Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.was ist eigentlich der Mittelstand? gar nicht, und der Handwerker steht den Bemühungen, die Nahrungsmittelpreise Organisation ist die Zauberformel der Zeit. Sie bedeutet Erkenntnis und Jedenfalls sollte es für den Staat und für staatserhaltende Parteien keine was ist eigentlich der Mittelstand? gar nicht, und der Handwerker steht den Bemühungen, die Nahrungsmittelpreise Organisation ist die Zauberformel der Zeit. Sie bedeutet Erkenntnis und Jedenfalls sollte es für den Staat und für staatserhaltende Parteien keine <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0198" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296209"/> <fw type="header" place="top"> was ist eigentlich der Mittelstand?</fw><lb/> <p xml:id="ID_1147" prev="#ID_1146"> gar nicht, und der Handwerker steht den Bemühungen, die Nahrungsmittelpreise<lb/> zu heben, mit gemischten Gefühlen gegenüber. Der Kleinhandel hat andre<lb/> Schmerzen als der Handwerkerstand, er sieht mit Kummer, daß eine große Zahl<lb/> von Handwerkern in den Konsumvereinen sind, daß die Landwirte Einkaufs¬<lb/> genossenschaften bilden und die Versandgeschäfte nicht verschmähen. Und gar der<lb/> größte Teil des Mittelstandes, die Beamten, Privatbeamten, freien Berufe,<lb/> Werkmeister, gelernten Arbeiter haben große Konsnmentensorgen. Jeder einzelne<lb/> Teil des Mittelstandes hat in der Tat seine besondern Sorgen und Interessen,<lb/> und nur darin find alle einig, daß sie alle das Verlangen haben, sich ein leid¬<lb/> liches wirtschaftliches Dasein zu sichern und zu erhalten und sich zu diesem<lb/> Zwecke zu organisieren.</p><lb/> <p xml:id="ID_1148"> Organisation ist die Zauberformel der Zeit. Sie bedeutet Erkenntnis und<lb/> Werbearbeit, Zusammenschluß, um politisch nicht uuter den Schlitten zu geraten,<lb/> um nicht ein Zuwenig von staatlicher Fürsorge und ein Zuviel von staatlichen<lb/> Lasten zu erhalten. Dieser Drang zur Jnteressenvereinigung ergreift natürlich<lb/> zunächst die einzelnen Gruppen von Berufs- und Stand es gen offen, dann aber<lb/> stellt sich das Bedürfnis von Kartellen ein, bis schließlich eine Gesamtbewegung<lb/> zustande kommt, wie wir sie gegenwärtig erleben. Die Einzelorganisationcn<lb/> fühlen sich zu schwach, sie können erst den Gang der Dinge beeinflussen, wenn<lb/> sie als größere Masse auf die gesetzgebenden Körperschaften und Verwaltungen<lb/> einzuwirken imstande sind. Darum Kartelle der Mittelstandsgruppen. Wir<lb/> heißen diesen Entwicklungsgang willkommen, denn wenn auch die Macht der<lb/> Zahl zunimmt, so doch auch zugleich die Gefahr der Jnteresfenkollision im<lb/> engern Raum einer politischen Zweckgemeinschaft, und je näher sich die ver-<lb/> schiednen Bestandteile des Mittelstandes rücken, desto mehr müssen sie sich<lb/> kennen und versteh» lernen. Und da glaube ich nun, daß ein Verstündigen<lb/> und ein Auskommen nur möglich ist auf der bekannten und beliebten mittlern<lb/> Linie. Jeder Teil muß die alte banale Lebensmaxime beherzigen: Leben und<lb/> leben lasten. Nach besonders erbitterten Jnteresfentämpfen wird man immer<lb/> wieder auf das Wort Bastiats zurückkommen, daß alle wirklich berechtigten Inter¬<lb/> essen harmonisch sind, daß nur die Interessen Förderung und Verwirklichung<lb/> verdienen, die sich mit den Interessen der übrigen Erwerbsgruppen vertragen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1149"> Jedenfalls sollte es für den Staat und für staatserhaltende Parteien keine<lb/> andern Interessen geben. Denn der Staat ist eine über der Gesellschaft stehende,<lb/> sie beherrschende und ihren Zwiespalt zur Einheit zusammenfassende Notwendig¬<lb/> keit. Ein wesentlicher Staatszweck ist es, worauf schon Hobbes hingewiesen hat,<lb/> den Frieden zwischen den widerstreitenden Elementen herzustellen, denn leider<lb/> finden diese Interessengruppen nicht immer leicht den Weg der Harmonie und<lb/> der Selbstbeschränkung, und es muß darum Aufgabe der praktischen und idealen<lb/> Staatskunst sein, immer wieder auf den friedlichen Ausgleich hinzuwirken. Und<lb/> nur in diesem Geiste lassen sich auch die vielfachen Probleme des Mittelstandes<lb/> zu einem vernünftigen Ziele führen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0198]
was ist eigentlich der Mittelstand?
gar nicht, und der Handwerker steht den Bemühungen, die Nahrungsmittelpreise
zu heben, mit gemischten Gefühlen gegenüber. Der Kleinhandel hat andre
Schmerzen als der Handwerkerstand, er sieht mit Kummer, daß eine große Zahl
von Handwerkern in den Konsumvereinen sind, daß die Landwirte Einkaufs¬
genossenschaften bilden und die Versandgeschäfte nicht verschmähen. Und gar der
größte Teil des Mittelstandes, die Beamten, Privatbeamten, freien Berufe,
Werkmeister, gelernten Arbeiter haben große Konsnmentensorgen. Jeder einzelne
Teil des Mittelstandes hat in der Tat seine besondern Sorgen und Interessen,
und nur darin find alle einig, daß sie alle das Verlangen haben, sich ein leid¬
liches wirtschaftliches Dasein zu sichern und zu erhalten und sich zu diesem
Zwecke zu organisieren.
Organisation ist die Zauberformel der Zeit. Sie bedeutet Erkenntnis und
Werbearbeit, Zusammenschluß, um politisch nicht uuter den Schlitten zu geraten,
um nicht ein Zuwenig von staatlicher Fürsorge und ein Zuviel von staatlichen
Lasten zu erhalten. Dieser Drang zur Jnteressenvereinigung ergreift natürlich
zunächst die einzelnen Gruppen von Berufs- und Stand es gen offen, dann aber
stellt sich das Bedürfnis von Kartellen ein, bis schließlich eine Gesamtbewegung
zustande kommt, wie wir sie gegenwärtig erleben. Die Einzelorganisationcn
fühlen sich zu schwach, sie können erst den Gang der Dinge beeinflussen, wenn
sie als größere Masse auf die gesetzgebenden Körperschaften und Verwaltungen
einzuwirken imstande sind. Darum Kartelle der Mittelstandsgruppen. Wir
heißen diesen Entwicklungsgang willkommen, denn wenn auch die Macht der
Zahl zunimmt, so doch auch zugleich die Gefahr der Jnteresfenkollision im
engern Raum einer politischen Zweckgemeinschaft, und je näher sich die ver-
schiednen Bestandteile des Mittelstandes rücken, desto mehr müssen sie sich
kennen und versteh» lernen. Und da glaube ich nun, daß ein Verstündigen
und ein Auskommen nur möglich ist auf der bekannten und beliebten mittlern
Linie. Jeder Teil muß die alte banale Lebensmaxime beherzigen: Leben und
leben lasten. Nach besonders erbitterten Jnteresfentämpfen wird man immer
wieder auf das Wort Bastiats zurückkommen, daß alle wirklich berechtigten Inter¬
essen harmonisch sind, daß nur die Interessen Förderung und Verwirklichung
verdienen, die sich mit den Interessen der übrigen Erwerbsgruppen vertragen.
Jedenfalls sollte es für den Staat und für staatserhaltende Parteien keine
andern Interessen geben. Denn der Staat ist eine über der Gesellschaft stehende,
sie beherrschende und ihren Zwiespalt zur Einheit zusammenfassende Notwendig¬
keit. Ein wesentlicher Staatszweck ist es, worauf schon Hobbes hingewiesen hat,
den Frieden zwischen den widerstreitenden Elementen herzustellen, denn leider
finden diese Interessengruppen nicht immer leicht den Weg der Harmonie und
der Selbstbeschränkung, und es muß darum Aufgabe der praktischen und idealen
Staatskunst sein, immer wieder auf den friedlichen Ausgleich hinzuwirken. Und
nur in diesem Geiste lassen sich auch die vielfachen Probleme des Mittelstandes
zu einem vernünftigen Ziele führen.
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