
ihren Bruder eine sichere „Kustodie" zu verhänam, mit aller Entschiedenheit
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