Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches seine ministerielle Abschiedsrede sein werde, noch nicht gehabt zu haben. Herr Der große Berliner Elektrizitätsstreik, der nicht nur die Gefahr einer großen Maßgebliches und Unmaßgebliches seine ministerielle Abschiedsrede sein werde, noch nicht gehabt zu haben. Herr Der große Berliner Elektrizitätsstreik, der nicht nur die Gefahr einer großen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0176" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296187"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1088" prev="#ID_1087"> seine ministerielle Abschiedsrede sein werde, noch nicht gehabt zu haben. Herr<lb/> Möller war gewiß ein tüchtiger und gewissenhafter Parlamentarier. Bei seiner<lb/> Berufung war die Absicht maßgebend, nicht nur der politischen Richtung, der er<lb/> angehörte, sondern auch den wirtschaftlichen Kreisen, in deren Mitte er stand, eine<lb/> Vertretung in der Regierung zu sichern. Wie die Landwirtschaft, so sollten auch<lb/> Handel und Industrie durch einen Fachmann, der aus dem praktischen Leben und<lb/> nicht aus der Beamtenlaufbahn hervorgegangen war, im Staatsministerium ver¬<lb/> treten sein. Der Versuch ist nicht geglückt. Der Nachfolger des Herrn Möller,<lb/> der bisherige Oberpräsident Delbrück, galt seit Jahren als Ministerkandidat. Er<lb/> hat als Oberbürgermeister an der Spitze von Danzig große Umsicht, schöpferische<lb/> Initiative und ein hervorragendes Verwaltuugstnlent bekundet. Ob das Maß<lb/> seiner Fähigkeiten auch für die sehr viel größern Aufgaben des Staatsministers aus¬<lb/> reichen wird, muß sich bald zeigen. Wir haben wiederholt Münster gehabt, die<lb/> als Laudrcite und Regierungspräsidenten, sogar als Oberpräsidenten, einen bedeu¬<lb/> tenden Ruf hatten und sich doch in der ministeriellen Tätigkeit nicht durchsetzen<lb/> konnten. Vielleicht ist es das Wichtigste und dieser Umstand für die Wahl des<lb/> Herrn Delbrück entscheidend gewesen, daß mit ihm in das Staatsministerium endlich<lb/> wieder eine Kraft eintritt, die mit den Verhältnissen der polnischen Landesteile<lb/> genau vertraut ist und so der Ostmarkenpolitik aus eigenster Kenntnis der Dinge<lb/> einen starken und sachgemäßen Rückhalt zu verleihen vermag. Der Augenblick ist<lb/> ohnehin schon nahe genug heran gekommen, wo es notwendig sein wird, nicht nur<lb/> in Posen und Westpreußen zu einschneidender» Maßnahmen überzugehn, sondern<lb/> der Ausbreitung des Polvnismus auf weite Gebiete des Staats — und den damit<lb/> sür Krieg und Frieden verbundnen Gefahren — näher ins Auge zu sehen. Nächst<lb/> den Ministern Stube und Bethmann - Hollweg ist der neue Handelsminister der<lb/> dritte, der vom Posten eines Oberpräsidenten in das Stnatsmiuisterium tritt. Man<lb/> behauptet, daß er das Handelsministerium ungern angenommen habe. Es ist sür<lb/> ihn wohl nur eine Stufe auf der Leiter, und die Ostmarkeupolittk, obgleich er<lb/> ressortmäßig mit ihr weniger zu tun hat als als Oberpräsident, mag für ihn<lb/> ausschlaggebend gewesen sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_1089" next="#ID_1090"> Der große Berliner Elektrizitätsstreik, der nicht nur die Gefahr einer großen<lb/> Ausdehnung in sich barg, hat mit einer Niederlage der Streitenden und der<lb/> Agitatoren geendet. Leider hat er nicht nur eine große wirtschaftliche Störung für<lb/> die betroffnen Werke zur Folge gehabt, sondern etwa dreißigtausend Arbeiter haben<lb/> ihn mit Einbüßung ihres Lohnes bezahlen müssen, darunter viele alte verständige<lb/> Arbeiter, die nur sehr widerwillig dem auf sie geübten Zwange gefolgt sind, sich<lb/> aber trotz diesem Lehrgelde nicht dazu aufraffen werden, die Stlavenkettcn ihrer<lb/> Organisation abzuschütteln, die jedenfalls unendlich viel härter sind als das angeb¬<lb/> liche Joch der durchaus wohlwollend gesinnten Leiter der Werke. Von Interesse<lb/> wäre es bei einer Fortsetzung des Kampfes gewesen, ob die Akkordarbeiter, wie<lb/> ihnen von den Agitatoren geraten worden war, die Arbeitgeber verklagt hätten,<lb/> weil diese es ablehnten, den vollen Lohn für unvollendete Akkordarbeit zu zahlen.<lb/> Nach der Anerkennung der Berufsvereine würden die Arbeitgeber jedenfalls in der<lb/> Lage sein, sich an diesen für die Verluste schadlos zu halten, die durch Nicht-<lb/> vollendung von Akkordarbeit bei einem Streik entstünden. Der Kampf, der dieses-<lb/> mal nicht ein Lohnkampf war, sondern nur der Machtfrage galt, hat außerdem<lb/> uoch eine neue Erscheinung gezeitigt. Den Gipfel sozialdemokratischer Unverfrorenheit<lb/> erreichte der Singer-Aronssche Antrag in der Berliner Stadtverordnetenversammlung,<lb/> eine halbe Million aus der Stadtkasse für die von der Aussperrung betroffnen<lb/> Arbeiterfamilien zu bewilligen. Dieser Antrag war direkt ein Schlag in das Gesicht<lb/> der bürgerlichen Gesellschaft und verlangte nicht mehr und nicht weniger als deren<lb/> schimpfliche Kapitulation vor der Sozialdemokratie. Das Aussperrungsrecht mit<lb/> dessen unvermeidlichen Folgen für die Arbeiter ist das unabweisbare Gegen¬<lb/> gewicht für das Koalitiousrecht. Beide stehn und fallen gemeinsam, und es<lb/> ist eine unverschämte Zumutung, dieses Aussperrungsrecht durch Aufwendung offene-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0176]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
seine ministerielle Abschiedsrede sein werde, noch nicht gehabt zu haben. Herr
Möller war gewiß ein tüchtiger und gewissenhafter Parlamentarier. Bei seiner
Berufung war die Absicht maßgebend, nicht nur der politischen Richtung, der er
angehörte, sondern auch den wirtschaftlichen Kreisen, in deren Mitte er stand, eine
Vertretung in der Regierung zu sichern. Wie die Landwirtschaft, so sollten auch
Handel und Industrie durch einen Fachmann, der aus dem praktischen Leben und
nicht aus der Beamtenlaufbahn hervorgegangen war, im Staatsministerium ver¬
treten sein. Der Versuch ist nicht geglückt. Der Nachfolger des Herrn Möller,
der bisherige Oberpräsident Delbrück, galt seit Jahren als Ministerkandidat. Er
hat als Oberbürgermeister an der Spitze von Danzig große Umsicht, schöpferische
Initiative und ein hervorragendes Verwaltuugstnlent bekundet. Ob das Maß
seiner Fähigkeiten auch für die sehr viel größern Aufgaben des Staatsministers aus¬
reichen wird, muß sich bald zeigen. Wir haben wiederholt Münster gehabt, die
als Laudrcite und Regierungspräsidenten, sogar als Oberpräsidenten, einen bedeu¬
tenden Ruf hatten und sich doch in der ministeriellen Tätigkeit nicht durchsetzen
konnten. Vielleicht ist es das Wichtigste und dieser Umstand für die Wahl des
Herrn Delbrück entscheidend gewesen, daß mit ihm in das Staatsministerium endlich
wieder eine Kraft eintritt, die mit den Verhältnissen der polnischen Landesteile
genau vertraut ist und so der Ostmarkenpolitik aus eigenster Kenntnis der Dinge
einen starken und sachgemäßen Rückhalt zu verleihen vermag. Der Augenblick ist
ohnehin schon nahe genug heran gekommen, wo es notwendig sein wird, nicht nur
in Posen und Westpreußen zu einschneidender» Maßnahmen überzugehn, sondern
der Ausbreitung des Polvnismus auf weite Gebiete des Staats — und den damit
sür Krieg und Frieden verbundnen Gefahren — näher ins Auge zu sehen. Nächst
den Ministern Stube und Bethmann - Hollweg ist der neue Handelsminister der
dritte, der vom Posten eines Oberpräsidenten in das Stnatsmiuisterium tritt. Man
behauptet, daß er das Handelsministerium ungern angenommen habe. Es ist sür
ihn wohl nur eine Stufe auf der Leiter, und die Ostmarkeupolittk, obgleich er
ressortmäßig mit ihr weniger zu tun hat als als Oberpräsident, mag für ihn
ausschlaggebend gewesen sein.
Der große Berliner Elektrizitätsstreik, der nicht nur die Gefahr einer großen
Ausdehnung in sich barg, hat mit einer Niederlage der Streitenden und der
Agitatoren geendet. Leider hat er nicht nur eine große wirtschaftliche Störung für
die betroffnen Werke zur Folge gehabt, sondern etwa dreißigtausend Arbeiter haben
ihn mit Einbüßung ihres Lohnes bezahlen müssen, darunter viele alte verständige
Arbeiter, die nur sehr widerwillig dem auf sie geübten Zwange gefolgt sind, sich
aber trotz diesem Lehrgelde nicht dazu aufraffen werden, die Stlavenkettcn ihrer
Organisation abzuschütteln, die jedenfalls unendlich viel härter sind als das angeb¬
liche Joch der durchaus wohlwollend gesinnten Leiter der Werke. Von Interesse
wäre es bei einer Fortsetzung des Kampfes gewesen, ob die Akkordarbeiter, wie
ihnen von den Agitatoren geraten worden war, die Arbeitgeber verklagt hätten,
weil diese es ablehnten, den vollen Lohn für unvollendete Akkordarbeit zu zahlen.
Nach der Anerkennung der Berufsvereine würden die Arbeitgeber jedenfalls in der
Lage sein, sich an diesen für die Verluste schadlos zu halten, die durch Nicht-
vollendung von Akkordarbeit bei einem Streik entstünden. Der Kampf, der dieses-
mal nicht ein Lohnkampf war, sondern nur der Machtfrage galt, hat außerdem
uoch eine neue Erscheinung gezeitigt. Den Gipfel sozialdemokratischer Unverfrorenheit
erreichte der Singer-Aronssche Antrag in der Berliner Stadtverordnetenversammlung,
eine halbe Million aus der Stadtkasse für die von der Aussperrung betroffnen
Arbeiterfamilien zu bewilligen. Dieser Antrag war direkt ein Schlag in das Gesicht
der bürgerlichen Gesellschaft und verlangte nicht mehr und nicht weniger als deren
schimpfliche Kapitulation vor der Sozialdemokratie. Das Aussperrungsrecht mit
dessen unvermeidlichen Folgen für die Arbeiter ist das unabweisbare Gegen¬
gewicht für das Koalitiousrecht. Beide stehn und fallen gemeinsam, und es
ist eine unverschämte Zumutung, dieses Aussperrungsrecht durch Aufwendung offene-
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