Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches briefe im Hinblick auf überstandue und drohende Verfolgungen abgefaßt worden. Maßgebliches und Unmaßgebliches briefe im Hinblick auf überstandue und drohende Verfolgungen abgefaßt worden. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0120" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296131"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_751" prev="#ID_750" next="#ID_752"> briefe im Hinblick auf überstandue und drohende Verfolgungen abgefaßt worden.<lb/> Demselben Anlaß verdankt die Apokalypse ihren Ursprung, in die eine christlich<lb/> retouchierte jüdische Apokalypse (8, 1 bis 22, 5) aufgenommen worden ist. Verfasser<lb/> des christlichen Teils sowie der drei Johannesbriefe ist der „Busenjünger/' der<lb/> cphesinische Presbyter Johannes (der nicht mit dem Apostel Johannes identisch<lb/> ist); und dessen Predigt hat einer seiner Schüler, ein alexcmdrinisch gebildeter<lb/> Mann, mit seinen eignen Spekulationen verschmolzen und um das Jahr 110 im<lb/> vierten Evangelium seine eigentümliche Auffassung der Person und der Lehre Jesu<lb/> niedergelegt. Der zweite Thessalonicherbrief gehört in die Periode der Pastoral-<lb/> bricfe, und der Jakobus-, der Judas-, der zweite Petrusbrief werden als Nach¬<lb/> zügler der neutestamentlichen Literatur bezeichnet. Wir wollen die Charakteristik<lb/> der Apokalypse abschreiben, aus der die Leser ersehen werden, daß durch die un¬<lb/> befangne Anerkennung des menschlichen Anteils an der Entstehung der neutestament¬<lb/> lichen Literatur das fromme Gemüt nichts verliert. „So kam die Christenheit zu<lb/> ihrer Apokalypse und damit zur Übernahme einer krausen, allzeit die Phantasie auf<lb/> Luft- und Nebelwege verlockenden Fülle jüdischer, von Leidenschaft durchglühter,<lb/> doch bei der Übernahme da und dort durch Übermalung erweichter Phantastereien,<lb/> denen gottlob trotz allem bizarren ein großartiger Zug nicht fehlte; aber auch in<lb/> den Besitz von abgeklärten fast ätherischen Bildern der ersehnten Ziele alles Erden¬<lb/> ringens, wie sie nur im Feuer der Trübsal geläuterte Frömmigkeit schaffen konnte,<lb/> Bilder, die ihr auf ihren Erdenfahrten nach der Ewigkeit noch immer den Dienst<lb/> geleistet haben, den die Sterne dem auf der See treibenden tun. Und diese<lb/> jüdischen Phantasien haben eiuen Christen von wunderbarer Bildnerkraft und Rein¬<lb/> heit der Phantasie zu nicht minder erhabnen Schöpfungen veranlaßt, die an ab¬<lb/> geklärter Harmonie und ausgeglichnem Geschmack jenen jüdischen, die sie erzeugt<lb/> haben, weit überlegen sind. Ja die Sendschreiben an die sieben Gemeinden sind<lb/> von einer Mischung herber sittlicher Strenge mit inniger Milde und religiöser<lb/> Wärme, durch die sie zu den wertvollsten der in der neutestamentlichen Sammlung<lb/> uns vermittelten Bekenntnisse und Zielsetzungen des Urchristentums zählen. Zugleich<lb/> haben die Traumgesichte der Juden von weltgeschichtlichen Ereignissen in den Christen<lb/> unter dem Druck der Verfolgung den Zug zur Auseinandersetzung mit der Welt<lb/> gestärkt, sie gelehrt, geschichtlich zu denken und ihre Gemeinschaft mit großen Be¬<lb/> wegungen der Weltgeschichte in Verbindung zu bringen und sie so vorbereitet, selbst<lb/> mit großen Zielen in diese Geschichte einzutreten. Endlich wurde der Christenheit<lb/> hierdurch ein Buch geschenkt, das ihren durch die Evangelienschöpfung stark an die<lb/> große Vergangenheit geketteten Blick immer wieder nach der Zukunft hin spannte<lb/> und ihr so den eigentlichen Atem aller, zumal der christlichen Frömmigkeit, ja alles<lb/> Lebens stärkte: die Hoffnung." — Einen vortrefflichen und überzeugenden Beweis<lb/> dafür, daß Jesus Christus wirklich gelebt hat, gestorben und auferstanden ist, führt<lb/> Oberlehrer Th. Schneider indem Vortrage: Was wissen wir von Christus,<lb/> den er zusammen mit einem andern über das Johannisevangelium (bei H. Heuß<lb/> in Wiesbaden 1905) herausgegeben hat unter dem Titel: Hütet euch vor dem<lb/> Sauerteig der Pharisäer und der Sadducäer. — Aus dem Zwiespalt<lb/> zwischen der heutigen weltgeschichtlichen Lage und den veralteten Formen des<lb/> Christentums die Seelen durch Weiterentwicklung der christlichen Religion zu er¬<lb/> lösen, haben sich Gelehrte verschiedner Berufe vereinigt. Sie geben (bei I. F. Lehmann<lb/> in München 1905) Beiträge zur Weiterentwicklung der christlichen Religion<lb/> heraus. Der vorliegende Band enthält zehn wertvolle Abhandlungen. Für die<lb/> besten halten wir: Wesen und Ursprung der Religion von Professor Dr. L. von<lb/> Schroeder; Das Alte Testament im Lichte der modernen Forschung von Pro¬<lb/> fessor Dr. H. Gürtel; Wissenschaft und Religion von Professor Dr. Eucken;<lb/> Religion und Schule von Professor Dr. W. Rein; Die gemeinschastbildende Kraft<lb/> der Religion von Liz. G. Traub; Das Wesen des Christentums von Liz.<lb/> Dr. G. Wobbermin. — Luther als deutscher Mann vom Realgymnastalober-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0120]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
briefe im Hinblick auf überstandue und drohende Verfolgungen abgefaßt worden.
Demselben Anlaß verdankt die Apokalypse ihren Ursprung, in die eine christlich
retouchierte jüdische Apokalypse (8, 1 bis 22, 5) aufgenommen worden ist. Verfasser
des christlichen Teils sowie der drei Johannesbriefe ist der „Busenjünger/' der
cphesinische Presbyter Johannes (der nicht mit dem Apostel Johannes identisch
ist); und dessen Predigt hat einer seiner Schüler, ein alexcmdrinisch gebildeter
Mann, mit seinen eignen Spekulationen verschmolzen und um das Jahr 110 im
vierten Evangelium seine eigentümliche Auffassung der Person und der Lehre Jesu
niedergelegt. Der zweite Thessalonicherbrief gehört in die Periode der Pastoral-
bricfe, und der Jakobus-, der Judas-, der zweite Petrusbrief werden als Nach¬
zügler der neutestamentlichen Literatur bezeichnet. Wir wollen die Charakteristik
der Apokalypse abschreiben, aus der die Leser ersehen werden, daß durch die un¬
befangne Anerkennung des menschlichen Anteils an der Entstehung der neutestament¬
lichen Literatur das fromme Gemüt nichts verliert. „So kam die Christenheit zu
ihrer Apokalypse und damit zur Übernahme einer krausen, allzeit die Phantasie auf
Luft- und Nebelwege verlockenden Fülle jüdischer, von Leidenschaft durchglühter,
doch bei der Übernahme da und dort durch Übermalung erweichter Phantastereien,
denen gottlob trotz allem bizarren ein großartiger Zug nicht fehlte; aber auch in
den Besitz von abgeklärten fast ätherischen Bildern der ersehnten Ziele alles Erden¬
ringens, wie sie nur im Feuer der Trübsal geläuterte Frömmigkeit schaffen konnte,
Bilder, die ihr auf ihren Erdenfahrten nach der Ewigkeit noch immer den Dienst
geleistet haben, den die Sterne dem auf der See treibenden tun. Und diese
jüdischen Phantasien haben eiuen Christen von wunderbarer Bildnerkraft und Rein¬
heit der Phantasie zu nicht minder erhabnen Schöpfungen veranlaßt, die an ab¬
geklärter Harmonie und ausgeglichnem Geschmack jenen jüdischen, die sie erzeugt
haben, weit überlegen sind. Ja die Sendschreiben an die sieben Gemeinden sind
von einer Mischung herber sittlicher Strenge mit inniger Milde und religiöser
Wärme, durch die sie zu den wertvollsten der in der neutestamentlichen Sammlung
uns vermittelten Bekenntnisse und Zielsetzungen des Urchristentums zählen. Zugleich
haben die Traumgesichte der Juden von weltgeschichtlichen Ereignissen in den Christen
unter dem Druck der Verfolgung den Zug zur Auseinandersetzung mit der Welt
gestärkt, sie gelehrt, geschichtlich zu denken und ihre Gemeinschaft mit großen Be¬
wegungen der Weltgeschichte in Verbindung zu bringen und sie so vorbereitet, selbst
mit großen Zielen in diese Geschichte einzutreten. Endlich wurde der Christenheit
hierdurch ein Buch geschenkt, das ihren durch die Evangelienschöpfung stark an die
große Vergangenheit geketteten Blick immer wieder nach der Zukunft hin spannte
und ihr so den eigentlichen Atem aller, zumal der christlichen Frömmigkeit, ja alles
Lebens stärkte: die Hoffnung." — Einen vortrefflichen und überzeugenden Beweis
dafür, daß Jesus Christus wirklich gelebt hat, gestorben und auferstanden ist, führt
Oberlehrer Th. Schneider indem Vortrage: Was wissen wir von Christus,
den er zusammen mit einem andern über das Johannisevangelium (bei H. Heuß
in Wiesbaden 1905) herausgegeben hat unter dem Titel: Hütet euch vor dem
Sauerteig der Pharisäer und der Sadducäer. — Aus dem Zwiespalt
zwischen der heutigen weltgeschichtlichen Lage und den veralteten Formen des
Christentums die Seelen durch Weiterentwicklung der christlichen Religion zu er¬
lösen, haben sich Gelehrte verschiedner Berufe vereinigt. Sie geben (bei I. F. Lehmann
in München 1905) Beiträge zur Weiterentwicklung der christlichen Religion
heraus. Der vorliegende Band enthält zehn wertvolle Abhandlungen. Für die
besten halten wir: Wesen und Ursprung der Religion von Professor Dr. L. von
Schroeder; Das Alte Testament im Lichte der modernen Forschung von Pro¬
fessor Dr. H. Gürtel; Wissenschaft und Religion von Professor Dr. Eucken;
Religion und Schule von Professor Dr. W. Rein; Die gemeinschastbildende Kraft
der Religion von Liz. G. Traub; Das Wesen des Christentums von Liz.
Dr. G. Wobbermin. — Luther als deutscher Mann vom Realgymnastalober-
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