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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

den Vorzug. Da Madame Bartel -- das fühlt man auch, wenn man sie auf
der Bühne sieht und hört -- eine Dame ist, so ist der Genuß, den man von
jedem Abend hat, an dem sie auftritt, mit dem von vielen andern vielleicht
nicht minder begabten Schauspielerinnen gewährten uicht zu vergleichen. Frcmcillon,
eine Rolle, die der jüngere Dumas für sie geschrieben hat, ist vielleicht ihre
größte und eigentümlichste Leistung: man vergißt, wenn man ihrem Spiele folgt,
daß man sich der Bühne und nicht der Wirklichkeit gegenüber befindet, und die
Überzeugung, daß man es in Frcmcillon mit einer Frau zu tun hat, an der schlechter¬
dings kein Makel haften kann, ist infolge des von Madame Bartels Persönlichkeit
gemachten Eindrucks so unbedingt, daß man auch durch das etwas gewagte Experiment
mit dem unbekannten jungen Mann und dem eavinst pÄrticuIisr nicht für einen
Augenblick an ihr irre wird. Die sogenannten Habitue's der Mnisou de Moliere
werden wohl genau wissen, was Jules Claretie veranlaßt hat, an maßgebender
Stelle seinen Einfluß zu Madame Bartels Gunsten geltend zu machen. Neben
ihren großen Kunstleistungen wird Wohl auch die Stellung, die sie sich in der besten
Pariser Gesellschaft zu verschaffen gewußt hat, ausschlaggebend gewesen sein, und
man wird die Gelegenheit nicht ungern benutzt haben, öffentlich zu bekunden, daß
man den stetigen Eifer, mit dem Madame Bartel der Come'die treu geblieben ist,
den fahrenden Abenteuern der großen Sara vorzieht. Wenn diese einem Bericht¬
erstatter, der sich unbegreiflicherweise mit der Frage, ob sie Madame Bartel schon
beglückwünscht habe, bei ihr eingeführt haben soll, ihre Verwunderung über das
Geschehene ausgesprochen hat, so beweist das nur, daß sie sich von der Art ihrer
Berühmtheit einen falschen Begriff macht: das von ihr und ihrer Reklame unab¬
hängige, überaus feinfühlige und klarsehende Publikum ist mit dem, was geschehen
ist, durchaus einverstanden. Hätte man -- und hier liegt der Hase im Pfeffer --
beide Damen dekoriert, so würde die sich nie nu zweite Stelle rückende Sara der
Welt durch bereitwillige Berichterstatter klar gemacht haben, Madame Bartel habe
das Kreuz nur bekommen, damit sie ihr, der großen Sara, als Begleiterin diene.




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig -- Druck von Karl Marquari in Leipzig




Maßgebliches und Unmaßgebliches

den Vorzug. Da Madame Bartel — das fühlt man auch, wenn man sie auf
der Bühne sieht und hört — eine Dame ist, so ist der Genuß, den man von
jedem Abend hat, an dem sie auftritt, mit dem von vielen andern vielleicht
nicht minder begabten Schauspielerinnen gewährten uicht zu vergleichen. Frcmcillon,
eine Rolle, die der jüngere Dumas für sie geschrieben hat, ist vielleicht ihre
größte und eigentümlichste Leistung: man vergißt, wenn man ihrem Spiele folgt,
daß man sich der Bühne und nicht der Wirklichkeit gegenüber befindet, und die
Überzeugung, daß man es in Frcmcillon mit einer Frau zu tun hat, an der schlechter¬
dings kein Makel haften kann, ist infolge des von Madame Bartels Persönlichkeit
gemachten Eindrucks so unbedingt, daß man auch durch das etwas gewagte Experiment
mit dem unbekannten jungen Mann und dem eavinst pÄrticuIisr nicht für einen
Augenblick an ihr irre wird. Die sogenannten Habitue's der Mnisou de Moliere
werden wohl genau wissen, was Jules Claretie veranlaßt hat, an maßgebender
Stelle seinen Einfluß zu Madame Bartels Gunsten geltend zu machen. Neben
ihren großen Kunstleistungen wird Wohl auch die Stellung, die sie sich in der besten
Pariser Gesellschaft zu verschaffen gewußt hat, ausschlaggebend gewesen sein, und
man wird die Gelegenheit nicht ungern benutzt haben, öffentlich zu bekunden, daß
man den stetigen Eifer, mit dem Madame Bartel der Come'die treu geblieben ist,
den fahrenden Abenteuern der großen Sara vorzieht. Wenn diese einem Bericht¬
erstatter, der sich unbegreiflicherweise mit der Frage, ob sie Madame Bartel schon
beglückwünscht habe, bei ihr eingeführt haben soll, ihre Verwunderung über das
Geschehene ausgesprochen hat, so beweist das nur, daß sie sich von der Art ihrer
Berühmtheit einen falschen Begriff macht: das von ihr und ihrer Reklame unab¬
hängige, überaus feinfühlige und klarsehende Publikum ist mit dem, was geschehen
ist, durchaus einverstanden. Hätte man — und hier liegt der Hase im Pfeffer —
beide Damen dekoriert, so würde die sich nie nu zweite Stelle rückende Sara der
Welt durch bereitwillige Berichterstatter klar gemacht haben, Madame Bartel habe
das Kreuz nur bekommen, damit sie ihr, der großen Sara, als Begleiterin diene.




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Karl Marquari in Leipzig




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[0122] Maßgebliches und Unmaßgebliches den Vorzug. Da Madame Bartel — das fühlt man auch, wenn man sie auf der Bühne sieht und hört — eine Dame ist, so ist der Genuß, den man von jedem Abend hat, an dem sie auftritt, mit dem von vielen andern vielleicht nicht minder begabten Schauspielerinnen gewährten uicht zu vergleichen. Frcmcillon, eine Rolle, die der jüngere Dumas für sie geschrieben hat, ist vielleicht ihre größte und eigentümlichste Leistung: man vergißt, wenn man ihrem Spiele folgt, daß man sich der Bühne und nicht der Wirklichkeit gegenüber befindet, und die Überzeugung, daß man es in Frcmcillon mit einer Frau zu tun hat, an der schlechter¬ dings kein Makel haften kann, ist infolge des von Madame Bartels Persönlichkeit gemachten Eindrucks so unbedingt, daß man auch durch das etwas gewagte Experiment mit dem unbekannten jungen Mann und dem eavinst pÄrticuIisr nicht für einen Augenblick an ihr irre wird. Die sogenannten Habitue's der Mnisou de Moliere werden wohl genau wissen, was Jules Claretie veranlaßt hat, an maßgebender Stelle seinen Einfluß zu Madame Bartels Gunsten geltend zu machen. Neben ihren großen Kunstleistungen wird Wohl auch die Stellung, die sie sich in der besten Pariser Gesellschaft zu verschaffen gewußt hat, ausschlaggebend gewesen sein, und man wird die Gelegenheit nicht ungern benutzt haben, öffentlich zu bekunden, daß man den stetigen Eifer, mit dem Madame Bartel der Come'die treu geblieben ist, den fahrenden Abenteuern der großen Sara vorzieht. Wenn diese einem Bericht¬ erstatter, der sich unbegreiflicherweise mit der Frage, ob sie Madame Bartel schon beglückwünscht habe, bei ihr eingeführt haben soll, ihre Verwunderung über das Geschehene ausgesprochen hat, so beweist das nur, daß sie sich von der Art ihrer Berühmtheit einen falschen Begriff macht: das von ihr und ihrer Reklame unab¬ hängige, überaus feinfühlige und klarsehende Publikum ist mit dem, was geschehen ist, durchaus einverstanden. Hätte man — und hier liegt der Hase im Pfeffer — beide Damen dekoriert, so würde die sich nie nu zweite Stelle rückende Sara der Welt durch bereitwillige Berichterstatter klar gemacht haben, Madame Bartel habe das Kreuz nur bekommen, damit sie ihr, der großen Sara, als Begleiterin diene. Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Karl Marquari in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/122>, abgerufen am 15.01.2025.