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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Vielleicht theoretisch richtig, in der Praxis dagegen falsch. Es ist eine auf den
oberflächlichen Blick hin bestechende, aber dennoch graue Theorie. Wir können mit
England befreundet sein, wir brauchen vor allen Dingen nicht notwendig Gegner
zu sein. Der "Standard" in London, der kürzlich wiederholt erklärte, er könne
bei sorgfältigster Prüfung nicht eine Spur eines berechtigten Gegensatzes entdecken,
ist unbedingt im Recht. Dennoch aber besteht dieser Gegensatz in der Form einer
Rivalität, in allem, was Kultur, Seefahrt, Handel, ja sogar das Militärische an¬
langt, also eigentlich in einer Rivalität der Macht, und in England mag es da zu
viele Leute gebe", die sich auf den Standpunkt stellen: Wer nicht für mich ist,
der ist wider mich! Um so notwendiger bleibt es, daß wir auf den eignen Füßen
stehn können.

Zu dem "Stehn auf eignen Füßen" gehören freilich vor allem gute Finanzen.
Ein gefüllter Schatz ist der beste Verbündete. Um so dringender ist die Aufgabe
für den Reichstag, an die Frage der Finanzreform ohne Vorurteil und ohne Phrase,
vor allem ohne alle Popnlaritätshcischerei heranzutreten. Man sollte sich doch endlich
auf allen Seiten darüber klar sein, daß mit der fortgesetzten Umschmeichelung der
Massen, rin der bis zum Überdruß verbrauchten Phrase von dem "wirtschaftlich
Schwachen," der sich mit spöttischem Lächeln die ihm von einem Etatsjnhr zum
andern aufgeredete "SchonnngSbedürftigkeit" gefallen läßt, gar nichts erreicht
werden kann. Der "wirtschaftlich Schwache" zahlt ohne Murren oder Bedenken
wöchentlich 1 Mark, also jährlich 52 Mark in die Streikkasse, Reich und Staat
bemühen sich angelegentlich, ihm diese Auslage auf alle Weise doppelt und dreifach
zu ersetzen durch allerlei Renten und Versicherungen, Schulgelderlaß, Steuer¬
erlaß usw. Die Verteuerung der Wohnungen, über die sich tüchtige Männer,
Vereine, Presse usw. so viel Kopfzerbrechen machen, besorgt der "wirtschaftlich
Schwache" durch die unaufhörlichen Streiks der an den Bauten beteiligten Ge¬
werbe zum großen Teil ganz allein. Es gibt keinen Mount im Jahr, wo nicht
Maurer oder Steinträger, Zimmerer, Schlosser, Schreiner, Klempner, Anstreicher
oder irgend ein andres an den Bauten beteiligtes Gewerbe im Streik wären.
Jeder Streik, der mit einer Lohnerhöhung endet, hat aber ganz natürlich eine
Steigerung der Herstellungskosten der Häuser, also auch eine Steigerung der Miet¬
preise zur Folge. Die fortgesetzt wachsenden Anforderungen der Polizei an die
Wohnungen, zum Teil recht unsinnige Bauordnungen usw. tun das weitere.
"Billige" Wohnungen lassen sich schon aus diesen Gründen in den größern Städten
und ihren Umgebungen kaum noch herstellen.

Dazu kommt dann noch die Unsumme von Ärgernissen, die dem Hausbesitzer
dnrch die große Zahl kleiner Mieter erwachsen, die -- in der Mehrzahl selbst¬
verständlich Sozialdemokraten -- es als ihre Pflicht betrachten, mit dem "kapi¬
talistischen" Hausbesitzer, der oft nicht weiß, woher er die Hypothekenzinsen nehmen
soll, auf dem schärfsten Kriegsfuße zu Verkehren. Für diese Kreise lebt der Haus¬
besitzer in einer Art von öffentlicher Achtung. Kein Wunder, wenn niemand mehr
daran denkt, kleine billige Wohnungen herzustellen, und wenn die vorhandnen,
deren Zunahme dem Bedarf nicht mehr entspricht, dadurch teurer werden. Dieser
Art von Wohnungsnot ließe sich schon steuern, aber vor allem dadurch, daß den
meist ganz überflüssigen und mutwillig von- Zaune gebrochnen Streiks ein Riegel
vorgeschoben würde. Was kostet ein solcher Streik oft an Unterstützungsgeldern!
Die Massen, die das alles aufzubringen vermögen, sollte man doch nicht ohne
weiteres als so schonnngsbedürftig behandeln, daß man sie von jeder Beitrags¬
leistung für die erhöhten Bedürfnisse des Reiches grundsätzlich entbände. Auf
welche Schultern will man denn die Kosten legen? Reiche Leute, die man zu
einem gewissen Prozentsatz an ihrem Einkommen oder Vermögen expropriieren
konnte, gibt es in Deutschland zu wenig, damit würde man kaum die zweite Rate
für ein Linienschiff bestreiten.

Der besser situierte und der mittlere Bürgerstand, die eigentlich die Lasten


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Vielleicht theoretisch richtig, in der Praxis dagegen falsch. Es ist eine auf den
oberflächlichen Blick hin bestechende, aber dennoch graue Theorie. Wir können mit
England befreundet sein, wir brauchen vor allen Dingen nicht notwendig Gegner
zu sein. Der „Standard" in London, der kürzlich wiederholt erklärte, er könne
bei sorgfältigster Prüfung nicht eine Spur eines berechtigten Gegensatzes entdecken,
ist unbedingt im Recht. Dennoch aber besteht dieser Gegensatz in der Form einer
Rivalität, in allem, was Kultur, Seefahrt, Handel, ja sogar das Militärische an¬
langt, also eigentlich in einer Rivalität der Macht, und in England mag es da zu
viele Leute gebe», die sich auf den Standpunkt stellen: Wer nicht für mich ist,
der ist wider mich! Um so notwendiger bleibt es, daß wir auf den eignen Füßen
stehn können.

Zu dem „Stehn auf eignen Füßen" gehören freilich vor allem gute Finanzen.
Ein gefüllter Schatz ist der beste Verbündete. Um so dringender ist die Aufgabe
für den Reichstag, an die Frage der Finanzreform ohne Vorurteil und ohne Phrase,
vor allem ohne alle Popnlaritätshcischerei heranzutreten. Man sollte sich doch endlich
auf allen Seiten darüber klar sein, daß mit der fortgesetzten Umschmeichelung der
Massen, rin der bis zum Überdruß verbrauchten Phrase von dem „wirtschaftlich
Schwachen," der sich mit spöttischem Lächeln die ihm von einem Etatsjnhr zum
andern aufgeredete „SchonnngSbedürftigkeit" gefallen läßt, gar nichts erreicht
werden kann. Der „wirtschaftlich Schwache" zahlt ohne Murren oder Bedenken
wöchentlich 1 Mark, also jährlich 52 Mark in die Streikkasse, Reich und Staat
bemühen sich angelegentlich, ihm diese Auslage auf alle Weise doppelt und dreifach
zu ersetzen durch allerlei Renten und Versicherungen, Schulgelderlaß, Steuer¬
erlaß usw. Die Verteuerung der Wohnungen, über die sich tüchtige Männer,
Vereine, Presse usw. so viel Kopfzerbrechen machen, besorgt der „wirtschaftlich
Schwache" durch die unaufhörlichen Streiks der an den Bauten beteiligten Ge¬
werbe zum großen Teil ganz allein. Es gibt keinen Mount im Jahr, wo nicht
Maurer oder Steinträger, Zimmerer, Schlosser, Schreiner, Klempner, Anstreicher
oder irgend ein andres an den Bauten beteiligtes Gewerbe im Streik wären.
Jeder Streik, der mit einer Lohnerhöhung endet, hat aber ganz natürlich eine
Steigerung der Herstellungskosten der Häuser, also auch eine Steigerung der Miet¬
preise zur Folge. Die fortgesetzt wachsenden Anforderungen der Polizei an die
Wohnungen, zum Teil recht unsinnige Bauordnungen usw. tun das weitere.
„Billige" Wohnungen lassen sich schon aus diesen Gründen in den größern Städten
und ihren Umgebungen kaum noch herstellen.

Dazu kommt dann noch die Unsumme von Ärgernissen, die dem Hausbesitzer
dnrch die große Zahl kleiner Mieter erwachsen, die — in der Mehrzahl selbst¬
verständlich Sozialdemokraten — es als ihre Pflicht betrachten, mit dem „kapi¬
talistischen" Hausbesitzer, der oft nicht weiß, woher er die Hypothekenzinsen nehmen
soll, auf dem schärfsten Kriegsfuße zu Verkehren. Für diese Kreise lebt der Haus¬
besitzer in einer Art von öffentlicher Achtung. Kein Wunder, wenn niemand mehr
daran denkt, kleine billige Wohnungen herzustellen, und wenn die vorhandnen,
deren Zunahme dem Bedarf nicht mehr entspricht, dadurch teurer werden. Dieser
Art von Wohnungsnot ließe sich schon steuern, aber vor allem dadurch, daß den
meist ganz überflüssigen und mutwillig von- Zaune gebrochnen Streiks ein Riegel
vorgeschoben würde. Was kostet ein solcher Streik oft an Unterstützungsgeldern!
Die Massen, die das alles aufzubringen vermögen, sollte man doch nicht ohne
weiteres als so schonnngsbedürftig behandeln, daß man sie von jeder Beitrags¬
leistung für die erhöhten Bedürfnisse des Reiches grundsätzlich entbände. Auf
welche Schultern will man denn die Kosten legen? Reiche Leute, die man zu
einem gewissen Prozentsatz an ihrem Einkommen oder Vermögen expropriieren
konnte, gibt es in Deutschland zu wenig, damit würde man kaum die zweite Rate
für ein Linienschiff bestreiten.

Der besser situierte und der mittlere Bürgerstand, die eigentlich die Lasten


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[0774] Maßgebliches und Unmaßgebliches Vielleicht theoretisch richtig, in der Praxis dagegen falsch. Es ist eine auf den oberflächlichen Blick hin bestechende, aber dennoch graue Theorie. Wir können mit England befreundet sein, wir brauchen vor allen Dingen nicht notwendig Gegner zu sein. Der „Standard" in London, der kürzlich wiederholt erklärte, er könne bei sorgfältigster Prüfung nicht eine Spur eines berechtigten Gegensatzes entdecken, ist unbedingt im Recht. Dennoch aber besteht dieser Gegensatz in der Form einer Rivalität, in allem, was Kultur, Seefahrt, Handel, ja sogar das Militärische an¬ langt, also eigentlich in einer Rivalität der Macht, und in England mag es da zu viele Leute gebe», die sich auf den Standpunkt stellen: Wer nicht für mich ist, der ist wider mich! Um so notwendiger bleibt es, daß wir auf den eignen Füßen stehn können. Zu dem „Stehn auf eignen Füßen" gehören freilich vor allem gute Finanzen. Ein gefüllter Schatz ist der beste Verbündete. Um so dringender ist die Aufgabe für den Reichstag, an die Frage der Finanzreform ohne Vorurteil und ohne Phrase, vor allem ohne alle Popnlaritätshcischerei heranzutreten. Man sollte sich doch endlich auf allen Seiten darüber klar sein, daß mit der fortgesetzten Umschmeichelung der Massen, rin der bis zum Überdruß verbrauchten Phrase von dem „wirtschaftlich Schwachen," der sich mit spöttischem Lächeln die ihm von einem Etatsjnhr zum andern aufgeredete „SchonnngSbedürftigkeit" gefallen läßt, gar nichts erreicht werden kann. Der „wirtschaftlich Schwache" zahlt ohne Murren oder Bedenken wöchentlich 1 Mark, also jährlich 52 Mark in die Streikkasse, Reich und Staat bemühen sich angelegentlich, ihm diese Auslage auf alle Weise doppelt und dreifach zu ersetzen durch allerlei Renten und Versicherungen, Schulgelderlaß, Steuer¬ erlaß usw. Die Verteuerung der Wohnungen, über die sich tüchtige Männer, Vereine, Presse usw. so viel Kopfzerbrechen machen, besorgt der „wirtschaftlich Schwache" durch die unaufhörlichen Streiks der an den Bauten beteiligten Ge¬ werbe zum großen Teil ganz allein. Es gibt keinen Mount im Jahr, wo nicht Maurer oder Steinträger, Zimmerer, Schlosser, Schreiner, Klempner, Anstreicher oder irgend ein andres an den Bauten beteiligtes Gewerbe im Streik wären. Jeder Streik, der mit einer Lohnerhöhung endet, hat aber ganz natürlich eine Steigerung der Herstellungskosten der Häuser, also auch eine Steigerung der Miet¬ preise zur Folge. Die fortgesetzt wachsenden Anforderungen der Polizei an die Wohnungen, zum Teil recht unsinnige Bauordnungen usw. tun das weitere. „Billige" Wohnungen lassen sich schon aus diesen Gründen in den größern Städten und ihren Umgebungen kaum noch herstellen. Dazu kommt dann noch die Unsumme von Ärgernissen, die dem Hausbesitzer dnrch die große Zahl kleiner Mieter erwachsen, die — in der Mehrzahl selbst¬ verständlich Sozialdemokraten — es als ihre Pflicht betrachten, mit dem „kapi¬ talistischen" Hausbesitzer, der oft nicht weiß, woher er die Hypothekenzinsen nehmen soll, auf dem schärfsten Kriegsfuße zu Verkehren. Für diese Kreise lebt der Haus¬ besitzer in einer Art von öffentlicher Achtung. Kein Wunder, wenn niemand mehr daran denkt, kleine billige Wohnungen herzustellen, und wenn die vorhandnen, deren Zunahme dem Bedarf nicht mehr entspricht, dadurch teurer werden. Dieser Art von Wohnungsnot ließe sich schon steuern, aber vor allem dadurch, daß den meist ganz überflüssigen und mutwillig von- Zaune gebrochnen Streiks ein Riegel vorgeschoben würde. Was kostet ein solcher Streik oft an Unterstützungsgeldern! Die Massen, die das alles aufzubringen vermögen, sollte man doch nicht ohne weiteres als so schonnngsbedürftig behandeln, daß man sie von jeder Beitrags¬ leistung für die erhöhten Bedürfnisse des Reiches grundsätzlich entbände. Auf welche Schultern will man denn die Kosten legen? Reiche Leute, die man zu einem gewissen Prozentsatz an ihrem Einkommen oder Vermögen expropriieren konnte, gibt es in Deutschland zu wenig, damit würde man kaum die zweite Rate für ein Linienschiff bestreiten. Der besser situierte und der mittlere Bürgerstand, die eigentlich die Lasten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/774>, abgerufen am 29.09.2024.